Deep Dive: Apokalypse

Bei einem „Deep dive“ taucht man tief in ein Thema ein, betrachtet es aus verschiedenen Perspektiven. Dieser Eule-„Deep dive“ stellt Beiträge des Magazins zum Querschnittsthema Apokalyptik zusammen.

Ob Klimakrise oder Corona-Pandemie, der Weltuntergang hat in den vergangenen Jahren ein richtiges Comeback hingelegt. Die Apokalyptik spielt im Christentum und in anderen Religionen schon immer eine große Rolle. Der Glaube an ein nahendes Weltenende und apokalyptisches Denken finden sich jedoch vornehmlich am Rand der Kirchen und bei evangelikalen und charismatischen Gruppen. Auch rechtsradikale Akteur:innen haben die Apokalypse für sich entdeckt.

In der Eule befassen sich immer wieder Autor:innen mit den vielfältigen Aspekten der Apokalypse: Was kann sie uns heute bedeuten? Leben wir tatsächlich „in der letzten Zeit“? Ist es angesichts der Klimakrise richtig und notwendig, Weltuntergangsstimmung zu verbreiten? In diesem „Deep Dive“-Dossier sammeln wir Beiträge aus dem Magazin, die sich auf unterschiedliche Weise und zu verschiedenen Anlässen mit dem Themenfeld Apokalypse befassen:


Der „Klima-Mönch“ von Lützerath (Foto: Ronald Wittek / epa)

Angriff des „Klima-Mönchs“: Eine Situation radikaler Entscheidung

Von Tobias Graßmann, 22. Januar 2023

Anküpfend an das Meme des „Mönches von Lützerath“ schreibt der Theologe Tobias Graßmann über die „legitime Apokalyptik“ der Protestierenden am Braunkohlebergbau Lützerath. Der Ort an der Abbruchkante wurde im Januar 2023 nach jahrelanger Besetzung durch Klimaaktivist:innen von der Polizei geräumt. Bilder der Proteste und Demos bestimmten eine Woche lang die Nachrichten.

Im Kontext von Klimaprotesten fragen Beobachter:innen immer wieder danach, ob die „Weltuntergangsstimmung“, die Aktivist:innen verbreiten, angemessen und hilfreich ist. Tobias Graßmann hält dem entgegen:

„Ich halte es wie andere Theologen – zu nennen ist hier etwa Gregor Taxacher – tatsächlich für äußerst sinnvoll, die Klimabewegung als eine legitime Form von Apokalyptik zu verstehen und mit Hilfe theologischer Kategorien zu beurteilen. Ist ihr Kampf für konsequenteren Klimaschutz nicht tatsächlich ein hervorragendes Beispiel dafür, was passieren kann, wenn die „Zeichen der Zeit“ entziffert werden und die Uhr auf „Endzeit“ zu stehen scheint?“

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Handeln unter Zeitdruck

Von Philipp Greifenstein, 22. Januar 2023

In der „Debatte“ der #LaTdH vom 22. Januar diskutiert Eule-Redakteur Philipp Greifenstein ausgehend von aktuellen Medienberichten und theologischen Diskussionsbeiträgen den Klimaschutz in der Kirche – und die Frage, ob apokalyptisches Denken dabei helfen kann. Wie kann die Kirche von Symboldebatten in ein verantwortliches Handeln „im Horizont der befristeten Zeit“ kommen? Und wie sieht eine „Theologie an der Abbruchkante“ aus?

Die Schöpfungsverantwortung gehört ganz zentral zu einem gläubigen Handeln in der Welt. Die Frage ist: Welche konkrete leitende und beratende Unterstützung erfahren Christ:innen und Mitarbeiter:innen bei der Bewältigung der Transformation hin zu einer klimaneutralen Kirche? Für die Klärung dieser Frage kann man sich keine jahrelangen Prozesse mehr gönnen.

