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Pogrom und Krieg – Die #LaTdH vom 15. Oktober

Ein Pogrom erschüttert Israel, in Gaza beginnt erneut ein Krieg. Außerdem: Evangelische Positionierung zur Abtreibung, rechte Christen und Franziskus‘ Doppelmoral.

Herzlich Willkommen

Es war ein Pogrom. Eine Woche seit der erneuten Eskalation des Israel-Palästina-Konflikts mit tausenden von Raketenangriffen auf die israelische Zivilbevölkerung steht klar vor Augen: Das Eindringen der islamistischen Teroristen der Hamas in das israelische Staatsgebiet, die Ermordung, Schändung und Entführung von Zivilisten reiht sich ein in die lange Reihe von Pogromen, unter denen Jüdinnen und Juden Zeit ihrer Diaspora weltweit und vor allem in Europa zu leiden hatten. Das macht das Entsetzen und die Beklemmung verständlich, mit der ich und viele Menschen auf die Ereignisse im Heiligen Land blicken. Es war ein Pogrom – im Angesicht des israelischen Sicherheitsapparats und vor den Augen der Welt.

Zu dieser Einschätzung kommt auch Richard C. Schneider in dieser wirklich empfehlenswerten Episode des Podcasts Piratensender Powerplay von Samira El Ouassil und Friedemann Karig. Schneider ist langjähriger Korrespondent aus Israel und seiner Nachbarschaft für ARD und den SPIEGEL. Er ist einer der verlässlichsten und klügsten Erklärer von Israel, Judentum und Antisemitismus. Absolut hörenswert!

Es war ein Pogrom und das erklärt, warum auch Jüdinnen und Juden in Deutschland um ihre Sicherheit fürchten. „Die Erfahrungen der Verfolgung und anderer Kriege vermengen sich mit diesem Angriff“, erklärt Marina Chernivsky, Leiterin der Beratungsstelle bei antisemitischer Gewalt und Diskriminierung (OFEK) in Berlin, in der Jüdischen Allgemeinen. Hinzu treten jetzt auch Sorgen vor dem Antisemitismus in Deutschland, der die Bilder des Krieges zum Anlass nimmt, auf den Straßen Präsenz zu zeigen. Chernivsky mahnt: „Das Sicherheitsgefühl von jüdischen Menschen in Deutschland schwindet auf lange Zeit.“

Über Jahrhunderte hinweg haben Christen an Pogromen gegen Juden teilgenommen, sie initiiert, zu ihnen in Denken und Sprechen angestachelt, selbst Hand angelegt, Häuser und Synagogen in Brand gesetzt, gemordet und geschändet. Wie Abt Nikodemus Schnabel von der Dormitio-Abtei in Jerusalem beim Domradio schildert, haben die Christen im Heiligen Land diesmal keinen Anteil an der entfesselten Gewalt. Sie sind – ob sie nun der israelischen oder der palästinensischen Bevölkerung zugehören – gefangen in einer Dynamik, an der sie kaum etwas ändern können.

Mit Blick auf die zahlreichen religiösen Minderheiten in Israel und den palästinensischen Gebieten verbietet sich eigentlich jedes Denken in einer ausschließlichen Dichotomie von Israel auf der einen Seite und dem palästinensischen Volk auf der anderen. Christen und andere religiöse und ethnische Minderheiten im Heiligen Land leben nur in den Grenzen eines demokratischen Israels einigermaßen sicher. Palästinensische Christ:innen leiden unter der jahrelangen Besatzung der Westbank und der Abriegelung von Gaza. Das ist eine Gleichzeitigkeit, die christliche Beobachter:innen aus der Entfernung aushalten müssen.

Für Christ:innen in Deutschland jedoch ergibt sich aus der Mahnung Chernivskys eine direkte und keineswegs zweideutige Handlungsoption: Solidarität und Beistand mit den Jüdinnen und Juden in Deutschland, ihren Gebetshäusern, Schulen, sozialen und kulturellen Einrichtungen. An vielen Orten dokumentiert sich dieses Zusammenstehen gegen Antisemitismus in den vergangenen Tagen bei gemeinsamen Gebeten und Demonstrationen.

Die Juden in Deutschland, daran erinnert Richard C. Schneider, werden – auch von wohlmeinenden Akteur:innen – gerne mit dem Staat Israel identifiziert, auch für dessen Fehler verantwortlich gemacht. Dem sollten sich Christen verweigern und selbst aufmerksam dafür werden, wo Jüdinnen und Juden auf diese Weise aus der deutschen Gesellschaft (verbal) ausgeschlossen werden. Die Juden sind keine „Fünfte Kolonne“ Israels, sie sind Teil unseres Landes. Wo das in Zweifel steht, büßt Deutschland seine Daseinsberechtigung ein.

