Kirchenasyl in Bremen

Räumung verhindert

In Bremen wurde die Räumung eines Kirchenasyls nur durch den friedlichen Protest von Unterstützer:innen verhindert. Erhält auch in Bremen Law & Order den Vorrang vor Humanität und Nächstenliebe?

In der Nacht zu Dienstag haben Bremer Behörden versucht, einen 25 Jahre alten Mann aus Somalia aus einem Kirchenasyl heraus festzunehmen und abzuschieben. Der Mann soll nach Finnland überstellt werden, weil er dort aus Russland kommend zuerst in die Europäische Union eingereist war. Es handelt sich also um einen sog. „Dublin-Fall“ (mehr dazu hier & hier in der Eule).

Die Räumung des Kirchenasyls wurde von über 100 Unterstützer:innen verhindert: Gemeindepastor Thomas Lieberum ließ die Glocken läuten, Gemeindemitglieder und weitere Unterstützer blockierten den Zugang zum Gemeindezentrum Zion in der Kornstraße. Dutzende Menschen übernachteten in Schlafsäcken in dem Gotteshaus, um einen möglichen weiteren Abschiebeversuch zu verhindern, berichtet Radio Bremen.

Es ist das erste Mal, dass in Bremen ein Kirchenasyl von der Polizei geräumt werden sollte. Damit setzt sich die Reihe von Räumungen von Kirchenasylen fort, über die wir hier in der Eule bereits im Frühsommer 2024 berichtet hatten. In den vergangenen Monaten war es in verschiedenen Bundesländern zu mindestens acht Räumungen von Kirchenasylen in Deutschland gekommen. Zuletzt wurden im September Kirchenasyle in Wuppertal – wir berichteten – und in Hamburg aufgelöst.

Das Kirchenasyl ist in Deutschland nicht gesetzlich geregelt, wird aber „als Ausdruck einer christlich-humanitären Tradition“ üblicherweise vom Staat respektiert. Über die Rahmenbedingungen der Durchführung von Kirchenasylen haben sich Staat und Kirchen im Jahr 2015 (und aktualisiert 2022) in einer Verabredung zwischen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und den Kirchen verständigt. Diese sieht eine Einzelfallprüfung anhand von Dossiers vor, die Kirchenasylnehmende und ihre Unterstützer:innen dem BAMF zur Verfügung stellen. Kirchenasyle werden von kirchlichen Ansprechpartner:innen dem BAMF und örtlichen Ausländerbehörden gemeldet. Ein Zugriff durch die Behörden auf die Menschen, die in einem Kirchenasyl Schutz suchen, ist jederzeit möglich, stellt aber einen Verstoß gegen die eigentlich bestehenden Verabredungen dar.

„Es wird in Zukunft häufiger zu Räumungen kommen“, hatte Benjamin Kern vom Ökumenischen Netzwerk Asyl in der Kirche in NRW im Eule-Interview im September 2024 diagnostiziert. Laut Kern haben 95 % Prozent aller gegenwärtigen Kirchenasyle in Deutschland einen „Dublin-Hintergrund“: „98 % der Kirchenasyle enden so, wie wir uns das vorstellen. In Dublin-Fällen heißt das zum Beispiel, dass die Überstellungsfrist abläuft und die Menschen hier in Deutschland in das reguläre Asylverfahren kommen.“

Bei den (versuchten) Räumungen der vergangenen Monate handelt es sich also um Einzelfälle, die allerdings in den Kirchen für Irritationen sorgen und geeignet sind, das vertrauensvolle Miteinander von Staat und Kirchen nachhaltig zu beschädigen. Vertreter:innen der beiden großen Kirchen haben in den vergangenen Monaten mehrfach öffentlich das Kirchenasyl verteidigt, so die EKD-Ratsvorsitzende, Bischöfin Kirsten Fehrs, auf dem politischen Sommerempfang der EKD in Berlin, und zuletzt auf der EKD-Synode im November.

Räumungsversuch nach der Party

Die versuchte Räumung in Bremen fand im Gemeindezentrum Zion der Gemeinde Bremen-Neustadt statt, die zur Bremischen Evangelischen Kirche (BEK) gehört. Die BEK ist eine Gliedkirche der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Der Räumungsversuch „scheiterte am Widerstand des Pastors und rund hundert Menschen, die sich spontan mit dem Somalier solidarisierten“, berichtet die KNA. Die Unterstützer:innen begründeten ihren Widerstand damit, das BAMF hätte das Einzelfalldossier des Mannes aus Somalia nicht geprüft.

