Theologie und Diversität: Sensibel werden
In einem Doppelpack von „Sektion F“ erklärt Carlotta Israel diversitätssensible Theologie. Im zweiten Teil geht es um die Frage, ob Diversität und Theologie zueinander finden können.
In der letzten Ausgabe von „Sektion F“ ging es darum, dass Theologie und Diversität per se aufeinander bezogen sind, weil gesellschaftliche Normierungen theologisch begründet wurden (und werden). Die Theologie hat somit daran mitgewirkt (und tut es bis heute), Abweichungen von Normen zu kennzeichnen. Weil Staat, Gesellschaft und Kirche über viele hunderte Jahre in Europa eng miteinander verwoben waren, wirken normative theologische Aussagen auch heute noch fort – manchmal ganz unbewusst.
Im ersten Teil dieses „Sektion F“-Doppelpacks bin ich auch auf die unterschiedlichen Bedeutungen der Begriffe Intersektionalität, Diversität („Vielfalt“) und diversity eingegangen. Um die gegenwärtigen Debatten rund um Diversität besser zu verstehen, muss die unterschiedliche Herkunft der Begriffe beachtet werden.
Im zweiten Teil möchte ich nun potenzielle Berührungspunkte von Diversität und Theologie vorstellen. Ich behaupte: Die gibt es überall! Dafür habe ich aus den in der wissenschaftlichen Theologie gängigen Zuordnungen in exegetisch, systematisch und historisch Anknüpfungspunkte zusammengefasst.
Exegetische Berührungspunkte
Die Bibel enthält Texte aus sehr vielen verschiedenen literarischen Gattungen. Von A wie Abstammungslisten bis Z wie Zionspsalmen ist Vieles dabei. Einen gewichtigen Teil der Bibel machen auch die Gesetzeskorpora aus (lat. corpus „Körper“). Nicht nur die 10 Gebote, sondern ganze Gesetzesbücher sind in der Hebräischen Bibel zu finden. Insbesondere das dritte Buch Mose, genannt Levitikus, enthält Gesetze zum Opfervollzug, aber auch das sogenannte Heiligkeitsgesetz. Nach dem Motto: Gott ist heilig, also sollte sich Gottes Volk auch um Heiligkeit bemühen, entstammt ihm zu Beispiel das Nächstenliebegebot (Levitikus 19,18).
Ebenfalls im Heiligkeitsgesetz sind Normierungen enthalten, die als Verbot von Homosexualität interpretiert wurden (und werden). In Lev 18,22 steht: „Du sollst nicht bei einem Mann liegen wie bei einer Frau; es ist ein Gräuel.“ Im Hintergrund dieses Gebots steht ein hierarchisches Geschlechterverhältnis zwischen höher stehenden Männern und ihnen untergebenen Frauen. Dieses Verhältnis dürfe nicht verkehrt werden. Außerdem wurden Nachkommen benötigt. So ähnlich wird es nämlich zwei Kapitel später auch nochmal im Kontext von Inzestregelungen erörtert. Weibliche Homosexualität übrigens wird hier gar nicht thematisiert. Die Machtausübung in Form der Penetration ist das eigentliche Thema und nicht homosexuelle Partner*innenschaft allgemein.
Eine Ätiologie ist eine Geschichte, die eine Antwort auf eine Art Sachverhalt geben möchte und dabei so etwas wie „Alltagsbefunde“ nachträglich göttlich legitimiert (griech. αἰτία „Ursache“ und λόγος „Vernunft, Lehre“. Ein Beispiel für eine solche Erzählung ist die „Rippe“ oder Seite, aus der Eva dem zweiten Schöpfungsbericht nach geschaffen sein soll (Genesis 2, 21-23). Zuvor hatte G*tt es schon mit allen möglichen Tieren probiert, dem Menschen eine Gefährtin zu schaffen. Damit der Mensch nicht allein sei, entnahm G*tt etwas von der Seite des Menschen und baute daraus eine Frau. In Genesis 2, 23 und 24 heißt es dann:
„Da sprach der Mensch: Die ist nun Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch; man wird sie Männin nennen, weil sie vom Manne genommen ist. Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner Frau anhangen, und sie werden sein ein Fleisch.“
Hier wird also eine Begründung dafür gegeben, warum ein Mann seine Herkunftsfamilie verlässt. Das scheint so gang und gäbe gewesen zu sein. Aus der Erzählung von der „Seite“ oder „Rippe“ wurde (und wird) aber auch konstruiert, dass die Frau möglicherweise eine Art Defizitwesen sei. Hier werden ein binäres Geschlechterbild und die heterosexuelle Lebensform vergöttlicht.
