WWJD? – Die #LaTdH vom 18. Juni

Heftiger Streit uber die Abschlußpredigt des Kirchentages. Revolutioniert das Kölner Landgericht die Entschädigung von Missbrauch? Außerdem: Ratzingers Erbe und tönender Faschismus.

Herzlich Willkommen!

In meinem früheren römisch-katholischen Heimatbistum Aachen endet am Montag die seit dem 14. Jahrhundert alle sieben Jahre begangene „Heiligtumsfahrt“. Im Mittelpunkt der Wallfahrt stehen vier Tuchreliquien, die im Aachener Dom aufbewahrt und verehrt werden, angeblich das Kleid Mariens aus der Heiligen Nacht, die Windeln Jesu, das Lendentuch des Gekreuzigten und das Enthauptungstuch Johannes des Täufers.

Dass das Glaubensfest, das pandemiebedingt um zwei Jahre verschoben werden musste, nun bei bestem Pilgerwetter gefeiert werden kann, wäre eigentlich ein Grund zur ungetrübten Freude. Doch die kargen Zeilen der gestrigen gemeinsamen Pressemeldung von Domkapitel und Bistum Aachen, nach der Bischof Dieser und Kardinal Woelki entschieden hätten, „auf einen gemeinsamen Pilgergottesdienst im Rahmen der Heiligtumsfahrt am Sonntag in Aachen zu verzichten“, weil die Situation „absehbar nicht mehr erwarten lässt, dass eine geistlich verbindende Atmosphäre zur Feier des Gottesdienstes erlebbar wird“, können die explosiven Spannungen im deutschen Katholizismus nicht mehr kaschieren.

Der nach Boykott-Plänen des für die musikalische Gestaltung vorgesehenen Mädchenchores und angekündigten Protestaktionen wieder ausgeladene Kölner Erzbischof fordert unverdrossen „inhaltliche Auseinandersetzungen“ und sieht sich herausgefordert, „nicht dem Gift der Polari­sierung zu er­liegen, sondern Brücken zu bauen“. Während des am letzten Sonntag beendeten Evangelischen Kirchentags hatte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Limburger Oberhirte Georg Bätzing, über seine Gesprächsversuche mit Woelki allerdings resigniert mitgeteilt, es gebe „Menschen, auf die man wie auf ein totes Pferd einreden kann“.

Die Metapher war schief gewählt, in der bekannten „Indianerweisheit“ geht es nicht um unverbindliche „Gespräche“, vielmehr gelte es, ein totes Pferd nicht mehr weiterzureiten, sondern abzusteigen. Auch für viele engagierte Gläubige, die inzwischen „an den Rand gewandert“ sind, scheint ein Kirchenaustritt inzwischen näherzuliegen, als weiterhin in das Mantra „Synode als Chance“ einzustimmen …

Einen guten Start in die neue Woche wünscht
Ihr Thomas Wystrach

PS: Seit sechs Jahren fliegt Die Eule durch die Kirchen- und Religionslandschaft. Zum Geburtstag sagen wir „Danke!“ und „Bleibt uns gewogen!“ Mehr erfahren!


Debatte

Die Losung eines Evangelischen Kirchentages entstammt in der Regel einem Bibelzitat und versteht sich gleichzeitig als „Zeitansage“. Mit ihr sollen eine „Brücke zu den aktuellen Themen und Fragen von heute“ geschlagen, ein „roter Faden durch die Programmpunkte“ gespannt und „Impulse“ für die Veranstaltungen des Kirchentages gegeben werden, heißt es auf der Website des deutschen Protestantentreffens. Für dieses Jahr hatte sich das DEKT-Präsidium für das Motto „Jetzt ist die Zeit“ entschieden, angelehnt an Mk 1,15 („Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist nahe“). Der auch im Fernsehen übertragene Abschlussgottesdienst des Kirchentags geriet vor allem durch die Predigt zu einer fulminanten „Zeitansage“.

