Foto: Der Toco (Flickr), CC BY-NC-ND 2.0
Kirche

Gute Gesinnung gibt es bei uns gratis

Christmetten und Jusos-Stammtische sind sich zum Verwechseln ähnlich? Welche Rolle spielen Moral und Politik in der Predigt? Ein Debatteneinwurf zur politischen Predigt.

An Heiligabend beklagte Ulf Poschardt, Chefredakteur der Tageszeitung DIE WELT, Christmetten seien Jusos-Stammtischen und Treffen der Grünen Jugend gleich geworden und trat damit eine interessante Diskussion los. Seine Kritik, so viel wissen wir nun, entzündete sich an einer Predigt von Pfarrer Steffen Reiche, die landläufig als politisch gilt. Und daran, dass in ihr Überzeugungen vertreten wurden, denen er nicht zustimmt.

Was bei Poschardt aus dem Hintergrund hervorhallt, ist die Skepsis gegenüber einer Kirche, die sich (allzu) häufig politisch betätigt. Diese Diskussion ist momentan wieder von besonderer Aktualität. Die beiden Volkskirchen halten seit 2015 durchgängig an dem fest, was als „Willkommenskultur“ einmal Anlass zur Freude war. Das hat sie in erheblichem Maße in Konflikt mit konservativen Akteuren gebracht, bis hin zur CDU/CSU. Oder andersherum: Durch die beharrliche Verkündigung der Kirchen wird augenfällig, wie weit sich manche Konservative von dem entfernt haben, was sie vorgeben, schützen zu wollen: christliche Werte.

Solange die Kirche das Evangelium von Jesus verkündet, wird sie politisch sein. Das betonen nicht nur kirchliche Amtsträger, das lässt sich gebündelt und verständlich erklärt z.B. bei Sabine Ulrich nachlesen.

Politisch predigen

Das Evangelium treibt kirchliches Handeln an, korrigiert und ermuntert es. Das gilt auch für die Predigt, selbst in Weihnachtsgottesdiensten. Diese sind mitnichten Veranstaltungen, die zuerst dazu bestimmt sind, eine möglichst vielfältige Festgemeinde zufrieden zu stellen.

Christmetten und Weihnachtspredigten finden statt, weil in ihnen die Gute Nachricht verkündet wird. Sie richten sich nicht an geschlossene Gruppen, die bestimmte politische Überzeugungen teilen – das unterscheidet sie von Parteiveranstaltungen wie Jusos-Stammtischen. Sie finden in der Öffentlichkeit statt, aber sie richten sich in ihrer Gestaltung nicht an dem aus, von dem wir vermuten, das es den Überzeugungen einer Mehrheit entspricht.

Weihnachten im Besonderen ist ein Minderheitengeschehen. Darauf macht das von Pfarrer Steffen Reiche gewählte Bild des, von Esel und Ochse abgesehen, leeren Stalls aufmerksam. Übrigens keine Erfindung des Pfarrers:

Insofern die Predigt sich der Verkündigung des Evangeliums von Jesus verpflichtet, ist sie unbedingt politisch. Besonders natürlich an jenem Abend, an dem wir dem Zurweltkommen Gottes gedenken. „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns“ meint, dass Gott sich mit dem Schicksal jeden Menschenlebens, aller Menschenleben gemein macht. Wie sollte es da nicht politisch werden?

Nicht nach dem Munde reden

Am Politikmachen der Kirchen stören sich verlässlich die Richtigen, wenn die Kirche evangeliumstreu an der Seite der Schwachen, Ausgegrenzten und Armen steht und in ihren Äußerungen und Predigten deren Sache vertritt. Es ist nicht Aufgabe der Kirche, den Mächtigen, vermuteten oder tatsächlichen Mehrheiten oder bestimmten politischen Überzeugungen das Wort zu reden.

Das kann bedeuten, dass mir die Kirche oder die Predigerin mit ihren Statements und Gedanken zu nahe tritt. Zu Weihnachten gedenken wir in einer beliebten Formel zusammengefasst, „dass Gott uns Menschen nahe kommt.“ Darin eingepreist ist selbstverständlich die Gefahr, zu Buße und Umkehr aufgerufen zu werden.

Die Geburt des Heilands hat damals keinen Applaus verursacht, erst recht nicht die Zustimmung der Mächtigen oder derjenigen erregt, die eine Menge zu verlieren haben. Vor Predigten, auf die wir alle mit ungeteiltem Jubel antworten könnten, graust es mir. Mir dünkt, dann hätten wir das Evangelium wohl kaum richtig verstanden. Und darum geht es doch.

Sprung über jedes Stöckchen

Dass die Frage, ob politisch gepredigt werden darf, überhaupt gestellt wird, ist Symptom eines bedauerlichen  Niedergangs demokratischer Kultur. Auf das Geschäft, immer wieder begründen zu müssen, dass die politische Dimension des Evangeliums nicht verschwiegen werden kann und darf, müssen sich kirchliche Akteure nicht permanent einlassen.

Besonders nicht, wenn Kritik auf schmierige Weise geäußert wird: Poschardts Vergleich mit Jusos und der Grünen Jugend schwimmt in der trüben Brühe des Fahrwassers der AfD („linksgrünversiffte Gutmenschen“). Das ist so ausgelatscht, dass allein die Umkehrung des beschworenen Feindbildes Sinn ergibt: Sollten nicht eigentlich Treffen der Jungen Union den Christmetten am allermeisten gleichen?

