Wie Nationalisten die Religion (miss-)brauchen
In den USA, Indien oder Ungarn verstehen sich die autoritären Regierungschefs als Verteidiger der Mehrheitsreligion. Wie Politik und Nation religiös überhöht werden.
Es war sein großes Versprechen im Wahlkampf: „They want to tear down crosses where they can, and cover them up with social justice flags,” warnte Donald Trump bei einem Wahlkampfauftritt in Nashville im Februar 2024 vor seinen politischen Gegner*innen. „But no one will be touching the cross of Christ under the Trump administration, I swear to you.” Die Rede in Nashville war nicht das erste und das letzte Mal, dass Trump mit Religion Politik machte.
Obwohl religiöse Politik lange totgesagt wurde und die Bevölkerungen in Industriestaaten sich zunehmend von organisierter Religion abwenden, ist die Rückkehr der Religion in die Politik ein globaler Trend der Gegenwart. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán (Fidesz) spricht immer wieder von Ungarn als einer inhärent christlichen Nation, obwohl dem letzten Zensus zufolge nur noch 43,7 Prozent der Bevölkerung einer Kirche oder Religionsgemeinschaft angehören. In Indien trat Premierminister Narendra Modi (BJP) im Januar 2024 bei der Einweihung des auf den Ruinen einer Moschee gebauten hinduistischen Tempels in Ayodhya sogar wie der oberste Priester auf.
Trotzdem es sich um unterschiedliche religiöse Traditionen auf drei Kontinenten handelt, gibt es Überschneidungen des religiös gefärbten Politikstils dieser autoritären Regierungschefs. Sechs dieser Merkmale werden hier erläutert.
1. Politik im Namen der (Mehrheits-)Religion
Trump, Modi, Orbán und ihre jeweiligen Regierungen machen Politik zum Vorteil der Religion – zumeist zugunsten der Mehrheitsreligion ihrer Länder und deren Anhänger*innen. Unter Orbán wurde etwa 2011 in Ungarn eine neue Verfassung verabschiedet, die im ersten Abschnitt ausdrücklich Bezug auf das Christentum nimmt: „Wir erkennen die Rolle des Christentums bei der Erhaltung der Nation an.” Ein neues Kirchengesetz reduzierte ab 2012 die staatlich anerkannten Religionsgemeinschaften drastisch. Fortan bestimmte das Parlament, was eine „echte“ Kirche ist oder welche Glaubensgemeinschaft zum Verein reduziert wird. Die anerkannten Religionsgemeinschaften erhalten weiterhin Gelder durch die Regierung.
Im Jahr 2016 wurde in Ungarn schließlich das Staatssekretariat für verfolgte Christen gegründet. Warnungen vor und Hinweise auf Gefährdungen der Religionsfreiheit gehören zum Standardrepertoire der religiösen Rechten (s.u.). Im Namen von vermeintlich christlichen Werten ist zudem seit dem Jahr 2020 die Änderung des Geschlechts in offiziellen Dokumenten nicht mehr möglich, gleichgeschlechtliche Elternschaften werden abgelehnt.
Unter der BJP-Regierung ist es seit dem Jahr 2014 in zahlreichen indischen Bundesstaaten deutlich schwieriger geworden, zu einer anderen Religion zu konvertieren. Eine Genehmigung dafür müssen die Bezirksbehörden ausstellen. Sogenannte Ghar Wapsi-Programme (dt.: Heimkehr), bei denen Menschen zum Hinduismus bekehrt werden, werden von Politikern der Regierungspartei unterstützt und teilweise mitorganisiert.
Dem indischen „Citizenship Amendment Act“ von 2020 zufolge sollen Flüchtlinge, die in den islamischen Nachbarländern Pakistan, Bangladesch und Afghanistan aus religiösen Gründen verfolgt werden, die Staatsbürgerschaft erhalten.Muslime sind davon ausgenommen, weil ihnen dort, so die Argumentation der Regierung Indiens, keine Verfolgung aus religiösen Gründen drohe. Und Ayurveda, die mit Spiritualität verknüpfte Heilkunst, soll unter dem Druck Modis verwissenschaftlicht werden.
