Überraschungen – Die #LaTdH vom 9. Mai
Ein Mönch wird überraschend freigesprochen, die EKD-Synode wählt eine junge Frau zur ihrer neuen Präses und leider gibt es schlechte Nachrichten von der Missbrauchs-Aufarbeitung. Die Kirchen-Woche im Überblick:
Herzlich Willkommen!
Man kann es als Paukenschlag bezeichnen, wenigstens aber als echte Überraschung: Die Wahl der 25-jährigen „Digital Humanities“-Studentin Anna-Nicole Heinrich (@AnnaHeinr) zur neuen Präses der Synode der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD). Ich bin gespannt, was sie in diesem Amt verändern kann und wird, und wünsche ihr schon jetzt Durchsetztungsvermögen und einen langen Atem.
Außerdem hat mich diese Woche ein Urteil des Amtsgerichts Kitzingen aus der vorvergangenen Woche beschäftigt. Der Mönch Abraham Sauer wurde freigesprochen, obwohl er einem abgelehnten Asylbewerber Kirchenasyl gewährt hat. Eine spannende Kirchenwoche voller Überraschungen liegt hinter uns.
Eine gute Woche wünscht
Jacqueline Bohrmann
Debatte
Der Mönch Abraham Sauer ist eigentlich schuldig, trotzdem wurde er freigesprochen. Und dieser Freispruch könnte nach Einschätzung von Experten eine Signalwirkung haben. Aber von vorne.
Bruder Abraham Sauer aus Münsterschwarzach wurde vor dem Amtsgericht Kitzingen angeklagt, weil er einem abgelehnten Asylbewerber Kirchenasyl gewährt hat. Richterin Patricia Finkenberger nahm sich Zeit für diesen Prozess und das, obwohl sie den Strafbefehl des Staatsanwalts einfach hätte unterschreiben können. Stattdessen sprach sie den Benediktinermönch frei.
Urteil mit Signalwirkung – Christian Wölfel (KNA)
Christian Wölfel (@woelfelc) zeichnet die Geschehnisse des Prozesses für die Katholische Nachrichten Agentur (KNA) (@KNA_Redaktion) noch einmal nach und zeigt, auf welche anderen Verfahren das jetzt gefällte Urteil Auswirkungen haben könnte. Das Besondere an dem Freispruch:
Zwar sei der Tatbestand der Beihilfe erfüllt gewesen, ebenso der Vorsatz, und damit gebe es eine Strafbarkeit, sagt Richterin Finkenberger. Doch Bruder Abraham habe sich nicht schuldig gemacht, da er aus Glaubens- und Gewissensfreiheit gehandelt habe. Grundrechte seien nicht nur Abwehrrechte, sondern müssten auch aktives Tun ermöglichen. Dies sei auch im Sinne der Väter des Grundgesetzes. „Dass es an dem aktiven Tun in den Jahren vor dem Entstehen des Grundgesetzes gefehlt hat, das weiß nun wirklich jeder.“
Das Gewissen vor Gericht – Andreas Ruhsert (DIE ZEIT)
Andreas Ruhsert (@ARuhsert) taucht in seinem Artikel für DIE ZEIT etwas tiefer in die Materie ein:
Die Richterin fragt den Mönch, ob er für das gewährte Kirchenasyl ins Gefängnis gehen würde. Dieser entgegnet, er handle, um die Menschenwürde des Einzelnen zu bewahren: „Wenn ich mir überlege, was dem Flüchtling sonst droht, wäre es das wert.“ Das überzeugt die Richterin, sie spricht ihn frei. Ihre Begründung: Die Glaubens- und Gewissensfreiheit sei nicht nur ein „Abwehrrecht“, sondern müsse auch „aktives Tun“ ermöglichen.
Schon seit der Antike diskutierten Menschen darüber, welchen Stellenwert das Gewissen habe. Berechtigt das Gewissen zu formal Verbotenem? Dazu lässt Ruhsert Professor:innen zu Wort kommen, die das Urteil und seine Strahlkraft einschätzen.
„Die Begründung des Urteils ist beachtlich“, sagt auch der Frankfurter Strafrechtsprofessor Matthias Jahn. Die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung leide zwar in dieser Entscheidung. Doch es werde sicher nicht das Ende des Vertrauens ins deutsche Strafrecht sein, wenn das nächsthöhere Gericht über seinen Schatten springe und es bei dem Freispruch bleibe. Dennoch schränkt er ein: Die Rechtslage sei alles andere als klar und lasse Raum für den Einzelfall. Die Höchstgerichte vermieden klare Äußerungen, sagt er.
