Kolumne Gotteskind und Satansbraten

Margot Käßmann und die Herdprämien-Muttis

Müssen Frauen nach Macht streben, um erfolgreich zu sein. Daniela Albert findet: Veränderung geschieht oft im Kleinen, Verborgenen und Ungesehenen.

„Nur mit Macht kannst du etwas gestalten“, sagte Margot Käßmann in einem Statement zum Weltfrauentag und ermutigte damit Frauen in den Kirchen – und bestimmt auch allen anderen Bereichen des Lebens – nach Macht zu streben. Gut so, möchte ich sagen.

Denn gerade in Kirchen wird von Frauen oft eine Art der Demut erwartet, die sie klein hält. Man wartet, bis man gerufen wird und drängt sich nicht in den Vordergrund. Immerhin geht es nicht um eine selbst, sondern um Nachfolge. Gottes Plan für dich. Das Seltsame daran ist nur, dass die „Gerufenen“ auch heute noch überwiegend Männer sind.

Es fällt mir schwer zu glauben, dass es sich um den Plan eines Gottes handelt, der in der Bibel oft Frauen für die allerwichtigsten Angelegenheiten gerufen hat. Ich denke eher, dass es in der Kirche einfach nicht viel anders ist als überall: Wenn Frauen nicht bewusst Machtpositionen einfordern und sich gegenseitig dabei unterstützen, sie zu erreichen, bleiben sie auch zu Beginn der 2020er-Jahre noch auf den hinteren Plätzen. Von daher: Ja – ich möchte Frau Käßmann zustimmen.

Doch gleichzeitig knabbere ich an diesem Satz: „Nur mit Macht kannst du etwas gestalten.“ Ist das wirklich so? Ich glaube nicht. Wenn ich in meinem Leben, in meinem Forschen und in meinem Arbeiten eins gelernt habe, dann, dass viele Verbesserungen eben nicht nur aus den Positionen der Macht heraus entstehen. Viel Potenzial für Veränderung und für Verbesserung liegt im Kleinen. Im Verborgenen. Ungesehenen.

Gerade die Coronapandemie hat uns gezeigt, wer in dieser Gesellschaft wirklich gebraucht wird. Auf Bischöf:innen, Kardinäle, und Fußballmanager:innen hätten wir getrost ein paar Monate – und auf manche auch länger – verzichten können. Manche waren einfach nur unwichtig und andere standen sogar unnötig im Weg herum.

Wen brauchten wir? Krankenpfleger:innen, Hausärzt:innen, Altenpfleger:innen, Verkäufer:innen, Erzieher:innen und Menschen in der sozialen Arbeit. Was uns Kraft gab, waren die Dorfpfarrer:innen in ihren kleinen Kirchen, die die Tür offen ließen, anriefen, auf Abstand mit uns beteten oder einen Livestream-Gottesdienst auf die Beine stellten.

Feminismus, Herdprämie und Pflegearbeit

Was wir auch dringend brauchten: Die Mütter und die Väter, die treu zu ihren Kindern standen. Die Homeschooling übernommen haben und Kindergartenfreundschaften ersetzten. Die Angst weggekuschelt und Tränen getrocknet haben. Die drei Mahlzeiten am Tag zubereiteten und die ihr komplettes Leben vor genau einem Jahr an den Nagel hingen, um Kinder und Jugendliche nicht allein zu lassen in ihrer Not. Ich glaube, in genau diesen Dingen liegt immenses Gestaltungspotenzial. Wir verdanken es all diesen Menschen, dass wir die Pandemie überhaupt hoffentlich irgendwann gewuppt haben werden.

Es ist zweifellos wichtig, dass eine Frau, die es nach oben geschafft hat, für Frauen einsteht, die das auch möchten und sie bestärkt. Doch ich finde es genauso wichtig, dass Frauen auch für Frauen eintreten, die ein anderes Lebensmodell wollen. Hätte ich vor zwölf Jahren doch nur gewusst, dass ich nicht automatisch aus dem Club der Feministinnen fliege, wenn ich meinem Herzen folge! Es hätte mir viel Leid und so manchen Irrweg erspart.

Als ich Mutter wurde, stellte ich mit jedem Jahr und jedem Kind mehr fest, dass mich selbstgebackene Brote und gut tragende Obstbäume glücklicher machen als akademische Titel und wissenschaftliche Battles um Ansehen und Jobs. Damals hatte ich das Gefühl, mein Ausschlussverfahren sei eingeleitet. Ich hatte das von vielen verachtete Bionade-Bidermeier-Leben gewählt statt meine Karriere weiterzuverfolgen. Ich hatte die Sache der Frauen verraten und war fortan eine Herdprämien-Mutti. Dass unser Familienleben nie „klassisch“ und ich weit weg vom Klischee der 50er-Jahre-Hausfrau war, juckte damals die wenigsten.

Einige Jahre später staunte ich Bauklötze, als ich feststellte, dass ich mitnichten allein war. Ich traf Frauen, denen es ähnlich ging wie mir – und darin keinen Widerspruch zum Feminismus sahen. Ich lernte den Begriff Carework kennen und verstand, dass es ein feministisches Anliegen ist, dafür zu kämpfen, dass Sorgearbeit nicht automatisch zu Abhängigkeit oder Armut führt.

Langsam und allmählich fand ich zurück und verstand, dass wir nur was verändern können, wenn wir einander stützen und wenn die, die Macht im Großen wollen und die, die lieber im Kleinen verändern, zusammenhalten. Ich erkannte, dass das Eintreten für Frauenrechte ein weltweites Anliegen ist und dass wir neben unseren eigenen privilegierten Lebensentwurf-Battles die im Auge haben müssen, für die Frauenrechte ein Kampf ums nackte Überleben ist.

Wenn’s wirklich ernst wird

Deshalb ist es mir heute wichtig euch eins zu sagen, liebe Frauen: Ja, es ist voll okay, nach Macht zu streben. Mehr als das! Wir brauchen euch an wichtigen Positionen. Genauso in Ordnung ist es aber auch, seinen Platz woanders zu finden. Ihr seid nicht weniger wichtig, wenn ihr lieber Kranke pflegt, Kinder großzieht, Gärten anlegt, unterrichtet oder kleine Dorfkirchen in der Krise offen haltet.

Lasst uns gemeinsam an einer anderen Welt bauen, in der Worte wie Misogynie, Patriarchiat, Genderpay-Gap, Sexismus und so vieles mehr nur noch im Geschichtsunterricht vorkommen. Der Weg dahin läuft über die Schaltstellen der Macht und über das Lieben und Versorgen der nächsten Generation. Über gut bezahlte Jobs und über ehrenamtliches Engagement für Frauen weltweit. Er läuft über das Erarbeiten von Gesetzentwürfe und das Unterrichten von Jungen und Mädchen. Er läuft über das politische Engagement für soziale Gerechtigkeit und über den fairen Einkauf von Kaffee, Schokolade und Klamotten für die Familie.

Hören wir bitte ein für alle Mal auf, eins gegen das andere auszuspielen! Schließlich bauen wir gemeinsam am Reich Gottes – und Gott hat schon immer gern auf Frauen gesetzt, wenn es wirklich ernst wurde.