Noli me tangere – Die #LaTdH vom 17. April

„Ich muss durch den Monsun, hinter die Welt“ – Thomas Wystrach schreibt in diesen österlichen #LaTdH über die Passion im Fernsehen. Außerdem: Kölscher Klüngelbeutel und Hoffnung für die Langstreckenläufer:innen.

Herzlich Willkommen!

„Noli me tangere“ – mit diesem fast sprichwörtlich gewordenen Ausdruck der lateinischen Vulgata-Fassung („Rühre mich nicht an!“, so heißt es in der Luther 2017 und Elberfelder Bibel) weist der als Jesus erkannte vermeintliche „Gärtner“ seine Freundin Maria von Magdala zurück, die als erste sein leeres Grab gefunden und Simon Petrus sowie „den anderen Jünger, den Jesus liebte“, informiert hatte.

Das heutige Tagesevangelium (Joh 20, 1-9) endet in der Kurzfassung mit den beiden Männern, die „noch nicht die Schrift verstanden (hatten), dass er von den Toten auferstehen müsse“. Liest man (in der Langfassung oder am Dienstag der Osteroktav) in der Bibel weiter bis Vers 18, findet man die oben genannte Begegnung und das Glaubenszeugnis von Maria Magdalena beschrieben.

Berühre mich nicht! Abstand halten! Kontaktverbot! – Das klingt noch allzu vertraut nach Coronakrise vor dem #FreedummDay. Den Satz im griechischen Original („Mè mou haptou“) könnte man aber (wie etwa die Einheitsübersetzung 2016) auch mit „Halte mich nicht fest!“ übersetzen, also wie eine Mahnung an Maria und die anderen Jünger:innen: „Das, was war, Deine Geschichte mit Jesus, kannst Du nicht festhalten! Das Leben nach Ostern ist nicht das alte!“

Ausgerechnet mit dem Revolverheld-Titel „Halt dich an mir fest, weil das alles ist was bleibt“, gesungen vom Jesus-Darsteller Alexander Klaws, endete hingegen am Mittwochabend das Karwochen-TV-Event „Die Passion“ – Chiffre oder Zufall? Mehr dazu in der Debatte.

Frohe und gesegnete Ostertage wünscht Ihnen
Ihr Thomas Wystrach


Debatte

Die Gute Nachricht: Jesus hat #DiePassion überlebt!

Nach der pandemiebedingten Absage 2020 wurde sie „nun endlich erzählt“: „Die Passion“, laut Ankündigung der RTL-Presseabteilung „die größte Geschichte aller Zeiten“. Am Mittwochabend der Karwoche inszenierte der Trash-TV-Sender mit einem nach eigenen Angaben „Aufgebot an bekannten Stars der Schauspiel- und Gesangsszene“ live auf dem Burgplatz in Essen eine „moderne Darstellung der letzten Tage im Leben von Jesus Christus“.

Wer das aufwändig beworbene Event im linearen Fernsehen (oder als Premium-Kunde sogar als gemeinsame „Couchparty“) verpasst hat, kann sich die gut zweistündige Show (inkl. regelmäßiger Werbeunterbrechungen) noch einige Tage im Internet ansehen und -hören:

Zusammenhalt, Frieden und Nächstenliebe – gerade in schwierigen Zeiten. Die Passionsgeschichte steht genau für diese Werte und begeistert schon über 2000 Jahre lang. Nun wird Jesus Christus bei „Die Passion“ erneut zum Leben erweckt: Beim RTL-Musik-Live-Event wacht er nun in der heutigen Zeit auf – begleitet von echten Pophits.