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Zeitenwende oder Endzeit: Was wir nicht glauben wollen

Von Constantin Gröhn, 13. Juli 2022

Der Theologe Constantin Gröhn geht in diesem Beitrag der Bedeutung des Wortes „Zeitenwende“ nach, das schon seit langem für die ökologische Transformation benutzt wurde und im Zuge des Ukraine-Krieges neue Prominenz und einen Bedeutungswandel erfahren hat. Constantin Gröhn ist Theologischer Referent für Diakonie und Bildung im Ev.-Luth. Kirchenkreis Hamburg-Ost und beschreibt tipping points und die Dringlichkeit von Veränderungen:

Menschliche Grunderfahrungen der Ohnmacht, des Glaubens, der Gewalt und Resilienz sowie ethische Handlungsmöglichkeiten der Buße und Umkehr ließen sich dort erkennen, aber auch eine gewisse politische Renitenz gegenüber der Wirklichkeit, die geschichtlich, weiß Gott, nicht einmalig ist.

[…]

Das apokalyptische Grundgefühl wird wohl so schnell nicht weichen. Die Fakten und Daten werden weiter gegen uns arbeiten und zeigen, dass wir, „aller apokalyptischer Frömmigkeit entledigt“, einfach nur noch nicht glauben wollen, was wir längst wissen: ein „Weiter so“ im Verbrauch der Lebensgrundlagen unserer Erde führt nicht nur in die Katastrophe, sondern verstärkt die bereits begonnene (Benjamin/Gütter). Wir stehen in dieser Zeitenwende, und sie hat endzeitlichen Charakter.

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Raus aus dem Apokalypse-Modus!

Von Daniela Albert, „Gotteskind und Satansbraten“, 22. April 2022

„Der Glaube an den Weltuntergang zerstört die Zukunft unserer Kinder“, schreibt Eule-Familienkolumnistin Daniela Albert in dieser Ausgabe von „Gotteskind und Satansbraten“ und gegen die Panik an, die sich gerade bei Kindern und in Familien angesichts multipler Krisen von Corona bis zum Klimawandel breit macht. Was können Eltern und wir als Gesellschaft tun, neben einem sorgsamen Umgang mit Nachrichten?

Klimawandel? Können wir sowieso nicht aufhalten, und wenn Gott dieser Welt ein Ende setzen will, tut er es. Corona? Eine Frage des Schicksals, denn wer kann sein Leben schon selbst verlängern? Wenn Gott will, dass wir es kriegen, bekommen wir es. Wenn er uns schützen möchte, tut er es auch, wenn wir in Massen ohne Maske singen. Waffen für die Ukraine? Wehret euch nicht, wenn euch jemand etwas Böses tut! Gerechtigkeit gibt es in dieser Welt sowieso nicht. Erst Jesus wird alle Tränen abwischen.

An all diesen Stellen möchte ich klar widersprechen. Ich glaube, dass wir in diese Welt gestellt sind, um sie zusammen mit Jesus ein bisschen gesünder zu lieben: Unperfekt, mehr taumelnd als nachfolgend und oft mit schmerzhaften Kompromissen – nicht selten geradezu trotzig. Alles ist besser, als die Hände in den Schoß zu legen.

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Far-right Christians think they’re living in a Bible story – Matthew Sheffield im Gespräch mit Christopher Douglas (FLUX)

In der aktuellen Episode seines Podcasts „Theory of Change“ (@TheoryChange) auf dem Online-Portals FLUX (@DiscoverFlux) unterhält sich der aus einer Mormonen-Familie stammende US-Journalist Matthew Sheffield (@mattsheffield) mit dem kanadischen Literaturwissenschaftler Christopher Douglas (@crddouglas) über die Wiederbelebung apokalyptischer Vorstellungen in der Christlichen Rechten der USA, die als Rechtfertigung für politischen Extremismus dienen.

Douglas forscht derzeit hauptsächlich zur Problematik des Leidens und des Bösen in zeitgenössischen amerikanischen Romanen – sowohl in seriösen literarischen Werken als auch in evangelikaler Fiction:

Seit den 1970er- und 1980er-Jahren erleben wir eine Wiederbelebung oder ein Wiedererstarken insbesondere des Christentums, das zunehmend politisiert wurde. Wir haben also tatsächlich die Wiederbelebung einer Art konservativer weißer christlicher religiöser Energie erlebt, die meiner Meinung nach darauf aus ist, ihre symbolische, kulturelle und politische Macht zurückzuerobern.