Die Schlussgottesdienste des 38. Deutschen Evangelischen Kirchentages in Nürnberg waren noch nicht zu Ende gegangen, da wurde online schon losgehetzt. Angefeuert von Textfitzelchen aus der Predigt von Pastor Quinton Ceasar und einer mindestens vereindeutigenden Berichterstattung einschlägiger Medien, wurde an Hass über Ceasar ausgekübelt, was die digitalen Kanäle hergaben. Und das, obwohl er in seiner Predigt gerade erst thematisiert hatte, dass People of Color keinen sicheren Platz in Kirche und Gesellschaft haben,

schreibt Philipp Greifenstein (@rockToamna) hier in der Eule. Am Mittwoch meldeten sich der Präsident des Nürnberger Kirchentages, Thomas de Maizière, und die DEKT-Generalsekretärin Kristin Jahn in einer gemeinsamen Pressemitteilung zu Wort:

„Niemand muss den Aussagen der Predigten oder den Elementen der Schlussgottesdienste zustimmen. Austausch und selbst produktiver Streit darüber sind sogar erwünscht – auch unter uns. Aber Angriffe auf jene, die berechtigt Rassismus und Diskriminierung in der Kirche anprangern, entbehren jeder Form von Anstand und Streitkultur, sie sind zutiefst unchristlich. Wir stellen uns diesem Hass entschieden entgegen.“

72 Stunden zu spät: Quinton Ceasars Predigt und die kirchliche Krisenkommunikation – Arnd Henze (zeitzeichen)

Für Arnd Henze (@arndhenze) kommt das deutliche Statement allerdings „72 Stunden zu spät“. In seinem „z(w)eitzeichen“-Beitrag (@zeitzeichenNET) weist der WDR-Journalist, der seit 2020 als berufenes Mitglied der EKD-Synode angehört, darauf hin, die Krisenkommunikation der Evangelischen Kirche „in ihrer ganzen komplexen Struktur“ sei seit langem eine „gefährliche Schwachstelle“:

Eine koordinierte Reaktion auf Hass im Netz gibt es in einigen Landeskirchen allenfalls in Ansätzen, in anderen noch gar nicht. Auf eine professionelle Krisenkommunikation in den Pressestellen sollte erst recht niemand vertrauen, der sich – im Dienste und im Auftrag der Kirche – in den öffentlichen Raum begibt. (…)

Wenn sich nicht einmal die Ratsvorsitzende, die prominenten Gesichter im „Wort zum Sonntag“ oder die Predigenden beim Kirchentag auf den schnellen und gut organisierten Rückhalt ihrer Kirche gegenüber Hass und Hetze verlassen können – welchen Schutz würde eine Gemeinde oder eine einzelne Ehrenamtliche erfahren, wenn plötzlich ein bundesweiter Shitstorm über sie hinweg bricht? Solche Erfahrungen bewirken die Schere im Kopf, die Flucht in unverfängliche Themen oder gar den kompletten Rückzug aus dem öffentlichen Raum.

An gleicher Stelle wirft EKD-Vizepräsident Horst Gorski „jen­seits aller Erregung“ einen system- und kommunikationstheoretischen Blick auf „Quinton Ceasars popkulturelle Predigt als Phänomen“. In der mitteldeutschen Kirchenzeitung Glaube und Heimat setzt sich Thorsten Dietz (@DietzThorsten) inhaltlich mit der Aussage „Gott ist queer“ auseinander. Quinton Ceasar habe mit seiner Predigt ausdrücklich diejenigen ins Zentrum gestellt, die vielfältige Ausgrenzungen in Gesellschaft und auch in der Kirche erfahren hätten:

Er hat das so klar und eindeutig verkündigt, wie man es in Kirchen selten erlebt. Und er stellt uns vielen eine Frage: Sind wir bereit für eine Kirche, in der nicht nur alle willkommen sind, sondern in der ausdrücklich auch einmal die in die Mitte gestellt werden, die so oft übersehen werden? Können wir uns mit ihnen freuen? Oder können wir wenigstens respektvoll darüber diskutieren?

Leonie Mihm nennt die Predigt-Diskussion im Nachgang des Kirchentages auf evangelisch.de (@evangelisch_de) „eine Debatte mit Kalkül“. Und in einem Interview mit Christian Röther (@c_roether) für die Sendung „Tag für Tag“ im Deutschlandfunk (@DLF) hat Eule-Redakteur Philipp Greifenstein über die Hintergründe der Predigt und die Polarisierung nach dem Kirchentag gesprochen.

