Analyse Landtagswahlen im Osten

Mit „Herz statt Hetze“ gegen die AfD

Die Kirchen machen im Vorfeld der Landtagswahlen im Osten Werbung für Demokratie und die eigenen Positionen. Mit Wahlaufrufen, Kampagnen und Entscheidungshilfen greifen sie in den Wahlkampf ein.

Am 1. September wird in Sachsen und Thüringen ein neuer Landtag gewählt, am 22. September in Brandenburg. Die Landtagswahlen beschäftigen derzeit viele Bürger:innen, auch jenseits der Grenzen der drei ostdeutschen Bundesländer. Vom Ergebnis der Wahlen hängt ab, wie die ostdeutschen Bundesländer in den kommenden fünf Jahren regiert werden – und ob überhaupt.

In den drei Bundesländern liegt die rechtsradikale AfD in Umfragen vorne. Das wahrscheinlich starke Abschneiden der AfD besorgt viele Menschen, weil die Möglichkeit besteht, dass die extreme Rechte dadurch Zugriff auf staatliche Machtmittel erhält. Eine Regierungsbildung an der AfD vorbei wird zunehmend schwierig. Die demokratischen Parteien sind in Aufregung und im Wahlkampfmodus und mit dem neuen Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) ist eine neue politische Größe auf der Bildfläche erschienen.

Knapp 1,7 Millionen Thüringer:innen und 3,2 Millionen Sächs:innen sind in etwas mehr als einer Woche zur Wahl berechtigt. Knapp 20 % der Thüringer:innen sind evangelisch, hinzu kommen 7 % Katholik:innen. In Sachsen gehören 17 % der Bevölkerung der evangelischen Kirche und nur 3 % der katholischen Kirche an. Trotz ihres Minderheitenstatus sind die Kirchen in beiden Freistaaten wahrnehmbare Akteurinnen der Zivilgesellschaft – und mischen sich aktiv in das Wahlgeschehen ein.

Die Probleme, vor denen die Menschen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen stehen, gleichen sich: Die Abwanderung aus dem ländlichen Raum mit Folgen für die Infrastruktur, die Gesundheitsversorgung und das Wirtschaftsleben; das niedrige Lohnniveau, das prekäre Renten und Verteilungsfragen wie bei der Höhe des Bürgergeldes verursacht; der Strukturwandel in den Braunkohlerevieren in Mitteldeutschland und der Lausitz; die Versorgung und Integration von geflüchteten Menschen; die ausbleibende und doch dringend notwendige Zuwanderung. Zugleich hat das Vertrauen in die Institutionen der Demokratie weiter abgenommen und die Stimmung ist „mies“, wie zuletzt der Sachsen-Monitor gezeigt hat (Ergebnisse). Populisten und Rechtsextreme nutzen die Unsicherheit und schüren bestehende Ressentiments gegenüber Fremden und Neuem zu einem ansehnlichen Flächenbrand.

Die Kirchen sehen sich in dieser Situation dazu veranlasst, mit zahlreichen Initiativen für die Demokratie und wichtige politische Anliegen zu werben. „Unser Kreuz hat keine Haken“ ruft die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM) den Menschen zu. „Mit Herz und Verstand“ rufen die Kirchen in Sachsen zur Wahl für „MenschenWÜRDE, NächstenLIEBE und ZusammenHALT“ auf. Mittels Sozial-O-Mat, Wahlkampagnen, Publikationen und Veranstaltungen machen die Kirchen Wahlkampf. Ein Überblick:

Sozial-O-Mat

Die Diakonie Sachsen und die Diakonie Mitteldeutschland haben für die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen je einen Sozial-O-Mat an den Start gebracht. Im Stil des von der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) bekannten Wahl-O-Mats können Nutzer:innen sich beim Sozial-O-Mat zu Thesen vor allem zur Sozial-, Gesundheits-, Klima- und Zuwanderungspolitik positionieren. Im Anschluss werden die eigenen Präferenzen mit den Positionen der teilnehmenden Parteien und denen der Diakonie abgeglichen. Den Sozial-O-Mat für Sachsen findet man hier, den für Thüringen hier.

Jeweils 20 Thesen laden zur Zustimmung oder Ablehnung ein, den Sozial-O-Mat kann man in einer guten Viertelstunde „durchspielen“. Beim sächsischen Sozial-O-Mat sind auch die AfD und weitere Parteien der extremen Rechten dabei, während die AfD am Sozial-O-Mat für Thüringen nicht teilnehmen wollte („Die AfD Thüringen hat eine Mitwirkung wiederholt abgelehnt.“). Im Sozial-O-Mat sind die Positionen der teilnehmenden Parteien zumindest in Teilen ausführlich dargestellt. Die Positionierungen der extrem rechten Parteien muss man hier gleichwohl mit Vorsicht genießen, denn sie sind selbst Teil einer Strategie der Selbstverharmlosung.

