Newsletter #LaTdH

Nürnberger Echos – Die #LaTdH vom 11. Juni

Eine Kirchentags-Edition der #LaTdH: Spiritualität und Politik auf dem 38. Deutschen Evangelischen Kirchentag, ein kühler Kanzler, Echos auf den Straßen und eine zugleich ab- und anwesende Margot Käßmann.

Herzlich Willkommen zu den #LaTdH vom Kirchentag 2023!

In den #LaTdH fassen wir die wichtigen Nachrichten der Woche aus Kirchen und Religionen zusammen. Der Name „Links am Tag des Herrn“ ist im (mindestens) doppelten Sinne Programm: Wir verlinken auf wichtige Beiträge von anderen Medien und Autor:innen und das machen wir jeden Sonntag. Die #LaTdH gibt’s als praktischen Newsletter komplett und bequem per Email und hier im Magazin. Auch diese Woche wieder, aber ein wenig anders.

Seit Mittwoch bin ich in Nürnberg und Fürth, um den 38. Deutschen Evangelischen Kirchentag zu beobachten und für die Eule zu berichten. Deshalb werden diese #LaTdH kürzer als sonst, zwar nicht monothematisch, aber auf den Kirchentag fokussiert. Die finalen Teilnehmer:innen-Zahlen werden erst zur Mittagsstunde mitgeteilt, mein Eindruck aber: In vollen Kirchen und auf vollen Marktplätzen, in Messehallen und in schattigen Biergärten feiern Christ:innen Wiedersehen und Gottesdienst. Wie man, wie Frédéric Schwilden (@totalreporter) in der WELT (€), auf den Trichter kommen kann, einen Kommentar zum Kirchentag mit dem Satz „Spiritualität sucht man auf dem evangelischen Kirchentag in Nürnberg vergeblich“ anzuteasern, ist mir völlig schleierhaft.

Ja, der Kirchentag will auch ein Forum für politische Debatten sein (s.u. „Debatte“), aber er ist eben auch mehr und anderes – nämlich Ort des Gebets, des Singens und Tanzens, des Feierns und der persönlichen Gespräche. Auf dem Kirchentag treffen sich Menschen guten Willens. Da muss auch ein Bundeswirtschaftsminister während „seiner“ Veranstaltung, wie es leider viel zu schnell heißt, vor allem zuhören. Zunächst Carla Hinrichs von der „Letzten Generation“, der die bayerische Polizei mit vorgehaltener Waffe in die Wohnung platzte, dann der Soziologin Anita Engels, die dem „Alle-zusammen-und-dabei-immer-schön-hoffnungsvoll-bleiben“-Narrativ Habecks mit Fakten entgegenhielt, dass sich eben doch nur dann etwas bewegt beim Klimaschutz, wenn die Zivilgesellschaft Druck auf die Politik und diese dann Druck auf die Wirtschaft ausübt.

Aufeinander zuhören, Dissens aushalten, sogar wertschätzen, das ist – und könnte noch mehr sein – eine Stärke des Evangelischen Kirchentages. Probleme gibt’s vor allem da, wo man selbst diesen Anspruch unterläuft. Aber das diskreditiert das Anliegen nicht! Während sich der stellvertretende Ministerpräsident des gastgebenden Freistaates Bayern in Erding ganz dem Trumpismus hingibt, setzt der Kirchentag in Nürnberg und Fürth ein anderes Zeichen.

Eine gute Woche wünscht
Philipp Greifenstein

PS: Die #LaTdH und das Angebot der Eule werden von den Leser:innen selbst ermöglicht! Die Eule ist ein unabhängiges Magazin und erhält keine Unterstützung von Kirchen oder Religionsgemeinschaften. Werden Sie Eule-Abonnent:in! Ab 3 € im Monat sind Sie dabei.


Debatte

Drei große Themen zogen sich durch die politischen Veranstaltungen dieses Kirchentages: Die Klimakrise, der Ukraine-Krieg und der Kompromiss zum neuen EU-Asylsystem. Aber eigentlich ist schon das eine unzutreffende Engführung, denn in den unterschiedlichen Zentren des Kirchentages ging es noch um viel mehr Themen, die evangelische Christ:innen bewegen und zu denen sie in der Gesellschaft Position beziehen. Die Folgen der Corona-Pandemie wurden ebenso thematisiert wie queere, intersektionale und internationale Perspektiven auf wichtige Zeitfragen. Die mediale Aufmerksamkeit liegt qua Prominenz allerdings dann doch auf wenigen großen Podien.

