Migration: Gefährliche Seifenblasen
Die Union brüstet sich damit, „illegale Migration“ beenden zu können. Mit ihrem Koalitionsvertrag bereiten CDU/CSU und SPD das Scheitern ihrer Regierung vor, bevor sie überhaupt angetreten ist.
„Deutschland ist ein weltoffenes Land und wird es auch bleiben“, beteuern CDU/CSU und SPD in ihrer Koalitionsvereinbarung (PDF). Auf nicht einmal 5 der 144 Seiten halten sie fest, wie sie die Migrations- und Flüchtlingspolitik gestalten wollen. Bei der Migrationspolitik hat sich augenscheinlich die Union, die das Thema in das Zentrum ihres Wahlkampfs gestellt hatte, weitgehend durchgesetzt. Doch an viele der geplanten Maßnahmen muss man ehrlicherweise große Fragezeichen setzen.
Damit gibt die Union der neuen Bundesregierung eine große Hypothek mit auf den Weg. Friedrich Merz, der CDU-Vorsitzende und wahrscheinliche neue Bundeskanzler, ist der Überzeugung, nur durch eine Begrenzung der Migration könne man der AfD das Wasser abgraben. Doch verspricht er dem migrationskritischen Teil der Bevölkerung Erfolge, die er nicht wird einhalten können.
Weil die Migrationspolitik im Zentrum des Wahlkampfs stand, lohnt sich ein Blick in die Planungen der wahrscheinlichen neuen Bundesregierung. Wie stellen sich CDU/CSU und SPD eine menschenwürdige Flüchtlingspolitik und Steuerung der Migration vor? Die Union verkauft die Verhandlungsergebnisse vollmundig als Ende der „illegalen Migration“. Geht man die einzelnen Punkte der Vereinbarung durch, wird deutlich, wie widersprüchlich und teilweise unsinnig die verabredeten Maßnahmen sind.
Unauflösbare Widersprüche
CDU/CSU und SPD bekennen sich zu Beginn des Migrationskapitels (ab S. 92) zum individuellen Recht auf Asyl und wollen zu Deutschlands „humanitärer Verantwortung“ stehen. Allerdings wollen die Koalitionäre „in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn“ auch bei Asylgesuchen Zurückweisungen an den deutschen Grenzen vornehmen. Nicht nur fehlt bei den direkten Nachbarn dazu offenbar das Einverständnis, (dauerhafte) Rückweisungen an den Landesgrenzen widersprechen auch der Dublin-Verordnung, dem neuen EU-Asylsystem GEAS und der europäischen Freizügigkeit. Zudem sind sie sehr teuer und personalintensiv und ihr Nutzen wird von Expert:innen bestritten: Schleuser würden einfach auf andere Wege ausweichen.
Die neue Bundesregierung will in Europa zudem einen „restrikten Asylkurs“ vorantreiben. Dabei gibt es den längst: Das neue EU-Asylsystem GEAS. Im Koalitionsvertrag ist nun festgehalten, dass Deutschland GEAS noch in diesem Jahr einführen soll. (Das hatte bereits die Ampel-Regierung vor.) Auf EU-Ebene will man sich für noch weitergehende Verschärfungen einsetzen. GEAS sieht bereits jetzt vor, Geflüchtete an den EU-Außengrenzen in Haftlagern zu internieren.

CDU-Informationskachel: „So machen wir Schluss mit der illegalen Migration“ vom 11. April 2025
Im Koalitionsvertrag betonen CDU/CSU und SPD, man wolle „Integration ermöglichen“, zugleich aber soll der Familiennachzug für Menschen mit subsidiärem Schutz – wir berichteten – für zwei Jahre ausgesetzt werden. Gleich drei Nebelkerzen werden hier auf einmal gezündet: Erstens betrifft die Maßnahme vergleichsweise wenige Geflüchtete, wird aber als großer Wurf im Kampf gegen „illegale Migration“ beworben. Zweitens steht der Entzug von familiären Bindungen im Widerspruch zum Versprechen, „humanitäre Verantwortung“ übernehmen zu wollen. Drittens sind der Familiennachzug und intakte familiäre Verhältnisse ein Widerhaken gegen Radikalisierung und Bedingung für gelingende Integration.
Der Koalitionsvertrag verkündet außerdem eine „Rückführungsoffensive“. Derzeit scheitern Rückführungen bei nicht erfolgreichen Asylverfahren vor allem an den hohen Kosten, der Untätigkeit der Bundesländer und der mangelnden Kooperation der Herkunfts- bzw. Erstaufnahmeländer. In den vergangenen beiden Jahren konnte die Zahl der Rückführungen trotzdem bereits erheblich erhöht werden. Friedrich Merz will aber noch mehr abschieben, unter anderem nach Syrien und Afghanistan. Beginnen will die neue Bundesregierung mit ihren Verschärfungen bei Straftätern. Und sie will konsequent „Ausreisegewahrsam“ umsetzen.
Die Maßnahmen der „Rückführungsoffensive“ sind ausnahmslos sehr teuer: Die Kooperation der Herkunfts- und Erstaufnahmeländer will man offenbar mit finanziellen Gegenleistungen bei Handel und Entwicklungszusammenarbeit erkaufen. Und auch die Bundesländer und Kommunen werden deutlich mehr Cash (und Personal) benötigen, soll tatsächlich noch mehr abgeschoben werden als bisher. „Ausreisegewahrsam“ für Tausende von Menschen: Wie „humanitär“ ist das und wer soll das bezahlen? Um die Sachgründe für das bestehende Rückführungsdefizit macht der Koalitionsvertrag einen weiten Bogen.