Donald Trump folgt in seiner zweiten Amtszeit als US-Präsident verstärkt dem Playbook des „Project 2025“, das von der Heritage Foundation erarbeitet wurde. Der Think-Tank versteht sich selbst als „conservative“ und verbreitet marktradikale, neoliberale, rechtsradikale und -religiöse Ideen. „Project 2025“ enthält einen restriktiven Kurs in der Abtreibungspolitik, den Rückbau von staatlichen Institutionen und der Gleichberechtigung der Geschlechter. Die Abtreibungsgegnerschaft beinhaltet auch eine Global-Gag-Rule, also einen Stopp von US-Förderung für Organisationen in der Entwicklungszusammenarbeit, die Schwangerschaftsabbrüche thematisieren oder durchführen.
Präsident Trump gründete zudem im Februar 2025 die von der US-Justizministerin Pam Bondi geführte „Task Force to Eradicate Anti-Christian Bias“, die „anti-christliche Tendenzen“ innerhalb der US-Regierung untersuchen soll. Zusätzlich soll systematisch gegen anti-christliche Gewalt oder Vandalismus vorgegangen werden. Parallel dazu kündigte Trump ein „White House Faith Office“ an, das von der Fernsehpredigerin Paula White geleitet wird. White verteidigt in dieser Funktion u.a. die Festnahmen und Abschiebungen von Migrant*innen aus Gottesdiensten und kirchlichen Einrichtungen, die von protestantischen und katholischen Amtsträger*innen scharf kritisiert werden.
Auch die Trump-Regierung argumentiert außenpolitisch mit dem Schutz verfolgter Christ*innen. Anfang November 2025 drohte Trump der nigerianischen Regierung mit militärischem Eingreifen. Er wies das US-Verteidigungsministerium an, sich auf „mögliche Maßnahmen“ vorzubereiten, falls Nigeria nicht gegen die Verfolgung von Christ*innen vorgehe. In Nigeria ist die islamistische Terrororganisation Boko Haram aktiv, die in ihrem Herrschaftsgebiet die Zivilbevölkerung bedroht. Außerdem gibt es in dem Land religiös aufgeladene Konflikte zwischen der christlichen und muslimischen Bevölkerung, die im Süden bzw. Norden des Landes die Mehrheitsreligion darstellen (mehr dazu hier in der Eule). Auf Truth Social schrieb Trump: „If we attack, it will be fast, vicious, and sweet, just like the terrorist thugs attack our CHERISHED Christians!“
2. Religiöse Rhetorik (oder so ähnlich)
Trump, Modi und Orbán gestalten nicht nur Politik zum Vorteil ihrer bevorzugten Religion, noch mehr greifen sie in der politischen Kommunikation auf normativ-religiöse Begriffe zurück. In seinen Reden nutzt Donald Trump immer wieder Begriffe wie „faith“, „God“ oder „pray“. Der Kommunikationswissenschaftler Ceri Hughes stellte fest, dass es mit und seit der Amtszeit Ronald Reagans in den 1980er Jahren einen starken Anstieg von religiösen Begriffen und Termini mit Gottesbezug in der US-präsidialen Rhetorik gab. Besonders bei den republikanischen Amtsinhabern. Unter ihnen war es Trump, der bereits in seiner ersten Amtszeit insgesamt die höchste Rate von religiösen Begriffen aufwies.
Auch Orbán bezieht sich beständig auf Begriffe wie „christlich“ oder „Kirche“. Ähnlich wie Trump nutzt er dabei zumeist Begriffe, die nicht an spezifische Konfessionen oder Denominationen geknüpft sind, aber in Verbindung mit dem Christentum stehen. Orbán macht aber oft deutlich, dass er nicht von Religion oder Glauben per se spricht, sondern von einer Kulturalisierung.