Gegenüber dem Regionalnachrichtenmagazin „buten un binnen“ von Radio Bremen erklärt der Anwalt des Schutzsuchenden Mannes aus Somalia, dieser habe in Finnland „Gewalterfahrungen durch die Behörden“ erlitten und wolle darum nicht in das skandinavische Land zurückkehren. Auch Pastor Thomas Lieberum von der Zionskirche ist überzeugt, dass er in Deutschland besser aufgehoben sei: „Er hat hier Freunde und Familie, fühlt sich sicher“, erklärte gegenüber Radio Bremen. Auch in der Nacht zu Mittwoch versammelten sich nach Informationen der Eule mehrere hundert Unterstützer:innen im Gemeindezentrum, um einen möglichen weiteren Räumungsversuch abzuwenden.

Das Gemeindezentrum Zion ist im Stadtviertel sehr gut vernetzt und beherbergt in seinen Räumen seit vielen Jahren Menschen, die in Kirchenasylen Schutz suchen. Die Gemeinde, die ihre Räumlichkeiten zahlreichen Vereinen und Initiativen zur Verfügung stellt, gilt in der ohnehin eher liberalen Bremischen Kirchenlandschaft als besonders „links“. Es ist darum wenig überraschend, dass ein Räumungsversuch auf den zivilen und gewaltfreien Widerstand der Unterstützer:innen vor Ort trifft. Anders als zum Beispiel in Wuppertal, Hamburg, Viersen und Schwerin konnte die Räumung daher nicht erfolgreich durchgeführt werden.

Bemerkenswert ist auch, dass der Räumungsversuch in der Nacht zu Dienstag in unmittelbarer zeitlicher Nähe zum traditionellen Jahresempfang der Bremischen Evangelischen Kirche am Montagabend stattfand. Auf dem Empfang hatte der Bremer Regierungschef, Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD), der Kirche noch ausdrücklich für ihr Engagement für Geflüchtete und gegen Rechtsradikalismus gedankt: „Lassen Sie uns gemeinsam dafür eintreten, dass wir im Gespräch bleiben, dass in Bremen und Bremerhaven Hass und Hetze auch in Zukunft keinen Platz haben. Damit Bremen und Bremerhaven weltoffene, friedliche und liebenswerte Städte bleiben.“

Eine Stellungnahme Bovenschultes zur gescheiterten Räumung steht noch aus. In den vergangenen Monaten hatte der SPD-Politiker mehrfach seine Partei kritisiert, die in der Ampel-Bundesregierung die neuen Verschärfungen der Migrationspolitik mitgetragen hatte.

„Ein wichtiger, unverletzlicher Schutzraum in besonderen Härtefällen“

Warum BAMF, Bremer Ausländerbehörde und Polizei ausgerechnet das Kirchenasyl in Zion räumen wollten, ist eine offene Frage. Aktuell gibt es in Bremen zwölf Kirchenasylfälle, in diesem Jahr waren es bisher bereits rund 100, informiert die BEK. Jedes Kirchenasyl werde vorab intensiv geprüft, erklärte Pastor Bernd Kuschnerus, der Schriftführer der Bremischen Evangelischen Kirche, im Nachgang der versuchten Räumung. Die allermeisten Anfragen würden ohnehin abgelehnt: „Wer in Gemeinden der Bremischen Evangelischen Kirche nach dieser intensiven Einzelfallprüfung Kirchenasyl bekommt, hat aus unserer Sicht tatsächlich tragfähige Gründe.“

Das BAMF habe, so Kuschnerus weiter, die Ablehnung des Falls des Somaliers nach der Übergabe des Einzelfalldossiers nicht begründet, wie es die Verabredung zwischen Kirchen und BAMF eigentlich vorsieht: „Uns geht es darum, dass rechtsstaatliche Verfahren eingehalten werden und es nicht zu pauschalen Ablehnungen kommt.“ Das Kirchenasyl sei „kein rechtsfreier Raum“, so Kuschnerus weiter, man habe aber in Deutschland ein Asylrecht – „und wir wollen, dass das eingehalten wird“: „Das Kirchenasyl ist und bleibt ein wichtiger, unverletzlicher Schutzraum in besonderen Härtefällen.“