Um Himmels willen: Was erwartet uns bei „Die Passion“? – Interview von Thomas Lückerath mit Jacco Doornbos und Matthias Alberti (DWDL)

Mit Jacco Doornbos, dem Erfinder des TV-Events, und Matthias Alberti, dem Geschäftsführer der Produktionsfirma Constantin Entertainment, hatte Thomas Lückerath (@lueckerath), Gründer und Chefredakteur des Medienmagazins @DWDL, bereits vorab über das Projekt gesprochen. Für Doornbos, der mit dem Konzept in den Niederlanden und den USA (@ThePassionLive) bereits seit 12 Jahren erfolgreich auf Tournee ist, passt „Die Passion“ trotz steigender Kirchenaustritte und fortschreitender Säkularisierung in die Zeit:

Wenn Menschen die Kirche verlassen, heißt das nicht, dass es weniger Spiritualität in der Gesellschaft gibt. Heutzutage sprechen die Menschen aber eine andere Sprache; mit der Kirche können sich die jüngeren Generationen zum Teil nicht mehr so identifizieren. Doch gerade für sie entwickeln wir unsere Geschichte: Wir sprechen in „Die Passion“ die Sprache der Popkultur, die Sprache von heute. Wir nehmen eine jahrhundertealte Erzählung und versetzen sie in die heutige Kultur, mit der die Menschen sich identifizieren können.

Die Vermutung des Interviewers, angesichts der in US-amerikanischen Gottesdiensten „deutlich unterhaltsameren Art, Sinnstiftung und Glauben zu vermitteln als in Deutschland“, wolle man mit „Die Passion“ eine Lücke besetzen, geht Doornbos nicht weit genug:

Es ist näher an dem Gospel-Feeling einer Kirche in den USA als deutschen Gottesdiensten, ja, aber es ist noch weitaus überraschender. Mit „Die Passion“ erzählen wir die Geschichte, die unserer christlichen Kultur zugrunde liegt – aber nicht als religiöses Spektakel, sondern als musikalisches. Musik ist der beste Träger von Emotionen – und Songs erhalten eine völlig neue Bedeutung, wenn man sie in den Kontext dieser Geschichte setzt. Das ist das Überraschende an „Die Passion“.

Die Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste im Diakonischen Werk der EKD, das Bonifatiuswerk der deutschen Katholiken (@bonifatiuswerk), die Deutsche Bibelgesellschaft (@Bibel_Aktuell) sowie die evangelikale SCM-Verlagsgruppe warben für die Veranstaltung mit einer eigenen Webseite, auf der auch Hintergrundinfos zur Bedeutung von Passion und Ostern für Christ:innen und ein Link zur Passionsgeschichte in der Bibel zu finden sind.

Auch die Evangelische Arbeitsstelle für missionarische Kirchenentwicklung und diakonische Profilbildung (@hallo_midi) bot Materialien an, die beim  „gemeinsamen Anschauen“ in „Hauskreisen oder als bunt zusammengewürfelter Haufen“ helfen sollen. Am Aufführungsort Essen begleiteten die evangelische und die römisch-katholische Kirche das Live-Event mit etwa 5000 Zuschauer:innen außerdem mit einem eigenen Rahmenprogramm.

Der Sender zeigte sich am nächsten Morgen mit dem Erfolg zufrieden:

Anders als das klassismusverdächtige Vorurteil des „Unterschichtenfernsehens“ erwarten ließe, wurde eine „recht kaufstarke Zielgruppe“ erreicht, der Marktanteil stieg mit der Höhe der Ausbildung, aber auch des Haushalts-Nettoeinkommens.

Da wundert es nicht, dass parallel zur Ausstrahlung verschiedene Medien mit Liveblogs den Kreuzweg über die „Rüttenscheider Schlemmermeile“ (f.k.a. „Via Dolorosa“) in Echtzeit verfolgten, während parallel auf Twitter ein wahres Feuerwerk an spöttischen Kommentaren über die „Andreasbouranisierung der Bibel“ und den „Jesus von der Currywurstbude“ abgebrannt wurde. Auch an den nächsten Tagen kam der Hashtag #DiePassion dank kreativer Meme-Produktion und halbironischer Fremdscham-Bekenntnisse immer wieder in die Trends und verwies die ansonsten saisonal üblichen Top-Aufreger #Tanzverbot und #LifeOfBrian auf hintere Plätze.

