#Liebegewinnt oder Flügge werden auf dem Synodalen Weg?

Unter dem Schlagwort „Liebe gewinnt“ werden in diesen Tagen in der römisch-katholischen Kirche Segnungsgottesdienste auch mit homosexuellen Christ:innen gefeiert. Wie geht es jetzt weiter?

Am Anfang war das Nein. An der altbekannten Position des römisch-katholischen Lehramtes bestand nämlich kein Zweifel. Zumindest sind keine Bischöfe, keine Theolog:innen und auch keine Gläubigen bekannt, die voller Verunsicherung verschiedene Aspekte des Themas betrachtet, Pro- und Contra-Argumente abgewogen und sich dann in quälender Unsicherheit mit der Bitte nach Rom gewandt hätten, endlich eine erlösende Antwort zu erhalten auf die Frage:

Hat die Kirche die Vollmacht, Verbindungen von Personen gleichen Geschlechts zu segnen?

Zwar hatte sich der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Limburger Bischof Georg Bätzing, in einem Interview mit der Herder Korrespondenz im Januar 2021 weit aus dem Fenster gelehnt, als er laut darüber nachdachte, was „möglicherweise auch ohne eine offizielle Anerkennung aus dem Vatikan machbar“ sein könnte, aber er hatte gleichzeitig auch die lehramtlichen Grenzen in Erinnerung gerufen:

„Wir brauchen hierfür Lösungen, die nicht nur im Privaten greifen, sondern auch eine öffentliche Sichtbarkeit haben – aber deutlich machen, dass keine Ehe gestiftet wird.“

Wer im Einklang mit dem Katechismus der Katholischen Kirche die „schlimme Abirrung“ der Homosexualität grundsätzlich als „in keinem Fall zu billigen“ ansieht, einzelnen homosexuellen Menschen – die „zur Keuschheit gerufen“ sind und sich mittels der „Tugenden der Selbstbeherrschung“ darum bemühen –  aber mit „Mitleid“ begegnet und sich hütet, „sie in irgend einer Weise ungerecht zurückzusetzen“, der hält für Homosexuelle, die sogar Partnerschaften eingehen und dafür einen kirchlichen Segen erbitten, konsequenterweise nur die Antwort „Nein“ bereit.

Die „Erläuternde Note“ zu dem von der Kongregation für die Glaubenslehre am 15. März 2021 veröffentlichten „Responsum ad dubium“ lässt erkennen, dass als Grund für die Wortmeldung jedenfalls weniger angeblich „vorgelegte Zweifel“, sondern eher gegen die Norm verstoßende Praktiken entscheidend waren:

„In einigen kirchlichen Bereichen verbreiten sich Projekte und Vorschläge von Segnungen für Verbindungen von Personen gleichen Geschlechts.“

Segen durch die Hintertür?

Noch am Abend der Veröffentlichung des „Responsum“ starteten der Paderborner Pfarrer Bernd Mönkebüscher und der Würzburger Hochschulseelsorger Burkhard Hose (Eule-Interview und Rezension „Seid laut!“) über Facebook die Aktion #mehrsegen und versprachen, sie würden „Menschen, die sich auf eine verbindliche Partnerschaft einlassen, auch in Zukunft begleiten und ihre Beziehung segnen“.

Für ganz so selbstverständlich halten aber auch die beiden Priester ihre abweichende Praxis nicht:

„Zur Realität dieser Kirche gehört bislang, dass eine Segensfeier für homosexuelle Paare und für Menschen, die nach einer zerbrochenen Ehe sich neu verlieben, meist heimlich passieren muss. Ein Segen durch die Hintertür jedoch ist beschämend – für die zu Segnenden und für die Kirche.“

Innerhalb einer Woche schlossen sich mehr als 2 000 Seelsorger:innen, über 200 Theologieprofessor:innen, Religionslehrer:innen und Verbände dem Aufruf #mehrsegen an, die gesammelten Unterschriften wurden dem Aachener Bischof Helmut Dieser und Birgit Mock, der familienpolitischen Sprecherin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), übergeben.

