Eule-Live „Du sollst dir kein Bild machen“

Ein Jesus-Experiment und die „Ethik des Unterlassens“

Wie funktionieren „KI“-generierte Bilder und was sagen sie über uns Menschen aus? Nils Pooker erklärt und kritisiert die Bildwelten, in die uns generative Künstliche Intelligenz entführen will.

Am Abend des 15. Oktober trafen wir uns zum zweiten Eule-Live-Abend in diesem Jahr, um mit Nils Pooker über digitale Bildwelten und insbesondere die Produktion und Rezeption von „KI“-Bilder nachzudenken. „Du sollst dir kein Bild machen!“, hatten wir als Titel über den Abend gestellt, weil im Bilderverbot aus dem Dekalog sowohl die Frage danach aufbewahrt ist, ob „KI“-Bilder die Götzenbilder unserer Zeit sind, als auch Pookers Vorschlag, sich angesichts der „Bilderflut“ in eine „Ethik des Unterlassens“ einzuüben.

Seit dem Frühjahr 2022 sind bildproduzierende Werkzeuge auf Basis von generativer Künstlicher Intelligenz (genAI) Teil unseres Lebens in der Digitalität. Viele Menschen haben Midjourney, ChatGPT, Grok & Co. inzwischen ausprobiert. Von Beginn an wurden die Werkzeuge nicht nur zum harmlosen Ausprobieren von Prompts (Befehle der Nutzer:innen an die Werkzeuge), Erkunden des Ausgangsmaterials (aus einer Reihe von Datenbanken voller digitaler und digitalisierter Bilder) oder des Variantenreichtums bzw. der Variantenarmut genutzt, sondern dienen auch unmittelbar wirtschaftlichen und propagandistischen Zwecken.

Der Stand der Dinge: Hype und Blase

Spätestens im Jahr 2025 haben digitale Bilder, die mit Hilfe von generativer Künstlicher Intelligenz, die von der allgemeinen Künstlichen Intelligenz unterschieden werden muss*, die Social-Media-Plattformen erobert. Sie werden in der Werbung ebenso eingesetzt wie bei Scams und unseriösen Angeboten, in der Pornografie wie auch in der politischen Kommunikation. Dabei ist, wie Roland Meyer auf der re:publica und in der FAZ (€) dargestellt hat, eine Vorliebe des Trumpismus und (Proto-)Faschismus für die genAI-Bildnutzung deutlich zu bemerken. Die reichweitenstärksten Multiplikatoren von „AI-Slop“ (vulg. „KI-Schrott“) sind Elon Musk und der Kreis um US-Präsident Donald Trump.

Inzwischen liefern die genAi-Bildwerkzeuge wie auch ihre genAI-Geschwister für Texterstellung (LLMs wie z.B. ChatGPT, Perplexity) und Video-Produktion (z.B. Sora) im Vergleich zum Jahr 2022 deutlich verbesserte Ergebnisse, die Nutzer:innen durchaus über ihre Herkunft täuschen können. „KI“-Bilder von menschlichen Figuren haben längst nicht mehr vier oder sechs Finger an jeder Hand.

Beim Eule-Live-Abend mit dem Konzeptkünstler und KI-Kritiker Nils Pooker haben wir uns ganz auf die digitale Bildproduktion mittels genAI konzentriert und die anderen Formen der „KI“-Produktion weitgehend ausgeblendet. Ebenso stand die Moral der Lieferkette der Bilder nicht im Vordergrund. Generative KI verbraucht sehr viel Strom und Wasser. Ihre Ergebnisse basieren auf zusammengeklaubten und häufig genug zusammengeklauten Digitalisaten. Insbesondere Menschen in kreativen Berufen wie der Illustration und Übersetzung haben damit zu kämpfen, dass sie mittels „KI“-Produktion im Grunde enteignet werden.

