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Friede auf Erden? – Die #LaTdH vom 15. Dezember

Zu Weihnachten verheißen die Engel „Friede auf Erden“. Deshalb übernimmt Jasper von Legat, Pfarrer und Friedensbeauftragter aus Bremen, in dieser Woche die #LaTdH.

Herzlich Willkommen!

Ich freue mich, heute mit Ihnen ein paar Gedanken über den Frieden und das Friedensstiften teilen zu können. Als einer der Friedensbeaufragten der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK) gehört das Nachdenken darüber zu meiner Arbeit als Pfarrer. Der Advent ist ein guter Anlass, gemeinsam ins Nachdenken zu kommen. In neun Tagen ist schon wieder Weihnachten. Alle Jahre wieder! Gut orchestriert und eingeübt feiern wir das Fest, das in der öffentlichen Wahrnehmung zunehmend als „Fest der Liebe“, „Fest der Familie“ oder „Fest der Kinder“ verstanden wird. Diese Aspekte spielen sicherlich eine große Rolle, wenigstens im praktischen Vollzug des Fests.

Die Bibeltexte, die von den Kirchen vorgeschlagen werden, bereiten aber anders auf Heiligabend und Weihnachten vor. Man kennt und schätzt sie. Es würde Etwas fehlen, wären sie nicht da. Der Prophet Jesaja spricht vom Wolf, der beim Lamm wohnen wird (Jes 11, 6), von den Soldatenstiefeln, die nicht mehr in den Straßen dröhnen (Jes 9,4) und von dem kommenden Friede-Fürsten und seiner Herrschaft des Friedens auf dem Thron Davids (Jes 9, 5f.). Das alles gipfelt in den Gesang der Engel über der Krippe: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.“ (Lk 2, 14)

Und dann schauen wir in die Welt und sehen, dass es noch nie so viele gewaltsame Konflikte in der Welt gab wie derzeit. Das haben bereits im Juni dieses Jahres vier deutsche Friedensforschungsinstitute in ihrem Friedensgutachten 2024 für das Jahr 2023 festgestellt. Eine positive Tendenz ist seitdem allerdings nicht zu beobachten. Wir müssen konstatieren: Wir leben in einer kriegerischen und gewaltsamen Welt.

Sind Krieg und Gewalt unter Umständen vielleicht doch Phänomene, die sich durch die Menschheitsgeschichte ziehen und dem Menschen quasi genetisch mit dem auf den Weg gegeben sind? Zumindest diese Frage und die Debatte darüber zieht sich durch die Geschichte des Menschen. Gerade Weihnachten kann Anlass sein, hier noch mal nachzuschauen. Denn die Weihnachtsgeschichte spricht nicht von der gewaltsamen Natur des Menschen, wohl aber von gewaltsamen Strukturen, in denen die Ärmsten unterdrückt werden und Gewalt erfahren. Hier wird deutlich, dass die Weihnachtsgeschichte nicht an uns gerichtet ist, sondern sich den Armen und Ausgegrenzten zuwendet. In der Zuwendung zu den Menschen am Rande einer Gesellschaft, in der Verwirklichung von echter Gerechtigkeit kann Frieden gefunden werden.

Eine gute Woche wünscht
Jasper von Legat

PS: Zum dritten Mal in diesem Jahr schreibt ein:e Gastautor:in in den #LaTdH. Zum Internationalen Frauentag schrieb Sarah Banhardt über „Frauenkämpfe“ und zum International Nurses Day, dem „Tag der Profi-Pflege“, Anja Katharina Peters.

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Debatte

Bereits im Oktober 2024 ist das Buch „Evolution der Gewalt – Warum wir Frieden wollen, aber Kriege führen. Eine Menschheitsgeschichte“ erschienen. Mit dem Weihnachtsfest vor unseren Türen möchte ich gerne auf die dort geführte Debatte eingehen. Denn die Autoren Harald Meller, Kai Michel und Carel van Schaik gehen der bereits oben angeschnittenen Frage nach, ob die Gewalt uns Menschen genetisch innewohnt.

Zwar fände man überall auf der Welt Spuren von kriegerischen Auseinandersetzungen, Massengräbern oder anderen Zeugnissen von Gewalt. Diese seien aber durchweg in der jüngeren Menschheitsgeschichte zu verorten. Die genetischen Voraussetzungen des Menschen entstanden aber nicht in dieser Zeit, sondern wesentlich früher in der Altsteinzeit. Diese Unterscheidung sei entscheidend, käme es sonst doch zu einer nicht haltbaren Verwischung von archäologischen Erkenntnissen über den Krieg und dem Beginn des menschlichen Lebens auf der Erde.