Im Jahr 2019 erklärte er in seiner Rede zum Nationalfeiertag Ungarns: „Ohne christliche Kultur gibt es keine ungarische Freiheit – und auch kein freies Ungarn. Das gilt unabhängig davon, ob man persönlich an Gott glaubt oder nicht.“ In einem Interview in der rechtskonservativen Tageszeitung Magyar Idők bekräftigte er im Dezember 2017, dass es notwendig sei, die „christliche Kultur Europas“ zu verteidigen, und fügte als Erklärung hinzu: „Wir Europäer leben – ob wir es zugeben oder nicht, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht – in einer Kultur, die von den Lehren Christi geprägt ist.“
Narendra Modi bezieht sich sprachlich auf Gottheiten aus dem hinduistischen Nationalepos Ramayana und verweist häufig auf heilige Orte, Gurus und Rituale des Hinduismus. Bewusst nutzt er religiöse Metaphern zur Begründung von Wirtschaftsreformen oder im Kampf gegen Korruption. So erklärte er im Jahr 2018 in einer Rede an die Nation über die Verhinderung der Schwarzgeld-Verbreitung, dass er fest daran glaube, dass jede*r Bürger*in an diesem mahayagna (hinduistische Opferzeremonie) teilnehmen werde.
In ihrer Rhetorik nutzen Trump, Orbán und Modi religiöse Begriffe häufiger vor religiösem Publikum oder zu entsprechenden Anlässen als in anderen Kontexten. Zudem haben sie ein gemeinsames Feindbild: den Islam. Muslim*innen werden sprachlich und politisch zu einer Bedrohung für die Mehrheitsreligion und deren Anhänger*innen erklärt. Eine Untersuchung des indischen Nachrichtensenders NDTV etwa ergab, dass Hassreden unter der Modi-Regierung zwischen 2014 und 2018 um 500 Prozent zugenommen haben.
Eine weitere Gemeinsamkeit der drei Regierungschefs ist eine rhetorische Verknüpfung der favorisierten Religion mit konservativen Wertvorstellungen. Hierzu zählen Liebe, der Schutz der Familie und der Kinder, und natürlich der Patriotismus. Die Religion wird sprachlich mehr und mehr sinnentleert und zu einem begrifflich flexiblen leeren Signifikanten.
3. Homogenisierung von Volk, Nation und Religion
Ein zentrales Element dieser autoritären Religionspolitik ist eine simplifizierte rhetorische Darstellung ihrer Kernpfeiler. In einfacher und oftmals emotionalisierender Sprache konstruieren die drei Männer das „Volk“ (welches zumeist aus ihren Anhänger*innen besteht) als inhärent religiös. Weihnachten zu feiern, reicht laut Orbán aus, um Teil der christlichen Gemeinschaft zu sein, wie er 2017 in der Magyar Idők erläuterte.
„Das Volk“ und die Gläubigen der Mehrheitsreligion werden dadurch homogenisiert und essentialisiert. Dabei nehmen die Regierungschefs gerne Bezug auf eine zum Teil imaginierte religiös-historische Grundlage ihrer Nation und des „Volkes“. In dieser Konstruktion wird jegliche Abweichung unsichtbar gemacht: Minderheiten, Andersgläubige oder Befürworter*innen des säkularen Staates werden rhetorisch ausgeschlossen oder marginalisiert. Sie gehören nicht zur Wunsch-Nation.
Trump, Orbán und Modi propagieren einen religiösen Nationalismus. Die Politikwissenschaftlerin Anna Grzymala-Busse definiert diesen als Verschmelzung von Nationalismus und Religion, sodass beide untrennbar und ununterscheidbar werden. Die Religion und die Nation werden als ordnungsstiftende kulturelle Systeme, Formen der sozialen Identifikation und Modi der sozialen Organisation und Segmentierung eingesetzt. Der religiöse Nationalismus stützt sich demnach auf religiöse Identitäten und Mythen, um die Nation und ihre Ziele zu definieren.
