Kirche

Hillsong: Willkommen in der Hölle?

Über alte und neue Skandale ist der Gründer der Hillsong Church Brian Houston gestolpert. Eine neue Doku erzählt vom Aufstieg der globalen Marke Hillsong – und ihren Opfern:

Eine christliche Jugend ohne Hillsong ist vorstellbar, aber unwahrscheinlich. „Shout to the Lord“, „Draw me close to you“ und „Oceans (Where Feet May Fail)“ sind nicht nur Pophymnen, die Charterfolge wurden, seit den 2000er-Jahren dominiert die Worship-Musik der australischen Kirche die christliche Musikszene. Hillsong-Musik findet Millionen Hörer:innen und Zuschauer:innen in den Sozialen Netzwerken und in allen christlichen Kirchen des Landes, längst nicht mehr nur bei Jugendlichen. Die begeisterten Worshipper sind älter geworden, haben Familien gegründet und ihrerseits Kinder.

„Es geht nicht um Musik oder um Lobpreis, sondern um Geld. So bitter, so einfach ist es“, berichtet hingegen Craig Carson, ein ehemaliger Freiwilliger von Hillsong Los Angeles in dem neuen Dokumentarfilm „Hillsong: A Megachurch exposed“. Die dreiteilige Doku des US-Senders Discovery Plus fasst die komplizierte Geschichte von Hillsong zusammen und beleuchtet Vorwürfe von Expert:innen sowie ehemaligen Mitgliedern der Kirche, deren Hillsong-Erfahrungen zutreffend nur als Höllentrip zusammengefasst werden können. Von Deutschland aus ist die Doku auf dem Discovery+-Kanal bei Amazon Prime zu sehen, insofern man einen US-Amazon-Zugang benutzt.*

Was Christ:innen hierzulande vor allem als hippe Worship-Musik bekannt ist, ist nur ein Arbeitszweig einer global agierenden „spiritual company“, wie die Journalistin und Autorin Elle Hardy Hillsong nennt. Im deutschsprachigen Raum ist Hillsong auch eine kleine evangelische Freikirche mit sieben Gemeinden u.a. in Berlin, Düsseldorf und Wien. Angaben über die Größe der Gemeinden und die Zusammenarbeit mit der internationalen Hillsong-Organisation wollte Hillsong Deutschland gegenüber der Eule nicht machen. Im Zentrum der Hillsong-Unternehmen steht jedenfalls die Hillsong Church in Australien, die 1983 aus einer Gemeinde des pfingstlerischen Verbandes Assemblies of God heraus entstand.

Skandale um Kirchengründer Brian Houston

Die Gründungszeit der Kirche ist in den vergangenen Monaten deshalb in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt, weil Hillsong-Chef Brian Houston vorgeworfen wird, die Missbrauchsverbrechen seines Vaters Frank vertuscht zu haben.

Frank Houston, der als Pastor der Vorgänger-Kirche von Hillsong wirkte, hat in den 1960er- und 1970er-Jahren mindestens acht Jungen missbraucht. Die Enthüllung seiner Missbrauchsverbrechen und ihrer Vertuschung durch die Kirchenleitung der Assemblies of God in Australien unter Führung seines Sohnes Brian ist maßgeblich der Royal Commission zur Aufarbeitung von Kindesmissbrauch in Institutionen zu verdanken.

Brian Houston Predigt bei einem Gottesdienst im November 2021, Hillsong Church (Screenshot YouTube)

Frank Houston ist inzwischen verstorben, doch auch Brian Houston hat sich wohl strafbar gemacht. Nach australischem Recht ist jede:r verpflichtet, Informationen über ein mögliches schweres Verbrechen wie Kindesmissbrauch an die Behörden weiterzuleiten. Das hat er nicht getan.

Im Anschluss an den Bericht der Royal Commission 2015 wurde trotzdem zunächst keine Anklage gegen Brian Houston erhoben. David Shoebridge, Anwalt und Abgeordneter im Oberhaus von New South Wales, erklärt diese Zurückhaltung in der Doku mit den hervorragenden Verbindungen Houstons in die australische Politik. Erst im Herbst 2021 wurde Houston angeklagt und legte daraufhin im Januar 2022 sein Amt als „Global Lead Pastor“ temporär nieder.