Die Autoren stellen die These auf, dass der Mensch in seiner Zeit als Nomade ein durchweg friedliches, hoch kooperatives und soziales Wesen war. Erst durch die Sesshaftwerdung des Menschen und das Aufkommen von Dörfern, Speichern und Besitz gab es etwas zu verteidigen. Erst dann sei der Krieg in die Menschheitsgeschichte gekommen. Weil der Mensch aber im Grunde ein friedliches Wesen sei, benötige man heute den enormen Aufwand der Propaganda, um einander zu töten.

Damit stellen sich die Autoren gegen die Annahme anderer Wissenschaftler*innen, die den Einsatz von Militär und das Führen von Krieg als notwendig ansehen, um das im Menschen innewohnende Böse begrenzt zu halten. So beispielsweise ausformuliert bei Hartwig von Schubert in „Nieder mit dem Krieg. Eine Ethik politischer Gewalt“. Er schreibt:

„Gewalt ist ethisch hochambivalent, hier Fluch, dort Segen. Deshalb ist Gewalt politisch und rechtlich einzuhegen durch die Einrichtung republikanischer Staaten […].“

Der christliche Glaube solle dieses Einhegen der Gewalt aus einer kritischen Distanz unterstützen und dabei stets Anerkennung zollen, Bildung vermitteln und Solidarität zeigen. Harald Meller, Kai Michel und Carel van Schaik werfen die Frage auf, ob der Krieg denn auch wieder verlernbar sei. Ein nicht neuer Gedanke, der unter anderem im Gospel „Down by the riverside“ (YouTube) anklingt (Ain’t Gonna Study War No More). Viel früher aber bereits beim Propheten Micha:

„Dann schmieden sie Pflugscharen aus ihren Schwertern und Winzermesser aus ihren Lanzen. Man zieht nicht mehr das Schwert, Volk gegen Volk, und übt nicht mehr für den Krieg.“ (Mi 4)

„Die Evolution der Gewalt“ gibt keine Antwort auf diese Frage, nennt aber einige Faktoren, die bei Gewaltausbrüchen immer wieder zu erkennen sind. Ansetzen sollte man bei destruktiven Männlichkeitsidealen, die es einzudämmen gilt. Förderlich sei der friedliche, zivilgesellschaftliche Austausch mit Nachbarn. Vor allem aber gilt es, soziale Ungleichheit zu reduzieren. Denn die ungerechte Verteilung von Gütern sei der Kriegsfaktor Nummer eins. Vor allem aber muss die Vorstellung des Homo homini lupus endgültig abgeschafft werden.

nachgefasst

World’s top arms producers see revenues rise on the back of wars and regional tensions (SIPRI, englisch)

Die 100 größten Rüstungskonzerne weltweit haben ihren Waffenverkauf erneut erheblich gesteigert. Gründe dafür sind der russische Krieg gegen die Ukraine, der Krieg im Nahen Osten und andere globale Konflikte. Darauf wies das Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) Anfang Dezember 2024 hin. Für die Recherche wurden die Verkaufszahlen der größten Rüstungsbetriebe ausgewertet.

Die 41 Unternehmen der Top 100 mit Sitz in den USA erwirtschafteten einen Rüstungsumsatz von 317 Milliarden US-Dollar, die Hälfte des gesamten Rüstungsumsatzes der Top 100 und 2,5 Prozent mehr als 2022. Seit 2018 sind die fünf führenden Unternehmen der Top 100 alle in den USA ansässig. Die Rüstungsumsätze der 27 Top-100-Unternehmen mit Sitz in Europa (ohne Russland) beliefen sich im Jahr 2023 auf 133 Milliarden US-Dollar. Das waren nur 0,2 Prozent mehr als 2022 und damit der geringste Anstieg aller Weltregionen. Allerdings liege das an der Abarbeitung älterer Aufträge und an der Arbeit an komplexeren Waffensystemen, die eine größere Vorlaufzeit benötigen.

Der Friedensbeauftragte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Friedrich Kramer, äußerte sich in der Vergangeneheit immer wieder zur Zweckmäßigkeit von Waffen und deren Lieferungen. Zuletzt im November 2024 als Reaktion auf den Beschuss Russlands durch die Ukraine mit US-amerikanischen Raketen (). „Waffen können keinen Frieden schaffen“, sagte Landesbischof Friedrich Kramer dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Auch in der Eule-Kolumne „Tipping Point“ vom April 2024 schrieb Tobias Foß ein paar Tage nach dem Osterfest: „Je mehr Waffen der kapitalistische Expansionszwang im Umlauf bringt, desto höher steigt die Gefahr einer Eskalationsspirale.“

EAK und AGDF unterstreichen den Vorrang eines zivilen freiwilligen Friedensdienstes (Evangelische Friedensarbeit)

Seit einigen Monaten wird in Deutschland wieder intensiv über die Einführung eines verpflichtenden Dienstjahres diskutiert. Die Argumente der Befürworter*innen und Gegner*innen sind bekannt und doch werden sie fortlaufend aktualisiert und in die Debatte eingebracht. Nun haben sich die Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF) und die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden (EAK) in einem gemeinsamen Papier zu der Debatte geäußert und eine Priorisierung der zivilen Konfliktbearbeitung und eines zivilen freiwilligen Friedensdienstes gefordert.

