Verfügungsrecht – Die #LaTdH vom 1. März

Wer hat über Tod und Leben zu bestimmen? Das Bundesverfassungsgericht fordert die Kirchen diskursiv heraus. Außerdem: Erquickungen, Zu-Verzicht und Gnade.

An den vergangenen beiden Tagen war ich in Dresden gut beschäftigt mit der Bischofswahl in der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens (EVLKS). Die Vorstellungen der Kandidat*innen vom Freitag und das Wahlgeschehen am gestrigen Samstag lassen sich im Live-Blog von der Sondertagung der Landessynode nachvollziehen, und sind auch für Nicht-Sachsen relevant. Eine kurze Einordnung des Wahlergebnisses und der Aufgaben, die sich dem neuen Landesbischof Tobias Bilz nun stellen, folgt noch hier in der Eule.

Debatte

Verfügungsrecht über das eigene Leben, Schutzpflicht für ein Leben in Autonomie – Christoph Goos (Verfassungsblog)

Am 26. Februar entschied das Bundesverfassungsgericht, das in § 217 StGB strafbewehrte Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung aufzuheben. Damit ist der Gesetzeskompromiss von 2015 hinfällig. Was das Urteil aus rechtlicher Sicht bedeutet, erläutert im Verfassungsblog der Halberstädter Jurist Christoph Goos.

Mit der Anerkennung des „Rechts auf selbstbestimmtes Sterben“ (Rn. 201) und der „Schutzpflicht für ein Leben in Autonomie“ (Rn. 276) hat der Zweite Senat die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen der Suizidhilfe von Grund auf neu bestimmt. Der Zweite Senat hat § 217 StGB für nichtig erklärt, die berufsrechtlichen Verbote der Suizidhilfe als „in seiner Gültigkeit ungeklärtes Recht“ angezählt (Rn. 296) und angedeutet, dass „Anpassungen“ im Arzneimittel- und Betäubungsmittelrecht notwendig sein werden (Rn. 341 f.). Dass dieses Urteil grundlegende Bedeutung hat und weitreichende Folgen haben wird, ist offenkundig.

Naturgemäß haben sich auch viele Kirchen und einzelne Christ*innen teils schockiert, teils zufrieden mit dem Urteil geäußert. Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) versendeten eine gemeinsame Erklärung. Darin u.a.:

Dieses Urteil stellt einen Einschnitt in unsere auf Bejahung und Förderung des Lebens ausgerichtete Kultur dar. Wir befürchten, dass die Zulassung organisierter Angebote der Selbsttötung alte oder kranke Menschen auf subtile Weise unter Druck setzen kann, von derartigen Angeboten Gebrauch zu machen. […] Die Würde und der Wert eines Menschen dürfen sich nicht nach seiner Leistungsfähigkeit, seinem Nutzen für andere, seiner Gesundheit oder seinem Alter bemessen. Sie sind – davon sind wir überzeugt – Ausdruck davon, dass Gott den Menschen nach seinem Bild geschaffen hat und ihn bejaht und dass der Mensch sein Leben vor Gott verantwortet.

Die Verantwortung vor Gott begründet für viele Christ*innen, und für die theologischen Kammern und Räte sowieso, eine Beschränkung des Verfügungsrechts der Einzelnen über ihr Leben, wie es das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil betont. Beim Landesbischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM), Friedrich Kramer, klingt das dann so:

„Nach unserem christlichen Verständnis ist das Leben ein unverfügbares Gut, das uns nicht wirklich gehört.“

Also mein christliches Verständnis ist das nicht. Bei Kramer wird das Leben nicht allein zu einem der Kontingenzen des Lebens wegen nie vollständig verfügbaren, deshalb unverfügbaren Gut, sondern zu etwas, das „uns nicht wirklich gehört“. Ich wiederhole das, weil man sich diese Argumentation auf der Zunge zergehen lassen muss.

Mit ihr gerät die Rede vom „Leben als Geschenk Gottes“ endgültig in die Krise: Dreh- und Angelpunkt der christlichen Rede von der Würde des Menschen und vom Wert des Lebens ist die Geschöpflichkeit. Gott aber hat die Menschen als freie Geschöpfe erschaffen. Sie sind bei der Verwirklichung ihrer Gottesebenbildlichkeit darauf angewiesen, die ihnen mit auf den Weg gegebene Freiheit zu leben. Sie tragen wirklich die Verantwortung (vor Gott).