Sehr sicher und einig sind sich die Koalitionär:innen aber hinsichtlich der weiteren Einschränkungen des Rechtsschutzes von Geflüchteten: Die Verpflichtung zu einem Rechtsbeistand soll ebenso wegfallen wie der „Amtsermittlungsgrundsatz“. Zudem sollen „besondere Verwaltungsgerichte für Asylrechtssachen“ eingeführt werden und die Verfahren beim BAMF weiter beschleunigt. Auch die „behördenunabhängige Asylverfahrensberatung“, in der insbesondere auch kirchliche Organisationen engagiert sind, soll „ergebnisoffen“ evaluiert werden – hier hat die SPD offenbar Widerspruch gegen eine Abschaffung eingelegt.
Gefährliche Seifenblasen
„Wir wollen ein einwanderungsfreundliches Land bleiben“, haben sich die Verhandler:innen in den Koalitionsvertrag geschrieben, so als ob Deutschland heute ein Eden für Migrant:innen sei. Deutlich wird: Selbst die bestehenden Regeln, die Migration und Integration erheblich behindern, gehen der Union noch zu weit.
Die CDU/CSU-geführte Bundesregierung will „Turboeinbürgerungen“ wieder abschaffen und legt die Axt an das Chancenaufenthaltsrecht, das die Ampel doch gerade erst eingeführt hat. Für „gedultete Ausländer“ mit Arbeit, die sich auch sonst gut integriert haben, soll bis Ende 2027 stattdessen ein neuer „befristeter Aufenthaltstitel“ gesetzlich verankert werden. Integrationslasten werden im Koalitionsvertrag vor allem den Migrant:innen selbst zugeschoben („Integrationsvereinbarung“) und auf Kitas und soziale Träger abgewälzt. Die Union sträubt sich auch in den Details gegen die Migrationsgesellschaft, zu der man sich im Vertrag aber in wolkigen Sätzen andererseits bekennt.
Schließlich hält die Union weiterhin an rechtspopulistischen Mythen wie den „Pull-Faktoren“ für Migration und der Vorstellung fest. Der Märchenbegriff hat es aber immerhin nicht in den Koalitionsvertrag geschafft. Doch die Ideen Flüchtlinge und Migrant:innen würden vor allem wegen der Sozialleistungen nach Deutschland kommen, zieht sich von vorne bis hinten durch das Migrationskapitel. Die Leistungen für Geflüchtete und Migrant:innen sollen deshalb „reduziert“ werden. Auch Ukrainer:innen, die nach dem 1. April 2025 eingereist sind oder erst noch nach Deutschland kommen („Massenzustrom-Richtlinie“), sollen nur noch Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten.
Von den acht Punkten, mit denen die CDU auf Social-Media-Plattformen „Schluss mit der illegalen Migration“ machen will, entpuppen sich vier als unrealistische Willensbekundungen. Übrig bleiben die Gängelung von Geflüchteten und die Errichtung von Migrations- und Integrationshürden. Und das, obwohl Deutschland dringend Zuwanderung braucht. Die Union ist verheerend desinteressiert an den Realitäten der Einwanderungsgesellschaft und den wirtschaftlichen Chancen einer zügigen und gelingenden Migration.
Insgesamt ist das migrations- und flüchtlingspolitische Programm der wohl zukünftigen Bundesregierung zutiefst am migrationsfeindlichen, rechtsradikalen Diskurs der AfD orientiert. Die Geister, die von der Union im Wahlkampf beschworen wurden, wird die neue Bundesregierung nicht los. Die Koalitionsvereinbarung von Union und SPD ist ein weiterer Schritt zur Delegitimation des demokratischen Rechtsstaates und wird am Ende nur jenen Munition für ihre Hetze liefern, die ohnehin alle Flüchtlinge und Migrant:innen am liebsten los wären. Denn in weiten Teilen sind die Verabredungen im Koalitionsvertrag Luftnummern, weil viele – insbesondere die besonders restriktiven – Maßnahmen der Mitwirkung und Zustimmung der anderen EU-Länder bedürfen, wenn nicht sogar einen offenen Bruch mit geltendem EU- und Völkerrecht voraussetzen.
Die migrationspolitischen Seifenblasen des Koalitionsvertrages bergen zunächst einmal die Gefahr, dass die Union, die von ihr im Wahlkampf angefachten Erwartungen in der Bevölkerung bezüglich einer strengeren Migrationspolitik, recht bald enttäuschen wird. Das wäre noch der günstigere Fall. Oder aber die neue Bundesregierung spaltet über ihre migrationspolitischen Forderungen die Europäische Union schleift internationales Flüchtlingsrecht. Das wäre für Deutschland dann tatsächlich ein „anderer, konsequenterer Kurs in der Migrationspolitik“, nämlich der Weg in eine historische Sackgasse.
Eine Analyse der religions- und kirchenpolitischen Themen im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD findest Du im aktuellen #LaTdH-Newsletter der Eule.
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