Bild: Foto Diakonie Freiwilligendienste, Kathrin Harms, Logo Kampagne "Freiwilligendienst stärken!"

FSJ & Co.: „Wer heute kürzt, zahlt morgen drauf!“

Die Bundesregierung legt die Axt an die Finanzierung der Freiwilligendienste. Dagegen regt sich nun Widerstand. Warum die Kürzungen bei FSJ und BFD so gefährlich sind.

Am Montag dieser Woche befasste sich der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages mit einer Petition, die sich für die Stärkung der Freiwilligendienste ausspricht. Das Anliegen ist umso dringlicher geworden, seitdem die Pläne der Bundesregierung für den kommenden Haushalt bekannt geworden sind. Demnach soll die Förderung des Freiwilligen Sozialen Jahres (FSJ) und des Bundesfreiwilligendienstes (BFD) um insgesamt 78 Millionen Euro im Jahr 2024 und um weitere 35 Millionen Euro im Jahr 2025 gekürzt werden. Gegen die Kürzungspläne bei den Freiwilligendiensten soll am Mittwoch in Berlin (13 Uhr, Potsdamer Platz) auch demonstriert werden.

Die Petition der Kampagne „Freiwilligendienst stärken!“ wurde im Juni und Juli 2023 von über 90.000 Personen mitgezeichnet (Text online). Stellvertretend für ihre Mitstreiter:innen stellte die 19-jährige Marie Sophie Elisa Beimen aus Schwerte (Nordrhein-Westfalen) sich am Montag den Fragen der Abgeordneten des Deutschen Bundestages (Video-Aufzeichnung hier). Für die Bundesregierung war Ekin Deligöz (Grüne) anwesend, die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ).

Die Petition fordert neben einer Verdreifachung der finanziellen Unterstützung durch Bund und Länder eine Erhöhung des Taschengeldes für Freiwilligendienstleistende angelehnt an den BAföG-Höchstsatz (derzeit 934 Euro, Anm. d. Red.), einen Inflationsausgleich und die kostenlose Nutzung von Nah- und Fernverkehr. Außerdem solle das Taschengeld nicht mehr auf Unterhaltszahlungen oder Sozialleistungen der Eltern und Geschwister angerechnet werden. Hintergrund der Petition ist nicht allein die Zurücksetzung der Freiwilligendienstleistenden im Vergleich zu Wehrdienstleistenden, sondern der mangelnde Zugang zu FSJ & Co. für junge Menschen aus einkommensschwachen Familien.

Die Bundesregierung hatte sich in ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen, die Plätze in den Freiwilligendiensten „nachfragegerecht“ auszubauen und das Taschengeld zu erhöhen. Vor dem Petitionsausschuss wiederholte Staatssekretärin Deligöz dieses Versprechen. Die Taschengeld-Höchstgrenze soll von derzeit 438 Euro auf 584 Euro erhöht werden. Außerdem habe man die Zuverdienstgrenze beim Bürgergeld bereits auf 520 Euro erhöht. „Von Seiten des Familienministeriums werden die Freiwilligen auch weiterhin die bestmögliche Unterstützung bekommen“, versprach die Staatssekretärin.

Für Maria Loheide, Vorstand Sozialpolitik bei der Diakonie Deutschland, stehen die angekündigten Kürzungen jedoch „in klarem Widerspruch“ zum Koalitionsvertrag der Ampel: „Wer heute kürzt, zahlt morgen drauf!“ Jede vierte Einsatzstelle in den Freiwilligendiensten sei durch die Kürzungen bedroht.  Kristin Napieralla, Sprecherin des Bundesarbeitskreises FSJ, warnte vor dem Petitionsausschuss angesichts der Kürzungen vor gravierenden Folgen: „Spaziergänge mit älteren Leuten im Park, Ausflüge am Nachmittag ins Seniorenkino, das Zeitnehmen fürs Vorlesen – all diese Dinge werden wegfallen, wenn keine Freiwilligen vor Ort da sind.“

