Missbrauchskrise: Die Evangelische Kirche schafft es nicht alleine

Die EKD-Synode befasste sich am Montag auch kurz mit der Missbrauchskrise in den evangelischen Kirchen. Es wird deutlich: So schafft es die Kirche nicht alleine. Ein Kommentar.

Am Montag schaffte es die Synode der EKD nicht, das Thema sexualisierte Gewalt angemessen zu bearbeiten. Der Beauftragtenrat für den Schutz vor sexualisierter Gewalt brachte seinen Bericht nur schriftlich ein. Das lag an der Digitalisierung, noch mehr aber an der Verkürzung der Synodentagung. Und das hätte man in der Öffentlichkeit nicht anders darstellen sollen, als man es den Betroffenen intern mitgeteilt hatte (wir berichteten). Soweit reicht die Verantwortung des Synoden-Präsidiums.

Aber die Synode besteht aus vielen Menschen. Nur ein Synodaler richtete zum Bericht Fragen in der Sache an dessen Sprecherin, Bischöfin Kirsten Fehrs (Hamburg/Lübeck, Nordkirche). Und zwar dazu, inwieweit christliche Internate in den wissenschaftlichen Studien eine Rolle spielen werden, die – angekündigt bereits auf der Synode 2019 – Ende des Jahres 2020 endlich aufgenommen werden. Im Zusammenhang der Studien sprach Bischöfin Fehrs wieder davon, dass damit „Aufarbeitung“ betrieben werde. Betroffene widersprechen dieser Darstellung heftig:

Wissenschaftliche Untersuchungen seien zwar dringend geboten, institutionelle Aufarbeitung aber müsse in wirklich unabhängigen Aufarbeitungskommissionen vorgenommen werden, forderten sie auf einer eigenen Pressekonferenz am Freitag. Die Aufarbeitungskommissionen sind Gegenstand einer gemeinsamen Erklärung der EKD mit dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung. Die Verhandlungen waren im Frühjahr ins Stocken geraten und sind bis heute nicht abgeschlossen. Zum Stand der Verhandlungen gab es keine Nachfrage der Synodalen.

Keine Fragen, keine Antworten

Auch zu den anderen Arbeitsfeldern schweigen sich die Synodalen am Montagmorgen aus. Der schriftliche Bericht wird der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt, Widersprüche zur Darstellung der Betroffenen und zur kritischen Berichterstattung der vergangenen Tage (auch hier in der Eule) bleiben unerwähnt. Bischöfin Fehrs geht in ihren kurzen Wortmeldungen auf die Kritik der vier Betroffenen vom Freitag mit keiner Silbe ein. Auf der anschließenden Pressekonferenz stehen weder sie, noch der neue Sprecher des Betroffenenbeirats, Landesbischof Christoph Meyns (Braunschweig), den Journalist:innen für Fragen zur Verfügung.

Synoden-Präses Irmgard Schwaetzer begründet das damit, auch zu den anderen schriftlichen Berichten würden keine Gesprächspartner:innen auf die Pressekonferenz geladen. Das stimmt. Allerdings wurden die Berichte zum Klimaschutz in der Kirche und zur Friedensarbeit eben auch nicht von Betroffenen in Zweifel gezogen. Mehr noch als der Inhalt seines Berichts, steht die Aufrichtigkeit des Beauftragtenrates in Frage.

Bischöfin Fehrs berichtet den Synodalen, „der 11-Punkte-Plan ist in jedem Punkt bearbeitet oder zumindest auf den Weg gebracht“. Dass selbst an den erledigten Punkten, wie der Zentralen Anlaufstelle für Betroffene, massive Kritik geäußert wird, geht genauso unter, wie das alle anderen Projekte erheblichen Zeitverzug haben und mit fachlichen Mängeln behaftet sind, wie Recherchen der Eule in der vergangenen Woche zeigten. Besonders drastisch sind die Mängel bei der versprochenen Einbindung von Betroffenen. Auch dazu keine Nachfrage aus der Synode.

Nur ein weiteres Beispiel: Fehrs verteidigt die sog. „Unabhängigen Kommissionen“ der Landeskirchen, die Betroffenen „Anerkennungsleistungen“ zusprechen. Das „unabhängig“ im Namen sei so zu verstehen, dass diese Kommissionen eben nicht weisungsgebunden agieren. Sie verteidigt die Arbeit kirchlicher Mitarbeiter:innen in den Kommissionen, „denn hier geht es ganz klar um die Verantwortungsübernahme der Kirche“. Die Sprengel-Bischöfin Fehrs selbst sitzt der entsprechenden Kommission ihrer Landeskirche vor. Dass Betroffene ein Problem damit haben, vor Vertreter:innen der Organisation, in denen ihnen Leid zugefügt wurde, Auskunft zu geben und womöglich den Nachweis eines „institutionellen Versagens“ der Kirche zu führen, erwähnt sie nicht. Auch dazu keine Nachfrage der Synodalen.

Stattdessen Lob und Dank

Ich kann gut verstehen, dass Synodale bei diesem Thema einen Kloß im Hals haben und der Klick auf die blaue Hand schwerfällt. Ein Synodaler gibt gegenüber der Eule zu: „Wir sind uns dessen auch bewusst, dass wir das Thema unglücklich vertagen müssen.“ Und der Jugendsynodale Maik-Andres Schwarz äußert im Gespräch sein Bedauern: „Ich finde sehr schade, dass aufgrund der Umstände eine Begegnung mit den Betroffenen nicht möglich war.“

Statt einer Vielfalt von Eindrücken aus dem Kreis der Synode, wird den Zuschauer:innen des Streams aber nur mitgeteilt, dass die Synodalen im begleitenden Chat der Sprecherin des Beauftragtenrates ausführlich danken. Lob und Dank für die „immer überzeugende Arbeit“ von Bischöfin Fehrs wiederholt, wie schon auf den Tagungen 2018 und 2019, auch der EKD-Ratsvorsitzende, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm. Ein Lob, dass sich auch die Synodenpräses später zu eigen macht, es sei „mehr als berechtigt“.

