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Fünf praktische Reformen für die Kirchgemeinde

Immer wieder werden die Kirchenmitgliedschaftszahlen, Kirchenaustritte und der Gottesdienstbesuch intensiv diskutiert. Wir haben fünf konkrete Reformvorschläge für Kirchengemeinden im Gepäck:

Debatten um Kirchenmitgliedschaft und Gottesdienstbesuch sind mehr als ein Sommerloch-Phänomen: Immer wieder erleben wir auch in der Eule, dass Christ*innen mit besonderer Leidenschaft über genau diese Themen diskutieren. Häufig wird beides auch zusammen debattiert, obwohl es im Real-Life der Kirchen schon seit Jahrzehnten auseinanderfällt.

Es gibt aber einen Ort, an dem beide Debatten „zu Hause sind“: Die Gemeinde. Die Kirchgemeinde vor Ort sollte nicht noch weiter runtergeredet, sondern wertgeschätzt werden. Dort sind Christ*innen in unserer Gesellschaft prinzipiell anzutreffen. Und Kirchgemeinden sind konkrete Orte, an denen auch anders gehandelt werden kann.

Jetzt nach dem Sommer und im ausgehenden Kirchenjahr werden in vielen Gemeinden Pläne geschmiedet: Was soll im nächsten Jahr angepackt werden? In einigen Kirchen rücken neue Gemeindekirchenrät*innen in die Verantwortung für ihre Gemeinde. Und es ist nicht so, als ob es nicht konkrete Reformvorschläge gäbe, die vor Ort umgesetzt werden können. Manchmal sogar ganz ohne viel Schnickschnack, sondern in den bestehenden Strukturen.

Hier kommen 5 praktische Reformvorschläge für die Kirchgemeinde:


1. „Geh“-Kultur statt „Komm doch!“-Strukturen

Nicht nur Erik Flügge weist in seinen Büchern und Artikeln immer wieder daraufhin: Die Zeiten sind definitiv vorbei, in denen Kirche sich zurücklehnen kann und hoffen darf, zu ihren zahlreichen Angeboten käme irgendwer. Flügge plädiert darum für eine Art „Heimsuchung“. Kirchenferne sollten mit einem Hausbesuch erfreut werden.

Doch geht’s auch weniger radikal? In der Tat gibt es ein Arbeitsfeld der Kirchgemeinde, auf dem „aufsuchende Kirche“ schon lange eine Selbstverständlichkeit ist: Gottesdienste und Gesprächskreise für Menschen in Senioren- und Pflegeheimen finden selbstverständlich dort statt. Dieses Prinzip kann auf andere Arbeitsfelder und Zielgruppen angewendet werden.

Die Leitfrage sollte nicht mehr sein „Wie bekommen wir xyz in die Gemeinde?“, sondern „Wo leben Menschen jetzt schon, zu denen wir als Gemeinde gehen können?“. Statt den x-ten Versuch der Gründung einer Krabbel- oder Kindergruppe in Gemeinderäumen mit viel Mittel- und Kraftaufwand von Haupt- und Ehrenamtlichen zu wagen, können Gemeinden mit Kindertageseinrichtungen kooperieren. Auch mit solchen Kitas, die nicht in kirchlicher Trägerschaft geführt werden! Ähnliches gilt für Angebote im Rahmen von Ganztagsschulen, aber auch für andere Zielgruppen.

 2. Andere Gottesdienste statt Sonntagsgottesdienst

Andere Gottesdienstformen sind in den Kirchen spätestens seit den ausgehenden 1970er-Jahren Thema. Jahrzehntelang lief dieses Extra-Programm neben dem Standardgottesdienst: dem liturgisch gefassten Sonntagsgottesdienst mit Predigt und Abendmahl.

Der Sonntagsgottesdienst erreicht in den evangelischen Kirchen 4 % der Kirchenmitglieder, in der katholischen Kirche 8 – 10 %. An vielen Orten organisieren Ehren- und Hauptamtliche deshalb Gottesdienste für andere Zielgruppen. Es wird Zeit, auch den „normalen“ Sonntagsgottesdienst als das zu betrachten, was er faktisch ist: Ein Zielgruppengottesdienst für den älteren, der Kirche hochverbundenen Teil der Gemeinde.

Darum sollten andere Gottesdienste nicht mehr neben, sondern statt der normalen Sonntagsgottesdienste stattfinden. So werden auch die Ressourcen der Hauptamtlichen geschont, die sich bisher bei jedem neuen Angebot überlegen müssen, ob es neben den traditionellen Verpflichtungen noch zu stemmen ist. Kirchenvorstände sollten hier weise werden und von sich aus manchen Abschied wagen.

Als Faustregel sollte gelten: Wenn drei spirituelle Angebote, wie Gottesdienste und Andachten, die gleiche Zielgruppe erreichen, kann eines davon weichen und durch ein Angebot für eine andere Zielgruppe ersetzt werden. Und was tritt dann an die Stelle des Sonntagmorgengottesdienstes?

Der Phantasie, Zeiten, Räumen und Anlässen sind keine Grenzen gesetzt. Am besten orientieren sich Kirchenvorstände und Hauptamtliche an den Begebenheiten vor Ort und fragen bei den Gemeindegliedern nach, die dem Gottesdienst sonst häufig fern bleiben. Welchen Gottesdienst wünschen sich diese Menschen?