Am 23. März trat Houston dann von diesem Amt zurück, nachdem eine interne Untersuchung ihm Fehlverhalten im Umgang mit zwei Frauen nachgewiesen hatte. Wie die New York Times berichtet, habe Houston einer Frau „unangemessene Textnachrichten“ gesendet und einige Jahre später mit einer weiteren Frau in deren Hotelzimmer Zeit mit ihr alleine verbracht. Beide Fehlverhalten erklärt die Kirche mit einer Alkohol- und Medikamentensucht, die Houston seitdem aber im Griff habe. Weitere Beschwerden über Houston, so die Hillsong Church gegenüber der Times, seien nicht eingegangen.

Über den neuerlichen Skandal um Houston droht die Hillsong Church nun zu zerbrechen: Mindestens neun US-amerikanische Hillsong-Gemeinden haben sich inzwischen von der internationalen Organisation losgesagt, ehemals hofierte Prominente wenden sich ab. Den Rücktritt Houstons sowie den Verbleib von Bobbie Houston, seiner Ehefrau und Kirchenmitgründerin, im Amt der „Global Lead Pastor“ wollte Hillsong Deutschland gegenüber der Eule nicht kommentieren. Auch unsere Frage, ob die Hillsong-Gemeinden im deutschsprachigen Raum weiterhin Teil der Hillsong-Organisation bleiben wollen, blieb bis dato unbeantwortet.

Vom Aufstieg einer globalen Marke

Neben der Verstrickung von Brian Houston in die Missbrauchsverbrechen seines Vaters erzählt „Hillsong: A Megachurch exposed“ eine atemberaubende Geschichte vom Aufstieg (und Fall) eines globalen christlichen Unternehmens, das als Kirche firmiert, aber unter seinen Anhänger:innen „keine Jünger:innen, sondern Konsument:innen“ hervorbringt. Dabei geraten auch Praktiken von Hillsong unter Verdacht, die unter Christ:innen als vorbildlich gelten.

So werden die Gottesdienst-Teilnehmer:innen am Eingang freundlich willkommen geheißen („Welcome home!“) und Ehrenamtliche kümmern sich um die leiblichen und seelischen Bedürfnisse von Besucher:innen. Insbesondere in den USA, wohin Hillsong in den 2010er-Jahren expandierte, pflegt man ein Image der Inklusivität. „Der Kunde hat immer Recht“, erklärt Elle Hardy. Nach diesem Grundprinzip begegne man Besucher:innen, denen man verspreche, sie seien „so willkommen, wie sie sind“. Gleichwohl steht diese „Willkommenskultur“ im starken Kontrast zur eigentlichen Verkündigung, die von evangelikalen-charismatischen Überzeungen und insbesonderer einer strikten purity culture geprägt ist.

„Ich habe die Hillsong-Gottesdienste als besonders gelungene Veranstaltungen im Stile eines TED-Talks wahrgenommen“, berichtet eine ehemalige Gottesdienstbesucher:in aus New York. Besonders in der US-Metropole hatte Hillsong zeitweise großen Erfolg, der sich vor allem Carl Lentz verdankte. Lentz‘ Geschichte wird vornehmlich im zweiten Teil der Dokumentation erzählt und ist für US-Megachurches nicht untypisch: Ein attraktiver und charismatischer Prediger kommt zu Ruhm, umgibt sich mit Prominenten und genießt den Luxus von Bekanntheit und Reichtum, verfängt sich in einem Netz aus Heuchelei und Überforderung, und stolpert zuletzt über eine außereheliche Affäre.