In seiner Erklärung bedauert Kuschnerus das Vorgehen der Behörden ausdrücklich: „Ich empfinde dies als ein deutlich anderes Vorgehen, als wir es bisher erlebt haben.“ Er äußerte die Erwartung, dass man „zu dem bisherigen guten Einvernehmen zwischen Staat und Kirchen zurückkehren“ könne: „Die Fluchtgründe der Menschen, ihre Schicksale, ihre Erfahrungen mit Gewalt und Folter lassen uns nicht kalt.“ In der BEK gibt es nach Informationen der Eule erhebliche Irritationen über das Agieren der Behörden: Eine gewaltsame Räumung eines Kirchenasyls habe man in Bremen nicht für möglich gehalten.

Schriftführer Kuschnerus nimmt in seiner Erklärung auch Bezug auf den weiteren politischen Kontext, in dem der Räumungsversuch stattgefunden hat: „Wir sehen, dass die Behörde und der Innensenator politisch unter Druck stehen. Die politische Stimmungslage mag schwierig sein, als Kirche fühlen wir uns verpflichtet die einzelnen Menschen im Blick zu haben. Unser Auftrag ist, ihnen zur Seite zu stehen.“

Der Bremer Innensenator, Ulrich Mäurer (SPD), kritisierte nach der gescheiterten Räumung die Kirche scharf: Die Kirchengemeinde „stelle den Rechtsstaat in Frage“, erklärte er gegenüber Radio Bremen. Er verlangte ein klärendes Gespräch mit der BEK. CDU, FDP und Bündnis Deutschland (ehem. Bürger in Wut, ehem. Schill-Partei) in der Bremischen Bürgerschaft, dem Landesparlament, kritisierten „den Widerstand der Kirchengemeinde gegen die Abschiebung“, während DIE LINKE und Grüne die versuchte Abschiebung kritisierten.

Kein Raum in der Herberge?

Wie der Räumungsversuch von Dienstagabend mit dem Bekenntnis von Bürgermeister Bovenschulte zusammenpasst, dass Bremen und Bremerhaven „weltoffene, friedliche und liebenswerte Städte bleiben“ sollen, bedarf sicher der Erläuterung. Kurz vor Weihnachten, an dem in vielen Krippenspielen daran erinnert wird, dass Maria und Josef in Bethlehem keine Herberge fanden und Jesus darum in einem Stall zur Welt kommen musste, erinnert die versuchte Auflösung des Kirchenasyls in Bremen an die prekäre Lage vieler Geflüchteter in Europa und Deutschland.

Erst vor wenigen Tagen hatte sich die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) auf ihrer Tagung in Würzburg mit dem Schwerpunktthema „Migration, Flucht und Menschenrechte“ befasst und dazu auch mehrere Beschlüsse gefasst. Die Synode hatte sich u.a. dafür ausgesprochen, weiterhin „Gespräche mit dem Bundesministerium des Innern (BMI) und mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit dem Ziel zu führen, zur ursprünglichen Vereinbarung zwischen Kirchen und BAMF von 2015 zum Kirchenasyl zurückzukehren“. Dazu gehöre, dass die vorgelegten Dossiers tatsächlich „sorgfältig beurteilt“ und „angemessene Fristen für die Begründung eingeräumt werden“. Auch sollen BAMF und Ausländerbehörden verabredungsgemäß den direkten Kontakt mit den kirchen Ansprechpersonen suchen, die auf Grundlage der Vereinbarung im Jahr 2015 überhaupt erst benannt wurden.

Der EKD-Flüchtlingsbeauftragte, Bischof Christian Stäblein (EKBO), hielt den den staatlichen Behörden eine Missachtung der bisherigen Absprachen vor: „Es war ein gutes Agreement, dass wir auf solche Maßnahmen verzichten“, erklärte im Hinblick auf die vermehrten Räumungen von Kirchenasylen. Die Räumungen gefährdeten „eine humanitäre Praxis, die für geflüchtete Menschen in Not oft die letzte Hoffnung auf Schutz und Sicherheit ist“, stellte die EKD-Synode erneut klar: „Für die Praxis des Kirchenasyls werden wir als evangelische Kirchen weiterhin einstehen. Unsere Kirchen bleiben Orte der Zuflucht für Bedrängte und Verfolgte.“


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