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3. Kirche auf die digitale Karte setzen

Inzwischen fast bei allen Kirchenzukunftsdiskussionen im Fokus: das Leben der Kirche im digitalen Raum. Spannende Ideen und Zukunftsvisionen gibt es hier en masse. Dabei sind vielerorts noch nicht einmal die Möglichkeiten ausgeschöpft, die sich Gemeinden heute bieten, um mit Menschen aus ihrem Umfeld und Besucher*innen in Kontakt zu treten.

Weil viele Menschen direkt bei GoogleMaps oder anderen Diensten nach Daten ihrer oder der umliegenden Kirche(n) suchen, genügt heute eine aktuell gepflegte Website nicht mehr aus. Ralf Peter Reimann, Internetbeauftragter der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR), hat darüber geschrieben, wie die Daten der Kirchgemeinde sinnvoll mit diesen Plattformen geteilt werden können.

Schauen Sie einmal nach, ob bei GoogleMaps die Öffnungszeiten ihres Gemeindebüros und ihrer Kirchengebäude zu finden sind. Wenn nicht? Google-Konto anlegen, als Inhaber des Ortes eintragen lassen und die notwendigen Daten ergänzen. Und bitte daran denken: Öffnungszeiten und notwendige Hinweise direkt dort hinterlegen und nicht meinen, „die Leute“ könnten doch einfach auf der eigenen Website nachschauen!

4. „Schön, dass Sie da sind!“

Ein Riesenproblem im Vergleich mit Kirchengemeinde in anderen Ländern ist die erstaunliche Kälte, mit der (Gottesdienst-)Gemeinden in Deutschland Gästen und Neulingen gegenüber treten. Das gilt konfessionsübergreifend für alle Gemeindestrukturen, die Orts- und nicht Personalgemeinden ausgebildet haben. Aber das muss ja nicht so bleiben!

Besucher*innen von Kirchen sollten nicht als Störenfriede, sondern als willkommene Gäste wahrgenommen werden. Egal, ob sie zum Gottesdienst, zwischendurch oder – Gott verhüte! – zu einem unpassenden Zeitpunkt vorbeikommen. Kirchengemeinden brauchen eine neue Willkommenskultur! An vielen Orten sind die Kirchen inzwischen zumindest stundenweise für Besucher*innen geöffnet. Besucher*innen sollte wirkliches Interesse entgegengebracht werden.

Wie wäre es, die häufig ehrenamtlich tätigen Kirchenführer*innen und Küster*innen darin zu schulen, Besucher*innen freundlich und kompetent zu begegnen? Auch hier kann die Kirchgemeinde mit Partnern kooperieren: Volkshochschulen bieten Stadtführerkurse an, in denen ähnliche Inhalte zur Sprache kommen. Touristeninformationen und private Unternehmen haben hier Kompetenzen, derer sich die Kirchgemeinde bedienen kann.

Ziel sollte es sein, dass insbesondere Gottesdienstbesucher*innen nach über einer Stunde Gottesdienst und nicht selten auch nachdem man gemeinsam an den Tisch des Herrn getreten ist, nicht als Fremde wieder gehen. Alles spricht dafür, die Kern- und Gottesdienstgemeinde dafür zu sensibilisieren, dass der Gottesdienstbesuch für Neulinge eine echte Hürde darstellt. So viel leichter wäre es, wenn man vor und nach dem Gottesdienst freundlich und unaufdringlich angesprochen wird!

5. „Blattkritik“ im Kirchenvorstand

Eine großartige, durchaus disruptive Idee, die aber mit den Strukturen einer Kirchgemeinde rechnet und sie nicht verachtet, stammt aus dem neuen Buch von Arnd Henze. Er empfiehlt Gemeinden, sich für die Fragen der Menschen vor Ort zu interessieren und ein lebendiger Teil der Dorf- oder Stadtgesellschaft zu werden. Sein Mittel der Wahl: Eine „Blattkritik“ im Kirchenvorstand.

Der Journalist Henze kennt die „Blattkritik“ aus seinem Arbeitsalltag. Außenstehende Personen werden eingeladen, das journalistische Angebot kritisch zu beleuchten und ihre Erkenntnisse im Kreis der Redaktion vorzutragen. Henzes Rat an Kirchenvorstände: Engagierte Bürger*innen aus anderen Kontexten sollen sich einmal das typische Gemeindeleben anschauen und darüber bei einer Sitzung der Gemeindeleitung Auskunft geben. Das können Ehrenamtliche aus Vereinen, Sportgemeinschaften oder der Lokalpolitik, die Bürgermeister*in und andere Akteur*innen sein.

Es ist das Eine, die Milieuverengung der Kirchengemeinde und ihre mangelnde Relevanz für die restliche Gesellschaft zu beklagen. Das Andere wäre, daran konkret etwas zu ändern, indem man Türen und Tore weit aufsperrt und sich in einen Dialog mit Menschen vom Rand oder gar von außerhalb der Kirchgemeinde begibt.

Henzes Vorschlag ist dafür geeignet, auch weil er den einladenden Kirchenvorständen im Schutzraum ihrer eigenen Strukturen die Ruhe und Sicherheit gönnt, auf die Eindrücke der „Blattkritiker“ offen reagieren zu können. Gemeinden und ihre Vertreter*innen müssen definitiv aus ihrer Verteidigungshaltung ausbrechen: „Das war so, das ist so und das wird auch immer so bleiben“, geht nicht mehr.


Du hast weitere Reformvorschläge für Kirchgemeinden und/oder konkrete Hinweise auf Ressourcen, die Gemeinden für notwendige Veränderungen nutzen können? Dann diskutiere mit uns in den Kommentaren unter diesem Artikel, auf Twitter oder Facebook!