Pegelstand – Die #LaTdH vom 18. Juli

Gedenken an die Opfer der Überschwemmungen und Wasserstandsmeldungen aus den Kirchen. Außerdem: Ein kompliziertes Urteil und Schatten der Vergangenheit.

Herzlich Willkommen!

Eine schwere Woche liegt hinter den Menschen, die im Westen des Landes unter den Überschwemmungen leiden. 141 Tote sind zu beklagen, noch immer werden einige hundert Menschen vermisst (Stand: Samstag, 17.7.2021, 19:30 Uhr).

Die Überschwemmungen ereignen sich auf dem Gebiet gleich mehrere katholischer Bistümer und evangelischer Landeskirchen, die in den vergangenen Tagen viel mobilisiert haben, um die Menschen vor Ort zu unterstützen. Auch in anderen Regionen des Landes gibt es inzwischen Überschwemmungen.

Der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR), Thorsten Latzel (@Thorsten_Latzel), hat besonders zeitnah und sensibel auf die Katastrophe reagiert. In einem persönlichen Blogbeitrag und einer Videobotschaft richtet er sich an die Menschen, die vom Unglück betroffen sind. Die EKiR hat außerdem einen digitalen Klageraum – #unwetterklage – eingerichtet und bietet heute gleich zwei Gottesdienste an, die sich der Tragödie widmen (s. Predigt).

Eine bessere Woche wünscht
Philipp Greifenstein


Debatte

Jedes Jahr im Sommer veröffentlichen die beiden großen Kirchen ihre aktuellen Mitgliedschaftszahlen. Mitte der Woche zogen sie Bilanz über das Corona-Jahr 2020. Jeweils 220 000 Menschen sind aus den evangelischen Landeskirchen bzw. den römisch-katholischen Bistümern ausgetreten. Das entspricht einem Rückgang der Kirchenaustritte von 18 % im Vergleich zum Jahr 2019.

In der römisch-katholischen Kirche waren 2020 nach Informationen der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) 22,2 Millionen Menschen Mitglied, das entspricht einem Bevölkerungsanteil von 26,7 %. Die EKD-Gliedkirchen umfassen 20,2 Millionen Menschen, was einem Bevölkerungsanteil von 24,3 % entspricht. Zusammen bringen es die beiden großen christlichen Kirchen auf ca. 50 % der Bevölkerung.

Beachtlich ist erneut die Zahl der Verstorbenen, die die Mehrzahl der Abgänge aus den kirchlichen Statistiken ausmacht. Die Evangelische Kirche zählt 355 000 Verstorbene, die DBK hat in den Bistümern 236 000 Bestattungen gezählt. Den Austritts- und Sterbezahlen stehen im ersten Corona-Jahr 2020 allerdings deutlich weniger (Wieder-)Eintritte und Taufen gegenüber als sonst. In der Evangelischen Kirche hat sich die Zahl der Taufen auf nur noch 81 000 im Vergleich zu 2019 fast halbiert.

Die Kirchensteuer ist der wichtigste Grund für Austritte – Daniel Deckers und Reinhard Bingener (FAZ)

Die Kirchenredakteure der FAZ, Daniel Deckers und Reinhard Bingener (@RBingener) fassen in ihrem Bericht die aktuellen Zahlen sowie die Gründe für den Kirchenaustritt zusammen. Sie beziehen sich auf eine Untersuchung der beiden evangelischen Landeskirchen Württemberg (ELKWUE) und Westfalen (EKvW), die in vielen Artikeln – auch hier in der Eule – aufgenommen wurde.

Der wichtigste Grund für den Mitgliederverlust der großen Kirchen ist die Kirchensteuer. Andere Faktoren wie schlechte Erfahrungen mit Geistlichen oder Ärger über politische Einlassungen der Kirchen spielen hingegen kaum eine Rolle. […] Aus der Untersuchung der Kirchenaustritte ergibt sich, dass die Ersparnis der Kirchensteuer für rund 75 Prozent der Ausgetretenen eine maßgebliche Motivation ist. Die Gründe für den Kirchenaustritt unterscheiden sich zudem stark nach Alter. Bei Personen über 40 Jahren gibt es häufig einen konkreten Anlass, zu dem sie sich über die Kirche geärgert haben.

Bei den Jüngeren ist es häufig eine allgemeine Gleichgültigkeit gegenüber der Kirche und besonders bei jüngeren Männern auch eine allgemeine Ablehnung von Religion. Nur vier Prozent der befragten Ausgetretenen begründeten ihren Austritt mit der politischen Haltung der Kirche. Studienautor Fabian Peters spricht von einem „signifikanten, aber überschaubaren Faktor“, der besonders bei älteren Männern zu beobachten sei.

