Kolumne mind_the_gap

Bye bye Geisterglaube

Lutheraner, Atheisten und der Teufel: In ihrer letzten Kolumne für „mind_the_gap“ verabschiedet sich Flora Hochschild mit einem Kriminalfall und dem Ende des Geisterglaubens im Luthertum.

Im „Deutschen Sagenbuch“ des Bibliothekars und Märchensammlers Ludwig Bechstein findet sich eine bizarre Sage: Ein Student habe mit anderen Genossen den Teufel beschworen. Der erschien auch und tötete zwei Menschen. Der Tatort wurde von drei Wächtern bewacht und zwei dieser Wächter wurden ebenfalls von einem Geist getötet. Die Sage endet mit dem lapidaren Verweis, dass „viel darüber geschrieben und in den Druck geben worden“ ist.

Dieser Vermerk wirkt wenig „sagenhaft“, und das hat einen Grund. Bechsteins Sage spielt auf einen der prominentesten und kontroversesten Fälle über Geistererscheinungen in der Frühaufklärung an.

Im November 1715 zogen die zwei Studenten Gotthard Weber und Caspar Rechen durch die Stadt Jena. Sie kamen bei einem Schneider namens Georg Heichler unter. Heichler erzählte den beiden Studenten von einem Schatz, der sich unter seinem Häuschen in einem Weinberg befinden sollte. Ein Schäfer habe den Schatz bereits verortet, aber könne ihn nicht heben, weil er dafür ein Zauberbuch benötige, da eine „weiße Frau“ den Schatz bewache.

Heichler bot den beiden Studenten als Gegenleistung eine Beteiligung an dem zu hebenden Schatz an, sollte es den Studenten gelingen, die „weiße Frau“ mit einem Geist zu vertreiben. Die beiden willigten ein. Bei einem konspirativen Treffen mit dem Schäfer und weiteren Schatzgräbern wurde eine „Bedarfsanalyse“ durchgeführt, Vorkehrungen für die Beschwörung wurden getroffen und die entsprechend notwendigen Geister ermittelt. Man entschied sich für den Höllenfürsten „Och“ aus dem „Faust’schen Höllenzwang“, einem Standardwerk zur Beschwörung von Geistern.

Beschwörung in der Heiligen Nacht

Als Tag der Durchführung wurde die Christnacht gewählt, der 24. Dezember 1715 . Der Zeitpunkt war nicht zufällig. Gemäß des populären Geisterglaubens war die Zeit zwischen Christnacht und Epiphanias besonders gut dazu geeignet, Geister zu beschwören. In manchen Gegenden haben sich bis heute Bräuche um die Rauhnächte erhalten.

Der Plan wurde umgesetzt. Heichler verabschiedete sich in die Christmette, während vier Männer, darunter der Schäfer, Hans Geßner und Weber sich auf den Weg in den Weinberg machten. Die Männer entzündeten ein Kohlefeuer im Häuschen und nach einigem Kompetenzgerangel zwischen Geßner und Weber begann letzterer mit seiner Beschwörung.

Wenige Stunden später waren zwei der Männer, unter ihnen Geßner, tot. Als der Auftraggeber Heichler am nächsten Tag den Schatz entgegennehmen wollte, fand er die beiden Leichen und den lebenden Weber. Die beiden Überlebenden wurden festgenommen und die Stadt schickte drei Wächter in das leere Gartenhäuschen, um den Tatort zu sichern. Die Wachen entzündeten ebenfalls ein Kohlenfeuer und am nächsten Morgen waren zwei der Wachen tot. Der überlebende Wächter sagte aus, ein Kind sei den Wachen erschienen und seine beiden Mitwächter daraufhin tot umgefallen.

Die Stadt Jena ließ eine Untersuchung durchführen. Der zuständige Anatom folgerte, dass alle Opfer keineswegs einem übernatürlichen Verhängnis, sondern einer Kohlenstoffmonoxidvergiftung erlegen seien. Der von der Stadt Jena publizierte Untersuchungsbericht löste eine erste Welle an Schriften aus. Einzelne Mediziner, darunter der Cöllner (im heutigen Berlin) Arzt Erdmann Friedrich Andreae, zweifelten eine natürliche Ursache des Todes an, jedoch setzte sich schnell die Kohlenstoffmonoxidvergiftung als wahrscheinlichste Todesursache durch.

