Sturm-Übertritt: #OutOfChurch am Freitag, den 13.

Der Generalvikar des Bistums Speyer, Andreas Sturm, tritt von seinem Amt zurück, aus der römisch-katholischen Kirche aus und in die alt-katholische Kirche über. Ein Omen für die Kirche in Deutschland? Ein Kommentar.

Paraskavedekatriaphobie wird die Angststörung genannt, die Menschen vor einem Freitag, dem 13. zurückschrecken lässt. Ein zugegeben kompliziertes Lehnwort aus dem Griechischen, das eine:m nicht sofort ins Bewusstsein drängt, wenn man an den Rück- und Übertritt des Speyerer Generalvikars Andreas Sturm denkt, der gestern an einem Freitag, den 13. bekanntgegeben wurde. Ob die im Volksglauben verankerte Angst vor dem Freitag, den 13. dadurch bestätigt wird, ist vielleicht auch nicht so bedeutsam wie die Frage danach, ob sich durch Sturms Abschied von der römisch-katholischen und Neuanfang in der alt-katholischen Kirche nicht ganz andere Befürchtungen der römisch-katholischen Kirchenoberen erfüllen.

Andreas Sturm möchte nicht mehr Generalvikar des Bistums Speyer und auch nicht mehr römisch-katholischer Priester sein, sondern in die alt-katholische Kirche übertreten und dort auch zukünftig tätig sein. Das gaben gestern das Bistum Speyer in einer ausführlichen Pressemitteilung und er selbst auf Facebook (Screenshot) bekannt. Seinen Rück-, Aus- und Übertritt begründet Sturm damit, dass er die Hoffnung auf wirklichen Wandel in der römisch-katholischen Kirche verloren habe: „Gleichzeitig erlebe ich, wie viel Hoffnung in laufende Prozesse wie zum Beispiel den Synodalen Weg gesetzt wird. Ich bin aber nicht mehr in der Lage, diese Hoffnung auch zu verkünden und ehrlich und aufrichtig mitzutragen, weil ich sie schlichtweg nicht mehr habe.“

Sturm zieht damit Konsequenzen, wie sie viele Katholik:innen und Kirchenmitarbeiter:innen derzeit für sich ins Auge fassen. Die Kirche befände sich in einem Umwälzungsprozess wie seit der Reformation nicht mehr, sagen die, die ihre Hoffnung noch auf den deutschen Synodalen Weg oder den internationalen Synodalen Prozess von Papst Franziskus setzen. Sie mahnen, man müsse sich auch mit kleinen Fortschritten zufrieden geben. Zugleich lassen sich erste Erfolge sehen: Das kirchliche Arbeitsrecht soll – auch unter dem Eindruck von #OutInChurch (wir berichteten) – modernisiert werden, der Synodale Weg zeitigt erste vorsichtige Ergebnisse (wir berichteten).

Endliche Hoffnung auf Reformen

Doch die Zahl derjenigen Katholik:innen, die sich davon begeistern lassen, sinkt. Zu zahlreich waren in den vergangenen Jahren die Einsprüche aus Rom gegen die Reformforderungen aus Rom (wir berichteten), als dass man an ihnen als Teil der römischen Realität der katholischen Weltkirche vorbeigehen könnte. Das Heldenbild, das sich viele Reformer:innen von Papst Franziskus gemalt hatten, hat – nicht zuletzt in den Wochen des Ukraine-Krieges – tiefe Kratzer bekommen. Die deutschen Bischöfe sind sich zwar in den meisten Reformfragen erstaunlich einig, bleiben aber in der Sache hinter den Forderungen der Reformer:innen zurück und müssen sich gleichzeitig immer neuen Anwürfen aus dem traditionalistischen Lager erwehren. Das ist insbesondere in den USA stark und droht ganz offen mit einem Schisma. Ihr Feindbild: Der Synodale Weg des Katholizismus in Deutschland.

Sturm rekurriert auf die Hoffnung, die der Amtskirche tief verbundene Gläubige und Kirchenmitarbeiter:innen auf den Synodalen Weg, aber auch die in allen (Erz-)Bistümern laufenden Reform- und Strukturprozesse setzen. Er hat sie verloren, obwohl er doch an herausragender Stelle an positiven Veränderungen mitgewirkt hat. Zuletzt als einer der Generalvikare aus immerhin elf deutschen (Erz-)Bistümern, die eine zügige Reform des kirchlichen Arbeitsrechts forderten.

Er wird mit seiner öffentlich dokumentierten Hoffnungslosigkeit nicht der einzige bleiben, hat sich doch bisher noch jedes der so blumig angepriesenen „Konzentrationsprojekte“ als Kürzungsprogramm erwiesen. Der römisch-katholischen Kirche droht wegen des Nachwuchsmangels für das Priesteramt und Kirchenberufe der Kontakt zu den Gläubigen verloren zu gehen, weil sie ihre Strukturen nicht nach deren Willen und Bedürfnissen, sondern nach dem eigenen Mangel orientiert. Eine Kirche ohne Priester und Papst, ist sich der ehemalige Bonner Kirchenrechtler Norbert Lüdecke sicher, aber können sich die meisten Katholik:innen nicht vorstellen.