Corona bremst die Austrittswelle – Benjamin Lassiwe (Rheinische Post)

In seiner Analyse für die Rheinische Post weist Benjamin Lassiwe (@lassiwe) darauf hin, dass aufgrund der Corona-Pandemie viele Menschen ihre Austritts-Absicht nicht haben durchführen können – und, dass „die jüngsten Erschütterungen in der Statistik noch gar nicht enthalten“ sind. Menschen, die in Gemeinden leben, in denen die Kirche während der Pandemie versagt habe, kann er den Austritt nicht verdenken.

Für die Befragten unter 40 Jahren waren es vor allem der Glaubensverlust und eine Nutzen-Abwägung, die zum Kirchenaustritt führten“, heißt es. Im Klartext: Gerade bei jüngeren Menschen fehlt es auch an einem Bewusstsein dafür, wieso sie überhaupt noch in der Kirche sind. Und für einen Verein, von dem man nicht recht weiß, warum man überhaupt noch dabei sein soll, ist die Kirche schlicht zu teuer:

Menschen mit einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 70.000 Euro zahlen über 1000 Euro Kirchensteuer pro Jahr. Wollen die beiden großen Kirchen solche „Kosten-Nutzen-Überlegungen“ verhindern, müssen sie deswegen von sich und ihren Angeboten überzeugen.

Natürlich sollte es beiden Kirchen ein Anliegen sein, sich den Kosten-Nutzen-Überlegungen der jüngeren Kirchenmitglieder vor allem von der Nutzenseite zu nähern. Es braucht sinnvolle kirchliche Angebote für die Altersgruppe der 20-35 Jährigen. Genauso sollten Kirchen und Gemeinden die Verwendung der Kirchensteuermittel (noch) transparenter darstellen und erklären.

Doch auch über die Kostenseite sollte endlich offen debattiert werden. Es ist nun einmal so, dass insbesondere Singles und Paare ohne Kinder viel zum Kirchensteueraufkommen beitragen. Vielleicht zu viel, als dass man ihnen dafür ein adäquates Angebot in den – nicht zu Unrecht – auf Familien, Kinder und Jugendliche sowie Senioren ausgerichteten Ortsgemeinden bieten könnte.

Kirchensteuer: Segen und Problem

Man setzt die Kirchensteuer als herausragendes Instrument ergiebiger und solidarischer Kirchenfinanzierung nicht ins Unrecht, wenn man über ihre sinnfällige Gestaltung nachdenkt. Familien- und Lebensmodelle haben sich, gerade auf dem Gebiet der alten BRD, in den vergangenen 20 Jahren radikal verändert. Die Steuergesetzgebung hat damit nicht Schritt gehalten. Weil die Kirchensteuer sich nun einmal an der Einkommenssteuer bemisst, sind die Kirchen hier mitgefangen und -gehangen. Dabei könnte man z.B. über eine Verringerung des Kirchensteuersatzes – eventuell auch nur für jüngere Menschen bis 40 – durchaus diskutieren.

Reinhard Müller (@Reinhard_Mue) kommentiert in der FAZ, „um solche Schäfchen ist es nicht schade“, die der Kirchensteuer wegen austreten. Ausgerechnet jetzt, da in den Kirchenämtern solche Sätze nicht mehr (laut) gesagt werden, exhumiert er diese elitistische und paternalistische Haltung. Nein, wer Kirchensteuer zahlt, darf gerne auch was davon haben!

nachgefasst Teil 1: Missbrauch in den Kirchen

Ein Jahr nach Unterzeichnung der „Gemeinsamen Erklärung“ von DBK und dem Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig (@ubskm_de), sind in 13 von 27 deutschen (Erz-)Bistümern die verabredeten unabhängigen Kommissionen „weitgehend oder gänzlich“ eingerichtet, berichtet die KNA. In 10 der (Erz-)Bistümer gibt es jetzt auch Betroffenenbeiräte. Hinzu kommen die beiden Pendants auf DBK-Ebene.

Rörig würdigte, dass deren Umsetzung in allen Diözesen sehr ernstgenommen werde. „Auch wenn es ein langer und nicht immer einfacher Weg war und ist, bin ich doch zuversichtlich, dass bis zum Jahresende in allen Diözesen Kommissionen und Strukturen der Betroffenenbeteiligung eingerichtet sein werden“, […].