Heilige Scheiße – Johannes Schneider (ZEIT ONLINE, €)

Das Konzept von „Die Passion“ sei zu fundamentalistisch, um wirklich witzig zu sein, kritisiert Johannes Schneider (@joausdo) in seiner Rezension bei ZEIT Online (@zeitonline); der Versuch, „die Zugehörigkeit des eigenen Unterfangens zum kulturindustriellen Komplex zu kaschieren“, sei gründlich misslungen:

Genau dort beziehungsweise im Abzweig einer Erweckungs- und Erbauungsindustrie muss man das in Rede stehende Machwerk, das RTL-Liveevent „Die Passion“ vom Mittwochabend, aber verorten.

Auch ohne explizite Hinweise sei eine Nähe des Events zur „evangelikalen Lobpreis- und Erweckungsszene“ zu erkennen:

Das Christentum, das hier penetrant um Anschluss wirbt, ist erstens nicht das selbstgenügsame amtskirchlicher Gemeindehäuser und will zweitens inhaltlich überhaupt nichts, will keinen Streit um Deutungen, um gesellschaftliche Verantwortung, es will auch überhaupt nicht wissen, was Nächstenliebe in Zeiten eines Angriffskrieges bedeutet. Es nimmt den Namen Putin nicht in den Mund und erklärt Jesus zum waidwunden Wunderknaben. (…)

Dass es genau diese Haltung ist, die fundamentalistische Gemeinschaften in den USA zu so gefährlichen Feinden der Freiheit anderer Menschen macht (die anders als sie ja immer noch bösartig und finster sind), macht das RTL-Spektakel im Ganzen komplett unwitzig. Dass man deutschen Muslimen niemals ein so aggressiv charismatisches Auftreten in aller Öffentlichkeit gestatten würde, ohne die Diagnose „religiöser Fundamentalismus“ zu stellen, macht sie unsagbar bigott.

Oh Gott, was schaue ich da? – Florian Helbig (Domradio)

„Die Passion“ sorgte für Lachen und Weinen, im guten und im schlechten Sinne. Florian Helbig (@florian0helbig) zeigt sich im @domradio vom Format nicht überzeugt:

Insgesamt war die Sendung eine, für manche lustige, für andere grausame, typische Privatfernseh-Show mit Musik, Stars und vielen denkwürdigen Eindrücken.

Auch @katholisch_de-Redakteurin Meike Kohlhoff saß gespannt vor dem Fernseher und hatte gemischte Gefühle – zwischen emotionalen Höhepunkten und peinlicher Berührung bei „Currywurst zum Abendmahl“.

Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck (@bischofoverbeck) ließ verlauten, er sei „gespannt“ auf die TV-Show, die quasi direkt unter seinem Fenster aufgeführt wurde. Er sehe das Fernsehformat „als Angebot, sich mit der Leidensgeschichte Jesu auseinanderzusetzen“, erklärte er. Und selbstverständlich sei es die „Entscheidung jedes Einzelnen“, ob das Event der richtige Rahmen dafür sei.

Vorbei die Zeiten, als treu-katholische Fußtruppen die Aufführung unliebsamer Filme mit Stinkbomben zu verhindern suchten, weil ihre Oberhirten einen „Vorgeschmack auf einen bolschewistischen Angriff, der die christliche Grundordnung zerstören“ wolle, witterten. Die Essener Passionsspiele hinterließen vielmehr auch bei professionellen Theologen Eindruck und provozierten direkt Besetzungsideen für eine mögliche Fortsetzung: „Vielleicht mit Harald Schmidt als Sprecher“.

#DiePassion: Ein Hoch auf Jesus – Philipp Greifenstein (Die Eule)

Auch Eule-Redakteur Philipp Greifenstein (@rockToamna) hat sich „Die Passion“ „auftragsgemäß“ angeschaut und live auf Twitter kommentiert. Was sich dann noch über dieses denkwürdige Ereignis sagen lässt, hat er am Gründonnerstag in einem Beitrag hier in der Eule zusammengefasst, inkl. des Streites am Rande des Events um die Darstellung Jesu als weißen Mann:

Events wie „Die Passion“ zeigen, welches Potential die Kirchen ungenutzt lassen, wenn sie sich auf eine hochkulturelle Darstellung ihrer Geschichten beschränken. Dabei war „Die Passion“ bei weitem nicht so mutig und einzigartig, wie es die Produzenten häufig genug erklärten.