Während die Mediziner sich schnell auf diese irdische Todesursache einigen konnten, stellte sich die Lage für protestantische Theologen in Mitteldeutschland deutlich komplizierter dar. Die Frage über die Existenz und Wirksamkeit von Teufeln, Kobolden und Gespenstern war um 1700 eine heikle Frage für deutsche Lutheraner geworden. Seit der Reformation hatten sich feste Regeln und Rituale etabliert, mit denen kirchenamtlich korrekt bestimmt werden konnte, ob eine Geistererscheinung vorlag. Ein bevorzugter Spukort frühneuzeitlicher Geister war das lutherische Pfarrhaus.

Erscheinungen von Teufeln, Dämonen und anderen höllischen Wesen galten als teuflische Anfechtungen, die jedoch mit Ritualen wie Taufexorzismen therapierbar waren. Darin schienen die Geistlichen den (in diesem Falle) unglücklichen Schatzgräbern nicht unähnlich, aber es gab einen wesentlichen Unterschied: Das Vertreiben von Geistern mit anderen Geistern, wie es Weber praktizierte, war von kirchlichen Behörden weder gewünscht noch vorgesehen.

Der Tatort in dem Zustand des Auffindens durch die Behörden. Von links nach rechts: Weber, Zenner, und Geßner. Quelle: Christian Pohlen: Wahre Eröffnung der jenaischen Christ-Nachts-Tragödie. gründlicher und actenmäßiger Bericht von der sonderbaren und höchstbetruebten Begebenheit[…]. Jena 1716.

Der Tatort in dem Zustand des Auffindens durch die Behörden. Von links nach rechts: Weber, Zenner, und Geßner. Quelle: Christian Pohlen: Wahre Eröffnung der jenaischen Christ-Nachts-Tragödie. gründlicher und actenmäßiger Bericht von der sonderbaren und höchstbetruebten Begebenheit[…]. Jena 1716.

Ein theologisches Politikum

Im späten 17. Jahrhundert waren diese Formen der Geisterbeschwörung aufgrund äußerer und innerer Auseinandersetzungen der protestantischen Theologie in die Krise geraten: Insbesondere auf reformierter Seite, auf der es keine vergleichbaren Exorzismen gab, wurden Geistererscheinungen und ihre Bekämpfung Zielscheibe des Spotts. Im Jahr 1691 veröffentlichte der niederländische Theologe Balthasar Bekker den ersten Band der „De betooverde Wereld“ (dt. „Bezauberte Welt“), ein in vier Bücher unterteiltes Werk über die Möglichkeit von Geistererscheinungen. Großer Beliebtheit erfreuten sich weniger Bekkers philosophische Ausführungen als die von ihm gesammelten und widerlegten Geistergeschichten. Die enorme Popularität von Bekkers Schrift zwang lutherische Theologen in die Defensive.

Erschwert wurde die Aufrechterhaltung des traditionellen Geisterglaubens dadurch, dass die Frage nach der Existenz und Bewertung von Geistererscheinungen auch innerhalb der Luthertums umstrittener wurde. Die Konventikelbewegung und die mit ihr verbundenen Theologen begannen im ausgehenden 17. Jahrhundert, Gespenster- und Geistererscheinungen positiver zu bewerten. Damit geriet auch der Gespensterglaube auf den Prüfstand. Die Historikerin Miriam Rieger, die die Entwicklung des Geisterglaubens im mitteldeutschen Luthertum erforschte, stellt eine Wende von der Geistererscheinung als dämonischem Erleben hin zu einer „göttlichen Begeisterung“ fest. So unterstützte der Pietist und Gründer der Francke’schen Anstalten, August Hermann Francke, eine Gruppe „begeisterter Mägde“ (in diesem Sinne wörtlich gemeint), deren Name alleine schon eine Provokation für konservative Lutheraner war.

Die anfängliche Irritation über die Frage, inwieweit ein Teufel für den Tod der vier Menschen verantwortlich war, lieferte lutherischen Theologen vor Ort einen Beweis für die Richtigkeit und Notwendigkeit des nachreformatorischen Geisterglaubens. Die Polemiken richteten sich sowohl gegen Bekker als auch (vermeintliche) Pietisten. Ein anschauliches Beispiel für diese Haltung zeigt sich in einer Schrift der Universität Leipzig über den Vorfall: Professoren der medizinischen, juristischen und theologischen Fakultät verfassten ein Gutachten. Bemerkenswert dabei: Der Beitrag der theologischen Fakultät unterschied sich signifikant von den beiden anderen Fakultäten. In ihm wurde der Tod der beiden Schatzsucher als Konsequenz teuflischen Handels ausgedeutet.

