Klima-Petition: Theologie und Kirche ermahnen die Ampel
Eine ökumenische Petition von Theolog:innen und Kirchenleitenden ruft die Bundesregierung zu klarem Handeln in der Klimakrise auf. Wer unterstützt den Appell und was steht drin?
Das Klimaprogramm der Bundesregierung reicht nicht zu, um die verabredeten Klimaschutzziele zu erreichen. Statt nachzuschärfen und effektiven Klimaschutz zu koordinieren, will sich die Regierung sogar von den sektorspezifischen Reduktionspflichten im Klimaschutzgesetz verabschieden. Eine verbindliche Klimaschutzpolitik sieht anders aus.
Dagegen wehren sich nun über 250 Theolog:innen und Leitungspersonen aus den Kirchen mit einer Petition. Sie fordern die Abgeordneten des Deutschen Bundestages dazu auf, das Klimaschutzgesetz nicht zu entschärfen und eine „parteiübergreifende Gesamtstrategie“ für den Schutz des Klimas vorzulegen. Von der Bundesregierung erwarten sie sich ein „effektives Klimaschutzprogramm“ mit ausreichenden Sofortmaßnahmen, die eine Einhaltung der im Pariser Klimaschutzabkommen verabredeten Klimaziele möglich machen. Es geht ihnen um nichts weniger als darum, „Mehrheiten für die erforderlichen Maßnahmen“ zu erstreiten.
So konkret und in ökumenischer Verbundenheit haben sich Theologie und Kirche hierzulande bisher noch nie in Sachen Klimaschutz an die Politik gewandt. Angesichts von Katastrophen „biblischen Ausmaßes“, die im Zusammenhang mit der Klimakrise stehen, überwinden die Initiator:innen und Erstunterzeichner:innen auch konfessionelle und kirchenpolitische Grenzen.
Konservative Bischöfe und linke Professorinnen
Unter den Initiator:innen und Erstunterzeichnenden befinden sich drei römisch-katholische Diözesanbischöfe: Erzbischof Stephan Burger (Freiburg), Bischof Stefan Oster (Passau) und der Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer sind sich in vielen kirchenpolitischen Fragen nicht einig, hier aber offenbar schon. Zudem finden sich mit Matthäus Karrer und Thomas Maria Renz zwei Weihbischöfe des Bistums Rottenburg-Stuttgart auf der Liste. Die katholische Universitätstheologie ist mit zahlreichen Professor:innen vertreten, unter ihnen z.B. Bernhard Emunds und Ansgar Wucherpfennig von der Hochschule Sankt Georgen.
Acht der zwanzig Leitenden Geistlichen der evangelischen Landeskirchen sind vom Start weg mit dabei: Der Württembergische Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl, seine Amtsschwester Heike Springhart von der Badischen Landeskirche, der hannoversche Landesbischof und leitende Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD), Ralf Meister, die pfälzische Kirchenpräsidentin Dorothee Wüst und der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau Volker Jung, der rheinische Präses Thorsten Latzel sowie der scheidende bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm und sein Nachfolger Christian Kopp. Die Runde der evangelischen Bischöf:innen beschließen Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt, im Ehrenamt Beauftragte für Schöpfungsverantwortung der EKD, und der gesamte Bischofsrat ihrer Nordkirche, bestehend aus Tilman Jeremias (Mecklenburg und Pommern), Gothard Magaard (Schleswig und Holstein) und Kirsten Fehrs (Hamburg und Lübeck), die im Ehrenamt auch stellvertretende Ratsvorsitzende der EKD ist.
Außerdem mit dabei sind Anja Goller, die Generalvikarin der Alt-Katholischen Kirche, und der Bischof der Evangelisch-methodistischen Kirche, Harald Rückert. Auffällig stark vertreten auf der Liste der Erstunterzeichnenden sind die südwestdeutschen Lande mit Vertreter:innen der verschiedenen Gesprächskreise (vulg. Kirchenparteien) und Amtspersonen aus den mittleren Leitungsebenen der Württembergischen Landeskirche. Unter den Unterstützer:innen der Petition finden sich Vertreter:innen aller evangelischen Neigungsgruppen, vom Pietismus bis hin zur liberalen Offenen Kirche – und das sogar landeskirchenübergreifend.
