Hat der Weltgebetstag eine Zukunft?
In der ersten Ausgabe von „Sektion F“, der feministisch-theologischen Kolumne, geht es um Gegenwart und Zukunft des Weltgebetstags der Frauen, der in diesem Jahr von Frauen aus Vanuatu vorbereitet wurde.
Der erste Freitag im März. Im vergangenen Jahr war er eine der letzten Gemeindeveranstaltungen, die noch ohne Einschränkungen stattfand. Noch vor dem ersten „Lockdown“. Weltgebetstag. Weltgebetstag der Frauen.
Meist wohlsituierte weiße deutsche Frauen ab 60 – teilweise verkleidet – lesen Texte aus einem Gottesdienstheft ab, das in vielen Gemeinden für alle Besucher*innen ausgelegt wird. Danach werden von den Veranstalter*innen vorbereitete Speisen aus dem Land gemeinsam gegessen, in dem Frauen dieses Jahr den Weltgebetstag vorbereitet haben. Hat diese internationale ökumenische Laiinnenbewegung Zukunft? Und (wie) passt sie sich in aktuelle feministisch-the*logische Diskussionen ein?
Gegenwärtig ist der intersektionale Feminismus, der verschiedene Diskriminierungsaspekte gemeinsam betrachtet möchte, breiter Konsens. Es kann nicht „nur“ um Geschlecht gehen, sondern Aspekte wie Rassifizierung, Klassismus, Heteronormativität, Altersdiskriminierung und Ableismus gehören mit dazu, wenn Machtverhältnisse analysiert werden, um sie zu verändern. Dieses Ziel teilen sich Feminismus und feministischer The*logie mit post-kolonialen Befreiungsbewegungen.
Dem dafür weitverbreiteten Begriff des Patriarchats – also der Macht des Vaters – hat die feministische Theologin Elisabeth Schüssler Fiorenza mit „Kyriarchat“ – also der Herrschaft des besitzenden Herrn – einen treffenderen Begriff zur Seite gestellt. Denn es geht nicht nur um die Herrschaft im Haus, sondern um strukturelle Machtübergewichte von Männern gegenüber Frauen.
Weltgebetstag der Klischees
Mein Blick auf wohlsituierte weiße deutsche Frauen, die Weltgebetstag feiern, verbindet gleich mehrere Klischees, die sich intersektional differenzieren lassen. Wohlsituiert, weiß und deutsch beschreiben dabei für die jeweilige Kategorie die privilegierte Seite, zu der ich selbst auch gehöre. Ich gehöre nicht zu den 60-jährigen, ok. Jetzt, wo ich das so schreibe, bemerke ich einen kleinen Age-Bias. Ich habe, nur zur Erklärung, keine Statistik angefertigt, sondern spiele hier bewusst mit meinen Erfahrungen und Bildern.
Als Pastorinnentochter war ich bestimmt auch als Kind bei Weltgebetstagen, damals noch mehr im Sprachgebrauch „Frauenweltgebetstag“, dabei. Ich erinnere mich aber bewusst erst wieder an einen, den ich Mitte 20 in einer – soweit erkennbar – reichen Hamburger Gemeinde miterlebte und der mich tendenziell negativ fasziniert hat. Diese Frauen sprachen von sich in der ersten Person, wenn sie von Schicksalen von Frauen aus den Philippinen berichteten. Das hat mich rasend gemacht. Das war kulturelle Aneignung, cultural approbiation, at its best!
Ein Fangirl werde ich nie davon sein, wenn sich stoisch an den Ablauf und die Texte aus dem Gottesdienstheft gehalten wird, weil die innere Auseinandersetzung mit den Lebensrealitäten dahinter leicht zurücktreten kann. Andererseits und gut protestantisch: Ich kann es ja eigentlich keiner Person ansehen, wie intensiv sie sich gerade mit diesen Lebensgeschichten befasst.
