Interview Kindergärten

„Es kommen große Aufgaben auf uns zu“

Viele Kirchgemeinden investieren Zeit, Kraft und Geld in den Betrieb einer Kita. Wie kann dieses kirchliche Engagement trotz sinkender Kirchenmitgliedschaft weiter bestehen?

„Eine liebevolle, zugewandte Betreuung, Toleranz und Verlässlichkeit machen die evangelischen Kindertagesstätten attraktiv – nicht nur für evangelische Familien“, verspricht die Evangelische Kirche in ihrer Außendarstellung. Doch evangelische Kitas und damit die Kirchgemeinden stehen durch Fachkräftemangel und Kirchenmitgliederschwund vor großen Herausforderungen. Ein Gespräch über mögliche Lösungsansätze:


Eule: Was ist ein Zweckverband für Kindertagesstätten und welche Aufgaben übernimmt dessen Geschäftsführerin?

Friebe-Winterfeldt: Im Kirchenkreis Erfurt wurde 2020 damit begonnen, Kindertagesstätten aus der Trägerschaft der einzelnen Kirchgemeinden in die Trägerschaft eines Zweckverbandes zu überführen. Sieben Kirchgemeinden haben sich damals auf diesen Weg gemacht. Eine meiner ersten Aufgaben war die Gestaltung dieses Trägerwechsels, mit dem in Thüringen zum Beispiel die Überprüfung der Betriebserlaubnis verbunden ist. Natürlich gab es mit allen Beteiligten viel abzustimmen und vor allem rechtliche und finanzielle Fragen zu klären.

Zurzeit befinden sich sechs Kindergärten in Trägerschaft des Zweckverbandes. Für eine weitere Einrichtung übernehmen wir mittels eines Geschäftsbesorgungsvertrags noch die Geschäftsführung, bis sie nächstes Jahr in die Trägerschaft wechselt. Wir betreuen also sieben sehr verschiedene Kindergärten.

Eule: Wie eigenständig arbeiten die Einrichtungen im Zweckverband überhaupt noch?

Friebe-Winterfeldt: Als Zweckverband kümmern wir uns um den Rahmen, so dass die Kita-leitungen und Mitarbeiter:innen Zeit und Kraft gewinnen für die Gestaltung des Lebens in ihrer Einrichtung, also für Dienstplan, Elternarbeit, pädagogische Ideen usw.. Vor dem Eintritt in den Zweckverband haben die Hausleitungen häufig Aufgaben übernommen, die eigentlich dem Träger zugeordnet sind. Es geht also auch darum, gemeinsam nachzuschärfen, was Trägeraufgaben sind und was Aufgaben der Hausleitung.

Die originären Trägeraufgaben wurden zuvor von den Kirchgemeinden mal mehr, mal weniger intensiv angenommen. Dazu gehören zum Beispiel Baufragen und das Personalmanagement. Das Bewerber:innenmanagement läuft jetzt über mich: Ich bin bei Vorstellungsgesprächen mit dabei, kümmere mich um die notwendigen Unterlagen beim Kreiskirchenamt und die Arbeitsverträge. Außerdem schließen wir als Zweckverband Verträge mit Reinigungsfirmen und weiteren Drittanbietern ab. Gerade erst haben wir gemeinsam mit der Kirchgemeinde und Hausleitung den Neubau der St. Laurentius-Kita in Frienstedt bei Erfurt realisiert.

Eule: Das sind Aufgaben, die bisher von ehrenamtlichen Kirchenvorständen / Gemeindekirchenräten übernommen wurden oder an den Pfarrer:innen hängen geblieben sind.

Friebe-Winterfeldt: Ja, viele dieser Fragen wurden bisher auf Sitzungen von Gemeindekirchenräten (GKR) durchverhandelt. Das hat die Gemeindekirchenrät:innen natürlich viel Zeit und Kraft gekostet. Ein Vorteil dieser Handhabung war aber sicher, dass in den GKRs Menschen mit ganz unterschiedlichen Berufen dabei sind, die aus ihren Arbeits- und Lebenserfahrungen heraus Ideen haben.

Eule: Die Bereitschaft innerhalb der schrumpfenden Kirchenmitgliederschaft, sich in einem Gemeindekirchenrat oder Kirchenvorstand zu engagieren nimmt stetig ab. Wir hören immer wieder auch Beschwerden über Überforderung. Sind die Kindergärten zu wichtig, als dass man sie in einem einzelnen GKR überlassen kann?

Friebe-Winterfeldt: Die Gemeindekirchenräte haben ihre Pflichten im Rahmen des Möglichen schon sehr gut erfüllt, aber sie mussten eben sehr viel Zeit und Kraft für Kindergartenfragen aufwenden, die für andere Belange der Kirchengemeinde dann nicht zur Verfügung standen. Ein ganz praktisches Problem dieser Zuständigkeit war auch, dass Gemeindekircherät:innen als Ehrenamtliche zu anderen Zeiten tätig werden als die Einrichtungen. Meine Arbeitszeit ist hingegen dann, wenn auch die Kitas geöffnet haben.

