Engagement im Ruhestand als Chance

Was bewegt Menschen, die sich im Ruhestand weiter engagieren? Wie kann die Kirche die Ressourcen der Älteren verstärkt nutzen, jetzt, da es an allen Ecken und Enden an Mitarbeitenden fehlt?

Bisweilen wundert man sich, warum es Statistiken und Prognosen gibt. Und wie es kommt, dass Entwicklungen vorhersehbar sind, aber keine Konsequenzen gezogen werden. Zumindest in der Frage der Personalentwicklung kann man das auch in der Kirche beobachten. Die Babyboomer („Theologenschwemme“) haben es möglich gemacht, Bewerber:innen nach „Eignung“ auszusuchen. Der auf den Boom folgende Abschwung in den Steuermitteln und im kirchlichen Bewerber:innenfeld war abzusehen. Gleichzeitig werden mit kirchlichen Mitteln ausgebildete und vielfach spezialisiert qualifizierte Frauen und Männer in den Ruhestand entlassen, deren Professionalität von den verbleibenden Aktiven nicht ohne weiteres ersetzt werden kann.

Bernt Renzenbrink und Gerhard Wegner weisen in einem neuen Sammelband auf konzeptionelle Ideen für ein unterstützendes „Engagement im Ruhestand“ hin. Vier wissenschaftsbasierte Texte bilden den Auftakt: Anmerkungen zum Aufgabencharakter des Lebens bis ins Alter(n), die Skizze einer Theologie des Alter(n)s, der Freiwilligen-Survey von 2019 mit Blick auf Ruheständler:innen sowie die Rolle Älterer im Sozialraum sind die einführenden Themen. Ihnen folgen 13 biografische Skizzen, die einen „faszinierenden Einblick in ein Leben von Menschen“ bieten, „die sich im Grunde ein Leben lang erfolgreich für andere eingesetzt haben“.

Hinter dieser wertenden Formulierung verbirgt sich, dass es dabei lediglich um ehemalige Führungskräfte und deren Zusammenschluss im Verein Senior Consulting Service Diakonie (SCSD) geht. Kritisch muss man dazu anmerken, dass es gerade im kirchlich-diakonischen Kontext sehr viele Mitarbeitende gibt, die sich auch ohne Führungsverantwortung „ein Leben lang erfolgreich für andere eingesetzt“ haben, ob in der Pflege, in Beratung und Jugendhilfe oder anderswo. Dennoch kann man dieses „Bild einer Verantwortungselite, …die unser Land an ihren jeweiligen Orten geprägt hat“, mit einigem Gewinn lesen.

Professionelle Biografien

So beschreibt der Sammelband die Verschwendung in Unternehmen und Organisationen, die „jahrzehntelang entwickelte(n) individuell gebundene(n) Kompetenzen und Netzwerke mit dem Eintritt in den Ruhestand einfach abzuschalten“. Offen bleibt dagegen, ob die zunehmende körperliche und geistige Konstitution vieler Älterer auch zu einer größeren Offenheit für deren Potentiale und weiteres Engagement geführt haben mag.

Freimut Hinsch bezweifelt in seiner biografischen Skizze die Offenheit für Potenziale der Älteren und fragt, ob die in manchen kirchlichen Gremien gesetzte Altersgrenze nicht überholt sei. Eine hilfreiche Unterscheidung trifft Cornelia Coenen-Marx in ihrem Beitrag, indem sie von Weitermachern, Anknüpfern und Befreiten spricht. In den biografischen Abschnitten kann man dazu einiges lesen:

Eine professionelle Biografie mit kritischer Selbstreflexion und Verve geschrieben bietet Ernst Rommeney als jemand, der sich bewusst entschieden hat, im Engagement etwas ganz Neues zu beginnen. Bei Ewald Stephan war es die Fortsetzung der beruflichen Tätigkeit mit dem neuen Fokus „Nachhaltigkeit“. Über Beruf und Berufung und die Freiheit auch mit einem geliebten Engagement aufhören zu können hat Andreas Hänßgen sehr einfühlsam den eigenen Weg beschrieben. Alfred Iwainsky, wissenschaftlicher Informatiker, hat in der „Wendezeit“ Ehrenamt, gesellschaftliche Krise und persönlichen Umbruch durchgestanden. Von Krisen (Corona) und Krankheiten im Übergang zum Ruhestand berichten auch Klaus-Dieter Kottnik und Christian Sundermann.

