Sollten die synodalen Gesprächskreise abgeschafft werden?
Die Bischofswahl in der württembergischen Kirche rückt erneut Wahlverfahren und Arbeitsweise evangelischer Synoden in den Fokus: Sind beide überhaupt noch zeitgemäß?
Am vergangenen Wochenende wählte die Evangelische Landeskirche in Württemberg (ELKWUE) einen neuen Landesbischof. Die Wahlen, aus denen schlussendlich Ernst-Wilhelm Gohl als Sieger hervorging, bewegen die evangelischen Christ:innen im Südwesten sehr. Vor allem das undurchsichtige Prozedere und die Beteiligung der synodalen Gesprächskreise stehen in der Kritik. Es ist nicht das erste Mal, dass eine Wahl in der evangelischen Kirche für Missmut sorgt.
Was ist passiert?
Um Landesbischöf:in der ELKWUE zu werden, muss ein:e Kandidat:in mindestens 2/3 der Mitglieder der Landessynode überzeugen. Maximal drei Kandidat:innen stehen zur Wahl. Nach drei Wahlgängen ohne Sieger:in scheidet die/der Kandidat:in mit den wenigsten Stimmen aus. Es folgen, wenn nötig, weitere zwei Wahlgänge. Gibt es dann immer noch keine:n Gewinner:in, scheidet erneut die Kandidat:in mit den wenigsten Stimmen aus. Die/Der noch verbliebene Kandidat:in muss nun nur noch die 2/3-Mehrheit erreichen. Easy?
Bei der Landesbischofwahl am vergangenen Freitag zog der später neugewählte Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl („Evangelium und Kirche“) schon nach dem zweiten Wahlgang seine Kandidatur zurück. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten er und seine beiden MitbewerberInnen jene Stimmen erhalten, die in etwa ihrer Zugehörigkeit/Nähe zu einem der Gesprächskreise in der württembergischen Landessynode entsprechen. Von der nötigen 2/3-Mehrheit waren also alle drei KandidatInnen weit entfernt.
Weil Gohl nach dem 2. Wahlgang zurückzog, schied mit der stimmschwächeren Viola Schrenk („Offene Kirche“) nach dem 3. Wahlgang bereits die zweite Kandidatin aus, weshalb bereits im 4. Wahlgang nur noch über Gottfried Heinzmann („Lebendige Gemeinde“, „Kirche für morgen“) abgestimmt wurde. Er verfehlte die nötige 2/3-Mehrheit um 22 Stimmen, bei 42 ungültigen Stimmen. Anschließend zogen sich die Gesprächskreise und der Nominierungsausschuss, der vor der Wahl alle drei KandidatInnen der Synode als für das Amt der/des Landesbischöf:in geeignet empfohlen hatte, zu Beratungen zurück.
In den Beratungsrunden wurde deutlich, dass Heinzmann die erforderliche 2/3-Mehrheit auch in weiteren Wahlgängen nicht erhalten wird, weshalb der Nominierungsausschuss den als ersten ausgeschiedenen Gohl als einzigen Kandidaten für den 5. Wahlgang vorschlug. Der Kompromisskandidat Gohl wurde mit einer Stimme über der erforderlichen Mehrheit gewählt.
Der Sprecher der „Lebendigen Gemeinde“, Friedemann Kuttler, sprach im Nachgang davon, Heinzmann sei die Wahl zum Landesbischof „verweigert“ worden, obwohl der Nominierungsausschuss der Landessynode ihn doch als geeignet empfohlen, er bis in den 4. Wahlgang die meisten Stimmen erhalten und von zwei der synodalen Gesprächskreise (nicht nur zunächst von einem, wie seine KonkurrentInnen) unterstützt worden war. Andere Beobachter stellten hingegen fest, dass Ergebnis zeige gerade, „dass das System noch funktioniert, wenn auch nach einer unterlegenen Kandidatur noch ein Kompromiss gefunden werden kann“.