Für ein drittes Beispiel schaue ich in das Neue Testament: An verschiedenen Stellen werden Aussagen darüber getroffen, wie Menschen in christlichen Gemeinden zusammenleben sollen. In Korinth gab es viel Streit, aber die Gemeinde sei doch eigentlich ein Leib Christi, erwidert Paulus! Alle werden gebraucht in ihrer Unterschiedlichkeit (Ausschnitte aus 1. Brief an die Gemeinde in Korinth 12, 15-27):
„Wenn nun der Fuß spräche: Ich bin keine Hand, darum gehöre ich nicht zum Leib!, gehört er deshalb etwa nicht zum Leib? Nun aber hat Gott die Glieder eingesetzt, ein jedes von ihnen im Leib, so wie er gewollt hat. Wenn aber alle Glieder ein Glied wären, wo bliebe der Leib? Nun aber sind es viele Glieder, aber der Leib ist einer.
Das Auge kann nicht sagen zu der Hand: Ich brauche dich nicht; oder wiederum das Haupt zu den Füßen: Ich brauche euch nicht. Vielmehr sind die Glieder des Leibes, die uns schwächer erscheinen, die nötigsten; und die uns weniger ehrbar erscheinen, die umkleiden wir mit besonderer Ehre; und die wenig ansehnlich sind, haben bei uns besonderes Ansehen; denn was an uns ansehnlich ist, bedarf dessen nicht.
Aber Gott hat den Leib zusammengefügt und dem geringeren Glied höhere Ehre gegeben, auf dass im Leib keine Spaltung sei, sondern die Glieder einträchtig füreinander sorgen. Und wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit, und wenn ein Glied geehrt wird, so freuen sich alle Glieder mit. Ihr aber seid der Leib Christi und jeder Einzelne ein Glied.“
Hier kommen ganz deutlich Vorstellungen davon zum Tragen, wie ein Leib, also ein menschlicher Körper, zu sein hat und wie mit ihm umgegangen werden sollte. Paulus beschreibt hier allerdings trotz der unterschiedlichen Bewertung einzelner Körperteile eine sehr einladende und Diversität tendenziell wertschätzende Vorstellung davon, wie Menschen einander in der christlichen Gemeinschaft begegnen sollten. Alle sollen wahrgenommen werden in ihrer Verschiedenheit und zum Leib Christi das ihrige beitragen. Dieser Diversität anerkennende Ansatz kann und wird weiterhin als Zielvorstellung von christlicher Gemeinschaft rezipiert.
Systematische Berührungspunkte
In der Systematischen Theologie wurden und werden zum Beispiel Gemeindevorstellungen seit dem Neuen Testament, aber auch danach, geordnet und aufeinander bezogen (Ekklesiologie, von griech. ἐκκλησία „Gemeinde“ oder „Kirche“). Oft sind biblische Motive Ursprung für systematische Überlegungen bzw. Dogmatisierungen. Ich kann das an dieser Stelle nur aus evangelischer Perspektive benennen, aber auch wir haben mit Bibel und Bekenntnis – ich bin Lutheranerin – Grundlagen, an denen kirchliches Leben und theologisches Denken fest ausgerichtet sind.
Ein Beispiel aus den Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirchen ist in den Haustafeln zu finden, die dem Kleinen Katechismus Martin Luthers beigegeben wurden. Darin ist deutlich die Überordnung des Mannes über die Frau festgehalten. So viel zum protestantischen anything goes! Es zeigt sich aber eine protestantische Eigenheit: Schriftzitate werden direkt aufgenommen und als Maßgabe ausgewählt dafür, wie Ehemänner und Ehefrauen zu leben hätten. In diesem Sinne hat die Unterordnung der Frau unter den Mann Bekenntnisrang in lutherischen Kirchen. Sicherlich ist es etwas anderes, was daraus im Alltag gemacht wird. Wichtig bleibt allerdings die Feststellung: Derlei geschlechterspezifische Differenzierungen sind nicht ausschließlich in der römisch-katholischen Kirche festgeschrieben.