Erfrischend kritische Worte stammen vom Unternehmensberater Freimut Hinsch: „Die Kirche, kirchliche Einrichtungen scheinen nicht an Veränderungen interessiert, Impulse von außen scheinen unerwünscht. Das Beharrungsvermögen der bestehenden Strukturen ist unendlich groß.“ Er hat klare Worte für sein Erleben im kirchlichen Engagement: „Aber die Eingebundenheit in die administrativen Zwänge der übergeordneten Kirchenstrukturen und -abläufe kommt leicht in die Nähe einer Entmündigung – bei gleichzeitiger vollständiger Einsicht in die Unzulänglichkeiten und Mängel eben dieser Strukturen.“ Andere wiederum beschreiben ihre Berufskarriere als sehr gradlinig, mancher Beitrag liest sich wie die persönliche Vorlage eines rühmenden Nachrufs.

Ruhestand als Altersdiskriminierung?

Wie beim Ehrenamt allgemein gibt es auch unter Älteren eine soziale Ungleichheit, die manchen ein Engagement schwer macht. Auch für das Engagement im Ruhestand gilt, dass man sich Altruismus leisten können muss. Zudem ist die Vorerfahrung der Anerkennung des eigenen Einsatzes im Beruf entscheidend für die Motivation Älterer auch über Verrentung und Ruhestand hinaus aktiv zum Gemeinwohl beizutragen.

Engagementförderung und professionelles Ehrenamtsmanagement wissen, dass Sichtbarkeit, Anerkennung, Mitsprachemöglichkeiten und Unterstützung von Staat, Kommune, Vereinen und Kirchen notwendige Voraussetzungen für aktiven Einsatz sind, auch bei älteren, lebenserfahrenen Menschen. Es braucht „Gelegenheitsstrukturen“ (vor allem als kommunale Aufgabe) und deutliche Signale, dass man zum Engagement bereit ist.

Der Gründer des SCSD, Bernt Renzenbrink, hat mit seinem Mitherausgeber Gerhard Wegner dieses Signal verstärkt. Der entstandene Verein konnte auf ein Netzwerk aus Arbeitszusammenhängen zurückgreifen, um die Ressourcen kompetenter und erfahrener älterer Frauen und Männer für die Unterstützung diakonischer Einrichtungen gezielt zu nutzen. Leider sind im Buch nur drei Beiträge von Frauen nachzulesen. Man kann vermuten, dass auch im SCSD die weibliche Stimme noch unterrepräsentiert ist. Dabei könnte gerade in den Arbeitsfeldern des SCSD: Beratung, Interimsmanagement, Initiierung und Entwicklung von Projekten und (Fort-)Bildungsangebote, die professionelle Erfahrung von Frauen in Führungspositionen den Blick weiten und das Selbstbild mancher Beteiligter etwas weniger blendend wirken lassen.

Insgesamt ist das Buch sehr zu empfehlen, wenn es um den Übergang in die nachberufliche Lebensphase und um Ideen für ein persönliches Engagement geht. Und nicht zuletzt sind es die kleinen kritischen Anmerkungen, die es lesenswert machen, wenn danach gefragt wird, ob ein erzwungener Ruhestand nicht eine Form von Altersdiskriminierung darstellt.


Mehr:


Bernt Renzenbrink/Gerhard Wegner (Hrsg.):
Engagement im Ruhestand
EVA Leipzig 2022
256 Seiten
48 €
Website


Unterstütze uns!

Die Eule bietet Nachrichten und Meinungen zu Kirche, Politik und Kultur, immer mit einem kritischen Blick aufgeschrieben für eine neue Generation. Der unabhängige Journalismus und die Stimmenvielfalt der Eule werden von unseren Abonnent:innen ermöglicht. Mit einem Eule-Abo unterstützst Du die Arbeit der Redaktion, die faire Entlohnung unserer Autor:innen und die Weiterentwicklung der Eule.

Jetzt informieren und Eule-Abo abschließen!