Das „Wie“ der politischen Predigt

All das aber entlässt Predigerinnen und Prediger nicht aus der Frage, wie politisch gepredigt werden kann. Mit Heinrich Böll möchte ich sagen: Gute Gesinnung gibt es bei uns gratis. Politische Predigt kann sich nicht im Bekennen einer irgendwie überlegenen Moral erschöpfen, noch sollte sie sich in der Form und Sprache dem üblichen Politsprech oder gar dem zeitgenössischen politischen Kabarett angleichen. Nein, sie darf Witz haben.

Darum ist es schon ein bisschen schade, dass sich die Diskussion ausgerechnet an einer Predigt entzündet – und diese durch Veröffentlichung in großen Medien auch erhebliche Reichweite erhält -, die kein sonderlich gelungenes Beispiel einer guten politischen Predigt abgibt. Eine feine Weihnachtspredigt ist sie leider auch nicht.

Es geht gar nicht darum wie viel Politik in so einer Predigt drin steckt, sondern wie in Predigten über Politik gesprochen wird. Die Politik steht für eine reflektierte Predigerin nicht als monolithisches Gegenüber in der Welt herum. Politik ist das Geschäft aller Staatsbürger. Adressaten einer politischen Predigt sind darum nicht Mündel, die man vor Verführern warnen und denen man ordentlich ins Gewissen reden müsste, sondern – mit Hannah Arendt – handelnde Subjekte, tätige Personen.

Die Predigt dient dazu, im Lichte des Evangeliums darüber nachzudenken wie wir leben sollen. Sie ist eine öffentliche Verständigung, eine Verständlichmachung darüber, was uns als Christen in Leben und Tod hält und leitet. Die Predigt reflektiert, was landläufig als „Moral“ gilt. Sie wird nachdenklich darüber, wie wir als Einzelne, als Gesellschaft und als Schöpfung Gottes Leben gestalten.

Es ist das Heil uns kommen her

Von Herbert Wehner stammt die schöne Zusammenfassung:

„Allgemeines Wohl, wie wir es verstehen, ist a) das Wohl jedes einzelnen, b) das Wohl aller, was ja mehr noch ist als das Wohl jedes einzelnen, und c) was noch mehr ist und alles umschließt: Das Wohl des Ganzen.“

Was Wehner Allgemeines Wohl nennt, das nennen Christen Heil. Nicht nur, aber besonders zu Weihnachten. Das Wort ward Fleisch, um jedes Menschenleben ins Recht zu setzen. Geboren ist der Friede-Fürst, der Menschen zu Vergebung und Versöhnung führt. Und: Weihnachten ist das Bekenntnis Gottes zu seiner guten Schöpfung, in die er selbst eingeht.

Damit ist mehr als nur der Inhalt der politischen Predigt umrissen. Geht es um Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung wird die Predigt auch in Form und Sprache nicht fehl gehen. Denn es geht ums große Ganze. Und darum, das Große im Kleinen zu identifizieren; die Dimension des Heils im politischen Alltag offenzulegen, insofern Politik die tätige Gestaltung des Zusammenlebens meint.

Die großen Fragen aber leiten uns zu einer im besten Sinne erhabenen Sprache an. Eine solche Sprache betreibt keine Wortspielereien um ihrer selbst willen, sondern will hinter den Sinn unserer Sprache und Handlungen kommen. Sie bedient sich keiner Phrasen und Allgemeinplätze, sondern befragt diese nach ihrem wirklichen Gehalt.

Sie plappert nicht und reiht nicht oberflächtliche Beobachtungen des Unterhaltungswerts wegen aneinander. Oder wie es ein anderer Chefredakteur, Lorenz Maroldt vom Tagesspiegel, in der aktuellen Debatte formulierte: „Ich bin mir sicher, die meisten Kirchgänger verstehen Analogien auch ohne Polit-Platitüden auf Mittelstufen-Niveau.“

Die gute politische Predigt

Die gute politische Predigt nimmt nicht Partei, sondern ist aufklärerisch, zuerst und vor allem in der Offenlegung ihrer eigenen Absicht. Sie verklärt und vertuscht nicht, sie hüllt nicht in Schweigen oder Flachwitz, sie macht klar und gründet in einem letzten heiligen Ernst. Wenn sie in einem solchen verankert ist, dann kann sie von da aus sogar die Höhen einer befreiten Gelassenheit erklimmen und tatsächlich witzig sein.

Der Prüfstein überhaupt für die politische Predigt im deutschen Protestantismus ist die Perikope vom reichen Jüngling (Markus 10, 17-27). Die größte Falle stellt hierbei die Abschwächung der Forderung Jesu dar, allen Reichtum wegzugeben. Mit Relativierungen oder Ablenkungen macht sich der Prediger den Jüngern gleich, die sich über Jesu Anspruch entsetzen. Es wäre schon allein lohnend, einmal nachzusinnen, was Christen zu allen Zeiten an dieser Forderung entsetzlich fanden.

In jedem Falle sollte sie in ihrer Schroff- und Absolutheit stehen bleiben. „Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme.“ Punkt.

Ausgehend davon kann anhand des Textes über Gerechtigkeit nachgedacht werden, besonders im Licht des Verses 27. Eine junge Pfarrerin hat das in der sachsen-anhaltinischen Provinz im Herbst getan. Als Schlüssel zum Verständnis dessen, was das Evangelium mit Gerechtigkeit meint, wählte sie einen Spruch, der schon ewig an den Berliner Yorckbrücken geschrieben steht.

Ich konnte darüber gut lachen, und nachdenken. Das Bild ist hängen geblieben. Son oller Sponti-Spruch ist natürlich reichlich linksgrün angesifft. Wie das Evangelium.