Eine gute Woche wünscht
Philipp Greifenstein

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Debatte

Es ist nicht möglich und auch nicht die Aufgabe unseres kleinen Magazins oder der #LaTdH, die Angriffe auf Israel und den neuen Gaza-Krieg umfassend zu erklären. Dafür braucht es vor allem regionale und (sicherheits-)politische Expertise, die wir hier (in Deutschland und in der Redaktion) nicht haben. Neben dem Gespräch mit Richard C. Schneider aber möchte ich auf zwei Ressourcen hinweisen, die bei der Einordnung des Geschehens helfen können:

„Dieser Krieg wird die Annäherung Israels an die arabischen Staaten begünstigen“ – Interview mit Olivier Roy von Daniel Binswanger (Republik)

In der schweizerischen Republik erklärt der Islamismus-Experte Olivier Roy die geo-politischen Hintergründe des neuen Gaza-Krieges. Jenseits des Entsetzens kommt er zu erstaunlich optimistischen Einschätzungen, was die mittel- und langfristigen Folgen der Eskalation durch die Hamas angeht. Das tröstet nicht über die Gewalt hinweg, der die Menschen im Heiligen Land ausgesetzt sind, und mindert auch nicht den Schrecken, den die Bilder des Krieges auslösen. Aber es scheint mir doch wichtig, wenigstens den Versuch zu wagen, eine breitere Perspektive zu sehen:

Frage: Die Hamas hat mit ihrem Überfall die angestrebten Ziele also völlig verfehlt.

Der Plan ist gescheitert – und der israelische Gegenschlag wird furchtbares Leid über die Zivil­bevölkerung in Gaza bringen. In politischer Hinsicht ist jedoch ein anderer Aspekt entscheidend: Der Überfall der Hamas führt dazu, dass der Palästina-Konflikt sich regionalisiert. Dieser Krieg wird kaum zu einem internationalen Brenn­punkt werden, der die ganze arabische Welt gegen Israel mobilisiert.

Roy weist darauf hin, dass zwar in vielen Städten des Westens – auch in Deutschland – (zumeist friedlich, außerdem) gegen Israel demonstriert wird, aber die „arabische Straße“ erstaunlich ruhig geblieben ist:

In den arabischen Haupt­städten ist es ruhig geblieben. In Kairo, Tunis oder Rabat gab es keine Demonstrationen, wurden keine israelischen Fahnen verbrannt. Das ist neu. Die Barbarei der Terror­akte der Hamas hat die arabische Solidarität unterminiert. So etwas kann und will man nicht mittragen. Das wird auch längerfristige Konsequenzen haben.

Die Sache mit den Juden – Richard C. Schneider (ARD-Mediathek)

Noch einmal Richard C. Schneider: Für den Bayerischen Rundfunk hat er bereits im Jahr 2021 eine vierteilige Dokumentarfilm-Serie über Antisemitismus gemacht. Die einzelnen Folgen widmen sich dem linken, muslimischen, rechten und alltäglichen Antisemitismus. In den vergangenen Tagen wurde in Deutschland (oder nur in manchen bürgerlichen Medien?) vor allem über den linken und muslimischen Antisemitismus diskutiert, der sich in unappetitlicher Weise auf Demonstrationen von Palästina-Aktivisten äußert.

Das kann und soll nicht wegdiskutiert werden, aber doch kontextualisiert: Es handelt sich dabei um je wenige dutzend oder hundert Demonstrant:innen, die nicht den Mainstream des muslimischen Lebens in Deutschland darstellen, auch nicht eine unumstrittene Position innerhalb des deutschen Linksradikalismus geschweige denn der politischen Linken. Wenn nun Parolen wie „From the River to the Sea: Palestine will be free“ („Vom Jordan bis zum Meer: Palästina wird frei werden“) von der Polizei als strafwürdig verfolgt werden, dann aus gutem Grund: Denn mit dem Slogan ist die Vernichtung des Staates Israel gemeint, die unweigerlich einen Genozid bedeutet.

