Missbrauch mit dem Missbrauch – Die #LaTdH vom 17. Februar

Statt über die multidimensionalen Ursachen des Missbrauchs zu sprechen, sollen wir über schwule Priester schimpfen!? Außerdem: Huber, Häfner, Halleluja.

Debatte

Das Bischofstreffen zum Missbrauch im Vatikan vom 21. bis 24. Februar naht. Im Vorfeld bemühen sich die verfeindeten Lager in der röm.-kath. Kirche, ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen. Es könnte ja schließlich doch sein, dass von dem Treffen der Vorsitzenden der nationalen Bischofskonferenzen ein deutliches Signal zur Aufarbeitung des Missbrauchs in der katholischen Weltkirche ausgeht. Obwohl Vatikansprecher vor allzu großen Erwartungen warnen, erwartet Hans Zollner, Leiter des Kinderschutzzentrums an der Päpstlichen Universität Gregoriana, „eine Lawine, die man nicht mehr stoppen kann“.

Einen solchen Abgang kann die Weltkirche gut gebrauchen: In vielen Ländern gibt es noch überhaupt keine Sensibiliät für das Thema. Dafür muss man nicht weit reisen, nach Italien oder Polen zu fahren reicht völlig zu. Neben der weltkirchlichen Perspektive könnte noch ein zweiter Aspekt in den Vordergrund rücken, nämlich dass Missbrauch in der Kirche immer multidimensional ist, sich weder in sexuellem Missbrauch erschöpft und bei weitem auch nicht allein Kinder betroffen und bedroht sind.

Erst am 5. Februar erwähnte Papst Franziskus erstmals öffentlich, dass auch Nonnen Opfer von sexuellem Missbrauch durch Priester und Bischöfe werden. Zuvor hatten Schwestern in Indien einen Bischof angeklagt. Wer auch nur einen der Untersuchungsberichte zum Missbrauch in der röm.-kath. Kirche wirklich gelesen hat, der weiß, dass sexueller Missbrauch eingebettet ist in ein gewaltsames System aus körperlicher Gewalt, emotionaler Erpressung und spirituellem Missbrauch.

Beunruhigende Zahlen z.B. aus Australien – wir berichteten – weisen darauf hin, dass es ein riesiges Dunkelfeld von unaufgedecktem Missbrauch an Erwachsenen gibt, das bisher noch nicht ausreichend beleuchtet wurde. Ordensschwestern bilden nur einen kleinen Ausschnitt dieser Opfergruppe. Der Missbrauch ist vielfältig, ebenso sind seine Ursachen. Die Kirche hat keine Zeit mehr für Ausreden und einfache Erklärungen.

„Kein Mensch wird gottgewollt als Homosexueller geboren“ – Interview mit Gerhard Ludwig Müller (Der Spiegel)

Reaktionäre Kritiker von Papst Franziskus beeilen sich im Vorfeld des Bischofstreffens trotzdem, die Missbrauchsdebatte erneut als ein „Schwulenproblem“ zu framen. Ganz nach dem Motto: Wenn Missbrauch nur häufig genug mit Homosexualität verknüpft wird, glaubt’s am Ende jede*r!

Natürlich muss man dafür so tun, als ob das Missbrauchsproblem der Kirche allein aus dem sexuellen Missbrauch minderjähriger Jungen resultiert. Dann aber geht es schnell: Schwul = pädophil, fertig ist der perfekte Deutungsrahmen. Schuld können so unmöglich intransparente Strukturen, Machtmissbrauch, ein gefährliches Gottes- und Amtsverständnis, der Zwangszölibat etc. etc. sein. Nein, Schuld hat die „Schwulenmafia“, die sich „die heilige Kirche“ zum Raub gemacht hat.

Eine billige Verschörungstheorie, die sich kein ernstzunehmender Gesprächspartner zu eigen macht? Kardinal Gerhard Ludwig Müller ist sich jedenfalls nicht zu fein, sie im aktuellen Spiegel zu bedienen. Er ist damit nur einer der prominenten konservativen Papstkritiker, die sich im Vorfeld des Treffens exponieren.