Interessant ist auch der Abgleich mit den politischen Positionen, die von der Diakonie in den gesellschaftlichen Diskurs eingespeist werden. Hierbei wird deutlich, wie irreführend die Behauptung von rechtsradikalen Parteien und Teilen der CDU ist, sie würden für das „christliche Abendland“ und eine an christlichen Werten orientierte Politik eintreten. Wer sich auch politisch an Nächstenliebe und Menschenwürde orientiert, wird wenig Übereinstimmung mit dem Programm von Freie Sachsen, Die Heimat (ehem. NPD) und AfD finden, die Wohlfahrt nur für Biodeutsche und die Ausgrenzung und Ausweisung von Migrant:innen sowie einen regressiven Kurs in der Klimapolitik wollen.

„Unser Kreuz hat keine Haken“ Plakat im Schaukasten einer Kirche (Foto: Philipp Greifenstein)

Wahlaufrufe: „Herz statt Hetze“

Die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens (EVLKS) und die katholischen Bistümer Dresden-Meißen und Görlitz haben zum Wahljahr 2024 eine gemeinsame Wahlinitiative unter dem Titel „Für alle. Mit Herz und Verstand“ gestartet. Auf der Website zur Aktion gibt es eine Vielzahl von Materialien für Einzelpersonen und Gemeinden. Die ostdeutschen katholischen Bischöfe hatten bereits zu Beginn des Jahres ausdrücklich vor einer Wahl der AfD gewarnt (wir berichteten). Ein Votum, dem sich die römisch-katholische Deutsche Bischofskonferenz (DBK) einstimmig mit einer ausführlichen Erklärung anschloss (wir berichteten).

In ihrer Wahlkampagne warnt die EVLKS vor der Wahl von Parteien der extremen Rechten. In Sachsen gehören dazu auch die Partei Freie Sachsen, die WerteUnion und Die Heimat (ehem. NPD) sowie Der III. Weg. Während Freie Sachsen, III. Weg und Heimat vor allem in einigen ländlichen Wahlkreisen Ergebnisse zwischen 5-10 % erzielen dürften, reüissiert die AfD überall im Freistaat. Tobias Bilz, der sächsische Landesbischof, erklärte bei der Vorstellung der Wahlkampagne:

„Mit Sorge nehmen wir wahr, dass eine Partei, die man als rechtsextrem bezeichnen muss, in Sachsen politisch in die Verantwortung kommen könnte. Daher möchten wir uns als Kirchen zusammen mit der Zivilgesellschaft für die freiheitlich-demokratische Grundordnung engagieren.“

„Die Positionen extremer Parteien wie die des III. Weges, der Partei Heimat oder der AfD können wir nicht akzeptieren. Sie sind mit christlichen Werten und mit der Verfassung unserer Kirche nicht vereinbar“, erklärt zum Wahljahr auch die EKM. Vertreter:innen der Landeskirche treten auch auf den Marktplätzen gegen den Rechtsruck in der Gesellschaft auf: Landesbischof Friedrich Kramer sprach Anfang des Jahres bei einer Großdemo in Magdeburg und Regionalbischöfin Friederike Spengler auf einem Protest gegen ein AfD-„Sommerfest“ am 2. August in Altenburg. Die drei Evangelischen Kirchenkreise Gera, Greiz und Altenburger Land lassen einen 16-seitigen „Demokratie-Kurier“ (PDF) in die Briefkästen von 140.000 Haushalten werfen.

In den Wahlaufrufen der Kirchen dominiert die Sorge vor einem starken Abschneiden der AfD und den damit verbundenen Gefahren für die Demokratie. Einhellig warnen die Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände vor einer Wahl extrem rechter Parteien. In ihrem heute veröffentlichten Wahlaufruf zur Landtagswahl in Sachsen erklären der sächsische Landesbischof, Tobias Bilz, und sein Amtsbruder aus dem Bistum Dresden-Meißen, Bischof Heinrich Timmerevers:

„Wir erleben in diesen Tagen und in unserem Land Menschen, die entmutigt wirken; die mit Misstrauen und Pessimismus auf die bestehenden Verhältnisse blicken. Mit Sorge sehen wir, dass Ängste bewusst geschürt werden und Polarisierung als politisches Kalkül vorangetrieben wird.“

Man rufe daher „aus der Perspektive der Hoffnung“ dazu auf, das „demokratische Miteinander“ zu gestalten und „am kommenden Sonntag vom Wahlrecht Gebrauch“ zu machen. Eine (weitere) explizite Warnung vor der AfD enthält der Wahlaufruf der Bischöfe nicht.