Der Begriff Christlicher Nationalismus wird spätestens seit Beginn der zweiten Amtszeit Donald Trumps häufiger in den Medien genutzt. In seiner gegenwärtigen Form wird er besonders durch Andrew Whitehead und Samuel Perry geprägt. Die Historikerin Annika Brockschmidt hat in ihrem Buch „Amerikas Gotteskrieger“ die Traditionslinien dieser Verknüpfung von nationalistischer US-Politik mit den Überzeugungen von weißen Evangelikalen nachgezeichnet. Ein Symbolbild für die bewusste Verschmelzung von Nation und Religion inszenierte Donald Trump selbst, als er sich im November 2020 mit einer Bibel in der Hand und in Begleitung von Vertretern von Religion, Staat und sogar Militär vor der St. John’s Episcopal Church in Washington ablichten ließ (und dafür zuvor die Straßen räumen ließ).
Der Christliche Nationalismus der „Make-America-Great-Again“-Bewegung baut auf einer bis in die Gründungsphase der USA zurückreichenden Tradition des christlichen Patriotismus, der US-amerikanischen civil religion mit ihrem Bekenntnis zur Einzigartigkeit (engl.: exceptionalism) der USA und der bewussten Instrumentalisierung des Evangelikalismus für rechte Politik seit Mitte des 20. Jahrhunderts auf (mehr dazu hier in der Eule).
In Indien existiert seit Beginn des 19. Jahrhunderts die anti-pluralistische Ideologie des Hindutva. Eine Form des Hindu-Nationalismus, dessen Autorität „nicht in einen Kanon religiöser Texte, sondern in einer bestimmten Konstruktion der indischen Geschichte, Religion und Kultur“ gründet, wie die Sozialanthropologin Shalini Randeria in ihrem Buch „Hindu-Fundamentalismus“ erklärt. Der Hinduismus wird darin als einzige Grundlage der indischen Kultur interpretiert.
Eine Hindu-Identität kann nur durch die Ergebenheit gegenüber den Werte der (imaginierten) ursprünglichen und damit vorislamischen Hindu-Vergangenheit wiedererlangt werden. Mit dieser Kulturdefinition als Grundlage fordern die Anhänger*innen „die Assimilation aller Nicht-Hindus, wenn diese in Indien bleiben wollen“. Seitdem er 17 Jahre alt war, ist Narendra Modi Mitglied der Organisation Rashtriya Swayamsevak Sangh (dt.: Nationale Freiwilligenorganisation), die sich dieser Ideologie verschrieben hat.
4. Auf göttlicher Mission
Trumps und Orbáns religiöse Narrative handeln primär vom Schutz des (teilweise vermeintlich) angegriffenen Christentums. Trump spricht dabei oft von einer „christlichen Religionsfreiheit“, die von den USA verteidigt werden müsse. Der Religionshistoriker R. Scott Appleby nennt diese Form des US-amerikanischen Exzeptionalismus eine „theological version of Manifest Destiny“. Bereits kurz nach dem Antritt der zweiten Trump-Regierung erregte US-Vizepräsident J.D. Vance auf der Münchener Sicherheitskonferenz Aufsehen mit seinen Thesen über die Verfolgung von Christ*innen in Europa durch gesellschaftspolitische Liberalisierungen.
Die aktuelle US-Regierung macht sich somit Rhetorik und Inhalte der Regierung Orbán zu eigen, die für sich in Anspruch nimmt, das Christentum in Ungarn und Europa zu schützen. Christ*innen würden vor allem durch Muslime und liberale EU-Politiker*innen bedroht: „Diese Gefahr geht von Politikern in Brüssel, Berlin und Paris aus. Sie wollen, dass wir ihre Politik übernehmen: die Politik, die diese Länder zu Einwanderungsländern gemacht und den Niedergang der christlichen Kultur sowie die Ausbreitung des Islam ermöglicht hat“, raunte Orbán entsprechend in einer Rede an die Nation am 18. Februar 2018.