Nutzerseitig werden die wahren Kosten der Bilderstellung externalisiert und gegenwärtig vollständig von Risikokapital gedeckt. Kapitalgeber:innen, KI-Unternehmen, Anwendungsentwickler:innen und der Chip-Hersteller NVIDIA gehen – häufig untereinander – immer neue Wetten darauf ein, dass sich irgendwann (a) genug willige Endnutzer:innen finden, die für die Nutzung von „KI“-Werkzeugen bezahlen wollen, oder (b) sich industrielle Anwendungen für ihre digitalen Maschinen entwickeln, die wirtschaftlich betrieben werden können.

Im Herbst 2025 stehen wir vielleicht nicht am Ende, doch sicher nicht mehr am Anfang des Hypes um generative KI. Viele Nutzer:innen haben inzwischen nicht nur den Umgang mit den Werkzeugen erprobt, sondern sind auch geübter in der Begegnung mit ihren Erzeugnissen. Die „KI“-Wirtschaft ist eine riesige Blase, deren Platzen viele Wirtschaftsexpert:innen in nächster Zukunft erwarten. Generative KI ist Teil des Datenkolonialismus bzw. digitalen Kolonialismus, die oft verdrängte Facetten unseres gegenwärtigen Lebens in der Digitalität sind.

„Plausibel, überzeugend und generisch“

Als „Simulationen menschlicher Artefakte“ bezeichnet Nils Pooker die „KI“-Bilder, die uns inzwischen täglich im Netz begegnen. Sie basieren auf der „Flut“ digitaler Bilder, in der wir seit der Verbreitung der digitalen Fotografie und noch mehr des Smartphones leben: Über 5 Milliarden Fotos werden jeden Tag auf dem gesamten Erdball mit Smartphones aufgenommen, gut 150 Millionen von ihnen landen im Internet.

„KI“-Bilder sind ein zutiefst digitales Phänomen. Die Penetration des analogen Teils unseres Alltags mit „KI“-Bildern hat gerade erst eingesetzt. Für den Wechsel in analoge Sphären müssen „KI“-Bilder merkliche Hürden überspringen, im digitalen Raum, so Pooker, sind sie aber „unmittelbar anschlussfähig an die bestehende Bildumgebung“. Schließlich schießen wir mit unseren Smartphone-Kameras auch nicht einfach ein Foto, sondern lösen mit dem Fingerzeig auf den Auslöser einen komplizierten Rechenprozess aus, in dem ein bereits idealisiertes Bild aus mehreren Aufnahmen entsteht. An diese perfektionierte Fotografie knüpfen die genAI-Rechenmodelle an. Unseren Augen, die an digitale Bilder gewöhnt sind, erscheinen „KI“-Bilder auch deshalb als plausibel und überzeugend.

Auf Grundlage der Nutzer:innen-Befehle (prompt) und eines Fundus‘ von bestehenden Bildern (source material) errechnet generative KI Bilder, die so aussehen, wie wir uns Dinge vorstellen. Die Bilder sind „generisch“, jedoch nicht einfach „klischeehaft, sondern bewegen sich in einem Rahmen der Kontingenz“. Weil sie wahrscheinliche Abfolgen von Pixeln sind, liegen die Bilder im Rahmen dessen, was wir für möglich halten: „Es ist vielleicht KI, aber es stimmt trotzdem“. Als „Simulationen plausibler Muster“ und „Illusionen faktischer Authenzität“ können „KI“-Bilder nur deshalb funktionieren, weil wir Menschen alle Bilder „instantan und unbewusst“ wahrnehmen, erklärt Pooker.