Insofern ist Lentz‘ Geschichte, über die in den USA auch zuvor ausführlich berichtet wurde, weder neu noch außerhalb des Vorstellungsrahmens, den hunderte gleichartige Skandale in US-Megachurches gesetzt haben. Was „Hillsong: A Megachurch exposed“ so drängend macht, ist allerdings, wie der Aufstieg und Fall von charismatischen geistlichen Leitern wie Houston und Lentz‘ in eine dynamische Erzählung über die Hillsong Church eingebunden werden. Die Message der Film-Autor:innen ist klar: Hillsong ist von Grund auf verdorben.

In diese große Erzählung werden verwoben: Die Ursprünge der Kirche in der Pfingstkirche von Frank Houston, der „Welteroberungsplan“ von Brian Houston („The Church I see“), das globale Wachstum der Organisation auf dem Rücken der Worship-Musik, die Halsabschneiderei bei Konzerten und Konferenzen, Carl Lentz‘ Celebrity-Kult in den USA, der geistliche Missbrauch und die Ausbeutung der Arbeitskraft von Ehrenamtlichen in den Gemeinden und von Student:innen des Hillsong-Colleges, die Vertuschung von sexuellen Übergriffen und Missbrauchsverbrechen sowie das Streben nach politischem Einfluss in Australien und den USA. Als Zuschauer:in kann man sich diesem Narrativ ebenso schwer entziehen wie dem Emotionen-Spektakel eines Hillsong-Worship-Gottesdienstes.

Eine Kirche für das Instagram-Zeitalter

Einige Aspekte der Hillsong-Geschichte scheinen aus der Perspektive von Christ:innen und Gemeinden im deutschsprachigen Raum weniger interessant: Zwielichtige Geschäfte mit der Gutmütigkeit von Gläubigen werden durch die laxe Gesetzgebung insbesondere in den USA erst ermöglicht, schließlich ist auch der „spirituelle Markt“ für derlei Angebote dort sehr viel größer als in Europa.

Hyper- und Doppelmoral charismatischer Prediger, der tiefe Fall von spirituellen „Superstars“ sowie Heuchelei um Enthaltsamkeit und Sexualität finden sich in hießigen Kirchenkulturen deutlich seltener und auf viel niedrigerem Niveau. In diesem Sinne ist Hillsong sowohl ein Produkt des anglo-amerikanischen Kapitalismus wie eine popkulturelle Fortentwicklung des Pfingstkirchentums. Das bei Hillsong vorherrschende Wohlstandsevangelium ist eindeutig nicht Kern der Verkündigung in der Mehrzahl der evangelischen Freikirchen im deutschsprachigen Raum.

Doch stellt „Hillsong: A Megachurch exposed“ auch Fragen, die für Gemeinden und Christ:innen hierzulande relevant sind: Kann eine „Willkommenskultur“ wie bei Hillsong auch eine Manipulation sein? Wann ist ein Angebot, das sich als christlich versteht, nicht mehr nur besonders zugänglich, sondern macht süchtig? Wie können Jugendliche und vulnerable Menschen vor geistigem Missbrauch geschützt werden? Und welche Rolle spielen dabei die hypnotische Wirkung des Worships und die emotionale Überwältigung in den Gottesdiensten?

Auch auf die Frage, ob die Darstellung von Hillsong in der Doku der Realität in den Gemeinden in Deutschland, Österreich und der Schweiz entspricht, hat die Eule keine Antwort von Hillsong Deutschland erhalten.

Die Skandale um die Hillsong Church sind – ähnlich wie die um Billy Hybels und Willow Creek oder John Ortberg und die Menlo Church – für die hießige Kirchenlandschaft auf der institutionellen Ebene kaum relevant. Kulturell und im Blick auf christliche Medien sieht das ganz anders aus, wie ein ehemaliger Freiwilliger zusammenfasst: „Hillsong ist die Kirche für das Instagram-Zeitalter“. „Hillsong: A Megachurch exposed“ ist deshalb auch und besonders für diejenigen ein sehenswertes Bildungserlebnis, die mit Hillsong bisher vor allem oder ausschließlich gängige Worship-Musik verbanden.

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* Wir haben die Information zur Zugänglichkeit aus Deutschland auf Nachfrage aus der Leser:innenschaft hin noch einmal konkretisiert. (9.4.2022)