Salacious new book says homosexuality is rampant at the Vatican – Daniel Burke (CNN, englisch)

Der Schwulenhass der Viganòs, Müllers und Brandmüllers findet Nahrung in immer weiteren Geschichten über die Macht einer „Schwulenlobby“ im Vatikan. Ausgerechnet am 11. Februar zu Beginn des Bischofstreffens erscheint nun ein neues, reißerisches Buch von Frederic Martel, in dem er unbelegt davon spricht, 80 % der Priester im Vatikan wären schwul. Weitere Ungereimtheiten im Buch deckt der CNN-Vatikanspezialist Daniel Burke (@BurkeCNN) auf.

But ultimately the book provides little for either conservative or liberal Catholics to cheer about. Prominent figures in the papacies of John Paul II and Benedict XVI are portrayed as hypocrites, liars or sexual deviants. Some stories appear to be well-sourced, like the tale of a late Colombian cardinal who allegedly beat male prostitutes. Others are mere rumors.

Schlussendlich bietet das Buch sowohl für konservative als auch liberale Katholiken keinen Anlass zum Jubel. Prominente Akteure der Pontifikate von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. werden als Heuchler, Lügner oder sexuelle Abweichler gezeichnet. Manche Geschichten scheinen gut belegt zu sein, wie die des verstorbenen Kolumbianischen Kardinals, der angeblich männliche Prostituierte geschlagen hat. Andere sind bloß Gerüchte.

In den kommenden Tagen und Wochen können wir uns noch auf eine Menge dieses Framings einstellen. Den Missbrauch allein als ein Problem mit schwulen Priestern darzustellen, ist einfach zu verlockend für jene, die ihre eigene Macht durch eine „Lawine“ von notwendigen Reformen bedroht sehen.

Studie: Gefährdung der Jungen – Michael Schröter-Kunhardt (Deutsches Ärzteblatt)

Von irgendwoher erhält das Vorurteil, Schwule wären besonders zu Missbrauchstätern prädestiniert, immer wieder Aufschwung und Legitimität. Zumindest im deutschsprachigen Raum berufen sich viele – besonders Christ*innen! – auf diesen Leserbrief (!) im Deutschen Ärzteblatt (@Dt_Aerzteblatt), der auf eine Studie zu Kindern in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften reagiert.

Darin versammelt der Autor eine Reihe von Vorurteilen gegenüber Schwulen und belegt sie scheinbar mit Ergebnissen zahlreicher Studien. Wie andere Mediziner*innen wiederum in Reaktion auf seinen Leserbrief klarstellen (hier, hier & hier) lässt sich der Autor von seinen schwulenfeindlichen Vorurteilen leiten. Schon beim oberflächlichen Lesen werden die Löcher in seiner Argumentation klar.

Dem Ärzteblatt war bei Erscheinen der Studie im Jahr 2009 offenbar wichtig, eine kontroverse Diskussion zuzulassen. Die Studie hatte ergeben, dass Kinder bei schwulen und lesbischen Eltern gerade so gut aufwachsen wie in gemischtgeschlechtlichen Partnerschaften. Und des Autors Behauptungen wurden ja auch tatsächlich von anderen Leser*innenbriefschreiber*innen widerlegt.

Warum allerdings der Leserbrief auch noch zehn Jahre später online abrufbar ist, erschließt sich mir nicht. Eine Onlinesuche zu „Homosexualität“ und „Pädophilie“ führt zuerst dorthin. Die abstrusen Ausführungen erhalten durch das Label Deutsches Ärzteblatt eine Legitimation, die ihnen nicht zusteht.

Homosexualität und geistliches Amt

Es gibt keinen Anlass zu behaupten, dass homosexuelle oder transidente Pfarrer*innen, Diakon*innen, Gemeindepädagog*innen und Lehrer*innen eine stärkere Neigung zu Pädophilie und/oder sexueller Gewalt haben. Schwule, lesbische und transidente Menschen versehen ihren Dienst in kirchlichen Ämtern genauso professionell, fürsorglich und kompetent wie ihre heterosexuellen Kolleg*innen. Das gilt auch für schwule Priester.

