TATA! Bildung für die große Transformation

Desinteresse, Ignoranz und Ratlosigkeit – Der sozial-ökologische Wandel ist eine Bildungsaufgabe. In der Dezember-Ausgabe von „Tipping Point“ empfiehlt Tobias Foß Material für Jugendliche und Erwachsenenbildung.

Wenn ich mich in meinen persönlichen und arbeitsalltäglichen Kontexten umschaue, nehme ich bei einigen Mitbürger*innen zunächst Ignoranz wahr. Man weiß zwar schon, dass sich das Klima verändert. Auch hier in Deutschland werden die Sommer heißer. Das Jahr 2023 wird weltweit das Heißeste sein seit den Wetteraufzeichnungen. Aber vielleicht kommen wir doch irgendwie davon?

Vielleicht ist das doch nicht alles so schlimm. Es gab ja schon immer Klimaveränderungen! AfD-nahe Positionen wie Verschwörungsideologien über eine Klima-Mafia tauchen auf einmal in meinen Fitness-Studio-Gesprächen auf. Und überhaupt: Jetzt haben wir doch ganz andere Probleme – das Klima muss warten!

In meiner Arbeit als Seelsorger treffe ich auf junge Menschen in der Ausbildung. Manche von ihnen haben zur ganzen Thematik der Klimagerechtigkeit und des Umbaus unseres ökonomischen Zusammenlebens wenig Berührungspunkte. Dass die Art, wie wir leben, wieviel Fleisch wir essen, wieviel Müll wir produzieren etwas mit Klimakrise und globaler Gerechtigkeit zu tun haben könnte, wird von manchen jungen Menschen verkannt (nicht von allen und ob es die Mehrheit ist, weiß ich nicht). Warum denn jetzt mit Klimaschutz beschäftigen? Was ist denn meine Verantwortung?

In meinem linkeren zivilgesellschaftlichen Umfeld treffe ich stattdessen auf Menschen, die der Notwendigkeit zur Veränderung vollends zustimmen, jedoch resignierend feststellen: „Was können wir schon tun?“ Aufbruch und Praxis für etwas Neues scheint ihnen mehr und mehr sinnlos geworden zu sein.

Bildung zu einer befreienden Praxis

Diese verschiedenen Begegnungen zeigen mir, dass Bildung für die Bewältigung unserer multiplen Krisenlandschaft sehr wichtig ist. Dabei spreche ich von einer Bildung, die ganzheitlich ist, d. h., die Sehen, Urteilen und Handeln im Sinne des befreiungstheologischen Drei-Schritts umfasst. Es geht nicht um bloße Wissensvermittlung ohne befreiende Praxis, denn das „Ziel von Bildung muss es sein, unser Leben freier, gerechter und gleichberechtigter zu gestalten“ (AK Religionslehrer_innen im ITP).

Doch welche Bildungsmaterialien können für die sozio-ökologische Transformation hilfreich sein? Diese Frage hat mich bereits im Vikariat stark beschäftigt. Ich bin auf die Suche gegangen, insbesondere, weil ich einen Gemeindetag zum Thema Schöpfungsverantwortung und Nachhaltigkeit durchführen wollte. Auf meiner jetzigen Arbeitsstelle als Seelsorger beschäftigt mich diese Thematik weiter.

Im Folgenden möchte ich – quasi als Advents- und Weihnachtsgeschenk für Euch! – exemplarisch unterschiedliche Bildungsmaterialien vorstellen und auf ihre Stärken und Schwächen eingehen. Ich fokussiere mich vor allem Material für Jugendliche und die Erwachsenenbildung.

Die Vielfalt der Bildungsmaterialien

Im explizit christlichen Bereich möchte ich zunächst den „Just People Kurs“ der Micha-Initiative hervorheben. In sieben Kapiteln geht der Kurs auf die globale Schieflage bzgl. Klima und Verbrauch ein. Seine Stärke ist zugleich seine Schwäche: Aus dem eher freikirchlichen Milieu stammend, setzt dieser Kurs stark auf Gemeindearbeit. Er stellt also die Frage, was eine Kirchgemeinde tun kann und mündet am Ende in ein großes gemeinsames (Gemeinde-)Fest.

Der Kurs enthält Andachten, Meditationen, Informationsvorträge, verschiedene Arbeitsmethoden – und alles ist mit einem schönen Design versehen. Der konkrete Kontext der christlichen Gemeinde engt den Kurs allerdings ein. Man muss schon mit dem christlichen Sprachspiel vertraut sein. Für den konfessionslosen Kontext, wie er in den ostdeutschen Bundesländern „normal“ ist, muss hier schon stark selektiert werden. Schwierig ist, dass der Kurs seine Lösungsansätze verstärkt im individuellen Bereich ansetzt. Natürlich ist die persönliche nachhaltige Lebensführung wichtig, aber auch strukturelle Komponenten müssen in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem überdacht werden.

