Foto: Fridays for Future Deutschland

Die Kirche streikt fürs Klima

Die Kirchen unterstützen den Globalen Klimastreik, zu dem „Fridays for Future“ für diesen Freitag aufgerufen hat. Wie steht es um das Klima in den Kirchen – und welche Partner finden sie in der Klimaschutzbewegung?

Für morgen ruft „Fridays for Future“ (FFF) wieder zum „Globalen Klimastreik“ auf. Erwartet werden größere Kundgebungen und Demonstrationen auch in vielen Städten in Deutschland. Der „FFF“-Ableger „Christians for Future“ beteiligt mit Andachten und Klimagebeten am Programm. Viele kirchliche Akteur:innen und Christ:innen nehmen am Klimastreik teil. Sie alle eint die Unzufriedenheit mit „Stillstand“ und „realen Rückschritten“ beim Klimaschutz. Der Demo-Aufruf geht mit der aktuellen Regierungspolitik scharf ins Gericht.

Der Klimastreik soll an die wichtigen Ziele der Klimaschutz-Politik erinnern – und zugleich ein Signal für ein konstruktives Miteinander senden. Die „Fridays“ haben sich vorgenommen, zugleich gegen die Klimakrise und die Polarisierung der Klimadebatte vorzugehen: „Wir gehen nicht gegen die Menschen auf die Straße, die morgens auf dem Weg zur Arbeit im Stau stehen, oder gegen diejenigen, die es sich nicht leisten können, nachhaltige Produkte zu kaufen. Wir mobilisieren gegen diejenigen, die die Klimakrise erst verursacht haben.“

Zum Klimastreik rufen auch mehrere römisch-katholische Bistümer und evangelische Landeskirchen auf. Für die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) signalisierte deren für Umwelt- und Klimafragen zuständiges Mitglied, Weihbischof Rolf Lohmann (Münster), bereits Anfang September seine Unterstützung. Die Beauftragte für Schöpfungsverantwortung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt (Nordkirche), ruft in einer eigenen Videobotschaft zur Teilnahme am Streik auf: „Gemeinsam müssen wir alles tun, dieser globalen Herausforderung zu begegnen als Gottes Kinder und Menschengeschwister.“

Der Beitrag der „Klimakirchen“

Die Spitzen von Diakonie und „Brot für die Welt“ setzten in ihrem Streik-Aufruf am gestrigen Mittwoch einen Schwerpunkt auf das Thema Klimagerechtigkeit. „Die Klimafrage ist die große globale Gerechtigkeitsfrage unserer Zeit“, erklärt „Brot für die Welt“-Präsidentin Dagmar Pruin: „Wir sind es den Menschen in ärmeren Ländern schuldig, mehr zu tun – ebenso wie den jungen Menschen, die zu Hunderttausenden auf die Straße gehen. Klimagerechtigkeit heißt immer auch Generationengerechtigkeit.“ Diakonie-Präsident Ulrich Lilie warnt davor, die im Pariser Klimaabkommen verabredeten Ziele zu verfehlen: „Die Zeit läuft jetzt davon. Der Klimawandel verschärft auch soziale Fragen.“ Lilie fordert „ambitionierten und sozial gerechten Klimaschutz hierzulande“ und eine „engagierte internationale Klimapolitik“.

In ihre Unterstützungsadressen flechten kirchliche Akteur:innen geschickter noch als vor einigen Jahren eigene Narrative und inhaltliche Schwerpunkte ein: Da wird selbstbewusst wieder von „Gottes guter Schöpfung“ gesprochen, auf das Schicksal der Glaubens- und „Menschengeschwister“ im Globalen Süden hingewiesen und die Bewältigung der Klimakrise eng an den Kampf gegen Armut und Ungleichheit geknüpft. Überhaupt drängen die christlichen Kirchen in diesem Herbst mit ihrer traditionellen „Schöpfungszeit“ und dem „Weltgebetstag für die Bewahrung der Schöpfung“ stärker in die Öffentlichkeit als in vergangenen Jahren. Die jahrzehntelangen Erfahrungen aus dem Konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung machen sich bemerkbar. Zu dessen Blütezeit vor mehr als 30 Jahren waren die heutigen Chefs und Chef:innen in Kirche und Diakonie selbst jung und aktivistischer unterwegs. Manche interreligiösen Vorurteile waren auf dem Weg bis hierher zu überwinden, wie Julia Blanc im vergangenen Jahr hier in der Eule schrieb.