Der Unterschied zu den inzwischen zahlreichen Kirchen-Musicals war marginal. Man kann die Passion Christi respektvoll auch mit deutschen Popliedern erzählen. Das sagt mehr über die Universalität der Geschichte aus als über die Qualität der Darbietung.

Und noch ein Alternativvorschlag:

Auch der Mittwochnacht vom europäischen Kultursender ARTE (@ARTEde) ausgestrahlte Film „Das neue Evangelium – ein Passionsspiel für das 21. Jahrhundert“ ist noch bis zum 19. April in der Mediathek abrufbar. Die Doku-Fiction von Milo Rau aktualisiert unter Rückgriff auf die Jesus-Geschichte den Kampf eines Politaktivisten um Wohl und Würde von Geflüchteten, die in süditalienischen Tomatenfeldern wie Sklaven schuften.

nachgefasst

Kölscher Klüngelbeutel: Spielschulden sind Ehrenschulden!

Die Erzdiözese Köln (@Erzbistum_Koeln) kommt nicht zur Ruhe. Im Zuge der seit Jahren schwelenden Missbrauchskrise treten inzwischen auch Unregelmäßigkeiten bei den Kirchenfinanzen zum Vorschein. Eine neue Qualität in der „Causa Woelki“?

Seit dem tiefen Fall des Limburger „Protz-Bischof“ Tebartz-van Elst ist für den Vatikan eher der ungeschickte Umgang mit dem „ungerechten Mammon“ ein Grund für ernsthafte Konsequenzen als fehlender Wille oder offenkundige Unfähigkeit, die anvertrauten Gläubigen ohne Einsatz von Kommunikationsexperten oder juristischem Beistand auf Kurs halten zu können. Auch der Tebartz-Nachfolger und DBK-Vorsitzende Georg Bätzing „wundert“ sich inzwischen öffentlich „über das Agieren Roms angesichts dieser tiefen Krise eines so bedeutenden Erzbistums“.

Nun wurde bekannt, dass das Erzbistum Köln in den Jahren 2015 und 2016 (also bereits in der Amtszeit von Kardinal Woelki) mehr als eine Million Euro aufgewendet hat, um einem Priester bei der Rückzahlung seiner Spielschulden zu helfen. Fast eine halbe Million wurde dabei dem sogenannten „BB-Fonds“ („Fonds für Bedürfnisse des Bistums“) entnommen, einem Sondervermögen, aus dem auch „Anerkennungsleistungen“ für Opfer sexuellen Missbrauchs und umstrittene Ausgaben für Beratung und Krisen-PR sowie für die Kölner Hochschule für Katholische Theologie flossen oder noch fließen (vgl. dazu auch den Hinweis in den #LaTdH vom 27. Februar).

Thomas Schüller (@tschueller61), Professor für Kirchenrecht in Münster, kritisiert, dass die Zahlungen ohne die Beteiligung der zuständigen Kirchengremien erfolgt sein sollen. Wörtlich sagte er in einem Interview mit dem WDR: „Das ist eine weitere Ausplünderung des Erzbistums.“ Es sei rechtswidrig, wenn der Erzbischof alleine über solche Zahlungen entscheide, ohne die zuständigen Gremien einzuschalten. „Wenn solche Zahlungen aus sozialen Gründen vertretbar sind, ist auch mit der Zustimmung der Gremien zu rechnen“, so der Kirchenrechtler. Dem widerspricht das Erzbistum deutlich: „Es wurden keine Gremien eingebunden, da sie hier nicht beteiligt werden mussten. Die von Prof. Schüller angeführte Regelung ist hier nicht einschlägig“, so Pressesprecher Jürgen Kleikamp auf Nachfrage des WDR.