Dies geschieht im neuen Methodenbuch von Attac „Wirtschaft demokratisch gestalten lernen“. Strukturelle Fragestellungen wie etwa Klimagerechtigkeit, globale Arbeitsverhältnisse oder „Arbeit und Kapital“ werden behandelt. Anders als bei älteren Attac-Bildungsmaterialien ist die Methodenvielfalt stärker ausgeprägt. Doch auch wenn nicht allein mehr Textarbeit im Vordergrund steht, wird eher ein kognitiv-intellektueller Zugang bedient. Das begrenzt die Anwendungsmöglichkeiten durchaus – dennoch: Sehr empfehlenswert!

Endlich Wachstum – oder doch nicht?

Das Bildungsprojekt „endlich.wachstum“ hält eine noch viel größere und differenziertere Materialsammlung bereit. Der Name ist Programm: Die Materialien, die alle freizugänglich sind und etwa vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gefördert wurden, haben alle eine kapitalismuskritische Ausrichtung. Sie gehen der Grenzfrage nach: Kann es auf einem endlichen Planeten ein unendliches Wachstum geben? Ein riesiges Themengebiet wird abgedeckt (Ökologie, globale Dimension, Care-Arbeit, Lebensmittel, Digitalisierung, alternative Wege usw.). Eine große Schatzkiste!

Die Vielfalt des Materials ist eine Stärke – aber auch ein Problem: Es braucht viel Zeit, sich in die verschiedenen Materialien einzuarbeiten. Manche Angebote setzen dabei eine gewisse Sensibilität der Adressat*innen für Nachhaltigkeit bereits voraus, daher braucht es ein gutes Abwägen. Sehr begrüßenswert ist es, dass die Methoden oft Interaktivität fördern. In vielen Beispielen wird das Problembewusstsein geschärft und zu Diskussionsrunden angeregt. Alternative Handlungsmöglichkeiten (Gibt es denn wirklich ein alternatives Zusammenleben?) und Erfolgsgeschichten kommen herbei auch zur Sprache, bilden aber nur einen Schwerpunkt neben anderen.

Hier kann kritisch angefragt werden, ob nicht die Vision eines neuen Zusammenlebens einen viel größeren Raum einnehmen sollte (Wie kann sie aussehen? Wo gelingt sie bereits?). Dies ist gerade darum so wichtig, „weil Gesellschaften, die sich ihre Zukunft nur noch in dystopischen Szenarien vorstellen können, auf Dauer nicht überlebensfähig sind“ (Klaus Dörre, „Ökosozialismus oder Barberei“). Menschen werden in ihrer Aktivität gerade dann unterstützt, wenn sie sehen: Die sozio-ökologische Transformation ist tatsächlich möglich – und sie ist auch gewinnbringend.

Die Bildungsmaterialien von „FUTUR ZWEI“  legen genau darauf ihren Schwerpunkt. Sie umfassen eine Methodensammlung mit zahlreichen Arbeitsmaterialien, in denen eine neue Gesellschaft beleuchtet wird und Erfolgsgeschichten zur Sprache kommen – „FUTUR ZWEI“ ist damit der Leuchtturm für den sozial-ökologischen Wandel. Auch gibt es eine Geschichtensammlung über Erzählungen des Gelingens. Allerdings lässt sich hier natürlich pädagogische Kritik aus dem Gegenlager formulieren: Braucht es nicht zunächst eine Sensibilisierung für das Problem, dass Klimagerechtigkeit global zusammenhängt, Migration damit einhergeht und der Kolonialismus global weiter wütet? Braucht es nicht ein stärkeres Problembewusstsein? Für diese Aspekte bietet „FUTUR ZWEI“ kein Futter. Braucht es aber auch nicht, weil sich dafür andere Materialsammlungen besser eignen.

Der Gewinner kriegt alles?

Neben dem Material von „endlich.wachstum“ beschäftigt sich etwa „Brot für die Welt“ mit den Themenbereichen der Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit. Die Zeitschrift „Global Lernen“ erscheint dreimal im Jahr und ist kostenlos. Sie widmet sich in jeder Ausgabe stets einem bestimmten Thema (etwa Kinderarbeit, gerechtes Wirtschaften, Klimagerechtigkeit, Flucht usw.). Als Zeitschrift verbindet sie Informationstexte für die Lesenden mit zahlreichen Methoden-Tools und vorgefertigten Arbeitsblättern. Zum Schluss gibt es auch noch Methodenvorschläge für theologische Reflexionen sowie weitere Materialhinweise (Filme usw.).

