Verschoben – Die #LaTdH vom 9. Juli

Die Ampel spart bei der Jugend – und gefährdet damit die Demokratie. Außerdem: Uneinigkeit bei der Sterbehilfe, Glaubensfeste und Vorschläge zur Rettung der Kirche.

Herzlich Willkommen!

Dass reiche Familien zukünftig keinen Anspruch mehr auf Elterngeld haben sollen, haben viele Menschen in dieser Woche mitbekommen. Darüber wurde auf den Social-Media-Plattformen und aus den großen Redaktionen des Landes heraus reichlich berichtet. Nicht immer mit der gebotenen Sachkenntnis – und auch nicht mit der Qualität an „Einordnung“, die die Medien des Landes wie eine Monstranz vor sich hertragen. Eine echt verschobene Debatte. Zu einer ordentlichen Kontextualisierung gehört jedenfalls zu schauen, wo die Ampel aus SPD, Grünen und FDP ausweislich des Haushaltsentwurfs des Bundesministers der Finanzen, Christian Lindner (FDP), alles noch sparen will:

Für die staatliche Ausbildungsförderung Bafög für Studierende und Fachschüler:innen sollen noch 1,9 Milliarden Euro aufgewendet werden, 650 Millionen Euro weniger als in diesem Jahr. Dabei hatte die Ampel eigentlich erst den Zugang zum Bafög verbreitern wollen. 11 % der Student:innen in Deutschland erhalten Bafög, aber 38 % von ihnen sind armutsgefährdet. Es gilt also eigentlich, eine Lücke zu schließen und nicht, sie noch weiter aufzureißen. Dass es eine hohe Nachfrage nach staatlicher Förderung gibt, ist derweil klar: Vor allem Erzieher:innen nehmen z.B. das sog. Aufstiegs-Bafög in Anspruch, für das in diesem Jahr zum ersten Mal eine Milliarde Euro aufgewendet wurde. Ausführlich befasst sich eine Expert:innen-Runde bei „Campus und Karriere“ im Deutschlandfunk mit den geplanten Bafög-Kürzungen.

Weil der Rotstift bei den jungen Menschen schon einmal angesetzt ist, macht die Ampel da gleich noch weiter: 44,6 Millionen Euro bzw. 18,6 % weniger soll es für den Kinder- und Jugendplan des Bundes geben. „Die geplanten Kürzungen werden die Substanz angreifen“, warnt der Bundesjugendring.  Und gut 25 % weniger Geld soll es für die Freiwilligendienste geben – und dass, obwohl doch regelmäßig nach einem gesellschaftlichen Dienstjahr oder gar einer Dienstpflicht gerufen wird.

53 Millionen Euro sollen beim Bundesfreiwilligendienst und 25 Millionen Euro bei den Jugendfreiwilligendiensten (FSJ, FÖJ und IJFD) gespart werden. „Schon jetzt sind Freiwilligendienste nicht auskömmlich finanziert. Träger wie die Diakonie finanzieren rund ein Drittel der Kosten“, informiert der epd. Oberkirchenrätin Annette Noller, die Vorstandsvorsitzende des Diakonischen Werks Württemberg, erinnert: „Die junge Generation wurde durch die Pandemie besonders belastet. Freiwilligendienste helfen dabei, Selbstwirksamkeit, Stabilität und berufliche Orientierung zu gewinnen.“ Als alter FSJler kann ich da nur zustimmen! Und als jemand, der 10 Jahre lang auf FSJ-Seminaren gearbeitet hat, weiß ich, dass die Mängel im System überbordend geworden sind. So verlieren die Freiwilligendienste an Attraktivität und Jugendliche, die auch andere Möglichkeiten haben, nehmen sie nicht mehr wahr. Übrig bleiben dann junge Menschen, die eine Ausbildung anstreben, für die z.B. das FSJ als vorgeschaltetes Praktikum fungiert. Das sind übrigens häufig jene Berufe wie Erzieher:innen, Krankenpfleger:innen etc. bei denen massiver Nachwuchsmangel herrscht.