Die Kirchen haben den Klimaschutz also keineswegs eben erst als politisches Thema entdeckt, sondern knüpfen an eine langjährige innerkirchliche und politisch-anwaltschaftliche Praxis an. Der Vorwurf, sie würden sich mit ihrem Klimaengagement „dem Zeitgeist anbiedern“, läuft daher ins Leere. Neueren Datums ist gleichwohl die Erkenntnis, dass man um des Erfolges des eigenen Klimaengagements willen nicht alleine vor sich hin wurschteln sollte, sondern sich beherzt mit der Klimabewegung verbünden muss. Trotzdem verhallt die Kritik von Konservativen und Rechten an der Klimaanwaltschaft der Kirchen intern nicht ungehört: Wie sich Kirche und Klimabewegung zueinander verhalten, wird immer wieder neu ausjustiert.

Druck auf die Regierung: Ja – aber so?

Die Klimabewegung steht am Scheideweg: Die Proteste der „Letzten Generation“ schaffen zwar immer wieder Aufmerksamkeit – doch für was? Ständig wird über Klebeaktionen berichtet und gestritten, die Ziele der „Letzten Generation“, mit denen sich viele Christ:innen ebenso wie die Mehrheit der Bevölkerung gut anfreunden können, treten demgegenüber immer wieder in den Hintergrund.

In den Kirchen wird theologisch über die Frage diskutiert, wie viel Weltuntergangssuperlative es braucht, um zum Handeln zu bewegen, ob es so etwas wie eine „legitime Apokalyptik“ braucht. Die Selbstbezeichung als „Letzte Generation“ provoziert Widerspruch. Auch bei jenen, die sich seit Jahrzehnten für die gleichen Ziele einsetzen. Solidaritätserklärungen von kirchlichen Akteur:innen mit der „Letzten Generation“, wie von der Präses der EKD-Synode, Anna-Nicole Heinrich, mehrfach vorgetragen, werden nicht nur von Rechtsradikalen und Anti-Grünen-Kulturkämpfern zum Anlass für eine beißende Kirchenkritik genommen, sondern irritieren auch viele weniger laute, aber besorgte strukturkonservative Kirchenmitglieder. Druck vom Weltenende her verorten die institutionalisierten Bürger:innen-Kirchen in Deutschland bisher vor allem bei charismatischen Sekten und religiösen Sondergemeinschaften. (Mehr dazu im Eule-„Deep Dive: Apokalypse“.)

Die Auftritte der „Letzte Generation“-Protestierenden Aimée van Baalen auf der Tagung der EKD-Synode im Herbst 2022 und Carla Hinrichs auf dem Evangelischen Kirchentag im Juni 2023 haben gezeigt: Was die umfängliche Unterstützung ihrer Proteste angeht, sind die Evangelischen gespalten. Manche würden sich wohl von Herzen gern selbst festkleben (einzelne Akteur:innen auf unteren Funktionsebenen tun das auch). Andere beschränken ihre Solidarität ausdrücklich auf die Verteidigung von Versammlungs- und Meinungsfreiheit, die sie durch das harrsche Einsteigen insbesondere der bayerischen Staatsregierung, inkl. Präventivhaft und Hausdurchsuchungen, bedroht sehen. Für beide Positionen gibt es nicht nur gute theologische Begründungen, sondern auch Vorbilder aus der jüngeren Kirchengeschichte.