Mit der Geschäftsführung durch den Zweckverband geht auch eine Professionalisierung einher: In der Vergangenheit mussten GKRs zum Beispiel über die Einstellung einer Erzieherin entscheiden, obwohl sie die Bewerber:in und das Anforderungsprofil gar nicht richtig kannten. Und nicht zuletzt hat gerade den Hausleitungen auch eine Ansprechpartnerin für den Austausch gefehlt, z.B. über die Personalentwicklung. Wie machen wir das, wenn Erzieher:innen in den Ruhestand gehen? Da sind wir jetzt meistens zu zweit. Das entlastet ungemein.

Eule: Gibt es in Erfurt denn noch mehr Kirchgemeindekindergärten, die mitmachen könnten? Es ist ja für viele Kirchgemeinden nicht leicht, ihren Kindergarten in andere Hände zu legen.

Friebe-Winterfeldt: Insgesamt gibt es hier bei uns in Erfurt 14 Einrichtungen. Ich gehe stark davon aus, dass sich in den nächsten Jahren da noch einiges bewegen wird. Ich finde es aber gut, dass das freiwillig passiert. Mit denjenigen Kirchgemeinden, die sich schon für einen Wechsel entschieden haben, läuft die Zusammenarbeit sehr gut:

Es gibt Gemeindepädagogen, die stundenweise in die Einrichtungen kommen. Die Pfarrer:innen können wieder stärker seelsorglich tätig sein, wo es zuvor durchaus Rollenkonflikte gab, weil man vielleicht jemanden in der Probezeit entlassen musste und zugleich als Seelsorger in der Einrichtung war. Beim Fest zur Einweihung des Kitaneubaus in Frienstedt konnte man dieses Miteinander richtig gut erleben: Es gab natürlich einen gemeinsamen Gottesdienst und ein großes Fest, jede:r hatte seine Aufgabe: Der Pfarrer hat die Andacht gestaltet, aber er musste nicht das Fest organisieren.

Wir scheren die einzelnen Einrichtungen nicht über einen Kamm, jede Kita bleibt mit ihren Stärken individuell und kann sich konzeptionell so entwickeln, wie es die Einrichtung und die Kirchgemeinde wünschen. Auch ich als Geschäftsführerin agiere hier im Zweckverband nicht alleine: Es gibt eine Verbandsversammlung, die aus Vertreter:innen der einzelnen Kirchgemeinden besteht und meine Tätigkeit kontrolliert. Ein weiterer Vorteil der neuen Zusammenarbeit ist, dass wir den Wissensaustausch unter den Einrichtungen intensivieren können. Da nehmen wir auch bewusst schon die Einrichtungen dazu, die noch nicht im Zweckverband sind, zum Beispiel bei der Einführung einer Kindergarten-App.

Eule: Warum machen das nicht schon längst alle Kirchgemeinden so?

Friebe-Winterfeldt: Weil es natürlich die Sorge gibt, dass den Kirchgemeinden durch eine zentralisierte Geschäftsführung doch etwas verloren geht. Ich bin mir aber sicher: Wir brauchen solche Formen der verstärkten Zusammenarbeit, ob sie nun „Zweckverband“ oder anders heißen. Im ländlichen Raum stehen einige Kirchgemeinden vor der Entscheidung, einen Kindergarten aus ihrer Trägerschaft an einen anderen freien Träger oder in kommunale Hände abzugeben, weil sie es einfach nicht mehr schaffen.

Kindergärten zu betreiben, ist ein professionelles Geschäft. Es gibt deshalb keine gute Alternative dazu, sich zentraler aufzustellen, weil andernfalls die Qualität leidet, es finanziell nicht zu stemmen ist. Es kommen große Aufgaben auf uns zu durch den Ruhestand der Babyboomer-Generation, wir werden noch viel größere Probleme mit der Personalgewinnung haben als jetzt schon. All das kann nach meinem Eindruck eine einzelne Kirchgemeinde mit einer Einrichtung gar nicht leisten. Es geht darum, möglichst viele Kindergärten nahe an den Kirchgemeinden zu erhalten.

Eule: Welche Kosten entstehen denn durch den neuen Zweckverband?

Friebe-Winterfeldt: Bis sich so ein Zweckverband richtig koordiniert, fallen natürlich Mehrkosten an, weshalb wir auch eine Finanzierung durch den Kirchenkreis haben. Generell gilt: Viele Managementaufgaben wurden bisher „nebenbei“ gemacht, von Ehrenamtlichen oder von der Hausleitung oder ein:e Pfarrer:in hatte dafür Stundenanteile. Die meisten Kosten sind also auch vorher schon entstanden, jetzt sind sie aber für alle wahrnehmbar.

Eule: In Deutschland gibt es trotz sinkender Kirchenmitgliedschaft eine große Nachfrage nach evangelischen Kindergärten und Schulen. Wie sieht die Nachfrage vor Ort aus?