Trotz der Freude der Unterstützer:innen und der vielen anwesenden Ordensleute, hat die Geschichte noch kein Ende. Schon am nachfolgenden Tag der Urteilsverkündung ließ der Oberstaatsanwalt wissen, dass seine Behörde Rechtsmittel gegen die Entscheidung eingelegt habe. Wir bleiben also dran.
Kirchenasyl-Prozess: Warum Bruder Abraham jetzt auf Unterstützung aus der Politik hofft – Frank Weichhan (Main Post)
In der Main Post beantwortet Bruder Abraham Sauer Fragen von Frank Weichhan zu seinen Erfahrungen und Gefühlen während des Prozesses. Dass er Geschichte geschrieben habe, darauf wollte sich der Benediktinermönch nicht einlassen. Er sei natürlich erleichtert über den Freispruch, vor allem wegen der Begründung mit der Glaubens- und Gewissensfreiheit. Um einem Menschen in Not zu helfen, lohne sich ein hoher Einsatz wie in seinem Fall, so Bruder Abraham im Interview. Er berichtet auch von seiner täglichen Arbeit mit Geflüchteten und gibt seine Einschätzung zur Weiterführung des Prozesses auch nach dem Freispruch.
„Dass dieses Verfahren nicht in der ersten Instanz entschieden wird, war zu erwarten. Kirchenasyl ist sehr komplex. Der damalige Ministerpräsident Horst Seehofer hatte 2017 die Humanität betont, als es um Ermittlungen gegen einen Pfarrer ging und es wurde die Unterstützung der Staatsregierung zugesichert. Daher hoffe ich, dass die Politik sich einschaltet.“
nachgefasst
Synodengänger*innen: Was macht eigentlich das Frauenforum? – Antonia Lelle und Franca Spies (y-nachten.de)
Prof. Dr. Ute Leimgruber ist Theologin und berufenes Mitglied im Forum „Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche“ des Synodalen Weges in der katholischen Kirche. Sie erzählt im Interview mit Antonia Lelle (@le_toens) und Franca Spies (@franca_ynachten) von ihrer Mitarbeit.
Beispielsweise reden wir über die Binarität in der Anthropologie oder fragen uns: Wie gehen wir damit um, dass in der Gesellschaft, in der wir leben, Geschlechtergerechtigkeit angestrebt wird? Wie gehen wir damit um, dass sie nicht mehr heteronormativ funktioniert, sondern dass in ihr Homosexualität selbstverständlich geworden ist? Dass queere und Transmenschen mit uns Kirche sind?
Die Kirche lebt in einer Gesellschaft, die sich auf die Fahnen geschrieben hat, die Diskriminierung zu vermindern. Und gleichzeitig wird im Innen der Kirche nach wie vor Diskriminierung nicht nur gelebt, sondern sogar noch theologisch begründet.
Leimgruber bemerkt in ihrer Arbeit, dass sich die Kommunikation zwischen Bischöfen und Lai:innen verändert hat. Gleichzeitig hätten sich die Fronten zwischen Reformwilligen und Bewahrern verhärtet. Unterstützung und Coaching von Außen würden bei der Arbeit und den Diskussionen aber helfen, sodass Leimgruber zuversichtlich in die Zukunft blickt.
Aktion #liebegewinnt in der Kirche: „Die Homophobie macht mich wütend“ – Jacqueline Dinser (taz)
Jan Korditschke ist Jesuitenpater und wird kommende Woche im Rahmen der Aktion #liebegewinnt Paare in Berlin segnen – auch homosexuelle. Im Interview mit Jacqueline Dinser (@jacquelinexdin) erklärt er, warum er das trotz des Verbots aus Rom macht und die Segnung für wichtig hält.
„Ich bin davon überzeugt, dass weder die homosexuelle Orientierung noch die homosexuelle Liebe eine Sünde ist. Deshalb möchte ich mit dem Segen das Gute feiern. Dazu gehört auch die Liebe von homosexuellen Paaren.“
In Berlin machen bei der Aktion #liebegewinnt nur drei Kirchorte mit und segnen Paare, die danach fragen. Ins Leben gerufen wurde die Aktion „Liebe gewinnt“ von Menschen aus zehn katholischen Gemeinden in ganz Deutschland.