Und ein Großteil davon betrachtet seine politischen Gegner nicht als legitime Akteure, selbst wenn sie demokratisch gewählt wurden. Ich glaube, wenn man sich erst einmal in diesen supersessionistischen Begriffen* vorgestellt hat, dass man Gottes auserwähltes Volk in Gottes auserwähltem Land ist, macht das Kompromisse besonders unmöglich. Denn Ihre Gegner sind die Gegner Gottes.

(* im deutschsprachigen Raum spricht man eher von „Substitutionstheologie“)

(aus den #LaTdH vom 24. Oktober 2021)

Die rechte Ecke: Rechte Christen und der Klimawandel

Von Philipp Greifenstein, „Die rechte Ecke“, 8. Oktober 2021

Eigentlich schreibt Philipp Greifenstein in seiner Kolumne darüber, was rechtsradikale Christen so anstellen. In dieser Ausgabe aber wird es ein wenig grundsätzlicher und theoretischer: Welche Rolle spielt der Klimawandel in den Gedankengebäuden und in der Propaganda von rechten Christen? In der Klimakrise zeigen sich konservative Christen empfänglich für die einfachen Botschaften von Rechtsradikalen. Die Klimadebatte ist auch ein geistlicher Kampf, den die Kirchen führen müssen.

Die Rechte macht sich Unterschiede und gegenseitige Vorurteile zwischen ländlichen, eher konservativen und urbanen, eher progressiven und kosmopolitischen Milieus zunutze, „verstärkt und politisiert“ sie. Diese Spannung zwischen unterschiedlichen Milieus ist auch in den großen Kirchen spürbar. Ihnen kommt daher bei der Moderation des Interessenausgleichs von Land- und Stadtbevölkerung, progressiven und konservativen Menschen eine große Bedeutung zu.

[…]

Gegen die rechtsradikale Mobilisierung in der Klimakrise empfiehlt Quent „Resilienz durch Aufklärung, Bildung, klare Abgrenzung“. Es ist dringend notwendig, dass sich Theolog:innen in Kirche und Universität mit diesem neuen Kampfplatz rechter Christen auseinandersetzen und auch die eigene Tradition kritisch danach befragen, wo sie Anknüpfungspunkte für völkischen Ökonationalismus und/oder antiökologischen Rechtsextremismus bietet.

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„Das kann helfen“ – Interview mit Alexander-Kenneth Nagel (Freitag)

Durchleben wir eine Apokalypse, leben wir gar in der Endzeit? Diese Frage beschäftigt dank Corona-Krise und Klimakatastrophe viele Menschen. Einige christliche Frömmigkeiten tragen endzeitliches Denken seit jeher mit sich. Wie kann man mit diesem Erbe heute konstruktiv umgehen? Der Religionswissenschaftler Alexander-Kenneth Nagel hat ein Buch über „Corona und andere Weltuntergänge“ geschrieben uns spricht im Interview im Freitag über „apokalyptische Krisenhermeneutik in der modernen Gesellschaft“:

Sind wir immer anfälliger für „apokalyptisches Denken“?

Dazu gibt es unterschiedliche Auffassungen. Eine geht davon aus, dass apokalyptische Deutungen in Situationen der Bedrohung Trost und Orientierung stiften. Hier wird vor allem die Ordnungsfunktion der Apokalypse angesichts der Unübersichtlichkeit moderner Gesellschaften betont. Eine andere Lesart vermutet die Ursache für die Faszination der Apokalyptik eher in einem Zustand der Abstumpfung und Übersättigung: Apokalyptische Erzählungen reißen uns kurz aus unserer Lethargie und eröffnen neue, eskapistische Möglichkeitsräume.