Dogmatik und Geschichte: „Ehe, Familie und Agamie“ von Matthias Becker
Dass die Trennung zwischen den Disziplinen der Theologie nicht scharf verlaufen, zeigt sich auch an der Veröffentlichung des Heidelberger Neutestamentlers Matthias Becker, der in seinem Buch „Ehe, Familie und Agamie“ im Tübinger Mohr Siebeck Verlag hermeneutische Impulse für heutige evangelische Perspektiven auf L(i)ebensgemeinschaften geben möchte. Folgendes Zitat von Seite 164 zeigt, dass es auch im universitären und landeskirchlichen Kontext durchaus nicht selbstverständlich ist, queerfreundlich zu sein:
„Sollen Theologie und Kirche dem sich nunmehr vollziehenden gesellschaftlichen Wandel folgen oder aber einen Sonderweg gehen, der sich vermutlich zunehmend als Minderheitenweg darstellen wird? Insgesamt zeichnet sich ab, dass sich zumindest die evangelischen Landeskirchen mehrheitlich hinter das Modell der ‚Ehe für alle‘ stellen, wenngleich eine eigenständige und theologische Begründung dafür nicht immer sichtbar ist. Gleichwohl gibt es Gegenstimmen, die die Kirche vor ernsthafte Fragen im Blick auf ihr Selbstverständnis stellen. Ist ein gesellschaftlich eingeordnetes Mehrheitschristentum tatsächlich der ‚richtige Weg‘?“ (H. i. O.)
Hier formuliert Becker es als Frage, aber er sieht die Relevanz von Kirche schwinden, wenn nicht nur neutestamentlich-belegten Familienformen – welche das auch immer sind – G*ttes Segen zugesprochen wird. Becker leitet dafür her, dass es ja auch zur neutestamentlichen Zeit schon Pluralität gegeben habe und fragt, warum die (familien-)ethischen Abgrenzungen von vor 2000 Jahren nicht auch direkt auf heutige Pluralisierungsentwicklungen übertragen werden könnten (u. a. S. 174). Seiner Meinung nach werden durch den kirchlichen Segen von nicht-heteronormativen Partner*innenschaften die Gotteslehre und Christologie als auch der Umgang mit der Schrift verletzt.
Bei Becker sehen wir den Versuch, aus dem Neuen Testament für die Gegenwart zu lernen. Das kann natürlich nicht grundsätzlich falsch sein. In der Form, wie er es unternimmt, scheint es aber geschichtsvergessen. Becker formuliert eine christliche Ethik als zentrales Identitäts- und Abgrenzungsmoment. Damit trifft er sicherlich einen Kern des Denkens der ersten Christ*innen.
Ein Mehrheitschrist*innentum entwickelt sich aber in Europa erst sukzessive am Übergang von der Antike zum frühen Mittelalter. Christ*innentum wurde als Norm gesetzt. Religiöse Toleranz, deren Vorläufer auch in der Frühen Neuzeit schon zu finden sind, wird nach und nach im Zuge der Aufklärung Gesetz. Dennoch ist die Entwicklung, dass mehr Nichtkirchenmitglieder als Kirchenmitglieder in Deutschland leben, eine sich erst jüngst ereignende und nach wie vor konträre Lage zu derjenigen der ersten Christ*innen, die sich erst nach und nach als eigene Gruppe fanden. Die eine Minderheitensituation kann wohl kaum mit der anderen gleichgesetzt werden.
Becker verkennt, dass Christ*in-Sein nach wie vor die privilegierteste Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft im deutschsprachigen Raum ist. Er beschreibt „Mehrheit“ in anderer Hinsicht – in gegenwärtig gesellschaftspolitischer. Becker formuliert ein dezidiert konservatives Programm, das er als „christlich“ identifiziert und spricht Theolog*innen, die anderer Meinung sind, die biblische Begründung ihrer Position ab.
Dagegen kann man sehr gut schöpfungstheologisch argumentieren, zum Beispiel mit Galater 3,28 im Gepäck: „Da ist weder männlich noch weiblich“. Nachzulesen ist dies zum Beispiel im Schuldbekenntnis der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) gegenüber queeren Menschen, das zugleich zugleich eine Selbstverpflichtungen für die Zukunft enthält. Paulus schrieb nun mal in eine ganz andere Minderheitensituation, als sie Becker vorschwebt.
