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Mehr Kirchensteuer wagen!

Wieder einmal wird über die Zukunft der Kirchensteuer gestritten. Eine hinkende Debatte, die von Ressentiments und Faktenferne geprägt wird. Ein Kommentar.

Haben Sie mitbekommen, dass wieder einmal über die Kirchensteuer gestritten wird? Wenn ja, gehören sie entweder zu den Menschen, die Bischöf:innen-Berichte auf Synoden wahrnehmen oder zum Beispiel die „Links am Tag des Herrn“ lesen. Sie sind hervorragend informiert und gehören zu den hochverbundenen Kirchenmitgliedern. Sie zahlen, wenn schon nicht gerne, so doch zu Recht.

Oder Sie gehören zu denen, die beim Thema Kirchensteuer zuerst an die Verquickung von Staat und Kirche denken, an die Verwaltungskirchlichkeit, an unermesslichen Reichtum, der sich in den Schatzkammern von (Erz-)Bistümern und Landeskirchenämtern türmt. Ihnen drängt sich die Frage auf: War denn nicht der Heiland selbst ein armer Mann?

Oder sie gehören zu denjenigen, die mit der Kirchensteuer selbst negative Erfahrungen gemacht haben. Vielleicht geht es Ihnen auch gar nicht so sehr um den Kirchensteuereinzug, sondern darum, wie die Millionen verwendet werden? Oder Sie gehören zu jenen, die vor allem ein Problem mit der Kirche haben – mit ihrem politischen Engagement zum Beispiel.

Kirchensteuerkritik als Ventil für Kirchenkritik

Denn die Kirchensteuer ist Dauerthema, allerdings vor allem bei den hartgesottenen Gegnern der Kirchen. Einige strenge Laizisten auf der politischen Linken und gewöhnliche Rechtspopulisten fordern die Abschaffung der Kirchensteuer gewohnheitsmäßig. Den einen missfällt die „hinkende Trennung“ von Staat und Kirche, wie sie im Grundgesetz verankert ist. Für die anderen ist die Forderung nach Abschaffung der Kirchensteuer ein Vehikel, ihrem Unmut über die „politische Einmischung“ der Kirchen an der Seite von Flüchtlingen Luft zu machen.

Man kann der Kirchensteuer aber auch aus legitimen und guten Gründen kritisch gegenüberstehen – gerade als Kirchenmitglied. Anknüpfend an Überlegungen der Landesbischöfin der Nordkirche, Kristina Kühnbaum-Schmidt, entspinnt sich gegenwärtig eine Debatte vor allem in den evangelischen Kirchen. Hintergrund ist auch der erhebliche Rückgang der Kirchensteuereinnahmen durch die Corona-Pandemie, der für dieses und kommendes Jahr angekündigt ist.

Kühnbaum Schmidt regt dazu an zu prüfen, ob „wir an einem Zeitpunkt angekommen sind, wo genau dieses Modell nicht mehr allein ein Problem löst, sondern selbst neue Probleme und Fragen hervorruft, zu deren Lösung es selbst nicht mehr in der Lage ist“. Die Frage nach einer sinnvollen Reform der Kirchensteuer ist damit gestellt. Antworten darauf wird nur formulieren können, wer sich zuvor mit der Realität der Kirchensteuer in Deutschland befasst hat. Denn wie viele Debatten über Religionen und Kirchen wird auch die Kirchensteuer-Debatte häufig aus dem eigenen Vorurteil geführt.

Das ist erstaunlich, weil die Kirchensteuer eigentlich recht transparent eingezogen und verwendet wird. Insbesondere die evangelischen Kirchen legen sich selbst auf Synoden und in jedem Kirchenvorstand Rechenschaft über die Verwendung der Gelder ab. Auf den Websites der Kirchen finden sich detailreiche Auflistungen und Kassenberichte, manche scheuen gar die Mühe nicht, die eigenen Geldströme in anschaulichen Grafiken und in Leichter Sprache offenzulegen.