Nach Ansicht der beiden Friedensverbände ist ein freiwilliger Friedensdienst ein klares Zeugnis für die Ausrichtung der Friedensbewegung Gottes. Er reflektiert klarer die Grundprinzipien der Demokratie, übernimmt mehr Verantwortung für die Minimierung von Gewalt und fördert Freiheit und Gerechtigkeit.

Die beiden Friedensverbände verknüpfen diese Frage auch mit der Diskussion um die Wehrpflicht. Ob es zu einer Wiedereinführung der Wehrpflicht für Männer in Friedenszeiten, zu einem neuen Grundwehrdienst oder zu einer allgemeinen Dienstpflicht kommt, ist aus ihrer Sicht derzeit offen. Unabhängig davon betonen AGDF und EAK die Notwendigkeit, das im Grundgesetz verankerte Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung zu gewährleisten. Angesichts der stark anwachsenden Zahl der Kriegsdienstverweigerungen in den letzten Monaten, wird die Debatte um die Wehrpflicht und den Freiwilligendienst sicher noch an Fahrt aufnehmen.

Buntes

„Was bringt es, uns als stolze Antifaschisten zu fühlen und Bella Ciao zu singen, aber dann einen lupenreinen Faschisten wie Putin nicht zu erkennen, wenn er direkt vor uns steht?“

– Francesca Melandri, „Kalte Füße“

Francesca Melandri über Krieg und Frieden in Europa – Joachim Dicks (NDR Kultur à la carte, 55 Minuten)

Mit einem sehr persönlichen Buch betritt Francesca Melandri nach ihrem großen Erfolg „Alle außer mir“ (2017) mit ihrem neuen Buch „Kalte Füße“ das weite Feld der Frage nach Krieg und Frieden. In einem Zwiegespräch mit ihrem Vater, der im Faschismus gegen die Rote Armee kämpfte, stellt sie einige Fragen über Krieg und Frieden, aber vor allem eine: Kann sich Geschichte wiederholen? Ihre Antwort: Ja. Zur Untermauerung Ihrer Antwort stellt sie faschistische Entwicklungen im 20. Und 21. Jahrhundert parallel nebeneinander. Als Beispiel dient die Geschichte der Ukraine. Hier befand sich im 2. Weltkrieg das Schlachtfeld, auf dem ihr Vater kämpfte.

Theologie

Sternstunde Religion: Krieg und Frieden im Nahen Osten – Aziz Abu Sarah und Magen Inon im Gespräch bei Olivia Röllin (SRF, 59 Minuten)

Der Palästinenser Aziz Abu Sarah und der Israeli Magen Inon sind von dem langjährigen Konflikt im Nahen Osten stark gezeichnet. Der eine verlor seinen Bruder, der andere beide Eltern. Doch beide erkannten, dass ein Fortführen der Spirale von Hass und Gewalt nur mehr davon nach sich zieht. Sie haben für sich entschieden, dem Etwas entgegenzusetzen. Heute setzen sie sich gemeinsam gegen die Spirale der Gewalt ein, indem sie Vergebung, Verständnis, gleichwertigen Dialog und die Vision einer friedlichen Zukunft fördern.

Ende Oktober kamen sie auf der Bühne in der Israelitischen Cultusgemeinde (ICZ) in Zürich zusammen. „Frieden ist möglich“ war der Titel des Abends, über den Cornelia Krause bei reformiert.info geschrieben hat. In der Fernsehsendung „Sternstunde Religion“ des SRF kommen beide mit Moderatorin Olivia Röllin über die transformative Kraft der Wut und die Macht der Nächstenliebe ins Gespräch.

Ein guter Satz

„Der erste, der ein Stück Land mit einem Zaun umgab und auf den Gedanken kam zu sagen ‚Dies gehört mir‘ und der Leute fand, die einfältig genug waren, ihm zu glauben, war der eigentliche Begründer der bürgerlichen Gesellschaft. Wie viele Verbrechen, Kriege, Morde, wie viel Elend und Schrecken wäre dem Menschengeschlecht erspart geblieben, wenn jemand die Pfähle ausgerissen und seinen Mitmenschen zugerufen hätte: ‚Hütet euch, dem Betrüger Glauben zu schenken; ihr seid verloren, wenn ihr vergesst, dass zwar die Früchte allen, die Erde aber niemandem gehört.‘“

– Jean-Jacques Rousseau (von hier)