Der Begriff Vishwaguru (dt.: Weltlehrer) wurde derweil unter Narendra Modi eine gängige Metapher für Indien. Ganz in diesem Sinne verkündete der Premierminister bei einem Ritual zum Baustart des Ayodhya-Tempels im August 2020, er hoffe, der Tempel werde für die gesamte Menschheit über Jahrhunderte hinweg zu einer Quelle der Inspiration. Modi betonte, wie wichtig es sei, dass die Botschaft der Hindu-Gottes Ram, des Tempels und der indischen Tradition die ganze Welt erreiche.
Im Rahmen ihrer Identitätspolitik überhöhen Trump, Orbán und Modi die Nation religiös. Teil dieser Überhöhung sind messianische Heilsvisionen: Die USA wollen (vermeintlich) verfolgte Christ*innen auf dem gesamten Planeten schützen, Ungarn will das christliche Europa retten, und Indien ist Modi zufolge der ganzen Welt ein Vishwaguru.
5. Dichotomie der Welt oder: Cosmic War
Orbán, Trump und Modi teilen die Welt in gut und böse ein, unterscheiden auch innerhalb ihrer Bevölkerungen zwischen erwünschten und missliebigen Menschen, konstruieren scheinbar unüberwindbare Gegensätze zwischen Bevölkerungsgruppen, Religionsgemeinschaften und politischen Lagern. Diese Dichotomien werden eingesetzt, um den politischen Kampf für die Vorherrschaft des weißen, christlichen Bevölkerungsanteils bzw. der hinduistischen Bevölkerungsmehrheit als cosmic war, als endzeitlichen Kampf, zu inszenieren. Der Soziologe Philip Gorski beschrieb diese Strategie 2021 eindrücklich:
„Paint the contemporary world in Manichean and apocalyptic terms as a cosmic struggle between good and evil that is hurtling towards its final and violent denouement.“
„Zeichne die Gegenwart in manichäischen und apokalyptischen Begriffen als einen kosmischen Kampf zwischen Guten und Bösen, der einem finalen und gewalttätigen Ende entgegenstrebt.“
Die Mehrheitsreligion und ihre Anhänger*innen werden dabei als inhärent gut kategorisiert. Sie gelten als rechtschaffen und überlegen. Gleichzeitig wird die dominante ethnische und zumeist religiöse Mehrheit je nach Belieben gelegentlich als verfolgte Minderheit dargestellt.
Es entsteht ein Szenario der ständigen Bedrohung, durch aufgeladene Feindbilder wie Muslim*innen, oppositionelle Politiker*innen oder eine vermeintliche „Gender-Ideologie“. Politik wird Teil eines irdischen und zugleich transzendenten Krieges. Wer es wagt, die Politik von Trump, Modi und Orbán zu kritisieren, steht dabei auf der Seite der Bösen.
6. Sacred people: Diener, Beschützer und Messias
Wer kann in diesem endzeitlichen Kampf den rechten Glauben, das „Volk“ und die Nation retten? Der Narrativ des cosmic war verlangt nicht allein nach klar definierten, sich in Feindschaft gegenüber stehenden Gruppen, sondern auch nach Heldenfiguren, nach Heerführern. Mal mehr, mal weniger deutlich werden Trump, Orbán und Modi von ihren Anhänger*innen zu sacred persons (dt.: Heilige) erklärt und leisten solchen Deutungen durch eigene Äußerungen Vorschub. Im Rahmen der kulturell-religiösen Erwartungshaltungen des jeweiligen „Volkes“ gelten sie als Diener und Beschützer, an die teilweise messianische Erwartungen geknüpft werden.
In einer subtileren Form ist dies bei Orbán zu beobachten: Der gläubige Calvinist, der sich vor seiner Zeit als Premierminister noch selbst als Agnostiker bezeichnete, inszeniert sich auf Instagram zum Beispiel als einfacher Gottesdienstbesucher auf einer der hinteren Kirchenbänke oder mit gefalteten Händen beim Gebet. Er spricht in der Wir-Form über den Schutz des Christentums und stellt sich als demütiger Christ dar.
