Essay LGBTQI+ und Kirche

Queer im Pfarrhaus: Authentisch Pfarrer:in sein

Queere Pfarrer:innen öffnen in der Kirche neue Räume, in denen Menschen frei(er) leben können. Doch lasten auf ihnen auch die Erwartungen einer immer noch heteronormativ denkenden Gesellschaft und Theologie

„Ich erlebe das Thema nicht mehr als relevant.“ Das hörte ich hin und wieder, wenn ich von meiner Forschung berichtete, in der ich narrative Interviews mit lesbischen, schwulen, cis und trans Pfarrpersonen in ostdeutschen und westdeutschen Landeskirchen der EKD geführt und auf ihre Strukturen hin untersucht habe.

Queere Pfarrpersonen in der evangelischen Landeskirche – das ist meist keine besondere Meldung mehr wert. In den letzten 15 Jahren hat sich extrem viel verändert, in kirchlichen Leitungsebenen, in Gemeinden, und auch auf staatlich-legislativer Ebene. Wenn queere Personen selbstverständlich Pfarrer*innen sind, dann ist das ein klares Signal der Kirche angesichts der langjährigen und zum Teil noch währenden Debatten, ob Homosexualität und Transidentität mit dem Christentum problemlos vereinbar seien.

Es sind sich auch bis heute nicht alle Landeskirchen einig, dass queeres Leben problemlos im Pfarrhaus stattfinden könne. Denn Pfarrpersonen werden, so u.a. auch in der neuesten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU 6) wieder gezeigt, als der erste und unmittelbarste Kontakt zur Kirche wahrgenommen. Zum Dienst von Pfarrpersonen gehört ihre Person hinzu, oft verbunden mit einer diffusen Erwartung, die Pfarrperson solle „authentisch“ sein. Pfarrpersonen sind körperlich erfahrbar und tragen – mit Stimme und Körper – die Verkündigung.

Die vielen Studien und Diskussionen über den Pfarrberuf zeigen: so ganz ein Beruf wie jeder andere auch scheint er immer noch nicht zu sein. Insbesondere die schwer zu ermöglichende Trennung zwischen Privatem und Amt steht dabei im Fokus. Im englischen Raum ist es inzwischen erarbeitet, dass verhältnismäßig viele queere Pfarrpersonen in Funktionspfarrämtern zu finden sind, entweder um den steten Zugriffen auf ihr Privatleben zu entgehen, denen ebenso Partner*innen ausgesetzt sind, oder weil sie nicht im Pfarrhaus leben durften. Für den deutschen Raum lässt sich ähnliches vermuten. In meiner Studie zeigte sich, dass eine freie Artikulation des eigenen Lebens offenbar nicht einfach gegeben ist.

Es geht nicht „nur“ um Liebe

„Love is love“, „Vielfalt leben“, „Liebe tut der Seele gut“ so oder ähnlich lauten kirchliche Slogans, die für die Akzeptanz von LGBTIAQ+ werben. Die Slogans sind häufig aus queeren Communities übernommenen, wo sie allerdings bereits seit den 1970er Jahren mit Debatten um das Verhältnis von Liebe und Begehren sowie der kritischen Betrachtung von Institutionen wie der Ehe verbunden sind. „Lieb doch wen du willst“ ist richtig und dennoch nicht genug, denn es geht nicht nur um Liebe.

Dass David und Jonathan sich lieben, dass Jesus seine Jünger liebt, das ist nicht der Skandal. Der Skandal dreht sich um Körper und um die Verwaltung der Prokreation. Es geht um das Liegen eines Mannes bei einem Mann, um Abwehr und deren Projektionen, es geht um Kinderwünsche, um Mastektomien, Namenswechsel und Hormontherapien. Um körperliche – und oft sehr existentielle – Dimensionen des Menschseins.

Bei dieser lückenhaften Aufzählung fällt bereits auf, dass es in den Debatten vorrangig um Handlungen geht – die dann unter den Begriff „Lebensform“ abstrakt diskutiert werden. Wird vor dem Hintergrund scheinbarer „Normalität“ in den Diskussionen um gleichgeschlechtliches Begehren, Transidentität und Intergeschlecht die Dimension der Körperlichkeit vermieden und rein mit Abstrakta wie „Liebe“ gearbeitet, geschieht damit – häufig ungewollt – keine Normalisierung, sondern das Gegenteil.

Auch die häufig gehörte „Born like this“-Argumentation ist eher hinderlich als hilfreich. So baut sie darauf auf, dass der Mensch „nichts dafür könne“ – und ist damit erstaunlich nah an derjenigen theologischen Legitimierung, wonach der Sünder zu lieben ist, aber nicht die Sünde.