Beeindruckend auch die Liste der Unterzeichnenden aus der evangelischen Theologie, unten ihnen aktuelle und emeritierte Professor:innen wie z.B. Christian Grethlein, Uta Pohl-Patalong, Volker Leppin, Reiner Anselm, Gerd Theißen, Traugott Jähnichen, Peter Dabrock, Isolde Karle, Ulrike Wagner-Rau und Michael Welker. Zu den Unterstützerinnen gehören weiterhin zwei Sprecherinnen des „Wort zum Sonntag“: Die katholische Theologieprofessorin Julia Enxing und die evangelische Pfarrerin Stefanie Schardien, die demnächst die theologische Leitung des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik (GEP) übernimmt. Mit dabei sind auch Diakoniepräsident Ulrich Lilie sowie der Hauptgeschäftsführer von Misereor, Pirmin Spiegel. Auf change.org eingebracht hat die Petition Ruben Zimmermann, Professor für Neues Testament an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.
Jetzt auch ökumenisch
Bereits im Juli diesen Jahres hatten sich katholische Theolog:innen, Bischöfe und Laienvertreter:innen mit einem Offenen Brief unter dem Titel „Wir sind bereit“ an die Politik gewandt (s. #LaTdH vom 16. Juli 2023). Zur Unterzeichnung des Offenen Briefs erklärten sich der Kölner Erzbischof Kardinal Rainer Maria Woelki, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Bischof Georg Bätzing (Limburg), Bischof Gregor Maria Hanke (Eichstätt) sowie Weihbischof Rolf Lohmann aus Münster, der DBK-„Umweltbischof“, bereit – also insgesamt nur vier von 65 Mitgliedern der Deutschen Bischofskonferenz.
Die Abwesenheit von evangelischen Akteur:innen wurde damals durchaus bemerkt und als ein erneutes Beispiel für die zunehmende Entfremdung in politisch-ethischen Fragen zwischen den beiden großen Kirchen gewertet. Der Offene Brief schaffte es zwar kurzeitig in die Nachrichten, verpuffte aber ohne weiteren Widerhall. Prominente Vertreter:innen des Laienkatholizismus hingegen fehlen beim aktuellen Appell „für eine menschen- und lebensfreundliche Klimaschutzpolitik“, wenn man einmal von einigen UniversitätstheologInnen absieht, die sich auf dem Synodalen Weg engagiert haben, wie z.B. den Berliner Professor Andreas Lob-Hüdepohl.
„Die bisherigen Maßnahmen sind nicht ausreichend“
So spektakulär die Liste der Unterzeichnenden für die Verhältnisse der deutschen Kirchen und Theologie ist, so wenig revolutionär erscheinen die in der Petition formulierten Forderungen. Sie schließt sich ausdrücklich „dem Urteil von fast 80 Rechtswissenschaftler*innen an, dass Deutschland völker- und verfassungsrechtlich verpflichtet ist“, die Ziele der Klimaschutzkonferenz von Paris „zu erreichen und wirksame Maßnahmen zu deren Umsetzung zu beschließen“. Dasselbe Anliegen wird von Klima-Aktivist:innen der „Fridays for Future“-Bewegung und der „Letzten Generation“ vorgetragen, gleichwohl mit anderen Mitteln. Am Globalen Klimastreik der „Fridays“ im September 2023 beteiligten sich auch viele Christ:innen und Kirchenvertreter:innen (wir berichteten).
„Wir betrachten Erd- und Ökosysteme als Gottes bedrohte Schöpfung, in der wir nur ein Teil im großen Ganzen sind, aber für das wir zugleich eine besondere Verantwortung tragen“, erklären die Unterzeichnenden mit einem deutlichen Rückgriff auf die christliche Ethik. Anspielend auf den konziliaren Prozess „Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung“ ermahnen sie Politik und Gesellschaft: „Eine Ethik planetarer Schöpfungsgerechtigkeit ist ein Überlebensprogramm für unsere Zivilisation – besonders im Hinblick auf künftige Generationen.“
Die Petition im Wortlaut:
Für eine menschen- und lebensfreundliche Klimaschutzpolitik
Appell von Verantwortungsträger*innen in theologischer Wissenschaft und Kirchen für effektivere Regierungsmaßnahmen statt Entschärfung des Klimaschutzgesetzes
Die Klimakrise steuert auf immer neue Höhepunkte zu. Nach den verheerenden Waldbränden in Kanada gab es außergewöhnlich starke Regenfälle in Griechenland und Libyen, deren Wassermenge pro m² die des Ahrtals um ein Vielfaches übersteigt. Die Presse sprach von Katastrophen in einem „biblischen Ausmaß“.