Vom Skandal zum Kuriosum

Verschärft wurde diese Polemik durch Valentin Ernst Loescher und sein Presseorgan, die „Unschuldigen Nachrichten“ (bereits hier in „mind_the_gap“). Löscher fügte die vergleichsweise überschaubare medizinische Diskussion und die lutherischen Polemiken zusammen. Inhaltlich attackierte auch Löscher Atheisten und Pietisten, die diesen Beleg teuflischen Wirkens ignorieren würden. Loeschers Deutung des Vorfalls konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Andere orthodoxe Lutheraner wie Gottlob Balthasar Scherff, der den Rummel um die Todesursache als albernen Aberglauben abtat, äußerten Widerspruch gegen Loescher.

Weiterer Gegenwind äußerte sich in einer Reihe von Schriften, die anonym verfasst wurden. Besonders bemerkenswert ist eine unter dem Pseudonym Franciscus de Cordva erschienene Schrift mit dem Titel „Vom Schatz graben“. De Cordvas Traktat ist deshalb so faszinierend, weil sein polemischer und streng historisierender Text wesentliche Argumente der Neologie, der kritisch-historischen Bibelforschung der Aufklärung, vorwegnahm.

Trotz aller publizistischen Zuspitzungen hatte sich etwas verändert. Bereits kurz nach Löschers Veröffentlichung regte sich zunehmend Widerspruch aus den eigenen Reihen an der Wirksamkeit von Geistern und der Notwendigkeit ihrer Bekämpfung. Wenige Jahre später, im Jahre 1723, warfen Unbekannte Steine auf das Pfarrhaus des thüringischen Dorfes Gröben bei Jena. Als der örtliche Pfarrer Messungen anstellte, ob es sich beim Störer um einen Geist handeln könnte, wurde er nicht nur von (inner-)konfessionellen Gegnern verspottet.

Die Christnachttragödie wurde in den folgenden Jahren zu einem Kuriosum herabgestuft. Als Johann Georg Walch in seinem „Philosophischen Lexicon“ von 1726 einen Artikel über Zauberey veröffentlichte, waren Jena und die publizistische Schlammschlacht über die korrekte Deutung der Christnachtbeschwörung fester Teil einer Argumentation, während der zugunsten einer Abkehr von Exorzismen entschieden wurde. Walchs Artikel wurde fast wörtlich in das „Universal-Lexicon“ von Zedler aufgenommen. Die Christnachttragödie und die sie umgebende Kontroverse wurden damit endgültig als Weltwissen der Aufklärung kanonisiert. Damit waren Vorfall und Publizistik eine sagenreife Pointe geworden.

Was bleibt

In der Kirchengeschichte spielt die Frühe Neuzeit nur eine marginale Rolle, vor allem, wenn sie sich abseits der großen Namen der Theologie ereignet hat. Während die Forschung immer mehr die konfessionelle und lebensweltliche Pluralität dieser Epoche entdeckt hat, bleibt diese einer breiteren, theologisch interessierten Öffentlichkeit verborgen.

„mind the gap“ ist mit dem Anspruch angetreten, jenseits der examensrelevanten Pfade diese Vielfalt zu erkunden: Von sächsischen Aposteln bis zu depressiven Irenikern, von sinnsuchenden Konvertiten zu Menschen, die ihr Geschlecht für eine Eheschließung begutachten lassen mussten – die Menschen der Frühen Neuzeit und ihre Geschichten erscheinen oft surreal fern und gleichzeitig nah zugleich.

Und das macht den Reiz dieser Epoche für mich aus: Sich von einer fremden Welt mitreißen zu lassen und doch heutige Diskurse und gesellschaftliche wie persönliche Herausforderungen wiederzuerkennen. Ich hoffe, mir ist es gelungen, diese Faszination und meine Begeisterung für die Frühe Neuzeit zu vermitteln. Ich danke allen Lesenden, die mich auf dieser Reise begleitet haben! Für mich ist es heute die letzte Ausgabe, aber die Kolumne „mind the gap“ wird in einer anderen Epoche im Herbst 2024 fortgesetzt. Ich freue mich schon auf die nächsten Ausgaben und die Geschichten, die dort erzählt werden.


mind_the_gap – Vergessene Kapitel der Kirchengeschichte

Flora Hochschild stöbert für uns in den Untiefen der frühneuzeitlichen Kirchengeschichte und kramt aus dem Schatz der Historie erstaunliche Episoden hervor: In der Serie „mind_the_gap“ geht es im Frühjahr / Sommer 2024 um vergessene Kirchengeschichte(n), gottesfürchtige Abenteurer:innen und verborgene Wahrheiten. Wir freuen uns auf Feedback, Fragen und Hinweise auf dieser Schatzsuche in die Vergangenheit!

Alle „mind_the_gap“-Kolumnen von Flora Hochschild hier in der Eule.

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