Ich kann mich aber über mich selbst aufregen, wenn ich im Jahr darauf als frisch gebackene Pfarrfrau natürlich genau das Gleiche tue: Für Surinam habe ich mir dann allerdings als jüngste Frau den Lebensbericht der ältesten Frau ausgesucht, um damit zu kokettieren. Mittlerweile – da möchte ich ein großes Lob an die Vorbereitenden aussprechen – werden diese Berichte als „Briefe“ oder als „Worte“ von anderen Frauen klar gekennzeichnet. Sehr gut!
Frauen erzählen
Wenn ich mir anschaue, was an Lebensberichten dieses Jahr aus Vanuatu Eingang in das Gottesdienstheft gefunden hat, zeigt sich eine ganz große Stärke des Weltgebetstags: Hier erzählen Frauen, wie sie mit Bildung aus Armut gekommen sind oder wie sie zumindest Halt in der Hoffnung auf G*tt finden, dass er*sie sie versorgt! Was für ein Potenzial liegt da!
Wir lesen und hören von Lebensrealitäten, die uns eigene Privilegien vor Augen führen. Vielleicht ergeben sich biografische Anknüpfungspunkte, sodass sich wirklich eine Gemeinschaft von Frauen weltweit verbindet. Und neben dem dieses Jahr sehr präsenten Thema Klimawandel ist globale Geschlechtergerechtigkeit das Hauptanliegen des Weltgebetstags, das so mindestens einmal im Jahr in vielen Gemeinden thematisiert und zum Gebetsanliegen wird!
Mit den Kollekten der Gottesdienste werden einzelne besondere Projekte vor Ort unterstützt. Oft werden derlei Spendenaufrufe als Teil des White-Saviour-Komplexes diffamiert und natürlich laufen Unterstützungsaktionen immer Gefahr, vor allem die Bedürfnisse der Geberinnen zu stillen. Dagegen zu halten wäre mit Blick darauf, dass nächstes Jahr Frauen aus England, Wales und Nordirland den Weltgebetstag vorbereiten, dass der Weltgebetstag nicht einseitig weitergeführt wird. Es geht nicht nur um paternalistisches Stimme-Geben, sondern Frauen in verschiedenen Erdteilen werden empowert, ihre Situation einander, verbunden mit einem Bibelwort wissen zu lassen.
Dieses Empowering zum gemeinsamen The*logietreiben von Frauen in den Gastgeberinnen-Ländern, das Gedanken und einen Privilegiencheck in den mitfeiernden Ländern anregt, ist im besten Sinne feministische The*logie! Und zwar auch in der Hinsicht, dass herrschafts- bzw. machtkritische The*logie dabei ansetzt, dass jede*r sie mitformt! Damit ist schon einiges zu der zweiten Frage von oben gesagt, aber wie sieht es mit der ersten nach der Zukunftsfähigkeit aus?
Hat der Weltgebetstag eine Zukunft?
Beide Fragen sind ganz offensichtlich miteinander verschränkt, denn wenn aktuelle feministisch-the*logische Diskussionen in ganz andere Richtung weisen würden als der Weltgebetstag, sähe dessen Zukunft nicht besonders gut aus. Andersherum sind die Weiter-Trägerinnen der Weltgebetstagsbewegung ja in jedem Falle Mitprägerinnen feministischer The*logie. Warum also beides nochmal auseinandernehmen?
Hier kommen wir zu einem typisch kirchlichen, aber auch typisch feministischen Problem: dem Nachwuchsmangel. Typisch feministisch? – Ich glaube, dass das nur in der Selbstwahrnehmung einzelner älterer Feministinnen so aussieht und zeigt, dass die Medien sich weiter auseinanderentwickelt haben, in denen sich über Feminismus oder feministische The*logie verständigt wird.