Der Sprecher des Betroffenenbeirats der Deutschen Bischofskonferenz, Johannes Norpoth, nannte den Vorgang im Kölner Stadt-Anzeiger (@KSTA) „verstörend und beschämend“:

Opfer von Sexualstraftaten, teilweise ohne gesicherte Einnahmen wie bei einem Priester, werden mit einem Betrag abgespeist, welcher weniger als zwei Prozent von dem beträgt, was die Kirche als Ausgleich für die selbst verschuldete finanzielle Schieflage eines Priesters zu zahlen bereit war. Erinnert man sich dann noch der Begründung, dass dies mit Rücksicht auf das Gemeindeleben geschehe, bleibt nur noch auszurufen: Schämt euch in Grund und Boden!

Buntes

Auferstanden von den Toten? Was es mit Jesus und der Auferstehung auf sich hat – Henning Klingen (Diesseits von Eden)

Mit der Karwoche und Ostern feiern Christ:innen den Höhepunkt ihres Glaubens: Das Geheimnis des Todes und der Auferstehung Jesu Christi, wie es in religiöser Sprache heißt. Aber was heißt das tatsächlich? Der Podcast „Diesseits von Eden“ (@Diesseits_Pod) unternimmt einen theologisch-österlichen Erkundungsgang mit der evangelischen Kirchenhistorikerin Prof. Uta Heil und ihren römisch-katholischen Kollegen, dem Fundamentaltheologen Prof. Wolfgang Treitler (@TreitlWolfgang) und dem Bibelwissenschaftler Prof. Christoph Niemand (@c_niemand).

Im Theologischen Feuilleton @feinschwarz_net rekonstruieren Rainer Bucher und Hans-Joachim Sander „die drei Tage der Ostergeschichte für Reisende aus einer fernen Galaxie“ in zwei Teilen (hier und hier) vor:

Angst herrscht aus dem Grab heraus, von dem die Engel am Ostermorgen so lapidar sagen, dass der, den wir suchen, dort eben nicht ist. Aber wenn wir uns das sagen lassen, dann öffnet sich der Raum, anders zu leben, anders zu lieben, anders zu glauben, anders zu hoffen. Es ist der Raum der Auferstehung, die nicht einfach geschieht, es sei denn sie wird zur Lebensform.

Wir finden ihre Elemente nicht aus uns selbst heraus, weil wir sie dann nur bei den Todgeweihten suchen würden. Wir finden diese Lebensform bei den Lebenden. Sie ermutigt uns, zu ihnen zu gehen. Dort verliert sich die Melancholie der verlorenen Sehnsucht des eigenen Lebens. Besseres wird uns wohl nicht geschehen als das. Wir werden ermutigt, uns selbst zu relativieren, weil wir das Leben mit denen teilen, die leben.

Die Auferstehung der Kirchen: Wie sich das Gemeindeleben nach der Pandemie langsam wieder entwickelt – Benjamin Lassiwe (Bremer Nachrichten)

Nach zwei Jahren Coronakrise mit vielen gestreamten Videogottesdiensten wird das Osterfest 2022 in den meisten Kirchen und Gemeinden wieder präsentisch gefeiert: Mit feierlichen Osternächten, mit Frühgottesdiensten auf den Friedhöfen, mit Hochämtern und Abendmahlsgottesdiensten am Sonntagmorgen.

Erleben im dritten Jahr nach Beginn der Pandemie auch die Kirchen eine Auferstehung? Benjamin Lassiwe (@lassiwe) hat mit dem Schriftführer der Bremischen Evangelischen Kirche, Bernd Kuschnerus, gesprochen:

„Es hat Aufbrüche gegeben“, sagt Kuschnerus. „Wir haben Menschen neu erreicht, zu denen wir schon lange keinen Kontakt mehr hatten.“ Nach der Pandemie spüre die Kirche einen „großen Hunger nach Gemeinschaft“. „Die Herausforderung wird sein, die Themen digitale Verbindungen und soziale Nähe zu kombinieren“, sagt Kuschnerus.