Buntes
Alt-Katholische Kirche in Deutschland: Die Fehlbare – Benjamin Lassiwe (Herder Korrespondenz)
Frauen als Priesterinnen, eine Synode, die die Kirche leitet, und demokratische Entscheidungsfindungen – so arbeitet die Alt-Katholische Kirche (@Altkatholisch). Es gibt sie seit 150 Jahren und trotzdem sucht sie nach und arbeitet noch an ihrer Identität, berichtet Benjamin Lassiwe (@lassiwe) in der Herder Korrespondenz (@HK_aktuell).
In der Alt-Katholischen Kirche suchen ausgetretene Kirchenmitglieder der evangelischen und römisch-katholischen Kirchen eine neue Heimat, genauso treten aber auch Konfessionslose bei.
Nach 150 Jahren der Selbstständigkeit sei es den Alt-Katholiken wichtig, eine eigene Kirche mit einer eigenen Identität zu sein – und nicht nur ein Sammelbecken für Menschen, die anderswo enttäuscht wurden.
Auch bei den Alt-Katholiken stellt man sich im Moment die Frage, wie Gottesdienste gehalten werden sollen, auch sei die Missionierung ein Feld, auf dem noch Nachholbedarf bestünde, sagt der Berliner Dekan Ulf-Martin Schmidt. Weil die Alt-Katholische Kirche nicht so viele Mitglieder hat, arbeiten im Moment auch nur die Priester hauptamtlich.
EKD-Synode 2021-1
Studentin aus Bayern führt EKD-Synode – Annette Zoch (Süddeutsche Zeitung)
Sie ist 25 Jahre alt, studiert „Digital Humanities“ in Regensburg und arbeitet als Hilfskraft am Lehrstuhl für Katholische Theologie: Anna-Nicole Heinrich hat seit gestern außerdem noch einen neuen „Job“. Sie wurde zur Synodenpräses gewählt und leitet damit in Zukunft die Arbeit der EKD-Synode und gehört automatisch auch dem Rat der EKD an, der im Herbst von der Synode neu gewählt wird. Damit hat sie das höchste Ehrenamt der evangelischen Kirchen in Deutschland inne.
„Verdammt mutig“ sei ihre Kirche, eine so junge Frau an ihre Spitze zu wählen, sagt Anna-Nicole Heinrich nach ihrer Wahl. Tatsächlich warten schwierige Zeiten auf sie: Die Kirche kämpft mit Mitgliederschwund, gesellschaftlichem Relevanzverlust und Finanzproblemen. „Ich schaue demütig auf die Aufgaben, die vor mir liegen“, sagt Heinrich.
Erfahrungen in der evangelischen Gremienarbeit konnte Heinrich trotz ihrer jungen Jahre schon reichlich sammeln. Sie ist stellvertretende Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland (aej) und arbeitete beim sogenannten „Z-Team“ mit, dem „Zukunftsteam“ der evangelischen Kirche. Außerdem hat sie den ersten evangelischen „Hackathon“ #glaubengemeinsam mit ins Leben gerufen.
Mein Handy explodiert gleich! Leute, danke für alle Unterstützung in den letzten Tagen! Danke an Fr. Bernshausen für die fairen letzten Tage! Ich freue mich nun auf das was kommen wird! #hoffnungsvoll #integrierend #pragmatisch #kircheistzukunft #ekdsynode
— Anna-Nicole Heinrich (@AnnaHeinr) May 8, 2021
Trotzdem kam die Wahl Heinrichs überraschend. Durchgesetzt hat sie sich gegen die Marburger Grünen-Politikerin und Richterin Nadine Bernshausen (wir berichteten). Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm gratulierte Heinrich herzlich:
„Junge Leute, die machen einfach“, lobt Bedford-Strohm nach der Wahl. „Die riskieren was, und wenn’s schief geht, dann geht’s halt schief und dann probiert man was Neues.“
Bisschen wie ein Zeitdokument inzwischen #Präseswahl #EKDSynode #EKD https://t.co/G6ishmPT3h
— Philipp Greifenstein (@rockToamna) May 8, 2021
Chance für eine Kirche mit Haltung – Tilmann Kleinjung (Tagesschau)
Für Tagesschau.de analysiert Tilmann Kleinjung (@TilmannKk) vom Bayerischen Rundfunk das Ergebnis der Präses-Wahl. Außerdem dabei: Ein erstes Fernsehinterview der neuen Präses:
Die neue Präses der EKD Synode, Anna-Nicole Heinrich, hat bei ihrer Vorstellung beschrieben, wie sie in der evangelischen Kirche heimisch wurde, als Kind einer nicht-christlichen Familie aus der Oberpfalz: Sie hat eine Gemeinde gefunden, die sie als „offen, kommunikativ und super gewinnend“ erlebt hat.