Die Stärke der Zeitschrift ist, dass sie umfassend und inhaltlich fokussiert ist. Jedoch handelt es sich – anders als etwa bei „endlich.wachstum“ – hier nicht um ausgefertigte Methoden (mit Zeitplan und Materialvoraussetzungen), sondern um zahlreiche Methodenimpulse. Für die konkrete Umsetzung braucht es daher nochmals Zeit: Wieviel könnte welcher Impuls an Zeit brauchen? Welche Methoden nehme ich überhaupt auf? Wie stelle ich die sie zusammen?

Anders strukturiert ist hingegen das Bildungsmaterial „The Winner takes it all?!“, das ebenfalls von Brot für die Welt stammt. Hierbei handelt es sich um eine Methodensammlung zur politischen und sozialen Ungleichheit in globaler Perspektive (Postkolonialismus) und in Deutschland. Die Methoden sind markiert mit Zeitaufwand und Materialbedingungen und sind am Ende sogar für zwei Bildungstage konzipiert (inkl. Planspiel) . Für mich war das Material ein Gewinn, auch wenn es natürlich nur einige Themenbereiche abdeckt.

Stationen, Bilder, Karikaturen

Eine weitere Empfehlung ist das Bildungsmaterial „Soziale Gerechtigkeit“ aus der Reihe „RU praktisch – Berufliche Schulen“. Das Heft wurde u.a. von Wilhelm Schwendemann herausgegeben, der auch Redakteur der aktuellen Jahresausgabe von Christ und Sozialist / Christin und Sozialistin ist. Zwei Themenschwerpunkte zeichnen das Heft aus: Ausbeutung in der Textilindustrie sowie Landgrapping durch Großkonzerne. Einige Bausteine des Heftes eignen sich gut für den Unterricht – allerdings setzen manche auch ein hohes Textniveau voraus (etwa zum Thema Gerechtigkeit). Hier muss man gut auswählen.

Und weiter: Wer gerne eine Stationsarbeit aufbauen möchte kann für eine Info-Station schöne zusammenfassende Factsheets verwenden, wie etwa die Inkota-Infoblätter. Beim katholischen Hilfswerk Misereor gibt es Impulsblätter für Referate oder auch Factsheets, die mit konkreten Handlungsfragen verbunden sind, was ich als sehr gelungen finde. Für eine weitere mögliche Station eignen sich Bilder oder Karikaturen, um etwa den emotionalen Zugang zu bedienen, so z. B. „glänzende Aussichten“, „Klimawandel in Bildern“ oder „Zukunftsbilder 2045“. Und schließlich: Der Ökomverlag bietet für das Thema „Zukunft“ und neue Gesellschaft viele schöne Impulse und Bücher (etwa „Zukunft für alle“). Einfach mal reinschauen!

Es gibt zahlreiche Impulse für nachhaltige Bildung, die dazu reizen, sich für die sozio-ökologische Transformation zu interessieren und sich sogar als Gegenkraft gegen die Entdemokratisierung unseres Zusammenlebens zu verstehen. Menschen müssen immer wieder Schieflagen unseres ökonomischen Zusammenlebens erkennen und ein neoliberal doktrinelles Gedankengut überwinden, um die uns gestellten drängenden Aufgaben zu bewältigen. Sie dürfen dabei nicht resignieren (TINA = There ist no alternative), sondern sind eingeladen, Alternativen zu entdecken (TATA = There are thousands of alternatives!).

Allerdings braucht es Zeit und Kraft, sich in die Materialien einzuarbeiten, um dann gut abzuwägen, was an ihnen „dran“ ist für das je konkrete Setting. Ich denke, dass sich eine solche Arbeit lohnt! Vielleicht konnte diese Kolumne Euch eine erste Hilfe sein, Orientierung in diverse Bildungsmaterialen zu gewinnen, die das Thema Nachhaltigkeit und Transformation behandeln (auch wenn ich sie ganz und gar nicht vollständig abgedeckt habe). Am besten ist es jedenfalls: Ihr macht Euch selbst auf den Weg und probiert Euch aus! Eine schöne Adventszeit euch allen!


Kolumne „Tipping Point“

In unserer Kolumne „Tipping Point“ schreibt Tobias Foß über die sozial-ökologische Transformation. Welchen Beitrag können Christ:innen und Kirchen leisten? Welche Probleme müssen bewältigt werden? Welche Kipppunkte gilt es in Theologie und Glaubensleben wahrzunehmen?

Mit „Tipping Point“ wollen wir in der Eule an Fragestellungen im Licht der Klimakrise dranbleiben. Dabei stehen nicht allein Klima- und Umweltschutz im Zentrum, sondern auch die Auswirkungen von Klimawandel und Umweltzerstörung auf unser Zusammenleben. Die Klimakrise verändert schon jetzt unsere Gesellschaft(en). In „Tipping Point“ geht Tobias Foß diesen Veränderungen auf den Grund und beschreibt Ressourcen und neue Wege.

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