Friebe-Winterfeldt: In Thüringen gibt es derzeit insgesamt weniger Kinder, das heißt, der Bedarf an Betreuungsplätzen sinkt. Es gibt bei uns auch keine Wartelisten mehr. Man muss hier schon in die Zukunft investieren, um sich auch von den Wettbewerbern abzuheben und für Familien attraktiv zu bleiben.

Eule: Wie macht sich der Fachkräftemangel – gerade bei Erzieher:innen -bemerkbar?

Friebe-Winterfeldt: Sehr! Wir führen wirklich mit jede:r einzelnen Bewerber:in ein Gespräch. Es geht wirklich darum, Menschen für die Mitarbeit zu gewinnen. Ich höre häufiger von Bewerber:innen, dass sie gerne in einer evangelischen Einrichtung arbeiten möchten. Wir zahlen zwar genauso viel wie im öffentlichen Dienst, aber trotzdem müssen wir uns über das evangelische Profil, den Teamgeist, die Gebäude, die Arbeitsbedingungen als attraktiver Arbeitgeber hervortun.

Eule: Werden die Zweckverbände jetzt überall in der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) eingeführt?

Friebe-Winterfeldt: Nein, aber es gibt einzelne Kirchenkreise, die sich auf den Weg machen. Das hängt nach meinem Eindruck an den handelnden Personen in den Kirchenkreisen. Hier in Erfurt ist unser Senior Dr. Matthias Rein vorangegangen, anderswo wird sicher noch Jahre so weitergearbeitet wie bisher.

Eule: Professionalisierung ist ja auch eine Frage der Qualitätssicherung. Wer schaut denn überhaupt danach, dass die Dinge in Kindergärten richtig laufen?

Friebe-Winterfeldt: Das zuständige Ministerium führt in Thüringen die Fachaufsicht und fragt nach, wenn sich an den Rahmenbedingungen etwas ändert, zum Beispiel eben bei einem Trägerwechsel. Dann gibt es die Jugendämter vor Ort, auch die schauen vor allem anlassbezogen nach, also wenn es Beschwerden geben sollte, wenn ein Vorfall bekannt wird.

Eule: Auch an diesen Stellen fehlt häufig Personal, so dass man dort mit aktuellen Brandherden schon ausgelastet ist und nicht präventiv tätig werden kann.

Friebe-Winterfeldt: Ja, überhaupt nicht, leider. Wir haben bei uns in den Einrichtungen zwei Fachberaterinnen der Diakonie Mitteldeutschland, die in der letzten Zeit vor allem die Schutzkonzepte gegen sexuelle Gewalt vorangetrieben haben. Die sind in Thüringen gesetzlich vorgeschrieben und wurden bei uns von den Fachberaterinnen gemeinsam mit den Teams, ihren Leitungen und einer Kinderschutzfachkraft erarbeitet. Dazu gab es auch Fortbildungen und einen intensiven Austausch. Die Eltern haben wir auf den Elternabenden über diesen wichtigen Teil der pädagogischen Arbeit informiert. Und im Zweckverband werden wir eine einheitliche Selbstverpflichtung für alle Mitarbeiter:innen haben und das auch ins Trägerleitbild integrieren.

Eule: Was brauchen Kindergärten, um sich beim Thema Kinderschutz besser aufzustellen?

Friebe-Winterfeldt: Ich glaube, es braucht vor allem Zeit für Fallbesprechungen. Die Mitarbeiter:innen in den Einrichtungen, aber auch einrichtungsübergreifend brauchen Zeit, sich untereinander auszutauschen: Wo gab es Grenzsituationen durch pädagogische Fachkräfte? Wie erkenne ich bei Kindern Gewalt im häuslichen Umfeld? Deshalb müsste die Zeit dafür bei der Personalbedarfsanalyse mitbedacht werden. Die Basis ist mit den Schutzkonzepten und Schulungen gelegt, die Mitarbeiter:innen sind sensibilisiert. Bei Fortbildungen und in der pädagogischen Beratung geht es dann zu Recht auch um andere Themen. Aber das Thema Kinderschutz muss kontinuierlich mitgeführt werden.

Eule: Was bezahlt eigentlich die Kirche aus Kirchensteuermitteln für den Betrieb der Kitas?

Friebe-Winterfeldt: Wir bemühen uns, mit den staatlichen Personalkostenerstattungen und Fördermitteln für Bauarbeiten etc. hinzukommen. Wir als Zweckverband erhalten auch eine kommunale Verwaltungskostenpauschale, die die Personalkosten abdeckt. Insgesamt aber ist das leider nicht auskömmlich. Pro Erzieher:in bekommen wir beispielsweise nur 75 € für Fortbildungen im Jahr. Das reicht natürlich bei weitem nicht! Hier schießen wir als Träger zu, am Ende aus Kirchensteuermitteln.

Ein anderes Beispiel dafür sind die FSJ-Stellen, die ja nur zur Hälfte von der Stadt übernommen werden. Die andere Hälfte mussten die Kirchgemeinden früher selbst zahlen. Der Zweckverband hat sich nun zum einen um Fördermittel einer Stiftung bemüht und unterstützt die Gemeinden auch eigenständig. Schließlich können aus FSJler:innen ja später Erzieher:innen werden!


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