Klingt wie das Erfolgsrezept für die Kirche 2.0. Eine Kirche, die sich nicht einigelt, die nicht in ihren Traditionen erstarrt, die sich nicht abgrenzt, sondern verschiedensten Menschen eine Heimat bietet und diese vernetzt.
Noch nie gehörten so viele junge Menschen der EKD-Synode und der Generalsynode der VELKD sowie Vollversammlung der UEK an. Philipp Greifenstein fasst die Zahlen im Synoden-Blog zusammen:
Der EKD-Synode gehören 25 offiziell junge Menschen an (unter 27). Das sind 19,5 % der Synodalen. Man darf sich das, auch wenn man mit dem Vorlauf vertraut ist, noch einmal auf der Zunge zergehen lassen, denn die EKD ist ja ein gesellschaftspolitisches Dickschiff und die Synode kein Spielplatz, sondern eines ihrer Leitungsorgane. […]
Der 50-köpfigen Generalsynode der VELKD gehören gleich 32 neue Synodale an. Das entspricht einem Anteil von 76 %. Die Generalsynode präsentiert sich also fast generalerneuert. […] 8 der 50 Generalsynodalen hätten „jung“ sein müssen, geworden sind es 13. Das entspricht einem Anteil von 26 %.
Über die Zukunft der EKD hat die neue Präses Anna-Nicole Heinrich bereits im letzten Herbst noch als EKD-Jugenddelegierte und Mitglied im „Z-Team“, anlässlich der EKD-Synode 2020, im Eule-Interview ausführlich gesprochen. Zum Beispiel über die anstehenden Einsparungen:
Es ist sogar sinnvoll, dass an einigen Stellen mal unternehmenslogisch durchzudenken. Denn man hat es bei einigen Sachen in den letzten Jahren einfach verpasst, sie gründlich zu evaluieren. Es geht darum, Zahlen auf den Tisch zu packen und zu gucken, welche Wirkung wir mit den Mitteln erzielen, die wir da reingeben. Wir werden weniger Geld haben, also müssen wir uns darauf fokussieren, was wir gut machen.
Der Synoden-Blog: Die EKD-Synode 2021-1 zum Nachlesen – Philipp Greifenstein (Die Eule)
Alle spannenden Entwicklungen rund um die EKD-Synode hat unser Redakteur Philipp Greifenstein (@rockToamna) im Live-Blog begleitet. Gestern ging es hauptsächlich um die Wahl von Anna-Nicole Heinrich und der restlichen Präsidiumsmitglieder sowie den Bericht des EKD-Ratsvorsitzenden @landesbischof Heinrich Bedford-Strohm. Seit Donnerstag konstituierten sich auch die Generalsynode der VELKD und die Vollkonferenz der UEK. Am Freitagabend ging es um das Thema „Gottesdienst und Corona“.
Doch gibt es aus der Evangelischen Kirche in diesen Tagen nicht nur positive Nachrichten. Wie es ausschaut, scheitert gerade die Betroffenenbeteiligung, die sich die Kirche bei der Aufarbeitung des Missbrauchs vorgenommen hat. Die Hintergründe hat Philipp Greifenstein hier in der Eule aufgeschrieben.
Ein guter Satz
#Bischof Bätzing: Ich bin beeindruckt, dass Sie mit so jungen Jahren eine solche wichtige Verantwortung in der evangelischen Kirche übernehmen. Das halte ich für ein gutes Zeichen, wird es doch vielen jungen Menschen Mut und Ansporn sein, sich zu engagieren. @EKD @AnnaHeinr
— Deutsche Bischofskonferenz – offizieller Account (@dbk_online) May 8, 2021