Jugendliche, arme Student:innen und prekär beschäftigte FSJler:innen: Haushaltspolitik ist Sozialpolitik. Die Kürzungspläne der Ampel sind das falsche Signal in ungewisser Zeit. Wenn sie durchgezogen werden, wird die Demokratie leiden. Noch ist der Haushalt nicht verabschiedet, ein guter Zeitpunkt, um sich einzumischen.

Eine gute Woche wünscht
Philipp Greifenstein

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Debatte

In der „Debatte“ dieser #LaTdH bleiben wir zunächst im Bundestag. Eigentlich hatte ich mich nämlich seelisch und moralisch gewappnet, hier heute die Vor- und Nachteile der neuen Gesetzgebung zum assistierten Suizid zu erklären. Nun aber haben sich die Abgeordneten des Deutschen Bundestages gar nicht für eine der beiden vorliegenden Gesetzesinitiativen entscheiden wollen. Doch aufgeschoben, ist nicht aufgehoben!

Zur Erinnerung: Der Deutsche Bundestag muss die Gesetzgebung rund um den assistierten Suizid deshalb neu regeln, weil das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2020 die bisherige, seit 2015 geltende Regelung als grundgesetzwidrig für nichtig erklärt hat. Wir berichteten in der Eule hier, hier, hier & hier.

Besonders empfehle ich den Artikel von Christoph Goos („Das neue Recht auf selbstbestimmtes Sterben“), damals noch Professor für Öffentliches Recht an der Hochschule Harz und heute Leiter der Rechtsabteilung der Landeskirche Braunschweig, der in die juristischen Hintergründe einführt und die Herausforderungen verständlich macht, vor denen der Gesetzgeber bei einer Neuformulierung der Sterbehilfe-Gesetzgebung (durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes) steht.

Bundestag lehnt Gesetzentwürfe zur Reform der Sterbehilfe ab (Bundestag)

Über den Inhalt der Vorschläge, die Parlamentsdebatte und das Abstimmungsverhalten informiert der Deutsche Bundestag ausführlich auf seiner eigenen Website. Ein Blick auf die Unterstützer:innen der beiden Initiativen verrät: Nicht nur ist die Sterbehilfe-Gesetzgebung wie gehabt eine fraktionsübergreifende Angelegenheit, auch Christ:innen finden sich auf beiden Seiten wieder. Im Bundestag-Artikel finden sich auch die Links zu den Anträgen. Einen gemeinsamen Antrag beider Gruppen mit dem Titel „Suizidprävention stärken“ (PDF) nahm das Parlament mit 692 Ja-Stimmen bei einer Nein-Stimme und vier Enthaltungen an.

Damit entspricht der Bundestag (zumindest teilweise) den Forderungen aus den beiden großen Kirchen, der Suizidprävention Vorrang vor einer Neuregelung des assistierten Suizids zu geben. In diese Richtung hatten sich in den vergangenen Tagen der Rat der EKD, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing (Limburg), und Diakonie-Präsident Ulrich Lilie geäußert. Bis zum kommenden Sommer soll, so der Beschluss des Bundestages, die Bundesregierung einen Gesetzesentwurf für ein Suizidpräventionsgesetz vorlegen. Dieses Anliegen liegt ganz auf Linie der Forderungen, die von Diakonie und Caritas im Verbund mit weiteren Wohlfahrtsverbänden und maßgeblichen Fachgesellschaften, in die Debatte eingebracht wurden. Hier kurz zusammengefasst von Ulrich Lilie:

„Ein Suizidpräventionsgesetz muss klaren Vorrang vor der Regelung des assistierten Suizids haben. Denn die vom Bundesverfassungsgericht angestoßene Debatte über den assistierten Suizid hat vor allem blinde Flecken in der Suizidprävention sichtbar gemacht. So wurden Sterbewünsche, Suizidversuche und Suizidgedanken viel zu oft tabuisiert und vernachlässigt. Dabei wird leicht übersehen, dass es meist tiefe psychosoziale Krisen sind, in denen diese Gedanken aufkommen. Diese Erkenntnisse müssen in die neue Gesetzgebung einfließen.“

Kirchenpolitisches

Wie erst in den #LaTdH von letzter Woche anlässlich des Kuddelmuddels um die „Woche für das Leben“ von mir bemerkt, driften die bio- und medizinethischen Überzeugungen der beiden großen Kirchen in den vergangenen Jahren merklich auseinander. Das macht gemeinsame Stellungnahmen schwieriger und wird vermutlich langfristig auch auf die Bedeutsamkeit kirchlicher Interventionen durchschlagen. Für den Moment aber sehe ich in der neuen Vielfalt eine Stärke der christlichen Positionierung zu diesen komplexen Sachverhalten.

Es sei daran erinnert, dass noch während der letzten Ratsperiode in der EKD mehrere prominente evangelische AkteurInnen den Umweg über die FAZ und die Öffentlichkeit gehen mussten, um eine anständige Diskussion über den assistierten Suizid überhaupt anzustoßen (s. Eule-Interview mit Isolde Karle vom Januar 2021). Der „neue“ Rat der EKD hat in seiner ausführlichen Stellungnahme weder für den einen noch für den anderen Gesetzesvorschlag votiert. Das kann man ihm als Unbestimmtheit auslegen, ich finde es erfrischend offen. Es zeigt, dass evangelische Christ:innen in dieser Frage gut begründet verschieden denken können und auch dürfen. In wesentlichen Grundfragen wie der Prävention ist man sich übrigens doch einig, wie die Stellungnahme von Ulrich Lilie – der 2020/2021 zu den DebattenanstoßerInnen gehörte – ja zeigt.

Anders sieht es in der römisch-katholischen Kirche aus. Der DBK-Vorsitzende Bätzing sprach sich ausdrücklich für den restriktiveren Vorschlag der Abgeordnetengruppe um Lars Castellucci (SPD, kirchenpolitischer Sprecher seiner Fraktion, evangelisch) aus, ebenso die Caritas und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK). Die Caritas forderte gar:

„Eine Entscheidung muss am Do[nnerstag] fallen, denn das juristische Vakuum, das seit über 2 Jahren herrscht, darf nicht zur Normalität werden. Verzweifelte Menschen wollen Klarheit, auch Mitarbeitende von sozialen Einrichtungen.“

Politik als Wunscherfüllung funktioniert ersichtlich nicht mehr. Im Blick auf die Willensbildung von Politiker:innen muss vielmehr festgestellt werden, dass zwar das Interesse an Expertisen aus den Kirchen und Wohlfahrtsverbänden parteiübergreifend nach wie vor groß ist, es aber wirklich wesentlich weniger Abgeordnete gibt, die sich wie in früheren Jahrzehnten kirchliche Positionen ohne viel Federlesens zu eigen machen. Diesem starken deliberativen Element unserer Gesetzgebung entspricht das vielstimmige und zu Zeiten unübersichtlichere evangelische Angebote mehr.

Angesichts der großen katholischen Einigkeit über kirchenpolitische Lager hinweg, könnte man sogar vermuten, dass eine offene Diskussion des Themenfeldes unter Einbeziehung von jungen Menschen, Lai:innen und abweichenden Stimmen in größerer Zahl erst noch aussteht. Eine Umfrage im Bistum Essen unter Fachkräften aus katholischen Einrichtungen des Gesundheitswesens (!) vom vergangenen Jahr legt jedenfalls nahe, dass Katholik:innen in dieser Sache nicht wesentlich anders denken als ihre protestantischen Glaubensgeschwister:

Die Mehrheit der Befragten, nämlich 40 Prozent, hält Suizidbeihilfe in katholischen Einrichtungen demnach für möglich. Eine kleinere Gruppe von 15 Prozent empfindet es laut Jeserich sogar für christlich geboten, Suizidassistenz in christlichen Einrichtungen zu ermöglichen. Weitere 30 Prozent können sich eine Beihilfe zum Suizid in Ausnahmefällen vorstellen. 10 Prozent der Befragten lehnen Suizidhilfe in christlichen Zusammenhängen prinzipiell ab. Die restlichen 5 Prozent sind unentschlossen. […]

Viele Menschen erwarteten, dass kirchliche Akteure Gegenpositionen prüften und sich gegebenenfalls von Argumenten überzeugen ließen. „Wenn eine Haltungsänderung auf individueller Ebene prinzipiell ausgeschlossen ist, wird dies als Gesprächsverweigerung erlebt“, so der Medizinethiker. „Die Tradition der Kirche anzuführen, wird als hinreichende Begründung nicht mehr akzeptiert. Die Menschen wollen argumentativ angesprochen werden.“

nachgefasst I: Wer ist dabei?

Von einem „Fest für Vielfalt und Solidarität“ mit viel Prominenz im Nachgang des queerfeindlichen Brandanschlages auf die Michaelskirche in Spremberg (s. #LaTdH von vergangener Woche & dieser Aufruf in der Eule) (Brandenburg) berichtet die dpa:

Bischof Stäblein spricht von einem Brandanschlag, der «feige, widerlich, gefährlich und abstoßend» sei. «Gott hat die Welt bunt und solidarisch geschaffen. Lasst uns nicht zulassen, dass das kaputt geht. Lasst uns das feiern. Und lasst uns da aufstehen, wo Gewalt einzieht, und Angst gemacht werden soll», sagt Stäblein in seiner Rede. Die Kirche sei ein Schutzraum. «Wer diesen Schutzraum angreift, greift uns alle, greift euch alle an.»

Baustelle Glaubensdikasterium: Franziskus sichert sein Erbe – Felix Neumann (katholisch.de)

Bei katholisch.de kontextualisiert und erklärt Felix Neumann die Berufung von Erzbischof Víctor Manuel Fernández zum Präfekten des Glaubensdikasteriums. Den ausführlichen Brief zu seiner Berufung von Papst Franziskus kann man hier auf Deutsch nachlesen. Fernández war wegen eines alten „Kuss“-Buches aus seiner Feder, wegen des verweigerten Nihil Obstat für den Moraltheologen Martin Lintner als Dekan der Fakultät in Brixen und wegen seiner Haltung zum deutschen Synodalen Weg in dieser Woche häufiger in der hießigen Kirchenpresse Thema. Bei katholisch.de gibt’s außerdem ein Interview mit dem neuen Chef der ehem. Glaubenskongregation von Roland Müller.

TeilnehmerInnen der „Weltsynode“

In dieser Woche wurde bekanntgegeben, wen Papst Franziskus noch zur Bischofssynode über die Synodalität, die sog. „Weltsynode“ der katholischen Kirche, in den Vatikan eingeladen hat. katholisch.de hat die TeilnehmerInnen aus dem deutschsprachigen Raum hier aufgelistet, darunter auch der reaktionäre Verschwörungsideologe und ehemalige Chef der Glaubenskongregation Kardinal Gerhard Ludwig Müller. Außerdem, so ist ebenfalls bei katholisch.de zu lesen, nimmt ein ehemaliger Linksradikaler teil. Nur sechs von Franziskus‘ 50 persönlich gewählten TeilnehmerInnen sind Frauen und nur eine von ihnen ist keine Nonne, hat Colleen Dulle vom America-Magazin bemerkt.

nachgefasst II: Missbrauch

Vatikan entlässt Kölner Missbrauchstäter aus Klerikerstand (KNA, Domradio)

Der wegen mehrfachen Missbrauchs zu 12 Jahren Haft verurteilte Priester U. ist nun auch aus dem Klerikerstand entlassen worden. Damit ist zumindest einer der Skandale im Erzbistum Köln zu einem kirchenamtlichen Ende gekommen. Auf Ersuchen von Kardinal Rainer Maria Woelki verhängte Papst Franziskus die kirchenrechtliche Höchststrafe.