Inzwischen ist auch die Zeitschrift Publik-Forum auf den fahrenden Zug aufgesprungen und rührt weiterhin die Werbetrommel: 10 000 weitere Unterstützer:innen hat die Kampagne gefunden. In einem Begleitartikel schreibt Redakteur Michael Schrom:

„Der Protest gegen das Segnungsverbot aus dem Vatikan zeigt Wirkung – zumindest bei den meisten deutschen Bischöfen. Soll dies nicht verpuffen, muss die Aktion weitergehen.“

Wir werden frei sein, wenn wir uns lieben …

Rund um den 10. Mai sind unter dem Hashtag #liebegewinnt nun Segensgottesdienste geplant, um „mit vielen kreativen Zeichen sichtbar zu machen, wie sehr viele Menschen in der Kirche die bunte Vielfalt der verschiedenen Lebensentwürfe und Liebesgeschichten von Menschen als Bereicherung und Segen empfinden.“

Unterstützt wird die Aktion auch von der kölschen Rockband Brings, die eine „Rainbow-Edition“ ihres Hits „Liebe gewinnt“ mit Bildern von Regenbogenfahnen illustriert, die an römisch-katholischen Kirchen wehen:

Die Strophe beschwört zunächst die Hoffnung auf ein „Wunder“, dass nötig sei, damit „wir endlich kapier’n, dass wir alle gleich sind, und nur die Liebe gewinnt“. Die Kernaussage des Liedes folgt dann im Refrain: „Wir werden frei sein, wenn wir uns lieben …“

Hier dürfte auch das eigentliche Motiv für die Glaubenskongregation liegen, die traditionelle Sexualmoral in Erinnerung zu rufen: Kontrollverlust ist die größte Angst der Mächtigen im römisch-katholischen System (mit Brings gesprochen: „es wird vorbei sein“). Während man sich auch im Vatikan keine Illusion über die abweichende Praxis vieler Gläubigen macht – das ist man spätestens seit der „Pillen-Enzyklika“ Humanae vitae von 1968 gewohnt – werden den bischöflichen Verantwortungsträgern die bekannten kirchenrechtlichen Normen eingeschärft.

Falls Theolog:innen allzu nassforsch von der geltenden Lehre abweichende Positionen vertreten, werden ihnen mehr oder weniger subtil die amtskirchlichen Grenzen der Wissenschaftsfreiheit aufgezeigt. Und „bei aller sehr gerne zugestandenen journalistischen Freiheit“ entscheiden die Bischöfe über „die Verwendung von Kirchensteuermitteln für die Finanzierung bestimmter Medien“. Von daher ist kein „Osterjubel“ angebracht, wenn der Passauer Bischof bedauert, er habe im Streit mit Johanna Rahner „in Kauf genommen, dass seine Analyse als Drohkulisse verstanden werden konnte“.

Unergiebig sind auch Spekulationen darüber, was die gegenüber früheren Dokumenten abweichende „Approbationsformel“ (der Papst sei über den Text „informiert“ worden und habe seine Veröffentlichung „gutgeheißen“, statt den Text „gutzuheißen“ und die Veröffentlichung „anzuordnen“) zu bedeuten habe  und ob die Drohung mit Sanktionen nur ein „juristischer Popanz“ wäre, um „Bischöfe einzuschüchtern“ – Rom hat lediglich die geltende Lehre wiederholt.

Die Regenbogenfahne vor der Kirche (Foto: Abdr. gen. #liebegewinnt)

Im Vergleich zu früheren Manifestationen des begrenzten Widerstands (neben dem Streit um „Humanae vitae“ oder dem „Fall Küng“ sei an die „Kölner Erklärung“ 1989 oder das KirchenVolksBegehren 1995 erinnert) droht inzwischen eine „Kernschmelze“ bislang als sicher geglaubter Milieus, für die sich der Frust über verweigerte Reformen oder den Umgang mit dem Missbrauchsskandal immer häufiger nicht mehr in innerkirchlichen Protestnoten erschöpft, sondern – wie bei den Gründerinnen der neuen Bewegung „Maria 2.0“ – auch als Kirchenaustritt bemerkbar macht.

Anders als früher stellen die vielen Gruppen und Gemeinden, die sich der Kampagne #liebegewinnt angeschlossen haben, keine Forderungen mehr oder bitten um Erlaubnis, sie entscheiden selbst, wie sie handeln:

„Wir tun dies in unserer Verantwortung als Seelsorgerinnen und Seelsorger, die Menschen in wichtigen Momenten ihres Lebens den Segen zusagen, den Gott allein schenkt.“

Runter vom Baum!