Wenn aber eine queere Pfarrperson eingestellt wird, geht damit jedoch eigentlich das Verständnis einher, dass an den oben genannten Handlungen eben nichts per se anrüchig ist. Alles andere würde der Person den Spagat zumuten, das eigene Begehren abzuwerten. Lesbischer Sex wird dann äquivalent zu heterosexuellem Sex bewertet, der nicht der Zeugung von Nachkommen dient, und Hormonersatztherapien, die als Empfängnisverhütung und ebenso während der Perimenopause als lebensdienlich wahrgenommen werden, wird zugestanden, dass sie Lebensqualität verbessern und im Fall von Dysphorien auch Leben retten können.

Sofern aber diese Seiten queeren Lebens – die ja ebenso Teil von „Love is Love“ sind – ausgespart werden, behalten sie ungewollt den Charakter des Provokanten. Dies wiederum gerät im Pfarramt dann zum Problem. Michel Foucault bestimmte diese Diskursvorgänge prominent für das Reden über „Sexualität“: Indem etwas nicht thematisiert wird, wird immer auch etwas „normalisiert“. Das „Normale“ muss nicht gezielt thematisiert werden, es hat das Privileg unthematisierbar zu bleiben. Alles, was normal ist, hat damit auch das Privileg, nicht in Erscheinung zu treten: Markiert wird das Auffällige, das Andere. Die Markierung der Ausnahme erschafft die Normalisierung der Regel. Ein gängiges Beispiel um diese Prozesse sichtbar zu machen, ist den Vorgang umzudrehen und zu fragen „Seit wann weißt du eigentlich, dass du cisgeschlechtlich bist?“

Die Pfarrperson soll authentisch sein

Eine gesellschaftlich wirkmächtiger Ort bürgerlicher Diskurse ist das protestantische Pfarrhaus. In den letzten 20 Jahren arbeiteten Praktische Theolog*innen wie Katrin Hildenbrand empirisch heraus, dass die idealisierte Erwartungshaltung an das Leben von Pfarrpersonen weiterhin die heterosexuelle Kleinfamilie ist (Hildenbrand, Leben in Pfarrhäusern, 2016). Dabei darf die Realität durchaus vom Ideal abweichen, etwa wenn Partner*innen berufstätig sind oder die Frau die Pfarrerin ist und der Mann zu Hause bleibt. Doch an der Grundstruktur der Ewartungsfigur – und Projektionsfläche – hat sich wenig geändert.

Foto: Isi Parente (Unsplash)

Mir berichteten die lesbischen und schwulen Pfarrer*innen erwartungsgemäß, dass „es“ dann kein Thema mehr sei, wenn ihr Leben – und ihr Körper – weitgehend dem erwarteten Ideal folgen. Diese Logik funktioniert, wenn „Love is Love“ in den Vordergrund rücken kann. Im Erscheinungsbild „Wir sind wie ein Hetero-Paar, nur eben mit zwei Männern“ kann der Einzelne in den Hintergrund treten. Auf diese Weise gibt es auch im Pfarrhaus einen Rückzugsraum, der die gezielte Nichtthematisierung ermöglicht. Die gut gemeinten kirchlichen Slogans sind also nicht überflüssig, jedoch erweiterungsbedürftig.

Denn die körperlichen Dimensionen des eigenen Begehrens und Geschlechts können für Menschen ebenso relevant für ihre Identifizierung sein. Dies ist besonders dann zu vermuten, wenn eben jene Dimensionen tendenziell diejenigen sind, die von außen besonders hervorgehoben und wiederholt thematisiert und in den Fokus gerückt werden. Beim Vorgang der eigenen Identifizierung – die ich als Prozess und als Handlung verstehe – spielt es eine wichtige Rolle, ob sich das Individuum selbstbestimmt – und zustimmend – identifiziert, oder ob die Identifizierung von außen geschieht (Carolin Emcke, „Kollektive Identitäten“, 2000).  Zugleich beziehen sich diese beiden aufeinander: Wer immer wieder in einer bestimmten Weise gesehen wird, ordnet sich dieser irgendwann auch zu, ob in Zustimmung oder Ablehnung, aber in einem Verhältnis dazu. Die empowernde Aneigung von vormals beleidigenden Begriffsaneignungen, wie „queer“ und „Schwuchtel“ kommen genau aus dieser Dynamik (und lassen sich in anderen Feldern ebenso finden, etwa „Krüppel“ oder „Kanacke“).

Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, dass Themen, die einen Teil der eigenen Identifizierung sind, erzählbar bleiben. Gerade vor dem Hintergrund der erwarteten „Authentizität“ von Pfarrpersonen werden sie brisant. Prozesse des Erzählens und Nicht-Erzählens wirken sich auf die individuelle, ebenso wie die kollektive Identität aus. Die Geschichten, die wir über uns erzählen, als Kirche, als Amtspersonen, als Gläubige, sind entscheidender Teil unserer Identität; dessen, was wir sind und sein wollen.

Fragile Artikulationsräume

Aufbauend auf dieser Annahme, habe ich lgbtiq* Pfarrpersonen darum gebeten, mir ihren Weg ins Pfarramt zu erzählen. Was folgte, waren lange, ausführliche Lebensgeschichten. Ich bin dankbar, dass ich diese hören und aufzeichnen durfte und mit ihnen arbeiten – Schätze der Zeitgeschichte, ebenso wie Erzählungen individuellen und kollektiven Ringens um Anerkennung. Dabei traten die oben angerissenen Felder besonders im Grenzbereich zwischen Amt und Person hervor.

Wenn im Gespräch an der Kirchentür als Teil eines Beziehungsangebotes erwähnt wird, dass man gestern mit der Partnerin auf einem Konzert war, thematisiert man dann den eigenen Musikgeschmack oder die eigene „Lebensform“? Was, wenn man in einem schwulen Club war? Was macht diesen anders als „einen“ Club? Die Erfahrungen der Pfarrpersonen zeigten, dass vom Gegenüber in der Regel das gesetzte Thema (hier: Konzert- oder Clubbesuch) zu Homosexualität/Queer verändert wurde.

Diese Diskursverschiebung ist allen bekannt. Sie ist auch nicht besonders für queere Personen, sondern zeigt, wie fragil die Artikulationsräume des Pfarramtes tatsächlich sind. Auf der einen Seite gibt es eine Erwartungshaltung, dass Pfarrpersonen sich „authentisch“ zeigen sollten, auf der anderen Seite ist diese Authentizität nicht einfach zu bewerkstelligen. Sie ist einfacher zu konstruieren, wenn die Person selbst Teil einer Mehrheitsgesellschaft ist oder sich im erwartbaren Rahmen bewegt.

Jede Abweichung von der imaginierten Norm (und dies betrifft erneut nicht nur queere Personen), macht es schwieriger, „authentisch“ und „persönlich“ wahrgenommen zu werden und zugleich eigenmächtig zu setzen, was das Thema des Gespräches sein soll. Dies liegt an der wiederkehrenden Erfahrung der Diskursverschiebung.

Müssen queere Pfarrpersonen sich selbst verleugnen?

Aus diesem Grund zensieren sich die Pfarrpersonen selbst und entwickeln Strategien, um handlungsfähig zu bleiben. In der Pastoraltheologie gibt es seit einigen Jahrzehnten die Beobachtung, das Amt trage nicht mehr die Person, sondern die Person das Amt – und das Amt verlagere sich daher stärker ins Private. Im vorliegenden Fall stößt beides auf Probleme, denn um das Amt mit der Person zu tragen, muss jene Handlungsspielräume haben. Sind diese aber so weit eingeschränkt, dass die Person im Grunde nicht frei aus ihrem Leben schöpfen kann für Erzählungen und Seelsorge, muss das Amt herhalten, um die Handlungsspielräume wieder zu erlangen.

Zugleich kann das Amt dies nicht leisten, wenn die Person dominant wahrgenommen wird – ob die Person selbst das will oder nicht. Dies ist besonders dann der Fall, wenn der Körper mit in die Wahrnehmung einbezogen wird. Denn die meisten Menschen sind gewohnt Körper in einer ganz bestimmten Prägung wahrzunehmen. Da helfe der Talar nicht, erzählte mir eine Pfarrerin, sie werde immer vorrangig als trans wahrgenommen. Die Wahrnehmung „trans Frau“ stand immer mit im Raum. Damit wird die Pfarrerin zur „trans Pfarrerin“. Der Körper der Pfarrperson ist da – er tritt in Erscheinung, wenn er die gute Botschaft und auch die Kirche verkörpert, er ist stimmlich und sprachlich präsent. Einen Handlungsspielraum des Nicht-Thematisierens hatte sie ihrer Wahrnehmung nach nicht und musste sich darum gezielt Handlungsspielräume erschaffen.

