Foto: Ignat Kushanrev (Unsplash)
Kolumne Sektion F

Sisters before Misters?!

Veränderung in Kirchen und Gesellschaft braucht Sisterhood. Wo Männer sich gegenseitig die Macht zuschieben, braucht es als Gegengift Solidarität unter jenen, die von der Macht ausgeschlossen werden.

Ich kann nicht mehr genau sagen, wann ich den Spruch „Sisters before Misters“ – „Schwestern vor Männern“ – zum ersten Mal gehört habe. Oft wird dieses Prinzip eher auf das Privatleben angewendet: Achte auf deine Freundinnen und gib dich nicht nur in deine (heterosexuelle) Ehe rein. So oder so ähnlich ist wohl dieser Rat an eine Frau in sehr heteronormativ geprägten Ehevorstellungen gemeint.

Dort angesetzt, scheint das ein ganz guter Rat zu sein: Fokussiere dich nicht zu sehr auf eine Person und verlasse dich nicht nur auf sie, sondern achte auch darauf, dass es noch andere Menschen in deinem Leben gibt. So formuliert, dass es dann auch weniger geschlechterspezifisch heteronormative Ehevorstellungen weiterträgt, scheint mir das angemessener.

Aber lasst uns einmal rauszoomen. Denn mir scheint: Umso mehr wir in Strukturen denken, desto überzeugender wird dieses Prinzip!

Sisterhood, Schwesternschaft, drückt Verbindung aus. Damit ist natürlich nicht nur biologische Schwesternschaft gemeint und auch nicht trans-exklusive Cis-terhood. Sisterhood meint ein Verbundensein auf eine andere Art und Weise als „auf Brüderschaft trinken“ oder „Blutsbrüderschaft schließen“. Es meint gerade die Verbindung derjenigen, deren Verbundensein nicht strukturell bevorteilt wird.

Mensch könnte meinen, dass sich doch eigentlich alle einfach mit denen verbinden, mit denen sie Interessen und Positionen teilen. Doch diesen Menschen muss mensch auch erst einmal begegnen: Wenn zum Beispiel Care-Arbeit Kapazitäten bindet und Ideale von Frausein mit Häuslichkeit verbunden waren/sind, dann sind Begegnungsorte schwer zu finden!

Andersherum trafen und treffen sich die Männer, die beruflich miteinander zu tun haben, und schufen/schaffen sich eigene Begegnungssphären. Durch homosoziale Kooptation werden vor allem die mit hineingenommen, die einander ähneln. Macht wird weiter bei den wenigen Personen gebündelt, die denen ähnlich sind, die sie schon immer hatten.

Sister, carry on!

„Sister, carry on“ ist eine Hymne auf das gegenseitige Ermutigen und Stärken als Schwestern im Geiste. Der Songtext von Carolyn McDade von 1982 drückt genau das aus: Auch wenn das Leben schwierig, die Straße steinig ist, mach weiter, Schwester. Dafür, dass diese Hymne so weit verbreitet ist und auf einigen feministischen bzw. feministisch-the*logischen Zusammenkünften gesungen wird, ist erstaunlich wenig über sie und ihre Autorin, Carolyn McDade, im Internet zu finden. Sie schreibt aber über sich selbst: Wie sehr Klavierspielen und Singen ihr Kraft verleihen und wie sehr es sie mit anderen Frauen verbindet, gemeinsam über Lebenserfahrungen zu singen:

„Most institutions of my life – church, school, politics, economics – gave tight prescriptions of what it meant to be a woman. The women’s movement broke this open.“ – „Die meisten Institutionen in meinem Leben – Kirche, Schule, Politik, Wirtschaft – gaben enge Vorschriften dafür, was es heißt, eine Frau zu sein. Die Frauenbewegung brach das auf.“

Dabei hat McDade, so schreibt sie über sich, in Kindheit und Jugend in Louisiana direkt und persönlich die Härte und Grausamkeit von Rassismus und ökonomischer Ungerechtigkeit erlebt. McDade gehört zu denjenigen, die Frauenbewegung und Feminismus weniger Mittelklasse und Weiß gefüllt haben als die Mehrheit, sondern Frauenleben in ihrer Vielfalt immer mit einbezogen haben.

Sisterhood meint also die Verbindung und gegenseitige Stärkung derjenigen, die nicht per se bevorteilt sind. „Sisters before Misters“ hieße dann: Nicht-Privilegierte vor Männern. Aber das trifft es natürlich nicht 1 zu 1. Weil ich Sisterhood nicht als geschlechtsexklusiv verstehen möchte, sollte auf der „Gegenseite“ auch kein eindimensionales Bild von Männern stehen. Gleichzeitig sollten wir nicht so tun, als ob es nicht vor allem Männer wären, die in wirtschaftlich und gesellschaftlich leitenden Positionen wirken. Aber es sind eben nicht alle Männer. Ein Unternehmen – und auch Kirchen – werden nicht automatisch zu besseren, sicheren oder gerechteren Orten, wenn Frau leiten. So einfach ist es eben nicht.