Demgegenüber kommt die Kirchensteuerkritik und so mancher Reformvorschlag erstaunlich unterkomplex daher – auch wenn man viele Worte darüber verliert. Ja, die Kirchensteuerkritik krankt an Verachtung und/oder Desinteresse, die sie den Kirchen entgegenbringt und das sie blind macht, manche Vorzüge und die wahren Schwächen des Systems zu erkennen.

Kirchensteuer wird prinzipiell freiwillig gezahlt

Die Kirchensteuer wird ausschließlich von Kirchenmitgliedern gezahlt, die lohn- oder einkommenspflichtig sind. Nur etwa die Hälfte aller Kirchenmitglieder zahlt deshalb die Kirchensteuer. Die Kirchensteuer ist prinzipiell ein freiwilliger Mitgliedschaftsbeitrag, niemand muss Kirchensteuer zahlen. Wer keine Kirchensteuer zahlen möchte, kann aus den Kirchen austreten.

Die prinzipielle Freiwilligkeit der Zahlung unterscheidet sie von anderen Steuern und begründet ihre Akzeptanz, jedes Jahr auf’s Neue bei 99 % der Kirchenmitglieder. Denn während immer mal wieder kritisiert wird, zahlen ca. 20 Millionen Menschen einfach stur weiter. Alle anderen Reformfragen müssen mit dieser prinzipiellen Freiwilligkeit rechnen, und in ihrem Lichte stellen sich Fragen nach der Organisation des Kirchensteuereinzugs anders dar.

Vorteilhafte Kirchensteuer-Realität

Ist es wirklich so problematisch, dass die Bundesländer den Kirchensteuereinzug gemeinsam mit der Einkommens- oder Lohnsteuer vornehmen? Nicht nur erheben sie dafür Gebühren von ca. 3 % der Einnahmen – das entspricht für 2019 ca. 380 000 000 Euro -, der Kirchensteuereinzug ließe sich kirchenintern wohl kaum günstiger und damit zweckmäßiger organisieren.

Die Kirchen müssten ihren Verwaltungsapparat erheblich aufstocken, also in der Personalpolitik einen vollständigen Richtungswechsel einlegen. Ironischerweise würde durch den Wegfall der staatlichen Serviceleistungen genau die Verwaltungskirchlichkeit gestärkt, die nun wirklich allen auf die Ketten geht. Fraglich ist auch, ob die Kirchen überhaupt genug qualifiziertes Personal fänden und erst Recht, ob sie – wie von manchen gefordert – einfache digitale Wege zur Kirchensteuerzahlung bereitstellen könnten.

Wenn die Kirchensteuer doch freiwillig gezahlt wird, rücken auch Fragen der persönlichen Verantwortlichkeit für die Verwendung der Gelder in den Hintergrund. Nicht nur stehen Informationen darüber reichlich zur Verfügung, in den beiden großen Kirchen haben Kirchenmitglieder auch erhebliche Mitbestimmungsrechte durch Verwaltunsgräte, Synoden und Gemeindekirchenräte.

Die Anonymität der Zahlungen schützt gleichzeitig Geber:innen und Empfänger:innen, denn anders als im Vereinswesen leiten sich aus höheren Beiträgen weder Verpflichtungen noch Vorteile ab. Im Gegenteil: Der reichere Teil der Kirchenmitglieder zahlt solidarisch für den weniger vermögenden Teil mit. Darunter viele Menschen, die die Leistungen ihrer Kirchen nur sehr sporadisch abrufen. Trotzdem beteiligen sie sich an der Finanzierung von Beratungsstellen, Bildungseinrichtungen und nicht zuletzt ermöglichen sie die Allgegenwart der Institution Kirche in unserem Land.

Zwischen 60 bis 80 % der Haushalte der Kirchen werden direkt oder indirekt (z.B. über den innerkirchlichen Lastenausgleich) durch die Kirchensteuer gefüllt. Die evangelischen Landeskirchen wenden wiederum 60 – 70 % ihrer jährlichen Einnahmen für Personalkosten auf. Die Kirchensteuer finanziert also die Pfarrer:in vor Ort und die Kantor:in und sorgt dafür, dass Kirchen und Gemeindebüros öffnen können. Kostenlose Kasualien inklusive.