Die Vermeidung der Thematisierung körperlicher Themen geschieht natürlich nicht zufällig, sondern häufig auch um das Vertrauen der Gemeinden nicht zu gefährden. Bei der Thematisierung von Sexualität geht es zudem um absolut notwendige Grenzwahrungen. Der besondere Schutz des Vertrauens von Gemeinden ist notwendig, damit Pfarrer*innen überhaupt ihre Arbeit machen können: Pfarrpersonen tragen hoch sensible und vulnerable Momente. Kurz: Die Menschen müssen ihnen mit ihren Toten und ihren Sünden vertrauen. Die „ForuM-Studie“ zu sexualisierter Gewalt in der Evangelischen Kirche und Diakonie hat nachlesbar gemacht, wie oft dieses Vertrauen missbraucht wird.

Auf der anderen Seite müssen auch die Pfarrpersonen der Gemeinde und Kirche trauen können und auch sie müssen die Möglichkeit haben, sich vor Übergriffen zu schützen. Sie müssen das Vertrauen haben, dass ihnen zugetraut wird, persönlich zu sein, ohne allzu persönliches einzubringen. Es geht um nichts weniger als Intimitätsmanagement als Grundkompetenz des Pfarrberufes. So erzählten die Pfarrpersonen, wie sie sich mitunter sehr gezielt geoutet haben, um Vertrauen herzustellen und ein Beziehungsangebot zu machen. Dazu ist es bedeutsam, dass sie sich zwischen Versteck, gezielter Nicht-Thematisierung und Coming-Out selbstbestimmt bewegen können.

Erst wenn eine ausbleibende Thematisierung nicht bedeutet, „im Versteck“ zu bleiben, sondern schlicht eine andere Fokussierung eines Gesprächs sein kann, kann sich selbstbestimmte Authentizität ergeben und nicht allein eine Reaktion auf die Authentizitätsansprüche des Gegenübers. Äquivalent lässt sich das für andere Marginalisierungen vermuten. Tabus scheinen dabei die Kompetenz nicht zu fördern und auch die bereits vorhandenen Kompetenzen nicht wert zu schätzen, sondern eher zu Unsicherheit und Spannungen zu führen. Dies ist übrigens auch vor dem Hintergrund von Machtmissbrauch und Gewalt nicht unerheblich. Tabuisierungen begünstigen Situationen, die zu Machtmissbrauch führen können.

Kirche mit einem lebendigen queeren Wissen

Um sich selbst weiterhin handlungsfähig zu erleben und selbst zu bestimmen, was sie wann und wo thematisieren, erschufen meine Interviewpartner*innen eine narrative Trennung zwischen „Kirche“ und „Queer“. Das geschieht paradoxer Weise selbst dann, wenn ein „queerer Gottesdienst“ gehalten wird – denn auch dieser arbeitet mit der Ausnahme.

Das körperliche Erleben queerer Personen bringt eigenes – verkörpertes – Wissen mit ein, das anderen mitunter auch fehlt – und queeren Pfarrpersonen wird die Erwartung entgegengebracht, dass sie dieses Wissen teilen. Einige Pfarrpersonen berichteten mir, dass gerade ihr „Abseits von der Norm“-Stehen in ihrer Wahrnehmung dazu führte, dass ihnen Personen vertrauen konnten, die der Institution Kirche eher skeptisch gegenüberstehen. Sie haben Kontakt zu ihnen aufgenommen, nicht weil das Amt ihnen suggerierte, sie könnten vertrauen, sondern weil das Queersein der Pfarrperson ihnen suggerierte, sie könnten vertrauen. Kirchgemeinden sind nicht homogen und die Erschütterung des Erwartbaren kann Möglichkeitsräume bieten für all diejenigen, deren Vertrauen unter der fehlenden Unterstützung oder sogar Queerfeindlichkeit der Kirche gelitten hat.

Indem die Pfarrpersonen durch ihre eigene Präsenz in der Kirche solche Räume öffnen, löst sich bereits selbst die Trennung von Kirche und queer ein Stück weit auf. Viele meiner Gesprächspartner*innen sehen sich in diesem Sinne als Mittlerpersonen. Indem sie – als queere Person – ins Pfarramt gegangen sind, haben sie nicht nur Zugänge erweitert, sondern sind bereits lebendiger Ausdruck einer Kirche mit einem verkörperten queeren kirchlichen Wissen. Indem sie ihre Geschichten erzählen und wir als Kirche unsere Geschichte inklusive ihrer Geschichten erzählen, verändern wir unsere Identität – und auch die Gestalt der Kirche.


Alle Eule-Beiträge zum Themenschwerpunkt LGBTQI+ und Kirche.


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