Wie halten Sie’s mit dem Glauben, Herr Scholz? – Reinhard Bingener (FAZ)

Den Auftritt von Bundeskanzler Olaf Scholz (Video) fasst Reinhard Bingener (@RBingener) in der FAZ zusammen. Es war ein nur kurzes Intermezzo, währenddessen Scholz die ihm eigentlich zugewandten Zuhörer:innen irgendwo verlor. Inhaltlich, weil er den Asylkompromiss unempathisch verteidigte, die Leistungen von Kirchgemeinden und Christ:innen bei der Flüchtlingshilfe kaum würdigte. Emotional, weil er anders als CDU-Chef Friedrich Merz überhaupt nicht in das Setting des Kirchentages hineinsprach. So wie am Samstag beim Kirchentag hätte Scholz halt auch bei der Industrie- und Handelskammer Rheda-Wiedenbrück sprechen können.

Kurzfristig wurde das schleppende Gespräch durch Zwischenrufe unterbrochen, u.a. von Mouatasem Alrifai (@Mo_Alrifai), einem Mitglied des Nürnberger Rates für Integration und Zuwanderung, der von weit hinten in der Frankenhalle den Asyl-Kompromiss der Bundesregierung lautstark kritisierte (Video).

Die neue Frau Käßmann kommt aus Schwerin – Benjamin Lassiwe (Tagesspiegel)

Ganz anders als Scholz näherte sch die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig (SPD), dem Kirchentag: Für sie ein Heimspiel. Benjamin Lassiwe (@lassiwe) beschreibt im Tagesspiegel, wie nahe Schwesig bei ihrer gemeinsamen Bibelarbeit mit der SPD- und Kirchentags-Influencerin Lilly Blaudszun (@LillyBlaudszun) den Teilnehmer:innen kommen will – und von ihnen angenommen wird.

„Ich komme mal zu Ihnen“, sagt Manuela Schwesig. Mit dem Mikrophon in der Hand verlässt [sie] die Bühne in der Halle 6 das Nürnberger Messegeländes. Sie streift durch die Reihen voller Papphocker, auf denen rund 2000 Menschen mit grünen Kirchentagsschals Platz genommen haben. „Was sind Ihre Hoffnungen für die Zukunft?“, will die SPD-Politikerin von Simone aus Schwerin, Priscilla aus der Schweiz und Martin aus Nordrhein-Westfalen wissen. […]

Zum Schluss ihrer Bibelarbeit berichtete Schwesig sehr persönlich von ihrer Krebserkrankung:

In dieser Situation habe ihr das von dem evangelischen Theologen und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer 1944 im Kellergefängnis des Reichssicherheitshauptamtes gedichtete Lied „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ geholfen, bekannte Schwesig. „Margot Käßmann hat mal gesagt: Du kannst nicht tiefer fallen, als in Gottes Hand – das sagt auch dieses Lied.“ Woraufhin der die Bibelarbeit begleitende Gospelchor das Lied auf Bitten Schwesigs noch einmal sang, „damit Sie alle daraus Kraft schöpfen können.“ Margot Käßmann hätte es nicht besser machen können.

Margot Käßmann im Ohr

Margot Käßmann selbst hat ja bekanntlich in diesem Jahr nicht am Kirchentag teilgenommen. Diesen Vorgang beleuchtete noch vor dem Startschuss in Nürnberg ebenfalls Reinhard Bingener in der FAZ. Abwesend war die ehemalige EKD-Ratsvorsitzende aber ganz und gar nicht. Nicht nur warben auf dem „Markt der Möglichkeiten“ zahlreiche Verlage und Initiativen mit Käßmann-Porträts und -Zitaten, der Musiker Clemens Bittlinger brachte in einem neuen Friedenssong aus seiner Feder zum Start des Ukraine-Podiums am Freitag einen O-Ton Käßmanns unter. So klangen Margot Käßmanns Worte körperlos und überraschend durch die Frankenhalle, bevor die konzentrierte und streitige Diskussion über die evangelische Friedensethik überhaupt begonnen hatte.