(aus den #LaTdH vom 12. September 2021)

Baerbock, Bonhoeffer, Bio-Bonzen

Von Niklas Schleicher, „Coram Mundo“, 30. August 2021

Vor der Bundestagswahl 2021 schrieben in der Eule-Bundestagswahl-Kolumne „Coram Mundo“ verschiedene Autor:innen über Aspekte des Wahlgeschehens, die anderswo nicht betrachtet wurden. Der Theologe und Ethiker Niklas Schleicher näherte sich dem (grünen) Wahlkampf zum Beispiel mit Dietrich Bonhoeffers Unterscheidung von letzten und vorletzten Dingen im Gepäck:

An die Wahlentscheidung zugunsten der Grünen und Annalena Baerbocks werden Erwartungen geknüpft, die auf einen Kampf zwischen Gut und Böse hinauslaufen. Ein hervorragendes Beispiel für die übersteigerte Erwartungshaltung ist die infame Frage Tina Hassels an Baerbock am Ende des ARD-Sommerinterviews: „Wie würden Sie das Ihren Kindern erklären, wenn durch die vermeidbaren Fehler ihrer Mutter vielleicht die Grünen die Chance verspielt hätten, diese entscheidenden Weichen in der Regierung mit zu stellen?“. Nicht nur ist es ganz schlechter Stil, Familien und Kinder von Kandidat*innen in die politische Arena zu zerren, der Frage liegt die perfide Anmaßung zugrunde, nur die Grünen könnten das Klima retten.

Diese Vorstellung wird von vielen prominenten Personen in den Sozialen Netzwerken mit einer Ernsthaftigkeit unterstützt, die bei mir – nicht nur als Theologe – alle Warnglocken schrillen lassen. Dietrich Bonhoeffer – den Protestanten wie ich gerne bemühen, wenn es politisch wird – unterschied zwischen dem Letzten und dem Vorletzten. Unser irdisches Leben spielt sich unter den Bedingungen des Vorletzten ab, somit auch die Sphäre des Politischen. Der Sinn, den das Vorletzte immer hat, ist die Perspektive und die Offenheit zum Letzten hin, also für Christus und sein Reich offen zu halten. Aber: Der Versuch, das Letzte zu erreichen, steht dem Menschen nicht zu. Mehr noch: Der Versuch führt ins Chaos.

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Apocalypse now – André Lorenz (Christ in der Gegenwart)

In der Christ in der Gegenwart hält André Lorenz ein flammendes Plädoyer für einen entschiedenen Kampf gegen die Klimakatastrophe, die nun auch nicht mehr droht, sondern längst begonnen hat. Wie auch Christian Stöcker (@ChrisStoecker) in seiner SPIEGEL-Kolumne „Die Eltern sind noch längst nicht wütend genug“ zum neuen Bericht des Weltklimarates (ausführliches Material hier), hebt Lorenz auf die Beziehung zwischen Eltern und Kindern ab. Lorenz sieht vor allem Christen in der Verantwortung:

Wir als Christen sollten uns angesichts dieser buchstäblich katholischen, allumfassenden, Katastrophe besonders gedrängt fühlen, umzukehren und in eine neue Richtung voranzugehen: Jede Pfarrgemeinde kann am kommenden Erntedankfest auf die Bedeutung der regionalen Landwirtschaft hinweisen und lokale Produzenten zu einem Kirchmarkt einladen. Jede Diözese kann ein Programm auflegen, mit dem Kirchenstiftungen dabei unterstützt werden, an ihren Kirchen eine Ladesäule für Elektroautos zu installieren.

Lorenz ist sich sicher, dass „[d]ie Politik den Klimawandel nicht eindämmen [wird], die Wirtschaft auch nicht. Das kann nur jede und jeder Einzelne von uns.“ Damit sollte jedoch keine vollständige Abwälzung notwendiger politischer und wirtschafts-ethischer Entscheidungen hinein in den Raum individualethischer Verantwortung gemeint sein.