Folgen für Gesundheitssektor und Soziale Berufe

Sollten die Kürzungen wie von der Bundesregierung vorgeschlagen durchgeführt werden, drohen die Freiwilligendienste weiter an Attraktivität einzubüßen. Derzeit dienen ca. 80.000 junge Menschen in einem Freiwilligendienst in Deutschland, rund 53.000 im Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ), knapp 3.000 im Freiwilligen Ökologischen Jahr (FÖJ) und ca. 27.000 im Bundesfreiwilligendienst (BFD), bei dem es keine Altersgrenze nach oben gibt (bei FSJ/FÖJ 27 Jahre). 13.600 Freiwillige dienen in Einsatzstellen der Trägergruppe der Evangelischen Freiwilligendienste, in der insgesamt 66 Organisationen aus Jugendarbeit, Diakonie, Landes- und Freikirchen zusammengefasst sind.

Schon heute nehmen Jugendliche, die auch andere Optionen haben, die Möglichkeit eines Freiwilligendienstes nicht wahr, sondern setzen nach der Schule ihre Ausbildung in Lehre oder Studium direkt fort. Immer wieder fordern gesellschaftliche Akteur:innen und Politiker:innen eine allgemeine Dienstpflicht für junge Menschen. Die Geringschätzung der bestehenden Freiwilligendienste steht dazu im augenfälligen Kontrast.

Doch es geht um mehr als nur die persönliche Hilfestellung, die Freiwilligendienstleistende im Gesundheitssektor und in der Sozialen Arbeit leisten, und die grundsätzliche Frage nach dem gesellschaftlichen Engagement junger Menschen: Für viele soziale und Gesundheits-Berufe fungiert der Freiwilligendienst, wenn nicht sogar als vorgeschaltetes Praktikum, doch zumindest als Erprobung vor der Entscheidung für eine Berufsausbildung oder ein Studium. Bereits im Juli wies Oberkirchenrätin Annette Noller, Vorstandsvorsitzende des Diakonischen Werks Württemberg, gegenüber dem epd in Erinnerung: „Freiwilligendienste helfen dabei, Selbstwirksamkeit, Stabilität und berufliche Orientierung zu gewinnen.“

Neben der persönlichen Orientierung für junge Menschen sind die Freiwilligendienste so auch von gesellschaftlicher Bedeutung. Sie bieten Zugänge zu Berufen, bei denen es ohnehin chronisch an Nachwuchs mangelt, wie Erzieher:innen, Lehrer:innen, Kranken- und Altenpfleger:innen. Eine Kürzung an Einsatzstellen in den Freiwilligendiensten bedeutet darum auch, einen Rückgang an Bewerber:innen für diese Berufe in Kauf zu nehmen. „Wir müssen in freiwilliges Engagement investieren, statt die Axt anzulegen“, stellt angesichts der angedrohten Kürzungen Michael Peters von der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend (aej) fest.

Demos gegen Ampel-Kürzungen bei jungen Menschen

Ihren Unmut wollen Freiwilligendienstleistende und Mitarbeiter:innen aus den Trägergruppen der Freiwilligendienste am Mittwoch (20. September) auch auf die Straßen der Hauptstadt tragen. 13 Uhr startet eine Demonstration am Potsdamer Platz, die 15 Uhr am Brandenburger Tor enden soll. Auf der Strecke sollen vor dem Bundesministerium der Finanzen und dem Bundesfamilienministerium Reden von jungen Menschen gehalten werden. Bereits 10:30 Uhr trifft sich eine Demo gegen die geplanten Kürzungen im Kinder- und Jugendplan am Berliner Hauptbahnhof. Die Abschlusskundgebung dieser Demonstration, zu der der Bundesjugendring (inkl. Evangelischer und Katholischer Jugend) aufruft, findet 13 Uhr auf dem Potsdamer Platz statt.

Die von den Ampel-Kürzungsplänen betroffenen Jugendlichen und ihre Funktionär:innen geben sich also am Mittwoch in der Hauptstadt den „Staffelstab“ in die Hand. Parallel dazu berät der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend des Deutschen Bundestages den Haushaltsentwurf der Bundesregierung. „Ein wichtiger Zeitpunkt“, erklären die Organisator:innen, „um vor den drohenden, tiefen Einschnitten in die Lebensrealität von jungen Menschen zu warnen“.


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