Historische Arbeitsaufträge
Ab der sog. Alten Kirche wird es christ*innentumshistorisch – so jedenfalls die typische Trennung, die wir in systematisch-historischen Betrachtungen immer wieder finden. Selbstverständlich sind Kirchenhistoriker*innen nicht davor gefeit, Normierungen zu reproduzieren und diese möglicherweise sogar als besonders alt und daher als schützenswert zu beschreiben. Eine kritische, auch selbstkritische Christ*innentumsgeschichte vermag es aber, Normierungsprozesse in der Geschichte nachzuvollziehen und sie damit möglicherweise der vermeintlich göttlich-legitimierten Begründungsstrukturen zu entkleiden.
Im kritischen Umgang mit den Traditionsbeständen kann sowohl gezeigt werden, dass es schon immer Diversität gab, als auch, dass der eigene von Normen geprägte Blick Begleiterscheinung gesellschaftlicher Normierungsprozesse, also kontingent ist. Indem Kontexte mit einbezogen werden, die die Kontingenz einzelner Ex- oder Inklusionsmechanismen verdeutlichen, leistet historische Forschung einen immensen Anteil der Arbeit an einer diversitätssensiblen Theologie.
Es handelt sich um kein leichtes Unterfangen. Denn wenn Hinweise in den Quellen enthalten sind, dann handelt es sich oft nicht um Ego-Dokumente, z. B. von Menschen mit Behinderungen, sondern maximal um Beschreibungen, die andere über sie verfasst haben. Wenn überhaupt. So ist beispielsweise über Leonhard Hutter, einen Wittenberger Theologieprofessor an der Jahrhundertwende zum 17. Jahrhundert bekannt,1 dass er wohl Vorlesungen bzw. Disputationen halten konnte, aber nie predigte, obwohl dies alle Universitätsprofessoren taten. Er konnte zwar laut sprechen, aber irgendetwas hat ihn daran gehindert zu predigen. Mutmaßlich erfüllte er nicht den Anspruch an die körperliche Unversehrtheit, der in Anlehnung an das Priestergesetz erhoben wurde. Zunächst bleibt ungeklärt, warum dieser Professor nicht predigen durfte. Ein Beispiel dafür, dass disability-sensible Kirchengeschichtsschreibung noch am Anfang steht.
Diversität als Auftrag für die Kirchenpraxis
Blicken wir noch einmal zurück zur Unterscheidung zwischen Diversität als kulturwissenschaftlichem Begriff und diversity als betriebswissenschaftlich-organisatorischer Handlungsstrategie (s. „Sektion F“ vom Januar 2024), so waren wir bisher vor allem im ersten Bereich unterwegs. In der Gemeinde-Praxis und im Schulunterricht kann die Vermittlung von Diversität als Lehrinhalt geschehen. Jedoch können sich auch strukturelle Fragestellungen nahelegen, je konkreter bspw. eine Parochie oder Schulklasse für das Thema Diversität avisiert werden.
In jeder Begegnung mit Menschen ist Diversitätssensibilität gefragt. Das leitet sich aus meiner Sicht aus dem ab, was christlich-theologisch gefordert ist. Aus dem Gemeindebild des Paulus, aber auch vom Beispiel Jesu her, der dafür steht, Menschen, die gesellschaftlich geächtet werden, wahrzunehmen und sich ihnen zu nähern. Jede Begegnung meint natürlich auch kirchliche Kontakte.
Hinzu kommt die kritische Betrachtung von Inhalten, die Normierungen enthalten. In Bildungskontexten ist Diversitätssensibilität also sowohl strukturell von der Begegnung mit verschiedenen Menschen her notwendig als auch inhaltlich gefordert. Ich habe ein Padlet angelegt, das weiteres Nachdenken anstoßen kann. Auch dort frage ich wiederum nach exegetischen, systematischen und historischen Perspektiven. Das erste Beispiel ist die Erschaffung des Menschen im ersten Schöpfungsbericht in Genesis 1. Möglicherweise sind die Normierungen, die aus diesem Text entwickelt wurden, bereits bekannt. Dazu habe ich zudem eine diversitätssensible Interpretationshilfe gestellt.
Als zweites exegetisches Beispiel habe ich die Erzählung von der (laut Lutherübersetzung) Heilung der „syrophönizischen Frau“ gewählt. In der Einheitsübersetzung heißt der betreffende Abschnitt des Markusevangeliums 7, 24-30: „Der Glaube der heidnischen Frau“. Hier verweigert Jesus zunächst seine Hilfe. Ganz pointiert lässt sich daher fragen: Diskriminiert Jesus die Frau? Welche Normierungen setzt der Text voraus und welche werden aufgebrochen? Dieser Bibeltext lädt besonders dazu ein, über Intersektionalität ins Gespräch zu kommen.