Aber der Furor über den linken und muslimischen Antisemitismus (vor allem von jungen Migrant:innen) verfehlt sich, wenn er nicht zugleich kritisch nach anderen, in der deutschen Mehrheitsgesellschaft viel wirkungsmächtigeren Formen des Antisemitismus fragt. Auch christliche Antijudaismen sind nach wie vor Teil des aktuellen Antisemitismus-Spektrums (wie der Fernseh-Philosoph Richard David Precht erst kürzlich vorführte). Im Eule-Interview vom Herbst 2022 hat der EKD-Antisemitismusbeauftragte Christian Staffa genau darauf hingewiesen:

Auch weil der christliche Antisemitismus in das Säkulare eingewandert ist: Das Verratsmotiv, das Verschwörungsmotiv, das ist alles lebendig! Häufig, ohne dass die Leute wissen, was für einen christlichen Hintergrund diese Ideen haben. Wir sind die, die das bearbeiten können, weil wir mit ihm leider vertraut sind.

Dabei handelt es sich zumeist um Denkformen und Sprachfiguren, die so „alltäglich“ sind, dass ihre Judenfeindschaft von vielen Sprecher:innen gar nicht mehr erkannt wird – was nicht bedeutet, dass der Hass unschädlich gemacht wäre, der ihnen innewohnt. Neben der Befassung mit israelbezogenem Antisemitismus innerhalb der christlichen Linken und als Thema für den islamisch-christlichen Dialog scheint mir das die zentrale Herausforderung für die christlichen Kirchen im Bezug auf den Antisemitismus zu sein: Die eigene antijüdische Tradition reflektieren und in Gegenwart und Zukunft festzuhalten: Nie wieder Judenhass, nie wieder Feindschaft zwischen Juden und Christen.

nachgefasst I: Reaktionen

In den #LaTdH von vergangener Woche standen die Reaktionen von christlichen Akteur:innen aus Deutschland im Zentrum. Aber wie reagieren die Christen in Israel und den palästinensischen Gebieten auf den Hamas-Terror und den beginnenden Gaza-Krieg?

In inzwischen zwei Erklärungen haben sich die Patriarchen und Oberhäupter der Kirchen in Jerusalem zu Wort gemeldet. In einer ersten Erklärung vom 7. Oktober verurteilten sie die Gewalt gegen Zivilist:innen, in einer zweiten Erklärung warnen sie vor der humanitären Krise, die sich in Gaza entfaltet. Die beiden Stellungnahmen sind auf Englisch verfasst und vermitteln einen Eindruck davon, wie die christliche Minderheit innerhalb der palästinensischen Bevölkerung denkt. Zu den christlichen Kirchen, die sich auf diese Weise gemeinsam äußern, gehören die griechischen, lateinischen und armenischen Patriarchen, die koptische Kirche und syrisch-orthodoxe Kirche sowie die Gemeinden der Äthiopier, Melkiten, Maroniten und armenisch-katholische, syrisch-katholische, lutherische und anglikanische Kirchen. Eine prominente Ausnahme von dieser sehr umfassenden christlichen Ökumene in dem Landstrich, in dem das Christentum seinen Ursprung hat, bilden die russischen Kirchen.

Und auch die Evangelisch-Lutherische Kirche in Jordanien und im Heiligen Land hat sich inzwischen offiziell geäußert, nachdem Social-Media-Posts und Shares einiger ihrer PastorInnen am letzten Wochenende Anlass zur Kritik gegeben haben (s. „Fragwürdige Partner“ von Benjamin Lassiwe in der Herder Korrespondenz). Bischof Sani-Ibrahim Azar zeigte sich am Mittwoch schockiert und bekümmert über die „eskalierende Gewalt in Gaza und den umliegenden Gebieten“ und schließt die Familien der „unschuldigen Zivilisten, die ihr Leben verloren haben“ in seine Gebete ein. Weite Teile seines englischsprachigen Statements sind einer Kontextualisierung des aktuellen Geschehens in die Besatzung der Westbank durch Israel gewidmet.

„Als ganze Kirche treten wir weiterhin für Gewaltlosigkeit ein, aber wir glauben auch, dass es wichtig ist, die Hintergründe zu verstehen, aus denen Gewalt entsteht.“ (Übersetzungen von mir)

Zuvor hatte sich in einer denkbar kurzen Mitteilung schon der Jerusalemverein im Berliner Missionswerk geäußert, der die evangelischen Einrichtungen in Palästina unterstützt. Nachfragen dazu wollte die Geschäftsführung mit Hinweis auf die gegenwärtige Arbeitsbelastung der Eule nicht beantworten.