Die Rolle der Gesprächskreise
In den Synoden der evangelischen Kirchen in Deutschland gibt es Arbeitsgruppen und informelle Gruppierungen, die die Meinungsbildung innerhalb der (Landes-)Synoden organisieren helfen. In Württemberg werden diese Arbeitsgruppen Gesprächskreise genannt. Sie sollen keine Kirchenparteien sein, nehmen in der Landeskirche aber eine bedeutende Stellung ein, weil ihnen Kandidat:innen für die Synode und Leitungsämter angehören und sie in wichtigen Sachfragen (z.B. Ehe für Alle) als Block agieren. Die ELKWUE klärt über die Gesprächskreise auf der eigenen Website auf und ihre Positionen und ihr jeweiliges Leitungspersonal sind Kirchenprofis geläufig.
In der ELKWUE spielen die Gesprächskreise aufgrund der Direktwahl der Landessynode nicht nur eine größere Rolle als in anderen evangelischen Landeskirchen, mit ihrer Existenz wird auch deutlich transparenter umgegangen. Andere Landeskirchen und auch die EKD-Synode sind hier merklich zurückhaltender, was z.B. bei der Ratswahl im November 2021 (s. Eule-Live-Blog) für einige Verwirrung sorgte.
Denn es sind nicht allein die komplexen Regeln für Wahlen in den Kirchenverfassungen, die gelegentlichen Beobachter:innen und „frischen Augen“ unnötig kompliziert erscheinen, besonders die offensichtlich große Bedeutung der Gesprächskreise (ELKWUE) bzw. synodalen Arbeitsgruppen (EKD-Synode) irritiert. Gibt es trotz aller gegenteiligen Beteuerungen doch Kirchenparteien?
Dass sich unterschiedliche Frömmigkeiten und (kirchen-)politische Positionierungen durch Gruppen ausdrücken, ist keine Neuigkeit. In Württemberg ist klar, dass die „Lebendige Gemeinde“ für die „Frommen im Ländle“ aus Pietismus und evangelikaler Bewegung spricht, die „Kirche für morgen“ ganz ähnlich geprägt ist, aber den Schwerpunkt auf neue Formen von Kirche legt, die „Offene Kirche“ für eine inklusive Kirche und progressive Theologie eintritt und „Evangelium und Kirche“ sich vor allem als vermittelnde Kraft empfindet. Selbst- und Fremdzuschreibungen („Pietkong“, „Gotteskrieger“, „Status-quo-Verwalter“) fallen naturgemäß auseinander.
Und wieder: Gruppierungen für „Fromme“ und „Liberale“ gibt es in vielen evangelischen Landeskirchen, nur wird dies in der Außendarstellung der Kirchen und Synoden nicht transparent gemacht.
Braucht es die Gesprächskreise?
In den evangelischen Kirchen werden Leitungsämter bis hin zu den leitenden Geistlichen (z.B. Kirchenpräsident:innen, (Landes-)Bischöf:innen) in freier und geheimer Wahl auf Zeit gewählt. Das ist ein unschätzbarer Wert, um den z.B. viele römisch-katholische Christ:innen die Evangelischen beneiden. Weil diese Ämter für die gesamte Kirche sprechen sollen, sind bei den Wahlen hohe Quoren vorgeschrieben. Ohne eine Koordination innerhalb der Wahlkörper sind erfolgreiche (Bischofs-)Wahlen nicht möglich.
Das gilt auch für die Wahl zum Rat der EKD, wo gleich 15 Ratssitze zu vergeben sind. Diese werden nicht selten als „Paketlösungen“ oder als Quid pro quo gewählt. Dabei landen gelegentlich auch Kandidat:innen in „Töpfen“, die per se nicht allein einer Gruppierung zugerechnet werden können. Es ist ein kompliziertes, nicht immer transparentes, aber zumeist effektives Vorgehen.
Allein für die zügige Durchführung von Wahlen, die auch gescheiterte Kandidat:innen nicht irreparabel zurücklassen, braucht es die synodalen Arbeitsgruppen. Auch darüber hinaus sorgen sie für Berechenbarkeit der synodalen Entscheidungen in wichtigen Sachfragen und stärken den Hang zum Kompromiss: Denn eine klare Mehrheit ihrer jeweiligen Synode kann keine der Gruppierungen in keiner der evangelischen Kirchen auf sich vereinen.