In diesen Tagen startet die „Letzte Generation“ eine neue Aktionswelle in der Bundeshauptstadt. Für Treffen und Orga werden wieder Räumlichkeiten evangelischer Kirchgemeinden genutzt. Deren praktische Solidarität sorgt nicht nur in den Gemeinden selbst für Diskussionen, sondern wird regelmäßig von Boulevardmedien und rechten Akteuren skandalisiert. Binnen des vergangenen Jahres sind Aktivist:innen der „Letzten Generation“ auf EKD-Synode und Kirchentag und weiteren kirchlichen und diakonischen Podien aufgetreten. Auch haben vereinzelt Gespräche mit Bischöfen stattgefunden. Während sich die „Letzte Generation“ von diesen Kontakten eine größere öffentliche Unterstützung erhofft, geht es den Kirchenakteur:innen vor allem um eine Befriedung der aufgeheizten Stimmung.

Fleisch vom eigenen Fleische

„Fridays for Future“ hingegen wurde während der vergangenen Corona-Jahre von der „Letzten Generation“ in den Schatten der Aufmerksamkeitsökonomie gedrückt. Hauptursächlich dafür ist die skandalisierende Berichterstattung über die Protestformen der „Letzten Generation“. Sie wird als radikaler Flügel der Klimabewegung wahrgenommen, obwohl ihre Forderungen denen der „Fridays“ gleichen oder wie im Falle des 9-Euro-Tickets an sich wenig kontrovers sind. Animosiäten unter den verschiedenen Akteur:innen der Klimabewegung mögen ihren Teil zur Uneinigkeit beitragen: Es ist nicht das erste Mal, dass sich beide Lager bei der Mobilisierung für ihre Aktionen gegenseitig Konkurrenz machen.

Die „Fridays“-Akteur:innen sind auch ohne große Massendemos wie noch vor der Corona-Pandemie durchaus aktiv: An deren Stelle sind Medien- und Bündnisarbeit getreten. Im Demo-Aufruf für diesen Freitag weisen sie auf ihre Erfolge hin und zeigen sich zugleich „enttäuscht“. Vor allem, weil die Bundesregierung beim Klimaschutz nicht ernst genug macht. Wie weit kann eine Klimabewegung die Politik unter Druck setzen, wenn sie sich zugleich als gute Partnerin in der Krise empfiehlt? Wie verträgt sich der ostentativ herausgestellte staatstragende Bürgersinn mit einer notwendigen Kritik der Regierungspolitik? Im Klimastreik-Aufruf kann die aufmerksame Leser:in viel Ent-Täuschung mit der Ampel-Regierung entdecken, von der sich die „Fridays“ deutlich mehr erwartet hatten.

Dass es die große öffentliche Aufmerksamkeit braucht, um Regierungen zum Handeln in der Klimakrise zu bewegen, hat auf dem Evangelischen Kirchentag in Nürnberg auf dem Podium mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und „Letzte Generation“-Aktivistin Carla Hinrichs die Soziologin und Klimaforscherin Anita Engels deutlich gemacht (wir berichteten). Ihr wissenschaftlich gestützter Appell zu lautem Protest richtete sich dort vor allem gegen die „Wir-nehmen-alle-mit“-Politik Habecks. Man kann sie aber auch als Anmerkung zur „Fridays for Future“-Bewegung in Deutschland verstehen.

Die gesellschaftliche Bedeutung großer Demos hat nicht zuletzt auch der erste Globale Klimastreik 2019 bewiesen: Fast 2 Millionen Menschen nahmen damals an Schulstreiks, Protesten und Veranstaltungen teil. An den Küchentischen des Landes begannen Kinder und Eltern heftig über den Klimaschutz zu diskutieren. Politiker:innen und Zivilgesellschaft wurden durch das Engagement von Greta Thunberg & Co. aufgerüttelt und im rechten Maße verunsichert. Braucht es heute nicht erst recht ein Aufbruchsignal? „Fridays for Future“ wünscht sich jedenfalls, dass 2023 in die Fußstapfen von 2019 tritt.

Mit welcher Klimabewegung hältst Du’s?