Andere Beobachter:innen haben den Verbleib von „KI“-Bildern im Erwartungsrahmen als „Diktatur des Mittelmaßes“ bezeichnet. Die Bilder reproduzieren Klischees und Vorurteile, die in der Gesellschaft bereits prävalent sind – und je nach Quellenmaterial sogar deutlich überrepräsentiert zutage treten. Die in Gera geborene Kulturwissenschaftlerin Annekathrin Kohout erklärt in der taz „KI“-Bilder als „Ausdruck einer kollektiven visuellen Imagination“. Sie warnt gerade deshalb davor, „die neue Technik den Rechten zu überlassen“. Was wir sehen, auch Nostalgie und Kitsch, sei nicht per se nur rechten Bildwelten eigen, so Kohout. Im Begriff „KI-Schrott“ kehre zudem eine „bildungsbürgerlich geprägte Kritik der Massenkultur wieder“.

Jesus als blutiger Heldenkönig

Beim Eule-Live-Abend löste Nils Pookers bildreicher Vortrag immer wieder Aha- und Irritationserlebnisse aus. Was macht die „KI“-Bilder trotz ihrer Ähnlichkeit zu Produkten unserer menschlichen Phantasie so atemberaubend? Statt von Kitsch spricht Nils Pooker lieber von einer „Überwältigungsästhetik“ der „KI“-Bilder. Die Bilder seien in ihrer Darstellung „überhöht und dramatisiert“. Annekathrin Kohout nennt dieses Phänomen einen „bizarren Hyperrealismus„.

Vielleicht macht gerade das die neue Technik so attraktiv für die Autoritarismus-Fans unserer Gegenwart? Faschistoide und libertäre Bewegungen ebenso wie neo-charismatische Strömungen des Christentums finden in den „KI“-Bildern jene emotionale Übersteuerung abgebildet, von der sie sich ernähren – und die sie immer wieder aktualisieren und erzeugen.

Nachvollziehen lässt sich das leicht anhand jenes Bildes, das wir auch zur Bewerbung des Eule-Live-Abends eingesetzt haben. Auf dem „KI“-Bild des Unternehmens Pray.com, über dessen Bildwelten npr (auf Englisch) ausführlich berichtete, sitzt Jesus als König auf einem überdimensionierten goldenen Thron. Nils Pooker erklärte den Teilnehmer:innen die Bildkomposition, in der alle Bestandteile der Abbildung auf den in der Mitte dargestellten, überaus muskulösen Herrscherkönig hinweisen.

Mit dem durchs Land wandernden, predigenden und zuweilen zärtlichen Zimmermannssohn oder dem gedemütigtem, am Kreuz verendenden Heiland hat die blutüberströmte Heldenfigur des „KI“-Bildes wenig gemein. (Dass obendrein ihre Hände völlig überdimensioniert sind und sie, statt auf dem Thron zu sitzen, recht unbequem herumhockt: geschenkt.)

Ist eine solche triumphalistische Jesus-Darstellung, gerade wenn sie doch mindestens Aspekte der menschlichen Erwartungen an Gottheiten widerspiegelt, nicht gerade mit dem Bilderverbot des Dekalogs gemeint? Gleicht dieser „KI“-Remix von Jesus-Reproduktionen nicht einem Götzenbild? In „KI“-Bildern werden wir (mindestens) einem Echo unserer digitalen Bildproduktion angesichtig. Sind sie gar Abbild unserer Sehnsüchte? Kommt, wenn wir in „KI“-Bildern tatsächlich uns selbst gegenüberstehen, Ludwig Feuerbachs Religionskritik, nach der „Gott“ eine Projektion des menschlichen Wollens ist, doch zu ihrem Recht? „Die KI“ kann uns nicht Jesus oder Gott zeigen, sondern nur einen Fetisch?