Welche Probleme müssen tatsächlich gelöst werden?

Landesbischöfin Kühnbaum-Schmidt fordert, offen über die Kirchensteuer nachzudenken, vor allem, da sie begänne mehr Probleme zu machen als zu lösen. Ich kann das gar nicht erkennen. Noch, worin das Problem bestehen sollte, wenn sie sukzessive von immer weniger Menschen gezahlt wird. Fakt ist: Jedes Modell, das stattdessen auf die eigene Aktivität der Zahlenden baut, wäre mit erheblichen Einbußen verbunden – die von den bisher Zahlenden noch nicht einmal intendiert sein müssen.

Wie der Kirchenrechtler Hans Michael Heinig zu Recht meint, wären Massentlassungen von Kirchenbeschäftigten die Folge. Die Produktionsmittel der Kirchen sind ihre Mitarbeiter:innen. Ohne die solidarische Mitzahlung müsste und würde die Kirchen alle Fühler in die Gesellschaft kappen und damit auch an Servicepotential für Nicht-Kirchenmitglieder einbüßen.

Wohin das führt, kann man sich bei den muslimischen Gemeinden in Deutschland anschauen, die keine Kultussteuer einziehen lassen dürfen, weil sie nicht als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannt sind:

Religionsbedienstete werden unzureichend und vor allem aus dem Ausland von interessengeleiteten Akteuren finanziert. Die Wirkung in den Sozialraum beschränkt sich auf die eigene Mitgliedschaft und Klientel, Räumlichkeiten sind unzulänglich und viel zu klein. Eine wirksame gesellschaftliche Kontrolle findet nicht statt. Nicht weniger, sondern mehr Kultussteuer müssen wir also gesamtgesellschaftlich wagen, indem z.B. die muslimischen Religionsgemeinschaften inkludiert werden.

Alles hängt an der Freiwilligkeit

Es hängt alles an der Freiwilligkeit. Wer der Kirchensteuer kritisch gegenüber steht, der muss hier einsetzen. Und dafür gibt es zumindest an zwei Punkten genug Anlass:

Zum einen wären da diejenigen, die trotz Kirchenaustritt ein „Besonderes Kirchgeld“ zahlen müssen, weil sie steuerlich mit einem Ehepartner:in gemeinsam veranschlagt werden, der Kirchenmitglied ist. Aus dieser Misere, gegen den erklärten Willen doch zur Kirchenfinanzierung beizutragen, gibt es bisher zwei Auswege: Den Kirchenaustritt auch der Ehepartner:in oder die Aufgabe der gemeinsamen Veranschlagung bei der Steuer.

Hier sollte und kann man durchaus etwas ändern. Es ist schwerlich zu begreifen, dass sich aus den Jurist:innen-Hirnen, die sich eine solche Lösung überlegt haben, nicht auch eine Reform derselben wringen ließe. Bis dahin sollten die Kirchen auf diese Einnahmen freiwillig verzichten. Aber das Problem ist auch nicht so groß, wie es gelegentlich gemacht wird. Immer weniger Paare in Deutschland lassen sich steuerlich gemeinsam veranschlagen, darüber hinaus haben viele von ihnen Kinder und erhalten darum einen Großteil der Steuer sowieso wieder zurück.

Zum anderen wären da diejenigen, die gerne nicht mehr zahlen wollen, aber den Kirchenaustritt als beschwerlich wahrnehmen. Da steckt Absicht dahinter, auch von Seiten der Kirchen. Natürlich ist ihnen nicht daran gelegen, den Kirchenaustritt zu vereinfachen und zu bewerben. Aber zur Freiwilligkeit der Kirchensteuer gehört auch, sich ihr durch den Vollzug eines einfachen Verwaltungsaktes entziehen zu können, ohne Hürden umgehen zu müssen – und ohne sich den Zorn der Institution Kirche zuzuziehen.