Zur selben Zeit hat die Bundesregierung eine Novelle des Klimaschutzgesetzes auf den Weg gebracht (1. Lesung 22.09.2023). Insbesondere die Rücknahme der sektorspezifischen Reduktionspflichten ist eine elementare Schwächung der Verbindlichkeit. Das im Juni vorgelegte und am 04.10.2023 beschlossene Klimaschutzprogramm 2023, das die Maßnahmen zur Durchsetzung des 1,5-Grad-Ziels festlegen soll, wird von Klimaverbänden, Wissenschaftler*innen und sogar von dem von der Regierung selbst eingesetzten „Expertenrat für Klimafragen“ einhellig als unzureichend kritisiert. Alle sind sich einig: Die jetzt ergriffenen und geplanten Maßnahmen reichen bei weitem nicht aus, um das Klimaziel bis 2030 (Begrenzung auf 440 Megatonnen CO2-Emission) zu erreichen. Zudem fehlt nach übereinstimmender Auffassung ein strategisches Gesamtkonzept.
Wir schließen uns dem Urteil von fast 80 Rechtswissenschaftler*innen an, dass Deutschland völker- und verfassungsrechtlich verpflichtet ist, die Klimaschutzziele von Paris 2015 zu erreichen und wirksame Maßnahmen zu deren Umsetzung zu beschließen.
Wir betrachten Erd- und Ökosysteme als Gottes bedrohte Schöpfung, in der wir nur ein Teil im großen Ganzen sind, aber für das wir zugleich eine besondere Verantwortung tragen. Wir dürfen die Ökosysteme nicht zerstören. Wir sehen auch die Millionen von Menschen und nicht-menschlichen Lebewesen, die schon jetzt unter den Auswirkungen des Klimawandels leiden und die besonders im globalen Süden schutzlos den Klimaveränderungen ausgeliefert sind. Sie tragen die dramatischen Folgen unserer in der Konsequenz oft rücksichtslosen Lebens- und Wirtschaftsweise in den reichen Industriestaaten. Das Gottvertrauen, wie es in Bibel und Theologie reflektiert wird, befähigt und ermutigt uns, entschieden für die Grundüberzeugungen und Visionen unserer christlichen Tradition einzutreten und immer neu auf den Zusammenhang von „Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung“ hinzuweisen. Eine Ethik planetarer Schöpfungsgerechtigkeit ist ein Überlebensprogramm für unsere Zivilisation – besonders im Hinblick auf künftige Generationen.
Deutschland hat eine große, historisch gewachsene Verantwortung und ist eines der einflussreichsten Länder der Erde, das in Produktion und Konsum einen hohen Anteil an der Emission von CO2 verursacht. Diese Verantwortung muss in einer parlamentarischen Demokratie von den gesetzgebenden Organen und der Regierung getragen und durch effektive Maßnahmen umgesetzt werden.
Als Verantwortungsträger*innen in Kirchen und Theologie können und wollen wir in unseren eigenen Institutionen notwendige Schritte gehen. Viele Universitäten, Landeskirchen, Bistümer und Institutionen im kirchlichen Feld haben bereits große Anstrengungen unternommen und eigene Klimaschutzregularien verabschiedet, die die CO2-Reduktion mit Nachdruck vorantreiben, obgleich auch hier noch viel zu tun bleibt.
Zugleich bedarf es gesetzlicher Weichenstellungen des Bundes, die einen effektiven gesamtgesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandel einleiten können. Wir nehmen hoffnungsvoll wahr, dass hier bereits einiges in die erforderliche Richtung gelenkt wurde, aber die bisherigen Maßnahmen sind nicht ausreichend.
Vor diesem Hintergrund fordern wir als Vertreter*innen von wissenschaftlicher Theologie und kirchlichen Institutionen die gewählten Parlamentarier*innen auf, eine parteiübergreifende Gesamtstrategie zu entwickeln, mit der die uns alle bedrohende Krise effektiv und sozialgerecht bewältigt werden kann. Wir fordern, eine umfassende Bildungsinitiative für alle Altersgruppen und Milieus der Bevölkerung zu starten, die den unstrittigen wissenschaftlichen Befund (siehe IPCC-Bericht) ehrlich kommuniziert und somit Mehrheiten für die erforderlichen Maßnahmen gewinnt. Die gesetzgebenden Organe des Bundes fordern wir dazu auf, das Klimaschutzgesetz nicht zu entschärfen, sondern konsequent umzusetzen und Schritt für Schritt auf dem Weg zur Klimaneutralität nachzujustieren. Wir ermutigen die Bundesregierung, ein effektives Klimaschutzprogramm mit ausreichenden Sofortmaßnahmen zur Einhaltung der Klimaschutzziele zu beschließen, um damit einen wesentlichen Beitrag für den Erhalt eines schöpfungsfreundlichen Lebens auf dieser Erde zu leisten, in dem die Würde der Menschen geachtet und die Artenvielfalt von Tieren und Pflanzen erhalten bleibt.
Die Petition kann auf der Plattform change.org mitgezeichnet werden.
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