Wie hältst Du es mit dem Sterben? – Philipp Greifenstein (theologiestudierende.de)

Das ist nur ein Gedanke aus einem Aufsatz Friedrich Wilhelm Grafs in der Zeitschrift Merkur, den ich 2015 für theologiestudierende.de aufgenommen habe. Grafs Aufsatz steht auf der Website der Zeitschrift zum kostengünstigen Download (2 €) zur Verfügung und ist auch heute lesenswert, da das kirchliche Narrativ des Lebens als „Geschenk von Gott“ brüchig wird. Die Grundzüge seines Nachdenkens habe ich versucht nachzuvollziehen:

Konsequent zu Ende gedacht, bedeutet das nichts anderes, als dass der selbstgewählte Tod nur die letzte und konsequente Ausübung der von Gott gestifteten menschlichen Freiheit sei. Mit Michael Frieß, seinem ehemaligen Assistenten, kann Graf vom Suizid als der „letzten irdischen Glaubenstat eines Christen“ sprechen. „Wer sein Leben in Gottes Hand zurückgibt, bekundet auf diese Weise elementares Gottvertrauen.“

Das sind steile Thesen, über die weiter nachzudenken wäre. Sie erscheinen mir aber als notwendiges Korrektiv einer Debatte, die durch Kirchenmitteilungen geprägt wird, die in alarmiertem Ton erstaunlich eintönig sind und auf die Freiheit des Christenmenschen angesprochen, die doch sonst gefeiert wird, einsilbig.

In Grafs/Frieß‘ Sätzen hallt jedenfalls etwas von den Formulierungen des aktuellen Urteils vor, in dem es heißt:

„Die Menschenwürde, die dem Einzelnen ein Leben in Autonomie gewährleistet, steht der Entscheidung des zur freien Selbstbestimmung und Eigenverantwortung fähigen Menschen, sich zu töten, nicht entgegen. Die selbstbestimmte Verfügung über das eigene Leben ist vielmehr unmittelbarer Ausdruck der der Menschenwürde innewohnenden Idee autonomer Persönlichkeitsentfaltung; sie ist, wenngleich letzter, Ausdruck von Würde. […]

Er gibt sein Leben als Person selbstbestimmt und nach eigener Zielsetzung auf. Die Würde des Menschen ist folglich nicht Grenze der Selbstbestimmung der Person, sondern ihr Grund: Der Mensch bleibt nur dann als selbstverantwortliche Persönlichkeit, als Subjekt anerkannt, sein Wert- und Achtungsanspruch nur dann gewahrt, wenn er über seine Existenz nach eigenen, selbstgesetzten Maßstäben bestimmen kann.“

Warten lohnt sich – Reinhard Mawick (zeitzeichen)

Aus binnenkirchlicher Sicht kommentiert Reinhard Mawick (@MawickReinhard) in den zeitzeichen Ergebnis und Entstehung der DBK/EKD-Stellungnahme zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts:

Auf jeden Fall war der kirchlichen Mitteilung nicht abzuspüren, dass die Verantwortlichen die sehr dezidierte und reichhaltige Begründung des BVerfG vor Abfassung der Pressemitteilung zur Kenntnis genommen und in ihre Bewertung aufgenommen hat. Die Lektüre derselben ist ausdrücklich zu empfehlen. Man könnte vielen der dort aufgestellten Sätze aus kirchlicher Warte durchaus widersprechen, […]. Aber man müsste ihnen begründet widersprechen und nicht mit einer allgemeinen Ablehnung, die vor der Urteilbegründung niedergelegt wurde und die insofern die Ausführungen des Gerichtes nicht würdigt.

In diesen Ausführungen des Gerichts wird deutlich gemacht, dass der Staat durchaus die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung reglementieren könne. Und vor allen Dingen der allerletzte Satz der Urteilsbegründung verdient es gewürdigt zu werden, auch wenn er natürlich eine Selbstverständlichkeit darstellt, nämlich dass es „eine Verpflichtung zur Suizidhilfe nicht geben darf.“ Es ist schade, dass die beiden großen Kirchen, wenn sie sich schon gemeinsam äußern, im Oberflächlichen und längst Bekannten verbleiben und dabei sehr vom katholischen Naturrechtsdenken geprägt scheinen.