Das „Fridays“-Netzwerk hat sich seit damals ausdifferenziert und umfasst inzwischen Akteur:innen aus zahlreichen Sektoren und Generationen, aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und aus den Kirchen. Die personellen und ideellen Verbindungen zu den „Fridays“ haben der Klimabewegung innerhalb der Kirchen Aufwind gegeben:

Ohne die „Fridays“, die wohlwollende Kirchenleute als „Fleisch vom eigenen Fleische“ wahrnehmen, hätten die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), einige evangelische Landeskirchen sowie römisch-katholische Bistümer sicher nicht so beherzt klimapolitische Forderungen formuliert, wie sie das in vergangenen Jahren getan haben. Das EKD-„Tempolimit“, die Klimaschutzrichtlinie für die evangelischen Landeskirchen und das Engagement beim Divestment aus fossilen Energien in beiden Kirchen sind dafür nur drei Beispiele. Vor Ort fragen sich viele Ehren- und Hauptamtliche, welche Rolle ihre Kirchgemeinden bei der Energiewende spielen können, auch jenseits vom Sparen beim Heizen. Bei der Mobilität wollen die Kirchen und kirchlichen Wohlfahrtsverbände mit E-Autos und -Bikes vorne mitspielen. Bei Ernährung und Nachhaltigkeit der persönlichen Lebensgestaltung (Kleidung, Konsum, Reisen etc.) können sich viele Christ:innen mit Maßhalten und Ökologie sowieso gut anfreunden. Es gibt mehr als genügend Übereinstimmungen.

„Die aktuelle Debatte polarisiert die Gesellschaft zunehmend und wirft für viele Menschen die Frage auf, wie wir unsere Klimaziele überhaupt noch erreichen können“, erklärt „Fridays for Future“-Sprecherin Annika Rittmann vor dem Klimastreik am Freitag: „In diesen Zeiten der Verunsicherung bringen wir Menschen zusammen auf die Straße.“ Gerne wollen auch die Kirchen Menschen zusammenbringen und damit nicht zuletzt ihre eigene gesellschaftliche Relevanz beweisen. Ein Comeback der „Fridays“ käme den Kirchen gelegen, wenn damit eine Refokussierung der Klimadebatten weg vom Streit über Protestformen hin zu praktischem Klimaschutz verbunden wäre. Den Forderungen von „Christians for Future“  für das kirchliche Klimaschutz-Engagement hat man sich von Seiten der Amtskirchen ohnehin angenähert. Und die beherzte Regierungskritik?

Gemeinsam ist den Akteur:innen von „Letzte Generation“ und „Fridays for Future“ ein hoher moralischer Anspruch, den sie auch ihren kirchlichen Gesprächspartner:innen vorhalten. Beide Teile der Klimabewegung trauen den Kirchen außerdem mehr gesellschaftspolitische Gestaltungskraft zu, als sie sich selbst angesichts der zurückgehenden Kirchenmitgliedschaft und Skandalgewittern noch anmaßen. Dass Akteur:innen der Klimaschutzbewegung den Kontakt zu Verantwortungsträger:innen in den Kirchen suchen, muss ihnen schmeicheln. Der sorgenvolle Blick der Kirchenoberen richtet sich indes häufiger auf die eigene Kirchenmitgliedschaft und deutlich seltener als früher auf die Politik als Adressatin kirchlicher Forderungen. Wie weit reichen bei den eigenen Leuten die Sympathien für Regierungskritik, Klimastreik, Klebeproteste und vor allem die notwendigen Klimaschutzmaßnahmen tatsächlich?


Alle Eule-Beiträge zum Themenschwerpunkt „Klimakrise“.


Unterstütze uns!

Die Eule bietet Nachrichten und Meinungen zu Kirche, Politik und Kultur, immer mit einem kritischen Blick aufgeschrieben für eine neue Generation. Der unabhängige Journalismus und die Stimmenvielfalt der Eule werden von unseren Abonnent:innen ermöglicht. Mit einem Eule-Abo unterstützst Du die Arbeit der Redaktion, die faire Entlohnung unserer Autor:innen und die Weiterentwicklung der Eule.

Jetzt informieren und Eule-Abo abschließen!