Ein durchwachsenes Ergebnis, das nur noch von den evangelischen Landeskirchen unterboten wird. Dort wird immer noch mit dem UBSKM über eine „Gemeinsame Erklärung“ verhandelt, die unabhängige Aufarbeitungskommissionen zum Gegenstand haben soll. Der EKD-Betroffenenbeirat ist ausgesetzt (wir berichteten). Und die Vergabekommissionen für „Anerkennungsleistungen“ sind weiterhin nicht unabhängig.

Ratzinger & der pädophile Priester (Correctiv und Frontal21)

Gestern Nachmittag besuchte der Erzbischof von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx, den Pfarrverband Garching-Engelsberg, in dem ein Pfarrer wieder eingesetzt wurde, der zuvor des Missbrauchs überführt wurde. Marx entschuldigte sich bei dieser Gelegenheit erneut persönlich für das Versagen der Kirche im Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt.

Vorausgegangen waren der erneuten Beschäftigung mit den Missbrauchsfällen und dem Besuch des Kardinals aufwendige Recherchen von Correctiv und Frontal21, die eine Verbindung zum damaligen Erzbischof Joseph Ratzinger ergaben.

„Den Verantwortlichen im Bistum ist seit Jahren klar gewesen, dass H. wahllos Jungen missbrauchte,“ sagt der Anwalt Schulz. Der Fall zeige die ganze „Verstricktheit der Kirche“, bis hinauf zum emeritierten Papst Benedikt. Erst war Ratzinger Erzbischof, als ein Missbrauchstäter von Essen nach München kam und weiterhin in Gemeinden tätig sein konnte. Dann leitet ein Vertrauter Ratzingers zusammen mit H. nach dessen Verurteilung eine Gemeinde, obwohl er von dessen Gefährlichkeit wusste. Und 2000 steht Ratzinger sogar an der Tür von H. in Garching.

nachgefasst Teil 2: EuGH-Urteil zur Religionsfreiheit am Arbeitsplatz

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat unter der Woche entschieden, dass Arbeitgeber nur unter engen Voraussetzungen religiöse Symbole bei Mitarbeiter:innen verbieten dürfen. Auf tagesschau.de gibt es eine sachliche Einordnung des Urteils.

Wolfgang Janisch (@W_Janisch) meint in der Süddeutschen Zeitung, das Urteil stärke die Unternehmerfreiheit („Kommerz schlägt Gott„) zu Ungunsten der Rechte insbesondere von Muslimen. Auf seinem Blog „Schantall und die Scharia“ kritisiert Fabian Goldmann (@goldi) das Urteil („So neutral wie ein Bikini-Verbot im Freibad“) und im Interview bei David Gutensohn (@DavidGutensohn) von ZEITonline sorgt sich Yasemin El-Menouar (@YaseminMenouar) von der Bertelsmann-Stiftung um die Berufsperspektiven von Muslimen:

Das Urteil kann etwas zur Folge haben, was häufig als Integrationsparadoxon bezeichnet wird. Denn eigentlich zeigen das offene Tragen des Kopftuchs oder auch die vermehrte Anzahl an Moscheen, dass die Musliminnen und Muslime hierzulande angekommen und Teil unserer Gesellschaft sind. Gleichzeitig sorgt die Sichtbarkeit von Religion leicht für Unbehagen. Manche fühlen sich gar gestört und wollen die muslimischen religiösen Zeichen verbieten.

Ein verrückter Kreislauf, der sich auch jetzt zeigt und der Integration schaden kann. Da geht es um Anerkennung und Akzeptanz, die durch das Urteil eher geschwächt werden können.

Der Leiter des Kirchenrechtlichen Instituts der EKD, Hans Michael Heinig (@hmheinig), hingegen kann dem Urteil auf Twitter Positives abgewinnen. Demnach sei es in die Rechtsgebung der einzelnen Staaten gestellt, die Religionsfreiheit – wie sie das Grundgesetz sehr stark macht – und die Unternehmerfreiheit – die das EuGH in der Vergangenheit sehr wertschätzte – auszutarieren. Wie sich das dann konkret ausspielt, werden erst die Urteile der zuständigen deutschen Gerichte zeigen. Wenn die sich mutig an GG Art. 4 Satz 2 orientieren, dürfte der EuGH eigentlich nix mehr dagegen haben.