Missbrauchsverdacht gegen Ex-Pfarrer: Landesgartenschau Fulda entfernt Kunst – Andreas Ungermann (Fuldaer Zeitung)

In Fulda und Umgebung wird über einen Priester gestritten, der früher im Bistum Trier sowie in Bolivien tätig war. Wegen der gegen ihn erhobenen Missbrauchsvorwürfe wurden nun Kunstwerke vom Gelände der Landesgartenschau entfernt. In diesen Tagen beginnen landauf landab die Sommerferien und ich frage mich, auf wie vielen Kinderfreizeiten eigentlich noch „Laudato Si“ aus der Feder von Winfried Pilz (s. hier in der Eule) gesungen wird.

Und: Nach dem Kölner Schmerzensgeldurteil (s. #LaTdH vom 18. Juni) fordert der Interventionsbeauftragte des Bistums Münster, Peter Frings, in einem „Zwischenruf“ (PDF) höhere Zahlungen der katholischen Kirche in Deutschland für Missbrauchsbetroffene, berichtet die KNA.

Buntes

Allgemeine Rabbinerkonferenz erstmals mit Frau an der Spitze – Leticia Witte (Jüdische Allgemeine)

Mit Elisa Klapheck steht zum ersten Mal eine Frau an der Spitze der Allgemeinen Rabbinerkonferenz Deutschland (ARK). Erster stellvertretender Vorsitzender ist der Berliner Rabbiner Andreas Nachama (Eule-Interview von September 2021), bisher Vorsitzender des Gremiums. Zum zweiten stellvertretenden Vorsitzenden wurde Rabbiner Nils Ederberg gewählt, der für das Militärrabbinat in Hamburg tätig ist.

Die aus Düsseldorf stammende Klapheck, Jahrgang 1962, ist Rabbinerin des Egalitären Minjan in der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt am Main. Dabei handelt es sich um eine Synagogengemeinschaft von liberalen Jüdinnen und Juden mit etwa 150 Anhängern. Klapheck ist darüber hinaus unter anderem Professorin für Jüdische Studien an der Universität Paderborn.

Wer rettet die Kirche? – Philipp Greifenstein (Die Eule)

Angesichts der Rekordaustrittszahlen fragen sich viele Christ:innen: Geht es mit den Kirchen immer nur weiter abwärts? Hier in der Eule habe ich versucht, im Anschluss an die Diagnose des Religionssoziologen Detlef Pollack ein wenig konstruktiv in die Zukunft zu schauen. U.a. geht es darum, wie Reformen in der Kirche am besten bewerkstelligt werden können und welche strategischen Fragen dafür beantwortet werden müssen.

Nicht zuletzt könnte den verzagten Christ:innen und Kirchen zu denken geben, dass gerade die aktivistische Avantgarde unserer Tage von „Fridays for Future“ bis zur „Letzten Generation“ nicht nur persönlich häufig aus christlichen Elternhäusern herkommt, sondern bewusst und forciert den Schulterschluss mit der Institution Kirche sucht. Weil die Kirchen in diesem Land doch noch viel mitzusprechen haben, aber auch, weil sie dem transformierenden Potential des Glaubens viel zutrauen. Meinem Eindruck nach jedenfalls mehr, als ich es gelegentlich bei Kirchenfunktionär:innen erlebe.

Kirchenland in Bauernhand – Daniel Peipp (Die Eule)

Wie geht die Kirche mit ihrem Land um? Könnte die Landverpachtung Impulse für einen sozial-ökologischen Wandel geben? Auf dem Kirchentag in Nürnberg wurde dazu eine Resolution verabschiedet und einzelne evangelische Landeskirchen wie die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM) und die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) sind schon weiter auf dem Weg voran gegangen, erklärt Daniel Peipp in dieser informativen Einführung hier bei uns in der Eule.