„Die Menschen, mit denen ich digital eine Andacht feiere, auch live zu treffen.“ Denn die Kirche lebe nun einmal davon, dass sie eine Gemeinschaft der Glaubenden auch in der Kohlenstoffwelt ist. „Ich glaube nicht, dass eine rein digitale Kirche funktioniert“, sagt Kuschnerus. „Der Schlüssel ist die Kombination aus digital und analog.“

Neoliberalismus statt Nächstenliebe? – Alexander Deeg (zeitzeichen)

„Eigenverantwortung“ – das höre sich gut an und scheine nun zum „Goldstandard“ im gesellschaftlichen Umgang mit der Corona-Pandemie zu werden, meint Alexander Deeg. Mit seinem „Zwischenruf zur Maske in Corona-Zeiten“ in zeitzeichen (@zeitzeichenNET) fordert der Professor für praktische Theologie in Leipzig, das Reden von „Eigenverantwortung“ dürfe nicht salonfähig für eine Ethik des Miteinanders werden:

Wir sollten es einem neoliberalen Konzept nicht allzu leicht machen, unsere Sozialethik zu bestimmen, sollten dagegen deutlich unsere Stimmen erheben und in unseren eigenen Kontexten entschieden anders handeln.

„Eigenverantwortung“ stehe wie kein anderer Begriff für die Grundlage eines neoliberalen Menschen- und Gesellschaftsbildes, für das Subjektivität, Autonomie und Wahlfreiheit wesentlich seien:

Sehr verkürzt gesagt, gilt die Überzeugung, dass doch dann am besten für alle gesorgt sei, wenn jede:r für sich selbst sorgt. Jedenfalls in dieser konsequent-extremen Zuspitzung liegt damit ein Gegenmodell zu einem biblischen Menschenbild, einer jüdischen und christlichen Ethik der Nächstenliebe und einer Vorstellung von Gesellschaft vor, für die eine auf die Gemeinschaft bezogene Gerechtigkeit grundlegend ist.

„Zu Moses und Aaron gehört Mirjam“ – Ralf Balke im Gespräch mit Elisa Klapheck (Jüdische Allgemeine)

Elisa Klapheck, Rabbinerin des „Egalitären Minjans“ der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main, hat rechtzeitig zum diesjährigen Pessach-Fest eine „egalitäre Haggada“, eine Art „Rituale“ für die Seder-Zeremonie am Vorabend des Pessach-Festes, herausgegeben.

Im Interview mit der Jüdischen Allgemeinen (@JuedischeOnline) erklärt Klapheck, „egalitär“ bedeute, dass jüdische Frauen und Männer, Jungen und Mädchen gleichberechtigt an den Ritualen teilnehmen. Seit den 1990er Jahren werde in der Synagogengemeinschaft der liberalen Juden in Frankfurt der Sederabend mit viel Kreativität und Beteiligung der Mitglieder gefeiert. Neben dem Lesen der Haggada und dem Singen der Pessach-Lieder spielten gerade auch Diskussionen über einzelne politische, religiöse, historische oder spirituelle Aspekte der Haggada sowie die heutige Bedeutung des Auszugs aus der Sklaverei eine zentrale Rolle:

Wir haben zwar seit den 90er-Jahren einen Aufbruch des liberalen Judentums. Im Zuge dessen sind Siddurim und Haggadot erschienen, in deren Übersetzungen ein modernes Menschenbild zum Ausdruck kommt, zum Beispiel die aus dem Englischen ins Deutsche übersetzte liberale Haggada von Michael Shire. Trotzdem gehen sie sprachlich nicht so weit, die volle Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen auszudrücken. Irgendwie herrschen die alten Hierarchien subtil weiter.

Die Haggada versteht sich im hiesigen Kontext des jüdischen Lebens. In angelsächsischen Ländern ist dagegen ein affirmativer Ton typisch. Das hängt mit einer anderen Religiosität zusammen, die positiv, fast schwärmerisch ist. In Europa kennen wir mehr Ambivalenz. Unsere Beziehung zu Gott, falls wir sie noch haben, ist brüchig, und wir haben lauter kritische Fragen an unsere Tradition.