(aus den #LaTdH vom 22. August 2021)

Die rechte Ecke: Töchter Gottes auf Abwegen

Von Philipp Greifenstien, „Die rechte Ecke“, 23. Oktober 2020

Auf der Höhe der Corona-Pandemie und in der Präsidentschaft Donald Trumps blühten die Verschwörungsmythen – auch und besonders unter rechten Christen. Philipp Greifenstein geht in dieser Ausgabe seiner Kolumne „Die rechte Ecke“ der charismatischen „Nationentheologie“ auf den Grund, die von evangelikalen Neo-Charismatiker:innen (Pfingstler) propagiert wird. Dazu schaut er sich (damals) aktuelle Beispiele aus dem deutschsprachigen Raum an und erklärt, warum manche Christen Donald Trump für eine Art Messias halten.

Bei der „Nationentheologie“ handelt es sich aber nicht um eine völkische Ideologie, wie sie von den Deutschen Christen aus der Zeit des Nationalsozialismus bekannt ist. Auch wenn manche Formulierung aus dem Munde Hammonds und Wentlands, auf Hitler statt auf den US-Präsidenten gemünzt, in den Schriften der Nazi-Christen zu finden ist.

Vielmehr verdankt sich der charismatische Nationengedanke der Idee, man lebe in einer Endzeit, in der sich alle Völker – inklusive der Juden – bekehren müssten, um die Wiederkunft Christi einzuleiten. Deshalb werden mit Übergabegebeten und Segenszusprüchen explizit einzelne Länder bzw. Kontinente adressiert („Europe shall be saved“, „Deutschland betet gemeinsam“).

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„Denn siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt, ihr´s denn nicht?“ Foto: Anthony Ievlev (Unsplash)

Apocalypse Now

Von Juliane Assmann, 11. Juni 2020

In der ersten Phase der Corona-Pandemie in Europa erschienen in zahlreichen Medien Artikel, die „Chancen in der Krise“ ausmachten. Wissenschaftler:innen und Journalist:innen überschlugen sich mit Voraussagen und Wünschen, wie die Welt „nach“ Corona ausschauen sollte, was „wir“ nun alle lernen könnten. Nachdem die Pandemie für die meisten Menschen zu einer Art Hintergrundrauschen unserer Normalität geworden ist, können wir sagen: Vieles davon hat sich nicht bewahrheitet.

Bereits im Juni 2020 ging die Theologin Juliane Assmann hier in der Eule der Frage nach, wie sich Kirche und Gesellschaft angesichts der Krise nachhaltig verändern können. Wir erleben keinen Weltuntergang, aber eine Zeit der Enthüllung, in der wir uns die Frage stellen können: „Was wäre, wenn …?“

Die Lüge unter der wir leben, ist das Gefühl des Mangels. Wir haben nicht genug. Wir leisten nicht genug. Wir sind nicht genug. Angeblich. Die Urbotschaft des Evangeliums ist das gebrochene Gegenteil: Ganz am Anfang der Schöpfungsgeschichte spricht Gott allen Geschöpfen zu, dass sie gut sind, sogar sehr gut. In vielen Erzählungen wird dann klar, dass wir Menschen trotzdem auch viel Mist verursachen und „von Grund auf böse“ sind (Noah, Gen 9). Die Lebens-, Sterbens-, und Auferstehungsgeschichten Jesu führen uns vor Augen, dass die Sünde und der Tod in und um uns jedoch nicht das letzte Wort haben werden.

Mit diesem Diktum der Fülle, der Verschwendung, des Rechts auf Luxus liegt dem christlichen Glauben ein zutiefst antikapitalistischer Gedanke inne: Wir haben nicht zu wenig, sondern mehr als genug, um ein gutes Leben zu führen.

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Deutschland betet für das Jüngste Gericht

Von Philipp Greifenstein, 7. April 2020

Mitten während der ersten Phase der Corona-Pandemie in Deutschland luden charismatisch orientierte Christen um Johannes Hartl zu „Deutschland betet gemeinsam“ ein. Philipp Greifenstein hat sich die Organisatoren und die Ideologie hinter der Veranstaltung gründlich angeschaut. Auf der Unterstützer:innen-Liste fanden sich damals PolitikerInnen, Künstler:innen und weitere Prominente. Ob sie alle davon wussten, welche endzeitliche Theologie mit antisemitischen Untertönen von den Macher:innen vertreten wird?