Im Padlet stelle ich noch zwei systematische Beispiele zur Diskussion und einen Versuch für einen historischen Impuls, der sich an der Heiligen Odilia orientiert. Damit verlasse ich mir bekanntes Terrain, da ich mich mit Heiligenviten zugegebenermaßen nicht wirklich auskenne. Aber dennoch scheint mir die Geschichte Aufschluss über mittelalterliche Lebensverhältnisse und Normierungen zu geben.
Die erste systematische Fragestellung lässt sich in den Bereich der Christologie einordnen, also die Lehre von Christus. Anhand einer literarischen Verfremdung der Weihnachtsgeschichte werden gängige Jesusbilder hinterfragt oder implizite Normierungen und Vorstellungen deutlich. Die zweite systematische Fragestellung fußt auf Bibeltexten, die widersprüchlich zueinander stehen. Wie könnten sie miteinander ins Gespräch kommen oder: Wie könnte mit der Verschiedenheit der biblischen Überlieferung umgegangen werden? Ich lade herzlich dazu ein, sich das Padlet mit Ruhe anzuschauen und für eigene schulische oder kirchliche Bildungskontexte weiterzuverwenden!
Machen wir es uns nicht einfach!
Ist Vielfalt ein Thema für die Theologie? Meine Zusammenfassung und mein Fazit lauten: Die Wahrnehmung von etwas als divers deckt auf, welche Normierungen internalisiert – das heißt auch: unbewusst übernommen – worden sind. Die kulturwissenschaftliche Analyse von Diversität ist darum bemüht, die Umstände der Entstehung von Normierungen aufzudecken. Darin, dass Normierungen hinterfragt werden, liegt schon die erste Möglichkeit sie zu überwinden.
Christliche Theologie hat in ihrer Geschichte und von ihrem Anspruch her Normierungen im Angebot. Diese werden oftmals aus der Interpretation von einzelnen Bibelzitaten gewonnen. Eine Analyse der Hintergründe von Normierungen wird mindestens in unserem gesellschaftlichen Kontext zeigen, dass christliche Theologie und die Wirkungsgeschichte der Bibel Normierungen mitgeprägt haben. Dies selbstkritisch zu hinterfragen, sollte meines Erachtens Aufgabe der Theologie sein. Daneben ergeben sich im Kontext von Diversity als organisatorischer Leitlinie praktische Anforderungen an die Vermittlung von christlicher Religion und Theologie im Religionsunterricht und im kirchlichen Handeln.
Passen Theologie und Diversität zusammen? Aus meiner Sicht ist diese Verbindung ein Muss! Weil Diversität theologische Erkenntnisse braucht und Theologie diversitätssensibler werden muss. Das heißt aber nicht, dass alles Friede, Freude, Eierkuchen wird. Der Beziehungsstatus bleibt fürs erste „kompliziert“. Denn es ist schwierig, sich selbstkritisch mit Normierungen zu befassen und die theologischen Gehalte, die zu Normierungen geführt haben, zu ermitteln und auf ihre Validität hin zu befragen.
Es bleibt kompliziert, weil Vereindeutigungen, die für Normierungen nötig sind, immer einfacher sind, als Mehrdeutigkeit zuzulassen. Ein Spektrum ist unübersichtlicher als nur zwei Pole anzunehmen. Es ist auch schwierig, in der Praxis diversitätssensibel zu agieren, statt von einer homogenen Masse mit identischen Fähigkeits- und Kenntnisständen auszugehen. Es ist kompliziert. Machen wir es uns nicht einfach! Wir müssen uns der Aufgaben in Analyse und Vermittlung annehmen.
Im ersten Teil dieses Doppelpacks zu Diversität und Theologie hat Carlotta im Januar 2024 gefragt, was wir unter Diversity und Vielfalt überhaupt verstehen können.
Alle Ausgaben von „Sektion F“ hier in der Eule.
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1 Über Leonhard Hutter hat mein Mann Lars Röser-Israel seine Dissertation verfass: Lars Röser-Israel: „Verteidigung der Wahrheit. Leonhard Hutter (1563–1616)“, (AKG 149), Berlin 2022, 34.