Theologie

Marathonläufer des Friedens: Ein Hausbesuch bei Friedrich Schorlemmer, kurz vor Ostern – Willi Wild (zeitzeichen) 

Es ist still geworden um Friedrich Schorlemmer. Das Wort des Wittenberger Theologen hatte Gewicht, und es wäre gerade aktuell von Nöten, meint Willi Wild (@willi_wild), Chefredakteur der mitteldeutschen Kirchenzeitung Glaube und Heimat (@glaubeundheimat) aus Weimar, der kürzlich zusammen mit Christina Neuß, Leiterin des landeskirchlichen Archivs in Magdeburg, die Symbolfigur der kirchlichen Friedens- und Umweltbewegung (in der DDR) besucht hat.

Nichts habe ihn so gelähmt wie der Krieg in der Ukraine, gesteht der an Lewy-Body-Demenz erkrankte 78-jährige Schorlemmer. Die Friedensbewegung wisse auch nicht recht, was sie jetzt machen soll. Es fehle die Einsicht, etwas zu tun, und es fehle die Zuversicht:

Wenn wir keine Zuversicht haben, tun wir nichts, und wenn wir keine Einsicht haben, tun wir das Falsche. Wir dürfen nicht aufhören, jeden Tag in der Heiligen Schrift zu lesen und uns klar zu werden, dass Menschen lange vor uns, in ebenso großen Schwierigkeiten, nicht aufgegeben haben. Weil wir nicht Aufgegebene sind, geben wir nicht auf.

Benedikt XVI. wird 95 Jahre alt – Florian Breitmeier (NDRkultur)

Priester und Professor, Erzbischof in München, Kardinalpräfekt der Glaubenskongregation in Rom, schließlich Papst und – nach einem „revolutionären Schritt eines Erzkonservativen“ – jetzt „Papa emeritus“:

Joseph Ratzinger, der frühere Papst Benedikt XVI., der am Karsamstag Geburtstag feierte, habe die römisch-katholische Kirche in den 95 Jahren nach seiner Taufe wie kein Zweiter geprägt, so Florian Breitmeier (@breitmeierf) in seinem Beitrag für den NDR (@ndrkultur). Ein Jahrhundertleben – mit überraschenden Wendungen und auch Brüchen, daher gebe es auch kein klares, eindeutiges Bild von Ratzinger:

Für die einen ist er ein „Mozart der Theologie“, der begnadet über Gott, Jesus und das Christentum sprechen konnte. Andere hefteten ihm dauerhaft das Image eines „Panzerkardinals“ an, verantwortlich für einen enormen Reformstau, der die römisch-katholische Kirche im 21. Jahrhundert zerreißen könnte. (…) Selbst als Papst in Pension ist er nie im Ruhestand, trotz eines biblischen Alters von nunmehr 95 Jahren. Das verlangt einem auch Respekt ab.

„Die Zeit nach seinem Rücktritt ist schiefgelaufen, als ganze“, so der Ratzinger-Schüler Wolfgang Beinert, den Tilmann Kleinjung (@TilmannKk) in seinem Beitrag für den Bayerischen Rundfunk (@BR24) zitiert. „Er hätte schweigen müssen, weil es nur einen Papst geben kann“, so Beinert.

„Die Gefahr besteht auch immer und der ist er wohl erlegen, dass seine Stellungnahmen instrumentalisiert werden. Dass er vielleicht auch darum gebeten worden ist und in seiner Gutherzigkeit gesagt hat ‚Das mach‘ ich‘ und damit einfach Schaden angerichtet hat. Das lässt sich nicht bestreiten.“

Die KirchenVolksBewegung „Wir sind Kirche“ (@WirSindKirche_) würdigte Ratzinger als einen „unerbittlichen Reaktionär“, „von Misstrauen getriebenen und in Angst erstarrten Theologen, der mit seinen Leitungsaufgaben überfordert“ gewesen sei:

Dass er mit der modernen Welt gar nichts anfangen konnte, ja regelrecht Angst davor hatte, machte ihn zum Versager auf breiter Front: als Professor, Bischof, Glaubenswächter, Papst und Ex-Papst. So hat er – wie sein Vorgänger Karol Wojtyła/Papst Johannes Paul II. – wohl mehr zum Glaubensverlust in der katholischen Kirche beigesteuert als böswillige Ungläubige.