Stellungnahmen und Analysen

Unter dem Titel „Wie christlich ist die sächsische Politik?“ (PDF) veröffentlichten die Beauftragten der Kirchen beim Freistaat Sachsen eine Kurzanalyse der Grundpositionen der sechs aussichtsreichsten Parteien, die von Professor Peter Schallenberg von der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle (KSZ) angefertigt wurde. Die Evangelische Akademie Sachsen führt gemeinsam mit der Volkshochschule Dresden und SachsenFernsehen eine Gesprächsreihe durch, bei der der sächsische Landesbischof Tobias Bilz mit den SpitzenkandidatInnen von CDU, SPD, Grünen und FDP ins Gespräch kommt. Und schließlich zieht das „Sachsensofa“ der sächsischen Akademien mit seiner Aktion „Zeit für Hoffnungsmacher“ gegen die „miese Stimmung“ im Regional- und Fahrgästefernsehen zu Felde.

Die Positionen von DIE LINKE, SPD, Grünen, FDP, CDU und AfD in Thüringen zur Rolle der Kirchen im Staat, zum Kirchenasyl und zum Antisemitismus hat die mitteldeutsche Kirchenzeitung Glaube + Heimat erhoben. Sie kommt zum Schluss: „Den Kirchengemeinden und ihrer Ehren- wie Hauptamtlichen in Stadt und Land wird parteiübergreifend – außer bei der AfD – ein großer Stellenwert beigemessen.“

Im Wahljahr 2024 sind auch die Evangelischen Akademien im Osten gemeinsam aktiv: Über das Jahr hinweg veröffentlichen die DirektorInnen der Evangelischen Akademie Thüringen, der Evangelischen Akademie zu Berlin, der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt und der Evangelischen Akademie Sachsen gemeinsame Stellungnahmen zur Demokratie, u.a. zum Wahlverhalten junger Menschen und zu Klimafragen.

Neben diesen publizistischen Wahlhilfen fanden in Sachsen und Thüringen in den vergangenen Wochen etwa zwanzig Wahlforen und weitere Gesprächsveranstaltungen statt.

Versachlichung und Warnung

Den Analysen und Stellungnahmen kirchlicher Akteur:innen ist wie auch den Wahlaufrufen vor allem eine dringliche Warnung vor der AfD und dem Rechtsradikalismus zu entnehmen. Damit erinnern die Kirchen auch an einen zentralen Slogan der Friedlichen Revolution in der DDR: „Für ein offenes Land mit freien Menschen!“

Zugleich versuchen die Kirchen, den politischen Diskurs zu versachlichen und auf jene Themen zu fokussieren, die tatsächlich im Fokus der Landespolitik stehen. Das allerdings liegt quer zum populistischen Stil, mit dem auch demokratische Parteien den Wahlkampf in Thüringen und Sachsen führen. Mit ihrem Willen zur Sachlichkeit bewegen sich kirchliche Akteur:innen auf einer breiten Traditionslinie der Evangelischen Kirche in Deutschland, derzufolge die Kirche keine Politik macht, aber ermöglicht.

In einem weitgehend agnostischen und zunehmend religiös unmusikalischen Umfeld positionieren sich insbesondere die evangelischen Kirchen als Moderatorinnen des gesellschaftlichen Dialogs. In Kirchenräumen sollen – wie es Tobias Bilz 2023 der Eule sagte – „die Ängste der Menschen ausgesprochen werden können“ und zugleich Wege der Verständigung von Menschen unterschiedlicher politischer Überzeugungen gesucht werden. Mit Sachlichkeit und Hoffnung gegen Rechtsextremismus?

Wo die politischen Überzeugungen der Menschen, auch der eigenen Kirchenmitgliedschaft, in Konflikt mit der demokratischen Grundordnung und dem Evangelium geraten, haben die Kirchen im Osten mindestens auf ihren Leitungsebenen seit den letzten Landtagswahlen 2019 aus einer reinen Moderationshaltung herausgefunden. Der demokratische Staat ist, dem Wortlaut der EKD-Demokratiedenkschrift nach, „Angebot und Aufgabe für die politische Verantwortung aller Bürger und so auch für evangelische Christen“. Vor den Landtagswahlen 2024 ist klar, dass zu dieser Aufgabe auch der Erhalt der Demokratie selbst gehört.


Alle Eule-Beiträge zum Themenschwerpunkt „Rechtsextremismus“.


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