Die Feldhamster sterben aus. Fruchtbares Land wird weggeschwemmt. Pflanzen vertrocknen, wo Bäume keinen Schatten mehr spenden. Freilich kann die Kirche diese Prozesse weder umkehren noch aufhalten, indem sie ihren Grundbesitz zukünftig ausschließlich an ökologische Hofgemeinschaften, soziale Landwirtschaftsprojekte der Diakonie oder traditionellere lokale Erzeuger verpachtet. Dennoch zeugen die Resolution des Kirchentages, die landeskirchlichen Leitlinien und die unzähligen örtlichen Initiativen von einer wiederentdeckten Einsicht in den Zusammenhang zwischen sozialer und ökologischer Gerechtigkeit; zwischen einer guten Verteilung des Landes und der darauf wachsenden Lebensmitteln; zwischen dem wertschätzenden Umgang mit den Tieren und dem wertschätzenden Umgang mit Landarbeiter:innen.

Theologie

Kritische Religionswissenschafts- und The*logie-Tage München (KTM) vom 23.-25. Juli

Die Kritischen Religionswissenschafts- und The*logie-Tage München (KTM) sind eine interdisziplinäre Tagung für Studierende, Promovierende, Lehrende und weitere Interessierte zu kritischen Ansätzen in der Religionsforschung. Die KTM wollen ein Ort sein, „in dem innovative Ansätze der Religionswissenschaft und The*logie diskutiert, neue Lernformen erprobt und kritische Denkweisen kreativ erschlossen werden. Die […] Tagung zielt auf das Einüben von kritischen Perspektiven und das Sichtbarmachen intersektional arbeitender religionsbezogener Forschung.“ Mit-organisiert wird die Online-Tagung von Eule„Sektion F“-Kolumnistin Carlotta Israel. Mit einer „radikalen Kritik des Neoliberalismus“ ist auch Eule„Tipping Point“-Kolumnist Tobias Foß diesmal mit von der Partie (s. Programm). Zur digitalen Tagung kann man sich hier anmelden.

Die Kirche an sozialen Kipp-Punkten – Tobias Foß (Die Eule)

Bestätigt die Kirche mit ihrem eigenen Handeln den Status quo unseres Wirtschaftssystems oder setzt sie sich für die Befreiung von sozialer Ungerechtigkeit ein? Das fragt Tobias Foß in der aktuellen „Tipping Point“-Kolumne und geht Potentialen für ein neues kirchliches Handeln an sozialen Kipp-Punkten in der Diakonie und beim Religionsunterricht nach:

Kirchliche Praxis hat gerade in einem mehrheitlich konfessionslosen Kontext engagierte Theologie zu betreiben. Eine Theologie, die progressiv für diese Welt kämpft (so Thomas Zeitler), sich für tatsächliche Emanzipationsprozesse einsetzt und so immer wieder deutlich macht: Unsere Welt könnte und soll gerade auch in ihren ökonomischen Zwangszusammenhängen anders sein!

Eine Reise durch meine religiösen Welten – Fulbert Steffensky (feinschwarz.net)

Fulbert Steffensky hielt anlässlich seines 90. Geburtstages auf Einladung der Reformierten Kirche am 5. Juli 2023 einen Vortrag in Luzern, den man nun im theologischen Feuilleton feinschwarz.net nachlesen kann. Aus dem Vortrag stammt auch unser guter Satz der Woche:

Ein guter Satz

„Menschen sind Gast im Glauben auf Zeit, und die Aufgabe der Kirche ist, den Fremden zur Verfügung zu stehen und Gastfreundschaft zu gewähren, den stummen Mündern Sprache zu leihen und dem kapellenlosen Glauben ein Haus.“