Noch bevor der gefährliche Mut, sich des eigenen Verstandes „ohne Leitung eines anderen zu bedienen“, in den Gottesdiensten rund um den 10. Mai erfahren und gefeiert werden kann, meldete sich der Kommunikationsberater Erik Flügge mit einem unverhohlen paternalistischen Aufruf zur Deeskalation zu Wort:

„Jetzt stellt sich die Frage jeder Protestbewegung: Wie machen wir weiter? Was könnte das nächste Zeichen sein? Wie erhöhen wir den Druck? Was kommt nach den jetzt schon so umstrittenen Segnungsgottesdiensten noch obendrauf? Es tut mir leid, aber in unserem Fall ist dies die falsche Frage. Die Richtige ist, sich zu fragen, wie man jetzt langsam wieder runter vom Baum kommt.“

Flügges Gastbeitrag auf dem Portal katholisch.de ist offenkundig Teil einer strategischen Kommunikation, die den unkontrollierbar erscheinenden Aufbruch im deutschen Katholizismus wieder in die amtlich zugelassenen Bahnen lenken soll, bei der nur die „richtigen Fragen“ gestellt werden.

Anders als bei der von der Bischofskonferenz und ZdK veranstalteten Beteiligungssimulation des „Synodalen Weges“ hat man es bei der Aktion #liebegewinnt nämlich „nicht mit einer zentral geführten Kampagne zu tun, sondern mit einer Bewegung aus vielen Einzelteilen“, die „niemand steuert oder steuern kann“.

Für eine Kirche, die nach eigenem Selbstverständnis „Kommunikationskontrolle als Heilsdienst“ ansieht, liegt es nahe, sich in dieser Situation eines Beraters zu bedienen, der ihr Hoffnung macht, wieder das Steuerrad in die Hand bekommen zu können. Erik Flügge leitet nicht nur eine Werbeagentur in Köln, sondern unterrichtet auch „Kampagnenstrategie an der Universität Bochum im Studiengang für crossmediale Glaubenskommunikation“. Dabei arbeitet er eng mit dem Zentrum für angewandte Pastoralforschung (ZAP) zusammen.

Zum Arbeitsansatz dieses „Think-Tanks für pastorale Innovation“ gehört „die andauernde und systematisch implementierte Kontrolle der Veränderungsprozesse“ in den deutschen Bistümern. Das ZAP „initiiert mit seinen Partnern konkrete und kontrollierte Experimente in den verschiedenen pastoralen Einsatzfeldern“, erklärtes Ziel ist die „Verbesserung des Führungshandelns (Organisationssteuerung)“.

Zurück an den Tisch!

Das Storytelling, man habe „mit diesem gigantischen Protest jetzt schon alles erreicht“, soll offenbar den Druck aus dem Kessel nehmen, denn – das hat Flügge richtig erkannt – eine weitere Konfrontation hätte „systemsprengendes Potential“.

Warum aber sollten sich die Gläubigen mit dem bisher offenbar gewordenen „Autoritätsverlust“ Roms zufrieden geben? Zum „inhaltlichen Kompass“ des ZAP gehört es, dass der „Möglichkeitsraum zu erwartender Lösungen eingegrenzt“ werden müsse. Der Vatikan könne sich folgerichtig gesichtswahrend damit begnügen, „die Kirche in Deutschland weiter im Graubereich gewähren zu lassen“. Wie weit der von Flügge in Aussicht gestellte „Freiraum der Koexistenz in wechselseitiger Skepsis“ reicht, wird von Rom entschieden.

Die widerspenstigen Gläubigen in Deutschland, die einen kurzen Moment davon träumten, sie könnten frei sein, fordert Flügge auf, „zurück an den Tisch des synodalen Wegs zu gehen“. Schon am 28. April hatte Bischof Bätzing in diesem Sinne erklärt, er halte …

„… öffentliche Aktionen, wie die für den 10. Mai geplanten, nicht für ein hilfreiches Zeichen und einen weiterführenden Weg. Segnungsgottesdienste haben ihre eigene theologische Würde und pastorale Bedeutung. Sie sind nicht als Instrument für kirchenpolitische Manifestationen oder Protestaktionen geeignet. (…)

Der Synodale Weg ist in der gegenwärtigen Situation ein zentraler Ort, das Thema gelingender Beziehungen in einer umfassenden Weise zu diskutieren.“

Auf dem Synodalen Weg aber gilt die „Freiheit des Herrn Woelki“, der im Februar 2020 über die Herder Korrespondenz verlautbaren ließ, er fühle sich bei der Umsetzung von Beschlüssen „vollkommen frei, nur meinem Gewissen und dem Glauben der ganzen Kirche verpflichtet“.