Typisch kirchlich? Vielleicht sieht es in anderen Orten ja auch ganz anders aus, aber hier vor Ort bin ich mit Abstand – und weil ich es mir als einen Tätigkeitsbereich meines Pfarrfrauenseins ausgesucht habe – die Jüngste im Vorbereitungsteam des Weltgebetstags. Die Generationenfrage stellt sich wahrscheinlich an vielen Orten dieses Jahr noch einmal besonders dringend. Wie während einer Pandemie einen Weltgebetstag feiern?
Es gibt auch dieses Jahr einen zentralen Gottesdienst und sogar einen Stream auf der Website des Weltgebetstags. Hier vor Ort haben wir uns trotzdem dazu entschieden, dass wir auch miteinander digital feiern. Dabei hat es sich in unserer Gruppe, in der zur Hälfte unter 60-jährige sind – so viel zu meinem Age-Bias! –, so ergeben, dass ich mir den Technik-Hut aufgesetzt habe. So haben wir zwar immer noch nicht das gemeinsame Essen danach und schmücken auch nicht die Kirche, aber es überträgt sich doch etwas vom gemeinsamen Überlegen und Beten. Wenn ich nicht dabei gewesen wäre, wäre es dazu wohl nicht gekommen. Das soll gar keine Selbstbeweihräucherung sein, sondern zeigen, dass gerade dieses Jahr viele Weltgebetstagsteams – so vermute ich – keine Möglichkeit finden, miteinander vorzubereiten oder zu feiern.
Kein Patentrezept, sondern Träume
Ich habe natürlich auch kein Patent-Rezept, wie der Weltgebetstag weiterzugeben wäre. Ja, es gibt auch Weltgebetstags-Kindergottesdienstmaterial usw., aber bis jetzt habe ich kein früheres Kindergottesdienstkind im späteren Vorbereitungsteam erlebt. Das mag auch an meiner beschränkten Erfahrung liegen. Ich habe für die nächsten Weltgebetstage aber gleich mehrere Träume. Und ich glaube, einige davon würden vielleicht auch andere ansprechen, die sich bisher nicht mit dem Weltgebetstag beschäftigten.
Ich träume davon, dass die Forderung und Gebetsbitte nach Geschlechtergerechtigkeit ganz deutlich alle Geschlechter einbezieht und sowohl verschiedene sexuelle Orientierungen als auch geschlechtliche Identitäten außerhalb der Binarität Einkehr in den Weltgebetstag finden.
Ich träume davon, dass es kein festes Gottesdienstheft gibt, sondern jede*r auf gemeinsame Bausteine aufbaut, aber mehr Freiheit für Tiefenbohrungen gegeben wird.
Ich träume davon, dass es Video-Statements von den Frauen aus den Themenländern gibt, die entweder direkt abgespielt werden oder von denen im Gottesdienst berichtet wird.
Ich träume davon, dass sich nie wieder verkleidet wird oder in „Ich“-Form von anderen Lebensrealitäten berichtet wird.
Ich träume davon, dass – Achtung, konfessionelle Polemik – es weniger werkgerecht im Verkündigungsteil zugeht.
Ich träume davon, dass sich nächstes Mal eine aus dem Vorbereitungsteam hier vor Ort daran erinnert, warum da „Heilige Geistkraft“ steht statt „Heiligem Geist“.
Ich träume davon, dass es nächstes Mal ein gutes Fudge-Rezept gibt und wir wieder zusammen essen können.
Neue Kolumne: Sektion F
In unserer neuen Kolumne „Sektion F“ schreibt Carlotta Israel im Frühjahr 2021 über Feministische Theologie in Kirche und Wissenschaft. Warum gilt Feministische Theologie an der Universität immer noch als Orchideenfach? Was haben Feminist:innen unterschiedlicher Generationen einander zu sagen? Welche feministischen Fragestellungen können die Diskussion in Kirche und Gesellschaft bereichern? Als Feminismus-Agentin begibt sich Carlotta Israel für uns auf die Spuren des Feminismus in Kirche und Theologie.