Natürlich gibt es keine wissenschaftlichen Studien über den Dienst schwuler Priester in der röm.-kath. Kirche. Alle Untersuchungsberichte zum Missbrauch legen nahe, dass eine unreife sexuelle Identität zumindest beim Missbrauch von Kindern und Jugendlichen mitursächlich dafür ist, dass Priester nach mehreren Jahren Dienst zu Tätern werden.

Dies allein mit einer möglichen homosexuellen Disposition zu erklären, greift in jedem Fall zu kurz. Viel stärker spielt hier wohl eine Rolle, dass sich gefährdete Priester in ihrer von der Angst vor der Sexualität geprägten Kirche, in der weltweit auf Homosexualität ein Tabu liegt, mit ihren Problemen an niemanden wenden können.

nachgefasst

Auf dem Weg nach Rom – Die Eule

Unter dem Titel „Auf dem Weg nach Rom“ fassen wir in einem Artikel fortlaufend Nachrichten und Nachdenkenswertes zur kommenden Missbrauchskonferenz im Vatikan zusammen. Weltweit wird über Missbrauch und das kommende Bischofstreffen berichtet, wir sammeln diese Eindrücke und ordnen sie für unsere Leser*innen ein. (Auf Twitter und gelegentlich Facebook weisen wir auf Aktualisierungen dieses fortlaufenden Artikels hin.)

„Wir haben einen ausgeprägten Hang zur Political Correctness“ – Wolfgang Huber im Interview (Märkische Allgemeine)

Altbischof Wolfgang Huber (@Prof_Huber) ist on fire. Nicht nur promoted er sein neues Buch über Dietrich Bonhoeffer, wie hier im Gespräch mit Christiane Florin (@christianeflori) beim DLF. Nein, er mischt sich auch fleißig in aktuelle Debatten ein: Erst bekam die #digitaleKirche ihr Fett weg (wir berichteten), nun kritisiert er die SPD für ihre neue Sozialstaats-Agenda. Nebenbei kanzelt er noch Kritiker*innen des Wiederaufbaus der Potsdamer Garnisonkirche ab („[…] wir sind auch bei der Garnisonkirche zum Glück über diese Diskussion hinaus.“) und wehrt sich ritterlich gegen die von ihm – mit Hilfe eines rechten Theorems – aufgerichtete „political correctness“ und das damit verbundene Bemühen um eine geschlechtergerechte Sprache.

Dabei erscheinen die Äußerungen des Altbischofs zugleich voraussetzungsreich und seltsam von den tatsächlichen Debatten der Zeit entrückt. Wer z.B. ist ernstlich der Meinung, den kommenden Betroffenen des Strukturwandels (z.B. in der Braunkohleregion seiner Landeskirche!) wäre mit mehr „Weiterbildungsangebote[n] und Umschulungen“ geholfen? Sowas kommt dabei raus, wenn man als Orakel zu allen Fragen der Zeit spricht und als solches unkritisch befragt wird.

Buntes

Neue Gottesdienstformen: Kirche zum Kuscheln – Tobias Krone (DLF)

Zum Anhören und Lesen gibt’s hier einen kurzen Bericht von den Wohnzimmergottesdiensten des Bayreuther evangelischen Pfarrers Hannes Schott (@hcschott). Schon zum zweiten Mal hat er im Netz Gottesdienste verlost. Die Gewinner*innen richten dann zuhause in ihren Wohnzimmern alles für den Gottesdienst her, Schott kommt überall hin:

„Und ich feiere so mit ihnen Gottesdienst, wie sie mich wünschen. Also ich kann im Talar kommen, in meiner Amtskleidung, hochoffiziell. Aber wenn die sagen, bei uns im Wohnzimmer werden die Schuhe ausgezogen, dann ziehe ich auch meine Schuhe aus und halte in Socken deren Gottesdienst. Und wenn mich irgendeine Badegymnastik-Gruppe gewonnen hätte, dann hätte ich denen den Gottesdienst auch in Badehose gemacht.“

Die Gastgeber*innen freuen sich übrigens vor allem für ihre gut zwanzig Gottesdienstgäste, „die es, oft wegen der Kinder, kaum noch in die Kirche schaffen.“

Lebenslänglich Posaunenchor

Seit 40 Jahren gibt es in der JVA Dietz einen Gefangenenchor für Bläser. Über den Posaunenchor berichtet der EKHN Vodcast der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (@ekhn_de) hier auf Youtube. Beeindruckend.