Buntes

Aus für „Summorum Pontificum“: Die wahre Tradition bestimmt der Papst – Felix Neumann (katholisch.de)

Auf katholisch.de analysiert Felix Neumann (@fxneumann) das neueste Motu Proprio Papst Franziskus‘, in dem er dem sog. außerordentlichen Ritus der Messe eine Abfuhr erteilt. Hintergrund sind die Spaltungen, die die unterschiedliche Gestaltung der Messe in den Diözesen der Weltkirche, insbesondere in den USA und Westeuropa, ausgelöst haben.

Nun also ein Machtwort, mit dem deutlich wird, was das Primat des Papstes in seiner Fülle bedeutet: „Summorum Pontificum“, eines der großen Vermächtnisse seines Vorgängers Benedikts XVI., wurde einfach kassiert, unzeremoniell und ohne viel Federlesen in der Schlussbestimmung außer Kraft gesetzt, ohne es dabei auch nur beim Namen zu nennen. Auch das ist jesuitisch: Nach Indifferenz und Unterscheidung kommt die klare Entscheidung – und zwar von oben.

Solche klaren Entscheidungen, allzumal gegen die Traditionalisten gerichtet, ist man vom argentinischen Papst nicht gewohnt. Vielleicht beginnt mit „Traditionis Custodes“ ja eine neue, vielleicht die letzte, Phase seines Pontifikats, die sich durch stringentere Entscheidungen auszeichnen wird?

Schnell nach Hause – Jörn Schulz (Jungle World)

In der Jungle World rekapituliert Jörn Schulz Einsatz und Abzug der Bundeswehr in Afghanistan. Der Abzug der letzten SoldatInnen erfolgte Ende Juni fast geräuschlos. Schulz stellt fest: „[O]ffenkundig gibt es kein politisches Interesse, den bedeutendsten Auslandseinsatz der Bundeswehr der Öffentlichkeit mehr als unbedingt nötig in Erinnerung zu rufen.“ Da die Bundeswehr im Auftrag des Parlaments am Hindukusch im Einsatz war, sollte es dabei nicht bleiben.

Jugendliche in der Pandemie: „Irgendwann knallt es“ – Interview mit Simon Schnetzer (tagesschau.de)

Für tagesschau.de interviewt Christian Frahm (@ChristianFrahm6) den @jugendforscher Simon Schnetzer, der eine Studie zu „Jugend und Corona in Deutschland“ vorgelegt hat. Schnetzer beklagt, dass die Interessen und Bedürfnisse junger Menschen von der Corona-Politik zu wenig priorisiert wurden, und verteidigt die Jugend.

Die jungen Menschen haben das Gefühl, dass sie der Politik egal sind. Sie haben sich jetzt mehr als eineinhalb Jahre zusammengerissen, waren solidarisch mit den Älteren und den Risikogruppen, aber keiner hat einmal gefragt, was man denn für sie tun könnte. Während für viele Altersgruppen gerade wieder etwas Normalität eintritt, ist es bei den Jugendlichen noch keinen Schritt vorangegangen.

Und wenn der Politik und den Behörden weiterhin nichts anderes einfällt, als diesen nach Freiheit lechzenden jungen Menschen den letzten Rückzugsraum in den Parks zu verbieten, dann werden sie die Geduld verlieren und dann knallt es irgendwann.

Predigt

Ökumenischer Gottesdienst in der Trierer Konstantin-Basilika: Präses und Bischof gedenken der Opfer der Flutkatastrophe

In einem Ökumenischen Gottesdienst gedachten bereits gestern Abend der Präses der EKiR Thorsten Latzel (s.o.) und der römisch-katholische Bischof von Trier, Stephan Ackermann, den Opfern der Überschwemmungen. Ab heute 9 Uhr steht der Gottesdienst auf YouTube und der Website der EKiR zur Verfügung.

Betroffene der Unwetter-Katastrophe bei Radiogottesdienst im Mittelpunkt

In einem Radiogottesdienst, der von WDR5 und NDR Info übertragen wird, gedenken Latzel, Präses Annette Kurschus (EKvW) und der Paderborner röm.-kath. Erzbischof Hans-Josef Becker gemeinsam der Opfer. Der Gottesdienst wird von 10 bis 11 Uhr aus der Kirche Alt St. Thomä in Soest übertragen.

Die Kirchen der Region sind zum Teil selbst von der Katastrophe betroffen („Die katholische Bilanz“, Domradio) und rufen zu Spenden für die Betroffenen auf, z.B. beim Diakonischen Werk. Auch aus anderen Landeskirchen und Bistümern wird Hilfe zugesagt.

Ein guter Satz