Entsetzt, wütend und traurig schauen wir auf die blutigen Ereignisse in Israel und Palästina. Nichts kann die blinde Gewalt gegen unschuldige Zivilisten rechtfertigen. In unseren Gedanken und Gebeten gedenken wir der Opfer und beten für die Verletzten und die Trauernden. Darin sind wir mit unseren Partnerkirchen im Heiligen Land verbunden.

Die Ablehnung jeglicher Gewalt wurzelt in unserer christlichen Überzeugung, dass Konflikte gewaltlos zu lösen sind. Zu lange schon wurde es in Israel und Palästina unterlassen, in diesem Sinne nachhaltig an einer politischen Lösung zu arbeiten, die ein Selbstbestimmungsrecht für beide Völker in diesem Landstrich würdigt.

Israels 9/11 – Josef Schuster (Jüdische Allgemeine)

In der Jüdischen Allgemeinen, die als redaktionell unabhängiges Medium vom Zentralrat der Juden in Deutschland herausgegeben wird, meldete sich zur Wochenmitte dessen Vorsitzender Josef Schuster mit einem ausführlichen Gastbeitrag zu Wort. Darin formuliert er nicht nur den Schmerz der Jüdinnen und Juden in Deutschland über die Verbrechen der Hamas, sondern auch Forderungen an die deutsche Politik und zivilgesellschaftliche Akteure:

Jede Zahlung an palästinensische Organisationen muss sofort beendet werden. Ungeachtet dessen, ob es staatliche oder nicht staatliche Gelder sind. In keiner Weise kann ihre Verwendung sicher überprüft werden. Erst, wenn das geschieht, können Hilfsgelder wieder fließen. Der palästinensische Terror wird auch mit deutschen Steuergeldern finanziert.

Schuster und weitere Vertreter:innen des Zentralrats fordern in diesen Tagen die Bundesregierung (und implizit auch die Kirchen) auf, die Finanzierung von Projekten in den palästinensischen Gebieten auf Eis zu legen, egal ob sie sich aus UN-Geldern, Budgets der Entwicklungszusammenarbeit oder Nothilfemitteln finanzieren. Die Bundesregierung hat eine erneute Prüfung angekündigt, aber auch darauf hingewiesen, dass die palästinensischen Projekte schon jetzt zu den am besten überwachten ihrer Unternehmungen gehören. In ihrer Unbedingtheit ist die Forderung des Zentralrats natürlich situativ nachvollziehbar, aber wohl kaum zielführend. Die Bundesregierung und zivilgesellschaftliche Akteure – auch die Kirchen – sollten gut prüfen, welche Hilfe dem Schutz von Leben und dem Frieden dient. Und diese Unterstützung auch weiterhin gewähren.

Sprachlosigkeit heißt Bedeutungslosigkeit – Wenzel Widenka (Herder Korrespondenz)

Auch Papst Franziskus hat sich in dieser Woche ausführlich zum Angriff der Hamas und zum Gaza-Krieg geäußert. „Beim Vatikan, der für sich beansprucht, noch immer ein „Global Player“ zu sein, sollte man genau auf den Wortlaut achten“, meint Wenzel Widenka in der Herder Korrespondenz.

Dass die katholische Kirche versucht, beide Seiten zur Mäßigung aufzurufen, als wären diese auf einer Art „Augenhöhe“, wiederholt das fatale Signal in der vatikanischen Stellung zum Ukrainekrieg, der als „Ringen und Brüdern“ grotesk verzerrt wurde. […] Jahrelang war es Ziel der vatikanischen Diplomatie, sich alle Gesprächskanäle offen zu halten und so agieren zu können. Das funktioniert aber nur, wenn man noch als „Global Player“ anerkannt wird. Heute ist kaum anzunehmen, dass Rom sein symbolisches und moralisches Gewicht in die Waagschale werfen kann. Die Stellung des Vatikans ist nicht dieselbe wie noch vor Jahrzehnten.