Wir haben als Gesellschaft und zum Teil auch in den Kirchen, gerade unter patentierten Christen, verlernt, Predigten als religiöse Rede zu verstehen. Sie ist immer Bildrede, immer metaphorisch, symbolisch. Insofern ist ein Satz wie „Gott ist queer“ eben keine Aussage über Geschlecht und Sexualität Gottes. „Gott ist queer“ habe ich als einen Satz gehört, der uns etwas über Gottes Gegenwart in der Welt sagt: Gott identifiziert sich mit den Ausgegrenzten und Schwachen.

„Politisierte Religion“ oder „fröhlicher Pragmatismus“?

Dass die Kirche „nicht mehr aufs Jenseits vertrösten“ wolle, sei „nicht ohne Gefahren“, warnt Benjamin Leven (@levenbj) in seinem „Einwurf“ auf der Website der Herder Korrespondenz (@HK_Aktuell) vor den „Risiken einer politisierten Religion“. Nach Levens Ansicht hat der Prediger die Kirchentagsgemeinde für die Sache der „Letzten Generation“ (@AufstandLastGen) „vereinnahmt“:

Kann man bezüglich des Klimawandels und des richtigen Umgangs damit als evangelischer Christ auch anderer Ansicht sein – oder ist die Identifikation von Protestantismus und grünen Anliegen inzwischen zwingend? (…)

Die Tendenz zur präsentischen Eschatologie, die auch im Motto des Kirchentages „Jetzt ist die Zeit“ zum Ausdruck kommt, birgt das Risiko einer Politisierung der Verkündigung. In einer politisch pluralen Gesellschaft ist das Resultat zwangläufig partikulär: Man ordnet sich einem bestimmten politischen Milieu zu.

Die theologische Vorstellung, dass die Ewigkeit, das Reich Gottes, im Hier und Jetzt Wirklichkeit werden muss, ist in hohem Maße missbrauchsanfällig. Entweder, weil religiöse Botschaften politisiert und damit banalisiert werden. Oder, weil Leute die Sache wirklich ernst nehmen – und sich daran machen, den Himmel auf Erden zu schaffen.

Von solchen Radikalisierungstendenzen hat Claudia Keller in Nürnberg nichts mitbekommen. In ihrem Beitrag für das Magazin Chrismon (@chrismon_de) geht sie vielmehr den Ursachen für den „fröhlichen Pragmatismus“ der Kirchentagsbesucher:innen nach, die sich „nur mäßig“ dafür interessierten, dass sich die EU-Innenminister jüngst auf eine Verschärfung der Asylverfahren geeinigt haben:

Viele haben sich abgefunden mit den großen Krisen, mit den Waffenlieferungen an die Ukraine, mit dem Fortschreiten des Klimawandels, damit, dass sich Europa immer weiter abschottet. Man ist pragmatisch, verzichtet schon mal auf Nürnberger Würstchen, fährt Bahn, hilft den Geflüchteten, die es hierhergeschafft haben, und versucht, meditierend und singend einigermaßen durchzukommen – im Zentrum Spiritualität hätten auch dreimal so viele Angebote großen Zulauf gefunden.

Die Politik muss die Kirchentage nicht mehr fürchten, die Veranstalter sind froh, wenn der Bundeskanzler überhaupt noch kommt. Auf den Kirchentagen bleiben die Engagierten und Eingeweihten zunehmend unter sich. Hier können sie einander bestärken und einander versichern, dass sie nicht allein sind unter den säkularen Nachbarn, die immer weniger verstehen, warum jemand überhaupt noch Mitglied in der Kirche ist.

nachgefasst

Entschädigung für jahrelangen Schmerz

300.000 Euro Schmerzensgeld soll ein von sexualisierter Gewalt Betroffener vom Erzbistum Köln bekommen – das hat das Landgericht Köln am vergangenen Dienstag entschieden. Ursprünglich hatte der Kläger Georg Menne insgesamt rund 800.000 Euro an Schmerzensgeld und Entschädigung gefordert. Dennoch überschreitet die nun zugesprochene Summe die bisherigen „Anerkennungsleistungen“ der römisch-katholischen Kirche an Betroffene um ein Vielfaches. Ein Vergleich zwischen den Parteien war nicht zustande gekommen.