Donald Trump hingegen wurde bereits während seiner ersten Amtszeit von evangelikalen Unterstützer*innen als Wiedergänger des persischen Königs Kyros bezeichnet. Von Kyros erzählt die Bibel, er habe die jüdischen Gefangenen in Babylonien befreit und ihnen die Rückkehr in ihre Heimat ermöglicht. Ein König also, der ursprünglich nicht dem auserwählten Volk angehörte, aber von Gott auserwählt den Gläubigen half (mehr dazu hier in der Eule).
Trump scheut sich nicht davor, seine göttliche Auserwähltheit anzudeuten oder zumindest mit den entsprechenden Vorstellungen seiner Anhänger*innen zu spielen. Bereits im Jahr 2019 verteidigte er den Handelskonflikt mit China, indem er vor Reporter*innen sagte: „[S]omebody had to do it“. Nach einer Kunstpause wandte er sich gen Himmel und verkündete den anwesenden Journalist*innen: „I am the chosen one“. Immer wieder zeigt Trump sich im Kreise evangelikaler Führungspersönlichkeiten, die ihn berühren und für ihn beten.
Auf seiner eigenen Social-Media-Plattform Truth Social stellt Trump sich immer wieder mit „KI“-generierten Bildern als messianische Gestalt oder auch mal als Papst dar. Bei der Trauerfeier für Charlie Kirk, die eine Mischung aus neo-charismatischem Gottesdienst, Worship-Konzert und politischer Kundgebung war, sprach Trump ganz zum Schluss als „Hohepriester“ der „Make-America-Great-Again“-Bewegung. Zuvor hatten zahlreiche Redner*innen seine Rolle im Heilsplan Gottes für Amerika betont.

Mit generativer KI erstellte Darstellung von Donald Trump als Papst, die er auf Truth-Social verbreiten ließ.
Besonders starken Auftrieb erhielt die Vorstellung, bei Trump handele es sich um einen von Gott bestimmten Führer des Volkes, durch die Instrumentalisierung des Attentatsversuchs vom 13. Juli 2024. Trump behauptete, er sei aufgrund der göttlichen Vorsehung verschont worden und rief seinen Anhängern „Fight, Fight, Fight“ und den biblischen Gruß „Fürchtet euch nicht!“ entgegen. Die religiöse Rhetorik fand schnell Anklang bei Trumps Anhänger*innen. Inspiriert von Trump veröffentlichten sie „KI“-Bilder, die Jesus zeigten, wie er die Kugel mit seiner Hand aufhielt, oder Trump mit einem Schutzengel.
Über Narendra Modi wiederum ist bekannt, dass er sich bereits in seiner Jugend bei der Ramakrishna-Mission um die Aufnahme als Mönch beworben haben soll. Laut eigener Aussage wurde er jedoch abgelehnt. Regelmäßig nimmt er öffentlichkeitswirksam an hinduistischen Ritualen teil und zeigt sich auf Social-Media-Plattformen bei der Meditation. Gelegentlich trägt er das Safrangewand der hinduistischen oder buddhistischen Mönche.
Während seines letzten Wahlkampfes ging er jedoch noch einen Schritt weiter: Im Mai 2024 sagte er in einem Interview beim Nachrichtensender News18, dass er der Überzeugung sei, keine natürliche Geburt erfahren zu haben: „Als meine Mutter noch lebte, glaubte ich, dass ich biologisch geboren wurde. Nach ihrem Tod war ich nach reiflicher Überlegung all meiner Erfahrungen davon überzeugt, dass Gott mich gesandt hat.“ Im selben Monat sagte der damals 73-Jährige in der Salaam India Show optimistisch, dass Gott ihn zu dem besonderen Zweck gesandt habe, Indien bis zum 100. Jahrestag der Unabhängigkeit des Landes in eine Industrienation zu verwandeln: „Ich bin fest davon überzeugt, dass ich dieses Ziel bis 2047 erreichen werde, und bis dieses Ziel erreicht ist, wird Gott mich nicht zurückrufen.“ Wenig verwunderlich, dass ein Mitglied seiner Partei einen Tempel zu seinen Ehren errichtete.