Dazu müsste man wohl doch kritisch anmerken, dass die viel-gelobte vatikanische Diplomatie zwar in einigen (im Weltmaßstab: kleineren) Konflikten der vergangenen Jahrzehnte segensreich gewirkt hat, aber das nicht selten zum Preise dessen, sich mit autoritären Machthabern und Diktaturen zumindest zum Teil gemein gemacht zu haben, auch aus Gründen der eigenen Bestandswahrung. Die Erinnerung an den flammenden Antikommunisten Johannes Paul II., der den Eisernen Vorhang nieder gerissen haben soll, trübt vermutlich eine realistische historische Betrachtung der tatsächlichen Reichweite vatikanischer Diplomatie.

nachgefasst II

EKD-Stellungnahme zum Schwangerschaftsabbruch

Am Mittwoch dieser Woche hat der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ausführlich zur Debatte um eine gesetzliche Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs Stellung genommmen. „Es geht um den größtmöglichen effektiven Schutz des Lebens“, erklärte die Ratsvorsitzende Annette Kurschus dazu in einer Pressemitteilung (eine Pressekonferenz hat nicht stattgefunden). Nach nur weiteren vier Klicks durch die EKD-Website landen interessierte Sucher:innen dann auch bei der knapp sieben Seiten langen, vollständigen Stellungnahme des Rates (PDF).

Der Rat der EKD kann sich vorstellen, „bestimmte Konstellationen“ des Schwangerschaftsabbruchs „außerhalb des Strafrechts“ zu regeln, „nicht vertretbar wiederum sei die vollständige Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs“. Die Erklärung ist ein bemerkenswertes Stück evangelischer Willensbildung, das uns in den kommenden Tagen in der Eule noch beschäftigen wird. Reinhard Bingener fasst in der FAZ kurz zusammen, was an der Stellungnahme neu ist. Und ebenda kritisiert Daniel Deckers, die Evangelische Kirche sei ein „Steigbügelhalter“ für „reproduktive Rechte“ und „[i]n den Worten des Bundesverfassungsgerichts: ‚au­to­no­me Selbstbestimmung‘“. Das klingt in meinen evangelischen Ohren wie ein Kompliment.

Neues Portal klärt über Missbrauch an erwachsenen Frauen in Kirche auf (KNA, katholisch.de)

Eine neue Website des Katholischen Deutschen Frauenbundes (KDFB) in Zusammenarbeit mit der Regensburger Pastoraltheologin Ute Leimgruber (z.B. „Erzählen als Widerstand“) will über Ursachen und Folgen sexualisierter Gewalt gegenüber Frauen in der Kirche aufklären. Auf missbrauchsmuster.de finden sich zahlreiche Ressourcen zum Thema und ein Online-Lehrgang.

Das Tutorial solle die Qualität in der Seelsorge fördern, erklärte Projektleiterin Leimgruber. „Es ist ein praxisnahes, wissenschaftlich fundiertes Angebot und ein bedeutender Beitrag für die Präventionsarbeit.“

Buntes

Der braune Elefant. Kirche im Rechtspopulismus? – Michael Haspel (feinschwarz.net)

Soll die Kirche mit der AfD reden? Darüber wird insbesondere in der katholischen Kirche – aber auch evangelisch – dieser Tage herzhaft debattiert. Dass die Diskussion viel zu kurz greift, hatten Michael Greder und ich ja bereits in der aktuellen Episode von „WTF?! RE:“ zu Monatsbeginn beklagt und weitere Perspektiven angeboten.

Auf ähnlichen Pfaden ist Michael Haspel (Eule-Artikel hier), apl. Prof für Systematische Theologie in Jena und profilierter Friedensethiker, im theologischen Feuilleton feinschwarz.net unterwegs. Ihm geht es um das Problem von „fremden-, frauen-, demokratie- und rechtsstaatsfeindliche Positionen unter nicht wenigen Kirchenmitgliedern“. Er weist auf Probleme in den Kirchgemeinden hin und knöpft sich mit Rochus Leonhardt, Professor für Systematische Theologie an der Universität Leipzig, und Annette Weidhas, Leiterin der Evangelischen Verlagsanstalt (EVA) in Leipzig, zwei halbwegs prominente VertreterInnen eines zur intellektualisierten Neuen Rechten offenen Protestantismus vor.

Alle […] Akteur:innen werden von sich weisen, rechtspopulistische Einstellungen zu vertreten oder gar mit der AfD zu sympathisieren. Ihre Positionen und das Vorgehen sind aber eindeutig dem zuzuordnen, wie im rechtspopulistischen Spektrum vorgegangen wird und wie sich die Strategie von Vertreter:innen der Neuen Rechten vollzieht. Es mag ihnen so gehen, wie großen Teilen der kirchlichen und gesellschaftlichen Öffentlichkeit: Die Versatzstücke rechter Ideologie und die latenten Kommunikationsstrategien ihrer Agitator:innen werden gar nicht wahrgenommen. Dies steht exemplarisch für eine Kultur, in denen das als normal angesehen wird.