Wichtige Fragen und Hintergründe zum Verfahren hat der Deutschlandfunk zusammengestellt, etwa warum es trotz Verjährung der Taten trotzdem einen Prozess gab, welche Signalwirkung von dem Urteil ausgehen könnte und ob die Kirche nun mit weiteren Klagen rechnen muss.

Ein historisches Urteil – Daniel Deckers (FAZ)

Mit seiner Entscheidung zugunsten eines Betroffenen habe das Kölner Landgericht nicht nur in Sachen Schadenersatz neue Maßstäbe gesetzt, kommentiert Daniel Deckers in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Die Bejahung der Amtshaftungspflicht weise weit über die römisch-katholische Kirche hinaus:

Auch die hoch bezahlten ju­ristischen Berater der Kirche, wie die Kölner Strafrechtskanzlei Gercke, die den Verantwortlichen des Erzbistums noch vor zwei Jahren bescheinigt hatten, keine strafbewehrten Pflichten verletzt zu haben, dürften sich ihrer Sache nicht mehr sicher fühlen – und nicht nur sie. Sollte das Kölner Urteil zu ständiger Rechtsprechung werden, würde die Rechtsstellung von Betroffenen eine fundamental andere sein als bisher.

Signalwirkung für Missbrauchsopfer in der Kirche? – Interview mit Johannes Norpoth (Domradio)

Im Interview mit Mathias Peter (@mathpeter3) vom Kölner @domradio äußert Johannes Norpoth, Sprecher des Betroffenenbeirates bei der Deutschen Bischofskonferenz, seine Genugtuung darüber, dass endlich ein deutsches Gericht einer Schadensersatz-Klage stattgegeben habe:

All das, was Betroffenenvertreter innerhalb und außerhalb der Kirche seit Jahren sagen und nahezu gebetsmühlenartig predigen, haben wir heute in Köln erlebt: Einen weltlichen Gerichtsprozess, der der Kirche deutlich ins Gebetbuch schreibt, dass das, was sie bisher gemacht hat, schlicht nicht ausreicht.

Es ist tatsächlich peinlich, da gebe ich Ihnen recht, dass es eines weltlichen Gerichts bedarf, dass diese hinlänglich bekannte Tatsache jetzt auch endlich mal in die Stammbücher der Kirchen und hoffentlich der Generalvikare und Bischöfe schreibt.

Der Betroffenenbeirat hat die Bischöfe jetzt aufgefordert, die Gespräche zum gegenwärtigen Anerkennungssystem für Zahlungen an Missbrauchsbetroffene wieder aufzunehmen:

Auch und gerade in der Anerkennung des erlittenen Leids muss es endlich zu einem glaubhaften Zeugnis einer wirklichen Haltungsänderung kommen. Denn die Zeit der Almosen ist nun endlich vorbei!

Doch trotz des Kölner Schmerzensgeld-Urteils wollen die deutschen Bischöfe am bisherigen System der „Anerkennungsleistungen“ festhalten. Als Grund führt der zuständige Aachener Bischof Dieser unter anderem an, dass es „niedrigschwellig“ sei. Der Betroffenenrat Nord, der die Interessen von mehr als 200 Opfern sexualisierter Gewalt in den römisch-katholischen Bistümern Osnabrück und Hildesheim sowie im Erzbistum Hamburg vertritt, erwartet nun weitere Klagen.

Bisher keine Erben für Ratzinger – Marcus Bensmann (correctiv)

Im Zivilprozess eines Missbrauchsopfers vor dem Landgericht Traunstein hat der Klägeranwalt nun die Höhe des Schmerzensgeldes beziffert: Er fordert 300.000 Euro vom Erzbistum München und Freising (@ebmuc) und 50.000 Euro von den Erben des verstorbenen Papst Benedikt XVI. Dessen Rechtsnachfolge bleibt auch bis zum Verhandlungstermin am 20. Juni ungeklärt. Die Kanzlei Hogan Lovells habe bisher keine Erben gefunden, die den Nachlass Ratzingers antreten, berichtet Marcus Bensmann (@MarcusBensmann) in seinem Beitrag für @correctiv_org. Klägeranwalt Andreas Schulz äußert derweil einen heftigen Vorwurf:

„Die Strategie des Testamentsvollstreckers Georg Gänswein zielt darauf ab, die Ungewissheit, ob und welche Erben überhaupt existieren, dafür zu nutzen, um das Verfahren in der Warteschleife zu halten und so den verstorbenen Papst auch posthum noch zu schützen, […]“

Blutbuchen sollen in jeder Pfarrei an Missbrauch erinnern – Markus Nolte (Kirche und Leben)

Schwarzrote Blutbuchen in sämtlichen Pfarreien des Bistums Münster (@bistummuenster) sollen an den Missbrauchsskandal durch Geistliche erinnern. Einen Vorschlag von Betroffenen aufgreifend, hat das die „Arbeitsgruppe Erinnerungskultur“, die 2022 nach Veröffentlichung des Missbrauchsgutachtens für das Bistum Münster eingerichtet wurde, empfohlen. Als Konsequenz aus den Irritationen, die die Grablege der Bischöfe im Dom, die erwiesenermaßen Missbrauch vertuscht haben (etwa Heinrich Tenhumberg und Reinhard Lettmann), ausgelöst haben, soll es in Zukunft weder in der Kathedrale noch auf dem Domherrenfriedhof Beisetzungen geben.

Buntes

EHRENSACHE (13): Brieffreund hinter Gittern – Julia Hahn zu Gast bei Lisa Menzel (Die Eule)

Julia Hahn schreibt Briefe ins Gefängnis. Beim Schwarzen Kreuz engagiert sie sich für die Resozialisierung von Straftätern und bringt Menschlichkeit in den Gefängnisalltag. In dieser neuen Folge des „EHRENSACHE“-Podcasts erzählt sie Podcast-Host Lisa Menzel, wie man jemandem einen Brief schreibt, den man noch gar nicht kennt, welche Rolle ihr Glaube dabei spielt und wie sie zu diesem besonderen Ehrenamt gekommen ist.

Wenn’s vom Turm Faschismus läutet – Uwe-Karsten Plisch (ansätze)

Seit drei Jahrzehnten wird über den Wiederaufbau der Garnisonkirche Potsdam gestritten. Das Thema polarisiert in der Stadtgesellschaft, in der evangelischen Kirche wie auch in der bundesweiten Öffentlichkeit. Ein weithin unbeachtetes Detail in der Geschichte beleuchtet Uwe-Karsten Plisch in seinem Beitrag in der Zeitschrift ansätze, herausgegeben vom Verband der Evangelischen Studierendengemeinden in Deutschland (@bundes_esg). Das Geläut der vier Kirchenglocken, eingeweiht am Sonntag Exaudi des Jahres 1939, hat als Tonfolge einen As-Dur-Akkord und den Grundton der Paralleltonart f-Moll:

Um die zu Grunde liegende Intention zu verstehen, muss man die Tonfolge programmatisch lesen als F-As-C-Es, also das lateinische Wort fasces für die Rutenbündel der römischen Liktoren. (…) Im 20. Jahrhundert wurden die fasces mit dem darin befindlichen Beil zum Symbol der italienischen Faschisten, der Begriff Faschismus ist von fasces abgeleitet.

Die Glocken der Potsdamer Garnisonkirche läuteten also seit dem 29. April 1939 fröhlich und mit „sehr reinem Klang“ „Faschismus, Faschismus“, auch wenn sich die Tonfolge F-As-C-Es sicher nicht so leicht beim Hören entschlüsseln lässt wie das berühmte B-A-C-H.

Der 17. Juni: Ein Tag der aufrechten Haltung – Wolfgang Beck (Das Wort zum Sonntag)

Vor 70 Jahren, am 17. Juni 1953, kam es in der früheren DDR zu Protesten, Streiks und Aufständen. Aus den spontanen Demonstrationen der Arbeiterschaft und der Wut über maßlose Vorgaben des Arbeitspensums wurde schnell ein Aufstand gegen das Unrechtsregime. Während in der „alten“ Bundesrepublik bis 1990 an die Proteste mit dem damaligen „Tag der Deutschen Einheit“ erinnert wurde, sei das vielen heute wohl nicht mehr bewusst, meint Pfarrer Wolfgang Beck (@wolfgang_beck) in seinem „Wort zum Sonntag“ in der ARD:

Ich glaube, dass eine Erinnerung an die Menschen mit Haltung und an die Ereignisse vor 70 Jahren in Ost und West eine gute Gelegenheit ist, den „geraden Rücken“, also echte Haltung zu trainieren und wieder neu einzuüben. Als Christ weiß ich, wie wichtige so ein prophetisches und widerständiges Eintreten für die Schwächeren ist. Manchmal braucht es dann etwas Kraft, diese Haltung zu pflegen.