Beim Eule-Live-Abend führt Nils Pooker mit den Teilnehmer:innen ein Jesus-Bild-Experiment durch. Entspricht diese Darstellung von Jesus (s.o.) nicht dem Bild, das sich aufgeklärte, gut informierte Zeitgenoss:innen heute vom Mann aus Nazareth machen? Alter und Erscheinung der abgebildeten Person passen jedenfalls dazu, wie wir uns heute einen plausiblen Jesus denken – also nicht (mehr) als weißen, blonden und stets milde lächelnden Jüngling, wie er uns so häufig in christlicher Kunst und Alltagswelt entgegenschreitet. Allein, um dieses „KI“-Bild zu generieren, hat Pooker sich nicht ein Jesus-Bild herbeigepromptet, sonern ließ „die KI“ einen Terroristen generieren. (Und ein Terrorist hat auf Grundlage des Quellenmaterials ein muslimischer Araber zu sein.)

Eine „Ethik des Unterlassens“

Wie sollten wir nun also mit generativer KI und ihren Bildern umgehen? Nils Pooker empfahl den Teilnehmer:innen des Eule-Live-Abends mit Bazon Brock: „Wir fordern Sie auf, alles in Ihrer Macht stehende zu unterlassen!“ Kann es, so diskutierten wir, eine nicht-faschistoide, nicht-autoritäre Nutzung der „KI“-Bildwerkzeuge überhaupt geben? Können wir mit ihrer Hilfe nicht sogar Gegenbilder zum „KI-Schrott“ von Elon Musk, Donald Trump und Online-Betrügern entwerfen?

Pooker verwies auf Gavin Newsom, den Gouverneur von Kalifornien und Poster-Boy der US-Demokraten, der auf Social-Media-Plattformen mit „KI“-Bildern gegen die Propaganda der „Make-America-Great-Again“-Bewegung antritt. Seine bisherigen Versuche stellen jedoch eher eine Fortsetzung statt einen Bruch des „MAGA“-Bildprogramms dar. Das Quellenmaterial scheint unhintergehbar zu sein.

Ein „KI“-Bild, das Gavin Newsom zeigen soll und von seinem Kommunikationsteam auf der Plattform X geteilt wurde.

Die durchaus seltenen „KI“-Posts des Newsom-Teams stehen auf dessen Social-Media-Accounts ziemlich isoliert zwischen tausenden anderen Bildern und Videos vom realen Newsom. Demgegenüber produziert „Team Trump“ täglich ein neues „KI“-Propagandabild, quellen insbesondere TikTok, X und die Social-Media-Plattformen des Meta-Konzerns in diesen Tagen von „KI“-Bildern und -Videos förmlich über.

Führen die Überbietungsästhetik und die scheinbar unbegrenzte und „günstige“ Produktion automatisch zu einem maßlosen Einsatz der Technik? Was tun? Wenn schon nicht absolute Enthaltsamkeit bei der Produktion von „KI“-Bildern angesagt ist, dann doch aber sicher Mäßigung und vor allem die kritische Selbstbefragung, ob und wozu genau es eine „KI“-Generierung überhaupt braucht.

Können mit „KI“ wenigstens harmlose Illustrationen produziert werden, vielleicht sogar für den Gemeindebrief? Jenseits der Moral der Lieferkette (s.o.) spielt für die Nutzung von „KI“-Bildern in Kirche und Theologie sicher auch die Erwartung an Christ:innen und ihre Organisationen eine Rolle, wahrhaftig und authentisch zu kommunizieren – auch auf digitalen Pfaden.

Kann generative KI beispielsweise ein Bild mit Kerze, Brot und Kelch für die Illustration einer Gemeindewebsite herstellen, ohne mit dieser Erwartung in Konflikt zu geraten? Sicher. Aber derart generische Bilder finden sich in Bilddatenbanken zur Genüge. Mit der Darstellung von Menschen, die es gar nicht gibt, ist diese Grenze aber wohl überschritten. Und was verraten die Bilder, die wir mit „KI“ machen, eigentlich darüber, wie wir uns die Kirche imaginieren?


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* In diesem Text wird „KI“ an entsprechenden Stellen in Anführungszeichen geschrieben, um die generative Künstliche Intelligenz (genAI) der Gegenwart von Ideen von allgemeiner Künstlicher Intelligenz abzugrenzen.

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