Tohuwabohu wie bei der Bischofswahl in der ELKWUE oder auch bei sächsischen Bischofswahlen (s. Eule-Live-Blog) oder der Ratswahl in der EKD-Synode gehört also unter den gegebenen Umständen dazu, ist aber zunehmend schwieriger zu vermitteln. Wenn Synoden unter Scheinwerferlicht agieren, wird manches Gewohnte fragwürdig.
„Wir als „Kirche für morgen“ wissen, dass vieles aus diesem Prozess außerhalb der Synode nicht wirklich nachvollziehbar war. Das tut uns leid. Wir haben selbst sehr darunter gelitten“, kommentierte für den Gesprächskreis „Kirche für morgen“ deren Mitglied Tobi Wörner. Gerade unter jungen Synodalen wird über die Rolle der Gesprächskreise diskutiert. Aufgrund der Jugendquoten in den evangelischen Landeskirchen und auch in der EKD-Synode haben sie an Bedeutung in den vergangenen Jahren stark gewonnen. Längst gibt es überall auch Gruppierungen, die sich nicht eindeutig der Zugehörigkeit zu einer Frömmigkeit verdanken, sondern andere gemeinsame Ziele formulieren, die auch mal quer zu den traditionellen Gruppenzugehörigkeiten liegen können.
Die Presse sprach angesichts der ELKWUE-Bischofswahl nahezu einhellig von einer „Hängepartie“. Ein Bild, das die Kirche möglichst vermeiden will, ist es doch geneigt, den neuen Landesbischof gleich vom Start weg zu beschädigen. Gleichwohl kann sich „nach Außen“ nur dokumentieren, was „Innen“ gelebt wird. Die evangelischen Kirchen gewännen, würden sie antizipieren, dass vormals wenig öffentliche Vorgänge wie Wahlen im digitalen Zeitalter auch Anknüpfungspunkte für positive Kirchennachrichten sein können. Ja, dass sie für die Bindung von gemeindedistanzierten Kirchenmitgliedern zunehmend an Bedeutung gewinnen, weil sich bei ihnen Repräsentationsfragen exemplarisch dokumentieren. Die Wahl von Anna-Nicole Heinrich zur Präses der EKD-Synode im Frühjahr 2021 ist dafür ein gutes Beispiel.
Mehr Transparenz und Augenhöhe
Mündigen Kirchenmitgliedern ist die Wahrheit zuzumuten, dass in der Kirche auch Politik gemacht wird und dass synodale Arbeit auch den Ausgleich unterschiedlicher Interessen meint, in dem sich die gemeinsame Suche nach dem Auftrag der Kirche in unserer Zeit verwirklicht. Dass sich die Synodalen dafür in Gruppen und Kreisen zusammenschließen, ist logisch und effizient.
Durch die Pluralisierung und Ausdifferenzierung von Frömmigkeiten, Lebensstilen- und -Wirklichkeiten innerhalb der Kirchen sind synodale Verfahren ebenso herausgefordert wie durch die digitale Öffentlichkeit, die am Livestream (und medial vermittelt in Live-Blogs) teilnimmt. Das sollte Anlass genug sein, sich die Wahlverfahren einmal genauer anzuschauen. Digitale Abstimmungen – auch auf analog tagenden Synoden – können die Wahlhandlungen erheblich beschleunigen. Manche regionale Regel das Ausscheiden von Kandidat:innen oder bestimmte Quoren betreffend, könnte kritisch überprüft werden. Die Verbindlichkeit von Wahlvorschlägen der nicht-öffentlich entscheidenden Nominierungsausschüsse muss offensichtlich neu geklärt werden – und ist vielleicht gänzlich abzuräumen.
Und nicht zuletzt sollten sich die evangelischen Synoden der Praxis der synodalen Arbeitsgruppen und Gesprächskreise nicht weiter schämen. Sie sollte vielmehr offensiv transparent gemacht werden: Welche Gruppierungen gibt es? Welchen Positionen sind sie verpflichtet? Wer gehört dazu? Wie kann man mit ihren Sprecher:innen in Kontakt treten? Das sind Informationen, die auf jeder Landeskirchen-Website und der Website der EKD jederzeit und umkompliziert zur Verfügung stehen sollten.