Sven Giegold (Grüne, Staatssekretär Bundeswirtschaftministerium, Mitglied des Kirchentagspräsidiums) und der Friedensbeauftragte des Rates der EKD, Landesbischof Friedrich Kramaer (EKM), diskutierten mit offenem Visier auf dem Podium, an dem zum ersten Mal in der Geschichte des Kirchentages „der oberste Soldat Deutschlands“, Generalinspekteur Carsten Breuer, und außerdem noch die badische Landesbischöfin Heike Springhart teilnahmen. Das ZDF hat die Diskussion vor Ort aufgenommen und am gestrigen Samstag ausgestrahlt (Mediathek).

Wer nutzt wem (mehr)?

Warum sprechen überhaupt so viele und prominente Politiker:innen auf dem Kirchentag? Geht das wechselseitige Versprechen der Resonanzverstärkung noch auf? Die wegen Nord Stream 2 und dem Skandal um die Klimastiftung MV in politische Bedrängnis geratene Manuela Schwesig nutzte den Nürnberger Kirchentag natürlich, um sich nahbar zu zeigen. Scholz zeigte den Christ:innen eher die kalte Schulter. Söder und Merz erhielten so viel Applaus, wie sich das vor dem Nürnberger Kirchentag wohl nur wenige gedacht hatten.

Insgesamt traten die Zuhörer:innen der großen Podien auf dem Messegelände ganz und gar nicht so „linksgrünversifft“ auf, wie es den Evangelischen Christ:innen und Kirchen von Rechtsradikalen und ihren Medien immer wieder zum Vorwurf gemacht wird. Wird der Kirchentag konservativer oder sind die Teilnehmer:innen einfach zu höflich und nachsichtig mit den Polit-Promis? Sind die Fragen und Moderationen von handverlesenen Journalist:innen ohne Kirchentags-Gespür zu harmlos? Ist der Kirchentag als Organisation insgeheim zu dankbar über das geteilte Scheinwerferlicht, um auch deutlich Dissens zu markieren? Helfen die Politiker:innen der Kirche oder die Kirche den Politiker:innen aus ihrer Echokammer?

nachgefasst

„Oje“: Kirchentag versucht das Thema Missbrauch anzugehen – Veronika Wawatschek (BR)

Vom großen Podium zum Thema Missbrauch evangelisch berichtet Veronika Wawatschek (@PendaAndika). Gestern Mittag hatte Kirchentagspräsident Thomas de Maizière erklärt, es „sei nicht zulässig“, von der geringen Anzahl der Veranstaltungen zum Thema darauf zu schließen, dass Thema sein dem Veranstalter nicht wichtig. Eine bemerkenswerte Perspektive und Wortwahl.

Daran, dass der Skandal der sexualisierten Gewalt in den evangelischen Kirchen auf Kirchentagen eher im Schatten bleibt, haben aber nicht nur die Organisator:innen des Großevents Anteil, die einer Befassung mit der Missbrauchsgeschichte der Kirchentage selbst weitgehend aus dem Weg gehen. Es sind in der 4000-Personen Halle 4a eben „nur“ gut 200-250 Teilnehmer:innen, die sich am Samstagnachmittag bei schönsten Sonnenschein und mehr als genug Parallelprogramm diesem Thema widmen. Dass die Hocker in der Halle offenbar trotz Bitte von Betroffenen weiter abgebaut wurden, zeigt, dass der Kirchentag beim Thema Sensibilisierung noch einen weiten Weg vor sich hat.