In die Aufrichtigkeit der Danksagungen der Akteur:innen aus Synode und Kirchenleitungen gegenüber Fehrs mag auch die Erleichterung eingewoben sein, in der Kirchenfrau aus dem Norden jemanden gefunden zu haben, die ihnen das Thema von den Schultern nimmt. Denn man kann sich natürlich auch fragen, warum der Impuls von 2018 und die Arbeit des Beauftragtenrates seither so geringen Nachhall in den Landeskirchen gefunden hat. Noch im zehnten Jahr der Missbrauchskrise gibt es Berufseinsteiger:innen in den Kirchen, die keine verpflichtende Fortbildung zur Prävention sexueller Gewalt erhalten. Noch immer arbeiten Täter als Pfarrer für die evangelischen Landeskirchen.

In diesen Augenblicken zeigt die Synode etwas Hermetisches. Die Stimmen der Betroffenen, aber auch die kritische Berichterstattung scheinen nicht ausreichend durchzudringen. Es ist völlig verständlich, dass die Synodalen während der Tagung auf ihre Themen fokussiert sind und auf das, was sich die Synode vorgenommen hat, wie z.B. die Zukunftsprozesse.

Aber es bleibt ein Versäumnis, dass die Bearbeitung der Missbrauchskrise nicht ganz selbstverständlich zu den Zukunftsthemen der Kirche hinzugehört. Man kann an der katholischen Kirche beobachten, wie das Thema alle anderen Anliegen der Kirche überlagert. Wenn die evangelische Kirche hier den Schalter nicht umlegt, wird ihr das Gleiche passieren.

Denn es ist eine Chimäre, dass die evangelische Kirche um den massiven Vertrauensverlust herum kommt, den die Missbrauchskrise bewirkt. Auch beim Missbrauch sitzen die Kirchen im selben Boot. Die Glaubwürdigkeitswerte beider Konfessionen sind im Keller. Kaum jemand jenseits der Gruppe der Hochverbundenen wartet auf ihre gesellschaftlichen Interventionen. Sehr wohl aber warten viele Menschen – die tausenden Betroffenen sowieso – nicht nur auf klare Zeichen zum Aufbruch in der Missbrauchskrise, wie sie die Synodentagungen von 2018 und 2019 setzten, sondern auf deutliche Fortschritte bei der Aufarbeitung.

Who Watches the Watchers?

Am Ende dieser Synode stehen u.a. Beschlüsse zur Demokratieförderung, einem Lieferkettengesetz, terroristischen Anschlägen in Europa und mehr Klimaschutz. Das passt zum Selbstverständnis einer Synode, die ihrer Kirche eine Wächterfunktion in der Gesellschaft zuschreibt. Doch wer bewacht die Wächter?

Die Kritik der Betroffenen hat nicht nur keinen Weg in den schriftlichen Bericht des Beauftragtenrates gefunden, sondern auch nicht in die öffentlichen Beratungen dieser Synode. An anderen Themen bleiben Synodale hartnäckig dran, vertreten diese durch Wortmeldungen immer wieder und formulieren so öffentlich wahrnehmbar Leitplanken, innerhalb derer die Synode arbeitet. Es war diese Synode, die im vergangenen Jahr intensiv mit Betroffenen in Workshops arbeitete, die der Rede von Kerstin Claus betroffen zuhörte. Was ist davon geblieben?

Das synodale System der evangelischen Kirchen hat eigentlich einen massiven Transparenz- und Kontrollvorsprung gegenüber dem katholischen System. Das hat auch diese digitale Synode, bei aller verminderten Sichtbarkeit, wieder unter Beweis gestellt. Es bleibt beeindruckend zu sehen, wie öffentlich und reflektiert die Synode ihrer Arbeit nachgeht, und wie sie das alles ohne großes Mucken während der Corona-Pandemie auch digital durchzieht.

Es fehlt aber in der EKD-Synode und in den Synoden der Landeskirchen an Synodalen, die ihrer Kontrollfunktion gegenüber den kirchlichen Arbeitsstellen zum Schutz vor Missbrauch effektiv nachkommen. Es fehlt an der vielbeschworenen „Fachlichkeit“ und Sachkompetenz – nicht nur in Beauftragtenrat und Kirchenamt, sondern auch in den Synoden. Letztere müssten, um das Wirken ihrer Kirchenämter kontrollieren zu können, externe Kompetenz hinzuziehen. Sich allein von kirchlichen Stellen berichten und beraten zu lassen, geht nicht.

Was auf dieser Tagung passiert ist, hat abermals die Forderung der Betroffenen nach einer staatlichen Intervention ins Recht gesetzt. Ein interfraktionelles Gespräch der Parteien im Deutschen Bundestags wurde dazu auf den Weg gebracht, so Lars Castellucci, der Beauftragte der SPD-Bundestagsfraktion für Kirchen und Religionsgemeinschaften, gegenüber der Eule. Ob dabei ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss oder eine Enquete-Kommission heraus kommt, ist noch nicht bekannt. „Ich denke“, so Castellucci weiter, „dass eine parlamentarische Begleitung der Aufarbeitung in den Kirchen sinnvoll ist. Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche erfordert eine Null-Toleranzstrategie.“