Bibel

Die Bibel als Belegstellen-Discounter – Gerd Häfner (Lectio brevior)

Gerade eben bedauerte ich noch, dass Gerd Häfner seinen Lectio brevior-Blog so selten befüllt, da widmet sich der katholische Professor für Biblische Einleitungswissenschaft aus München dem von Kardinal Gerhard Ludwig Müller (s.o.) vorgelegten „Glaubensmanifest“:

Das Neue Testament kommt im Glaubensmanifest ziemlich unter die Räder. Gebraucht wird die Schrift zur Darlegung der Glaubenslehre eigentlich nicht. Aber hin und wieder eingestreut, macht sie sich doch ganz gut im Aufmarsch der Katechismus-Nummern – jedenfalls solange man sie nicht nach ihrer eigenen Botschaft fragt. Dass diese Form der Bibelnutzung über 50 Jahre nach Dei Verbum immer noch geübt wird, macht ratlos.

Die Häfnerische Ratlosigkeit spiegelt sich in der Verwirrung katholischer und ökumenischer Kreise: Wie will man Müllers Thesen entgegnen, ohne sich auf seine verkürzte Exegese der Bibel einzulassen? Was ist mit dem „Glaubensmanifest“ anzufangen, wenn man die nachgerade erotische Haltung des Kardinals zum röm.-kath. Katechismus nicht teilt? Ja, wenn man gar zu bestreiten wagt, dass dieser mit der Schrift auf einer Ebene liegt?

Häfner versucht es mit einigen exegetischen Anmerkungen, in denen er jeweils auch andeutet, in welchem Kontext die herausgepickten Bibelstellen sich einem tieferreichenden Verständnis öffnen, z.B. bei der Frage des würdigen Empfangs des Mahls. Wie Häfner festhält, erinnert des Kardinals‘ Umgang mit der Schrift hingegen ..

[…] an Verfahren, die man als „Steinbruch-Exegese“ bezeichnet hat, um das Interesse an bloßen Textbruchstücken zu kennzeichnen. Diese Metaphorik hat den Nachteil, dass sie ohne Sachgrund das Moment der Mühe anklingen lassen könnte. Die Bibel erscheint hier aber weniger als Formation, der unter großer Anstrengung etwas abgerungen werden müsste, denn als Selbstbedienungsladen, in dessen Regalen einzelne Kleinartikel griffbereit angeboten werden.

Predigt

Predigt: Ein kaltes, gebrochenes Halleluja – Max Melzer (moehrenzahn.de)

Unser Redakteur Max Melzer (@_maxmelzer) operiert als Techniker der Eule häufig genug im Unsichtbaren. Und auch auf Twitter macht er sich rar! Nun aber hat er gepredigt, beim @paxleipzig-Jugendgottesdienst und über Leonard Cohens „Halleluja“. Ein Lied, das wir bitte in Zukunft nicht bei jeder Gelegenheit hervorzerren! Die Predigt gibt es zum Nachlesen und Anhören auf Soundcloud.

Und trotzdem wollen beide, König David vor 3000 Jahren und Leonard Cohen vor 35, ein Halleluja singen. Weil sie erkannt haben, dass vor Gott nicht nur die Glücklichen, die Gesegneten und die Erfolgreichen einen Platz haben, sondern auch die, die ihr Halleluja in „Moll“ singen. Die, die sich Gott meistens eher fremd fühlen. Die mit der Bibel nichts anfangen können. Die sich fühlen, als gehen ihre Gebete nur bis zur Zimmerdecke.

Ein guter Satz