Andreas Sturm schon: Er will in die alt-katholische Kirche überwechseln. Die kleine Kirche erscheint in diesen Tagen nicht wenigen Gläubigen als die bessere katholische Kirche: Frauenpriestertum, keine Zölibatspflicht, vertiefte Ökumene mit den Evangelischen (volle Kanzel- und Altargemeinschaft), Segnung von LGBTQ*-Partnerschaften, weniger Amt mehr Kirche. Vieles von dem, wofür die Reformer:innen in der römisch-katholischen Kirche streiten, ist in der alt-katholischen Kirche Realität, die sich in Folge des Ersten Vatikanischen Konzils abspaltete. Damals ausschlaggebend: Die Verkündung des Jurisdiktionsprimats und der päpstlichen Unfehlbarkeit, die in den Augen vieler Beobachter:innen bis heute hauptursächlich für die Un-Reformierbarkeit der römisch-katholischen Kirche sind.

Ist ein Abschied unvermeidlich?

In den Sozialen Netzwerken bekundeten am Freitag viele Menschen ihren Respekt für Sturms Entscheidung und erinnerten sich an sein Wirken als authentischen und bemühten Kirchenmann. Gleichzeitig gibt sein Übertritt auch den Diskussionen darüber Nahrung, ob ein Abschied aus der römisch-katholischen Kirche, den so viele Menschen zur Zeit nehmen oder kontemplieren, nicht vielleicht die sinnvollste Möglichkeit sei, heute als Katholik:in zu leben.

Ein Übertritt in die Evangelische Kirche wird nämlich gerade von jungen Reformer:innen häufig emphatisch abgelehnt. Die starke konfessionelle Prägung gerade dieser Personenkreise müsste den katholischen Bischöfen eigentlich sehr zu denken geben. In ihrer letzten ausführlichen Statistik weist die EKD für das Jahr 2020 10.679 Übertritte aus anderen christlichen Kirchen aus. Trotzdem darunter nicht wenige römische Katholik:innen sein dürften, ist ein Wechsel in die Evangelische Kirche für viele von ihnen keine Option. Anders schaut es bei den Alt-Katholiken aus, die vermehrt römische Geschwister aufnehmen.

Bisher gibt es nur 50 Gemeinden des Katholischen Bistums der Alt-Katholiken in Deutschland, Gläubige müssen zum Teil weite Strecken auf sich nehmen, um Messen und Gemeindeveranstaltungen zu besuchen. Doch die Unterschiede zu den großen katholischen Geschwistern nehmen immer weiter ab, da sich dort die traditionellen Gemeindestrukturen immer mehr auflösen. Anders als in der römisch-katholischen Kirche herrscht in der alt-katholischen Kirche sogar eine richtige Aufbruchsstimmung.

Sturms Übertritt an einem Freitag, den 13. muss darum den römisch-katholischen Oberen in Deutschland als böses Omen erscheinen: Übertritte einzelner Personen lassen sich verschmerzen: Was aber passiert, wenn ganze Gemeinden mit ihren Priestern oder Diakonen zu den Alt-Katholiken übertreten und wenn sich immer mehr junge Katholik:innen mit ihren (potenziellen) Familien und Kindern verabschieden? Die Austrittswellen der vergangenen beiden Jahre erhalten durch die Möglichkeit des Übertritts in eine katholische Kirche, in der so viele Reformforderungen bereits erfüllt sind, neue Schärfe. Denn es geht dabei eben nicht um #OutOfChurch, ein „Nein“ zu Glauben und Kirche, sondern um ein „Ja“ zu einer anderen Kirche.

Freitag, der 13.

Tatsächlich unterlaufen den Menschen an einem Freitag, dem 13. weniger Missgeschicke und Unfälle als an anderen Kalendertagen, zeigen Untersuchungen von Versicherungsunternehmen. Sie machen dafür eine gesteigerte Vorsicht der Menschen verantwortlich, die an einem Freitag, den 13. mit besonderem Bedacht vorgehen. Unüberlegt war der dreifache Schritt von Andreas Sturm sicher nicht: Ein gleichzeitiger Rück-, Aus- und Übertritt ist ein gewaltiger Sprung.

So könnte dieser Freitag, der 13. auch ein Datum markieren, an dem gläubige Katholik:innen sich von Andreas Sturm dazu inspirieren lassen, für ihren Glaubensweg neue Pfade einzuschlagen. Dass diese Wege zwingend aus der römisch-katholischen Kirche herausführen müssen, ist damit nicht gesagt. Es könnte auch sein, dass sie „Hoffnung und Zuversicht“ auf den Wandel in der römischen Kirche, die Sturm abhanden gekommen sind, für sich neu entdecken.