Die religiöse Inszenierung dient zunächst dazu, die Politiker gegen legitime Kritik zu immunisieren: Kritik an ihnen bedeutet Kritik am „Volk“, am Glauben, an der Nation, kurz: am Guten. Besonders am Beispiel Donald Trumps zeigt sich, dass die messianische Überhöhung seiner Person auch seine eigenen persönlichen Fehler – religiös gesprochen: Sünden – überdeckt. Dass Kyros-Motiv muss dazu nicht mehr explizit aufgerufen werden.
Evangelikale Führer*innen sind sich über die Widersprüchlichkeit ihres Engagement für Trump durchaus im Klaren. Sie unterstützen ihn trotz seiner Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs, Untreue und Verwicklungen in Sex-Skandale, weil seine Regierung ihnen – nicht nur beim Abtreibungsrecht – nützt. Für sie ist Trump trotz oder gerade wegen seiner persönlichen Verfehlungen ein Werkzeug Gottes.
Alles Instrumentalisierung oder was?
Die drei Regierungschefs greifen auf religiöse Narrative zurück, und Religion wird zu einem flexiblen Instrument, das sowohl kulturelle als auch politische Ansprüche bündelt und emotional auflädt. Die Grenzen zwischen Glauben und ihrem politischem Programm verschwimmen. Der religiöse Nationalismus, den die drei Politiker in unterschiedlichen Traditionen vertreten, schafft eine Identitätspolitik, die auf Abgrenzung basiert. Die sakrale Überhöhung immunisiert sie gegen Kritik und macht jede politische Auseinandersetzung zur moralisch aufgeladenen Entscheidung über Gut und Böse. Die Vorstellung eines kosmischen Kampfes stellt politische Konflikte als existenziell dar und erschwert damit rationale Debatten.
Aber setzen Orbán, Trump und Modi Religion nur strategisch ein? Handelt es sich um eine reine Instrumentalisierung von Religion zum Machterhalt? Die situativ eingesetzte Religiosität von Orbán und Trump spricht dafür. Geht es in „Wirklichkeit gar nicht um religiöse Motive, sondern um Manöver säkularer Mächte, die ihre politischen und wirtschaftlichen Interessen mit religiösem Dekor tarnen“?
Die Eindimensionalität einer solchen Instrumentalisierungsthese kritisiert der Politikwissenschaftler Thomas Scheffler. Bereits im Jahr 2008 schrieb er im Zusammenhang mit islamistischen Extremismus über „Die Instrumentalisierung von Religion in gewaltsamen Konflikten“, dass die Vertreter*innen der Instrumentalisierungsthese einen „Idealtyp einer ‚unschuldigen‘, prinzipiell friedlichen und politikfernen Religion“ konstruieren. Wolle man jede Legitimierung politischen Handels durch theologische Argumente als Instrumentalisierung werten, dann würden auch ‚friedliche‘ Lesarten der Religion eine Instrumentalisierung zu politischen Zwecken darstellen, so Scheffler.
In die Köpfe der drei Regierungschefs können wir nicht blicken. Aber Instrumentalisierung oder nicht, die Effekte bleiben die gleichen: Wir sehen eine dauerhafte Mobilisierung ihrer Anhänger*innen, die in den religiösen Deutungsmustern Sinn und Richtung finden. Gleichzeitig werden politische Gegner*innen moralisch diskreditiert und als Bedrohung für Nation und Glauben stilisiert.
Das Zusammenspiel aus religiöser Symbolik, nationalistischer Rhetorik und autoritärer Machtausübung erzeugt so eine politische Realität, in der als Feindbild markierte Institutionen unter Druck geraten und demokratische Prinzipien ausgehöhlt werden. Ob die Religion tatsächlich genuiner Bestandteil der politischen Überzeugungen von Trump, Orbán und Modi ist oder vor allem ein machtstrategisches Werkzeug darstellt, ist letztlich zweitrangig.
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