Um zu klären, wer die „Mister“ sind, helfen vielleicht folgende Fragen: Wer unterdrückt gerade meine Lebensentfaltung? Wer bündelt Macht und Kapital und setzt es ausschließlich egoistisch für sich und ohne Rücksicht auf andere ein? Wer verursacht durch sein Handeln, dass Menschen und Ressourcen immer weiter ausgebeutet werden?

Der Kreis an Personen, auf die das zutrifft, kann weiter oder enger gezogen werden. Und im Kapitalismus haben wahrscheinlich die aller meisten, die in irgendeiner Form Geld haben, Anteil an Prozessen der Ausbeutung. Ziehen wir den Kreis enger, begegnen uns tatsächlich vor allem Männer. Männer, die Männer fördern, andere Männer um sich scharen und ihre Macht wie Erbteile verteilen. Die Verbindung der Tech-Giganten mit der „Make-America-Great-Again“-Bewegung um Donald Trump ist dafür ein augenfälliges Beispiel.

Was treiben die Schwestern?

Wie sieht es aber auf der Sisterhood-Seite aus? Gar nicht gut. Sich als Care-Arbeitende, Gering/Garnicht-Entlohnte oder Menschen mit Dis/ability zusammen zu schließen, ist unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen deutlich schwieriger, als es für die „Mister“ ist. Immerhin sind Informationen über Vernetzungen heute grundsätzlich über das Internet zugänglicher als noch vor wenigen Jahren. Doch die Plattformen, über die sie häufig kursieren, gehören wiederum den „Misters“. Der sicher notwendige „Insta-Feminismus“ trägt am Ende auch dazu bei, dass sie immer reicher werden. Auch in digitalen Welten geht es um faire Zugänge zu Infrastruktur.

Und ich befürchte, manchmal ergeben sich auch Missverständnisse, weil sich Personen on- und/oder offline als Sister ausgeben oder als Verbündete verstanden werden, die dann aber wiederum als Mister agieren. Mangelnde weibliche Solidarität bleibt ein großes Problem!

Einmal ins Kleinklein der The*logie und evangelischen Kirchen gesprochen: Nur weil es Bischöfinnen gibt, ändert sich noch nicht automatisch die Art der Kirchenleitung. Zu klären und immer wieder zu kontrollieren bleibt auch mit FLINTA* in Spitzenämtern, wie sie Machtpositionen ausfüllen. Nur weil es The*logieprofessorinnen gibt, ändert sich nicht automatisch, wie G*tt/Mensch/Kirche gedacht und gemacht wird. Auch hier geht es darum, was sie lehren, und wie sie Menschen begegnen. Und in beiden Fällen gilt: Einzelne, die es gut machen, sind zwar toll; (Denk-)Systeme nachhaltig zu verändern braucht aber Viele und Verbündete unabhängig von ihrem Geschlecht. Veränderung braucht Sisterhood!

Aber es gibt zum Glück gute Sisterhood-Orte. Daran erinnert nicht zuletzt das 30-jährige Jubiläum der vierten und letzte UN-Weltfrauenkonferenz in Peking, bei der – 1995 (!) –festgehalten wurde, dass Frauen und Mädchen ebenfalls alle Menschenrechte gleichermaßen zustehen. Zeitsprung 200 Jahre in die Vergangenheit: Bereits 1791 veröffentlichte Olympe de Gouges „Die Rechte der Frau“, weil in der „Déclaration des droits de l’homme et du citoyen“ vom August 1789 mit „homme“ sowohl Menschheit als auch Männer gemeint sein konnte. Nur wenige verstanden „homme“ geschlechterinklusiv, viele nicht.

Auch 200 Jahre später ist die Gleichwürdigkeit und -Berechtigung von Menschen unabhängig von Geschlecht und Gender noch kein Selbstläufer und längst nicht allen klar, dass Frauen auch Menschen sind.

Sisters before Misters. Nicht nur im engsten Nahumfeld ist es gut, sich zu überlegen, auf wen mensch sich verlassen und mit wem mensch sich zusammentun möchte. Fragen wir uns: Mit wem bin ich vergeschwistert? Mit wem vergeschwistere ich mich derzeit und mit wem (noch) nicht? (Wie) Lebe ich Sisterhood? Wo bin ich selbst ein „Mister“? Wie kann ich das ablegen und mich sisterhoodlich einsetzen?


Alle Ausgaben der Kolumne „Sektion F“ von Carlotta Israel hier in der Eule.


„Eule-Podcast Q & R“ live auf dem Kirchentag 2025

Carlotta Israel und Philipp Greifenstein diskutieren live auf dem 39. Deutschen Evangelischen Kirchentag über Intersektionalität angesichts des Rechtsrucks, Machtmissbrauch in der Kirche, den Kirchentag als Protestort und (digitale) Protestformen. Hier kannst Du das gesamte Gespräch nachhören:

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