Papst Franziskus indes hat seinem Vorgänger Benedikt XVI. einen vorzeitigen Geburtstagsbesuch abgestattet und ihn anderen Orts als „Propheten einer Kirche der Zukunft“ gelobt. Tja, offenbar gilt auch hier: „Von der Parteien Gunst und Haß verwirrt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte“ …

Predigt

Osterpredigt 2022: Auf(er)stehen für den Frieden – Peter Burkowski und Lars Charbonnier (German Road Races)

Die Pfarrer Peter Burkowski und Lars Charbonnier, ehemaliger bzw. derzeitiger Geschäftsführer der Akademien für Kirche und Diakonie gGmbH, laufen gemeinsam Marathon. Ihre Dialogpredigt zu Ostern 2022 ist folgerichtig auf der Website von German Road Races (@germanroadraces), der Interessengemeinschaft der deutschen Straßenlaufveranstalter, zu finden. Burkowski erinnert an seine jüngste Teilnahme am Berliner Halbmarathon:

Nur wenige Teilnehmende werden bemerkt haben, dass die Strecke voller Weltgeschichte im Blick auf Krieg und Frieden steckt: die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche mit der Ruine und der Stalingrad-Madonna, das Gelände der Topografie des Terrors mit den Resten der Berliner Mauer, Checkpoint Charlie, das sowjetische Ehrenmal am Zieleinlauf.

Das gelte auch für einen besonderen Ort, derzeit eine Baustelle:

Etwa bei km 18 der Halbmarathon-Strecke entsteht das „House of One“ – ein Begegnungsort von Juden, Muslimen und Christen – mitten in Berlin: Juden, Christen und Muslime bauen gemeinsam ein Haus, unter dessen Dach sich eine Synagoge, eine Kirche und eine Moschee befinden. Ein Haus des Gebets und der interdisziplinären Lehre. Ein Haus der Begegnung, für ein Kennenlernen und den Austausch von Menschen unterschiedlicher Religionen. Der eine Gott ist ein Gott des Lebens und des Friedens.

Angesichts des Kriegs in der Ukraine stellt sich für Burkowski die Frage nach dem, was man ganz konkret tun könne, dem eigenen Beitrag zum Frieden und dem friedlichen Zusammenleben der Menschen:

Dabei geht es vor allem um die Frage nach unserem Lebensstil und Lebensstandards. Die Abhängigkeit von russischen Rohstoffen bringt unsere vermeintliche Sicherheit ins Wanken. Und zugleich wird bewusst, wie sehr wir abhängig sind. In wenigen Wochen hat uns die Frage nach Einschränkungen und Verzicht erreicht. Sind wir bereit, uns einzuschränken? Sind wir bereit, unsere Gewohnheiten zu ändern?

Und Lars Charbonnier erinnert daran, Ausdauersportler:innen wüssten, man brauche einen guten Plan, Disziplin und Mut zum Beginnen, um große Ziele zu erreichen:

Am Anfang steht die Feststellung, dass es ein anderes Leben geben kann. Dazu gehört auch die Einsicht, dass wir unterwegs Fehler machen, dass es mühevoll ist und dass ich es nicht allein schaffen werde.

Das Osterereignis beginnt mit: Fürchtet euch nicht! Geht dorthin, wo das Leben bedroht ist. Geht weiter auf dem Weg der Verständigung und des Mitgefühls, des Friedens und der Lebensmöglichkeiten für jeden Menschen – im Vertrauen auf Gott und in das Leben.

Ein guter Satz