Zum Gebet laden evangelikale und charismatische Organisationen ein. Darunter Prediger, die sich als Verkünder der Endzeit verstehen. Fadi Krikor vom „Fathers House for all Nations“ bekennt auf seiner Website freimütig, Gott habe „persönlich und durch mehrere prophetische Worte“ zu ihm gesprochen. Krikors Mission besteht darin, „die Völker“ in der Endzeit zu sammeln. Es gäbe dafür eine „Dringlichkeit im spirituellen Reich“, Gott selbst habe „Alarm geläutet, seine Armee und Wächter zu sammeln“. […]

Diese Endzeitidelogie breitet sich derzeit unter evangelikalen und charismatischen Christ*innen aus. Die Corona-Krise wirkt als Katalysator dieser Entwicklung, Endzeit-Prophetien haben in unsicheren Zeiten Konjunktur. Messianische Juden und evangelikalen Zionisten predigen die Überzeugung, dass die Bekehrung aller Völker und ganz Israels die Wiederkunft Christi auslösen wird. Diese werde in Jerusalem geschehen, wohin sich alle Völker und ganz Israel wenden müssen. In die Krisensituation hinein kann bei einiger rhetorischer Zurückhaltung anschlussfähig kommuniziert werden: Im Gebet von „Deutschland betet gemeinsam“ wird die Krise als „Chance, durch die viele Menschen neu zu Dir [Gott] finden“, gedeutet.

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„So will ich zu Gott bitten, dass er uns gnädig sei und es abwehre“

Von Jonathan Reinert, 10. April 2020

Ganz andere Töne schlägt der Theologe und Kirchengeschichtler Jonathan Reinert an: Er erklärt, was wir Martin Luthers Gedanken über den Glauben in Seuchenzeiten heute noch abgewinnen können. Der Reformator hatte sich mit „Ob man vor dem Sterben fliehen möge“ nämlich während eines Ausbruchs der Pest in Wittenberg 1527 ausführlich zu Wort gemeldet. Zitate aus der Schrift kursierten gerade in der Anfangszeit der Corona-Pandemie und Jonathan Reinert ordnete diese für die Eule ein. Dazu erzählt er auch von weiteren Seuchen- und Weltuntergangsstrategien aus der Kirchengeschichte

Weniger Transzendenz, mehr Immanenz – so könnte „die Moral von der Geschicht’“ lauten. Doch das wäre nicht nur ein theologischer Kurzschluss, auch historisch dürfte sich die Lage komplexer darstellen – jedenfalls, wenn man neben den großen Linien auch die Nuancen im Blick behält. Das eingangs angeführte Zitat Luthers aus der Reformationszeit, also ca. 100 Jahre vor dem Dreißigjährigen Krieg, sollte als Hinweis genügen.

Luther ist hier nicht – wie er gern genutzt wird – „seiner Zeit voraus“. Eher kann er beispielhaft dafür angeführt werden, dass die theologische Auseinandersetzung und die Verarbeitung in der praktizierten Frömmigkeit meist vielfältiger und differenzierter waren, als es rückblickende Vereinfachungen suggerieren.

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In Eule-„Deep Dive“-Dossiers sammeln wir Beiträge aus dem Magazin und ausgewählte Leseempfehlungen aus den #LaTdH, unserem wöchentlichen Kirchennachrichten-Newsletter, zu Themen, die uns über einen längeren Zeitraum immer wieder und intensiv beschäftigen. Neue Beiträge zum Thema werden ergänzt. Die „Deep Dive“-Reihe wird in unregelmäßigen Abständen fortgeführt: Sag uns gerne hier in den Kommentaren, zu welchem Thema Du dir ein „Deep Dive“-Dossier der Eule wünschst!


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