Der Balken im Auge – Simon Lukas (Christ in der Gegenwart)

Das Apostolische Schreiben „Laudate Deum“ („Lobt Gott“) von Papst Franziskus über die Klimakrise, veröffentlicht zum Start der Bischofssynode in Rom (s. #LaTdH von vergangener Woche) droht in diesen Tagen vollends im Off der Nachrichten zu verschwinden. So geht es der Klimapolitik im Allgemeinen ja auch, wenn sich die Krisen häufen.

Simon Lukas unternimmt es in der Christ in der Gegenwart das Potential der Denkschrift auf Umwegen zu loben: Denn vor allem kritisiert er, dass der Papst für die Bewältigung der Klimakrise Wege fordert, die er in seiner eigenen Kirche nicht gehen will: Demokratisierung, Abschied von der Herrschaft einiger weniger Chefs, Reformwillen.

[S]chließlich fällt ein Satz, der viele reformorientierte Gläubige nachdenklich stimmen dürfte. Besonders jene, die die Kirche vor allem als hierarchisches System erleben, in dem alle, die nicht dem klassischen katholischen Rollenbild entsprechen, oft nicht mitgedacht werden: „Es ist nicht mehr hilfreich, Institutionen zu unterstützen, um die Rechte der Mächtigen zu wahren, ohne sich um die Rechte aller zu kümmern.“

Traut Euch das Anecken zu! – Philipp Greifenstein (zeitzeichen)

Bei den evangelischen zeitzeichen war ich an diesem Freitag mal wieder mit der „z(w)eitzeichen“-Kolumne dran und habe ebenfalls über „des Papstes Gotteslob anlässlich der Klimakrise“ geschrieben. Allerdings mit einer evangelischen Abzweckung: So viel Mut zur Beschränkung auf das Notwendige und den Willen zur Politikbeeinflussung wünsche ich mir auch von evangelischen Denkschriften und Positionspapieren.

Das wirklich beeindruckende an des Papstes Gotteslob anlässlich der Klimakrise ist nämlich, dass er sich bewusst und kräftig und scharf gegen die Klimakrisen-Skeptiker und Klimapolitik-Gegner in seiner eigenen Kirche wendet. Man könnte geradezu meinen, er rufe die Menschen guten Willens außerhalb seiner Kirche gegen sie zu Hilfe.

Müsste nicht genau das noch vielmehr Maßstab einer evangelischen Denkschrift sein, dass sie uns Evangelische ankiekst, verstört, herausfordert durch die Klarheit ihres biblisch-theologischen Zeugnisses, die Konzentration auf das Wesentliche und Wichtige einer politischen oder gesellschaftlichen Frage, durch Sätze und Gedanken von triftiger Schönheit?

Theologie

Gottes starke Töchter – Tagung an der Katholischen Akademie Dresden-Meißen

Bei einer großen, hybriden und von zahlreichen Akteur:innen mitgestalteten Tagung wurde bei der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen an der „Frauenfrage“ des Katholizismus gearbeitet. Mit dabei waren u.a. die Erfurter Theologieprofessorin Julia Knop, die Generalsekretärin der Deutschen Bischofskonferenz Beate Gilles und die ehemalige Landesbischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeuschland (EKM) Ilse Junkermann sowie zahlreiche internationale Gäst:innen. Die Akademie stellt einen kleinen Reader (PDF) zum nachträglichen Nachvollzug zur Verfügung und vor allem eine Auswahl von Beiträgen der Tagung auf ihrem YouTube-Kanal. Vorbildlich und sehr interessant!

Und weil wir gerade bei den Akademien sind: Die Evangelische Akademie Frankfurt lädt am 30. Oktober zu einer Tagung mit Livestream zu „75 Jahre Israel“ ein, die angesichts des neuen Gaza-Krieges „bleibende Anfragen an die christlichen Kirchen“ formulieren will. Anmeldung hier.

Ein guter Satz

„At the end of the day, everyone must be safe, free and allowed to flourish, because everyone is holy, created in the image of the divine.“

„Am Ende des Tages müssen alle sicher und frei sein, allen muss erlaubt sein zu gedeihen, weil alle heilig sind, geschaffen als Ebenbild des Göttlichen.“

– Rabbinerin Danya Ruttenberg, US-amerikanische Rabbinerin und Wissenschaftlerin beim National Council of Jewish Women in einer längeren Gedankensammlung aus jüdisch-linker Perspektive zu den Anschlägen in Israel und dem Gaza-Krieg: „A lot of things are true“