Theologie

„Das Christentum ist auch eine Art kritische Theorie“ – Interview mit Jörg Lauster (ZEIT ONLINE)

Im Rahmen der Interview-Serie „Worüber denken Sie gerade nach?“ hat Nils Markwardt (@FJ_Murau), Kulturredakteur bei @zeitonline, den evangelischen Theologen und Religionsphilosophen Jörg Lauster unter anderem auch gefragt, wie stark sich die Kirchen in politische Debatten einmischen sollten.  Angesichts der Versuchungen in der jüngeren Kirchengeschichte, sich als reaktionäre Gegenmodelle zur aufklärerischen Moderne zu verstehen, sollten sich die Kirchen nicht in der Tagespolitik verlieren, so Lauster:

Die Verlockung, das Übersteigende immer irgendwo festzubinden, sei es an Menschen oder politischen Ideen, ist sehr groß. Das Christentum ist aber immer auch eine Art kritische Theorie. In seiner Definition ist eingebaut, dass das Geheimnis unseres Daseins niemals mit irdisch-endlichen Mächten einhergehen kann. (…)

Wenn man besieht, dass Religion im Leben vieler Menschen eine wichtige Rolle spielt, schiene es mir tatsächlich die Aufgabe, diese stärker ins öffentliche Leben zu holen. Wir debattieren ja aktuell die Neujustierung des Verhältnisses von Staat und christlichen Kirchen am Fall der Staatsleistungen. Das wäre eine gute Gelegenheit, die Rolle der Religionen innerhalb einer pluralen Gesellschaft noch einmal neu auszurichten.

Predigt

Was würde Jesus heute tun? – Sabine Clasani (mannheim.alt-katholisch.de)

In ihren Predigtgedanken zum 11. Sonntag der Lesereihe nimmt sich Sabine Clasani, Pfarrerin der alt-katholischen Gemeinden Mannheim und Ludwigshafen, die Frage „Was würde Jesus heute tun?“ vor. Sie macht dabei auf zwei Schwierigkeiten oder Gefahren aufmerksam: Zum einen der „Illusion zu glauben, aus der Bibel für alle heutigen Fragen direkte Handlungsanweisungen ableiten zu können“, zum anderen der Versuchung, #WWJD in Diskussionen zwar oft als Frage zu formulieren aber eigentlich nur als Bestätigung der eigenen Meinung zu verstehen.

So wie die zwölf Apostel im Tagesevangelium (Mt 9,36-10,8) ausgesendet wurden, um das nahe Himmelreich zu verkünden, müssten auch die Christ:innen heutzutage herausfinden, wie sie den in der Taufe erhaltenen Auftrag Jesu im ganz persönlichen Leben umsetzen können:

Vielleicht sollten wir die Frage aber eher in der Variante stellen: „Was würde Jesus in meiner Situation tun?“ Denn dann bin ich eher davor geschützt zu meinen, eine allgemeinverbindliche Antwort für alle zu kennen und diese den anderen aufstülpen zu wollen. Außerdem macht die Frage in dieser Variante deutlich: Nachfolge ist immer ein ganz persönliches Geschehen: ICH bin bei MEINEM Namen gerufen und ICH muss auch eine ganz persönliche Antwort auf diesen Ruf geben.

Natürlich können wir auch als Gemeinde und Gemeinschaft die Frage stellen. „Was würde Jesus heute tun?“ – aber dann muss es auch eine offene Frage sein. Dann muss es bei der Frage auch darum gehen, miteinander um eine Antwort zu ringen und offen zu sein, für die Antworten, die sich im Gespräch miteinander ergeben.

Ein guter Satz

„Was würde Jesus dazu sagen? Wenn man sich daran hält, dann ist man keinem genehm.“

– Martin Niemöller