Ohne Papst fällt Weltjugendtag in Lissabon aus (KNA, katholisch.de)

Was passiert eigentlich, wenn der Papst ausgerechnet während des Evangelischen Kirchentages stirbt? Diese Frage stand am Mittwoch tatsächlich kurz im Raum, als bekannt wurde, dass Papst Franziskus am Darm operiert werden muss. Offenbar hat der Papst die OP gut überstanden, trotzdem steht der Weltjugendtag in Lissabon, zu dem bis zu 1 Million junge Menschen erwartet werden, auf der Kippe. Ein Blick in das ambitionierte Programm, das Franziskus in Portugal absolvieren soll, zeigt warum:

Der Weltjugendtag sei ein Treffen des Papstes mit den Jugendlichen der Welt, erläuterte der Präsident der Stiftung WJT Lissabon 2023, Weihbischof Americo Aguiar. Es finde also immer nur mit dem Papst selbst statt, „unabhängig von möglichen körperlichen Einschränkungen“. Niemand sehe eine Möglichkeit, wie der Papst von jemand anderem vertreten werden könnte. Daher gebe es keinen Plan B, so der Bischof, sondern lediglich „den Plan F“ für Franziskus.

Buntes

Vom Ende der Endzeit: Was bedeutet das Kirchentags-Motto wirklich? – Daniel Hoffmann (Die Eule)

„Jetzt ist die Zeit“, ist das Motto des Evangelischen Kirchentages 2023 in Nürnberg. Der Slogan stammt aus dem Markusevangelium, doch was bedeutet der Bibelvers tatsächlich? Das erklärt hier in der Eule Daniel Hoffmann, der Pfarrer der bayerischen Landeskirche (@elkb) und wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Neues Testament an der Augustana-Hochschule Neuendettelsau ist.

Eine frohe Botschaft am Abgrund bietet der Evangelist: Seine Traumaliteratur stellt einen ersten Versuch dar, die Sprache nach der Katastrophe wiederzufinden. Markus ist mit seinem Evangelium nach heutigem Forschungsstand der erste, der eine zusammenhängende Darstellung des Redens, Wirkens und Lebens Jesu schriftlich festhält. Dass er das gerade nach der großen Katastrophe tut, dürfte alles andere als zufällig sein. Wenn nichts mehr trägt, dann braucht es eine Vergewisserung über das, woran man sich festhalten kann.

Smarte evangelische Lebenskunst – Philipp Greifenstein (zeitzeichen)

In dieser Woche war ich auch wieder mit einem Kolumnentext in den z(w)weitzeichen dran. Im Kommentar geht es um das Thema #digitaleKirche und dessen Repräsentation auf dem Kirchentag und deshalb auch um die zweite Kirchentagsstadt Fürth.

Darum sollte das Zentrum Digitale Kirche (und Gottesdienst) auf dem Kirchentag abgeschafft werden. Es geht um die Nutzer:innen, und die sind in den Zentren Kinder und Jugend und überall auf dem Kirchentag längst digital. Die Absonderung, erst recht in die Ferne Fürths, hält eine künstliche Trennung weiter aufrecht, die wir längst überwunden haben. Die Karte bildet das tatsächliche Gebiet nicht mehr ab.

Die Kirchentagsberichterstattung in der Eule geht in den kommenden Tagen weiter, auch wenn der Nürnberger Kirchentag heute um 10 mit den Abschlussgottesdiensten zu Ende geht. Ein paar Eindrücke werden noch Eingang in die „Splitter“ finden. Und mit etwas Abstand werden wir versuchen, ein Fazit zu ziehen, was der Kirchentag 2023 für die Kirchen und Gesellschaft in Deutschland nun eigentlich bedeutet hat.

Feierabendmahle, überfüllte Kirchen, Konzerte, vor allem das gemeinsame Singen, die Lichtermeere bei den Abendsegen auf Haupt- und Kornmarkt mitten in einer wahnsinnig jungen und während der Sommerabende vollen Nürnberger Innenstadt – das sind Eindrücke, die ich und die viele Teilnehmer:innen vom Kirchentag mitnehmen. Sie werden bei vielen zu schönen, vielleicht prägenden Erinnerungen werden, genauso wie die älteren Teilnehmer:innen gerne mit „Mein erster Kirchentag war ja …“ ins Gespräch einsteigen.

Ein guter Satz

Als ich gestern Abend nach Ende der Abendsegen durch die Nürnberger Altstadt ging, sangen auf einem Fußweg ein paar Jugendliche das Kirchentags-Lied „Die Zeit ist jetzt“ (Video hier). Die Echos im Refrain sangen ihnen an passender Stelle andere Jugendliche spontan von der anderen Straßenseite zu:

„Die Zeit ist jetzt. Wir laufen los. Gott geht mit uns. Das Leben ruft.“