Über die Sterbehilfe werden wir gesamtgesellschaftlich immer weiter und wieder diskutieren – dieses Thema wird uns zu unseren Lebzeiten nicht loslassen. Nun schaut es so aus, als ob sich der Bundestag auch im 3. Jahrzehnt des Jahrhunderts mit dem Thema befassen wird. Das kann der Dynamik der Debatte nur gut tun. In diese sollten sich die Kirchen weiter einbringen: Aber bitte differenzierter und ohne floskelhafte Antworten, die der Freiheit und Komplexität christlichen Glaubens in unserer Zeit nicht mehr angemessen sind.

nachgefasst

Der Letzte macht die Kerze aus – Merle Schmalenbachen (Christ & Welt)

Merle Schmalenbach (@schmbm) hat für die Christ & Welt viele Menschen rund um die Evangelische Journalistenschule (ejs) gesprochen, vor allem den aktuellen Jahrgang, der von der Schließung bedrohten Schule in Berlin (wir berichteten). Am Freitag protestierten ejs-Retter*innen in Berlin und Hannover, während sich am letzteren Ort der Rat der EKD zu seinen Beratungen traf.

Antisemitismus (Evangelische Aspekte)

Die erste Ausgabe des Jahres der Zeitschrift der Evangelischen Akademikerschaft beschäftigt sich mit dem Schwerpunktthema Antisemitismus. Dabei sind mit Michael Blume, Verena Haug, Juna Grossmann (@IrgendwieJuna) und weiteren Autor*innen zahlreiche Expert*innen für das Thema. Sehr lesenswert!

Außerdem im Heft: Ein „Zwischen Gurkentruppe und Schwarzbrot-Frömmigkeit“ überschriebener Beitrag von Sabrina Hoppe (@Sabrinella_Hope) zur aktuellen Gestalt des Protestantismus:

Ich wünsche mir Protestantinnen, die in der Brigitte zur Debatte um den Bluttest bei Trisomie 21 Stellung nehmen, Journalisten, die mit Kirchenvorstehern über ihren Glauben und ihr Engagement für den Klimaschutz sprechen und Pfarrerinnen an Mittelschulen, die es schaffen, verständlich, konkret und authentisch von ihrem Glauben zu erzählen. […] Ich wünsche mir einen pluralen, sichtbaren und verständlichen Protestantismus, der mit noch viel weniger Fremdwörtern auskommt als ich in diesem Text, um zu formulieren, was es bedeutet, evangelisch zu sein.

Buntes

Eine unselige Verquickung – Arnd Henze (zeitzeichen)

Nicht mit jeder seiner kirchenpolitischen Interventionen hat der Journalist Arnd Henze (@arndhenze) in den letzten Wochen ein glückliches Händchen bewiesen. Sein Aufsatz über die autoritäre Versuchung des Protestantismus ist gleichwohl sehr lesenswert, weil er auf einem greifbaren Niveau die Problemlage zusammenfasst. Seinen Ausgang nimmt Henze beim bildungsbürgerlichem Furor um Thilo Sarazzins „Deutschland schafft sich ab“, der dem geneigten zeitzeichen-Leser bestimmt erinnerlich ist.

Soweit ich weiß, hat meine Mutter das Buch nur in Auszügen gelesen. Aber „Deutschland schafft sich ab“ lag unter hunderttausenden Weihnachtsbäumen. In wenigen Monaten erreichte das Buch eine Auflage von 1,5 Millionen. Ein solcher Erfolg braucht eine Zielgruppe, und er braucht einen Resonanzraum. Und beides hatte Sarrazin. Zielgruppe war die bildungsbürgerliche Mitte der Gesellschaft. Den Resonanzraum bildete ein latenter Rassismus, der durch ihn im öffentlichen Raum wieder hoffähig wurde.

Erneuter Paukenschlag (KNA, domradio.de)

Nach dem Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Erzbischof Reinhard Kardinal Marx, verabschiedet sich deren langjähriger Sekretär Pater Hans Langendörfer. Langendörfer ist im Rentenalter, weshalb man den „Paukenschlag“ nicht so richtig nachvollziehen kann, der sich mit der Rückzugsankündigung laut KNA verbindet. Der Mann tritt schlicht nicht noch einmal an.

Statt ihm sollte auf diesen Leitungsposten nun am besten eine Frau rücken, meint u.a. Matthias Altmann auf katholisch.de. Es sind schon harte Tage für die reaktionäre Katholiken-Blase. Sie kommen aus dem Zeter und Mordio Schreien gar nicht mehr raus.

Trauung für alle? – Franziska Hein (epd, evangelisch.de)

Franziska Hein (@franzi_hein) hat u.a. bei evangelisch.de aufgeschrieben, warum zunehmend weniger gleichgeschlechtliche Paare vor den Traualtar treten.

Dass nur wenige Paare den Schritt vor den Traualter machen, hat laut Pfarrer Ploch drei Gründe: Als erstes nennt er die zunehmende Säkularisierung, von der auch Schwule und Lesben betroffen seien. Die Zahl kirchlicher Trauungen habe in den vergangenen Jahren abgenommen. Zum zweiten hätten viele Schwule und Lesben schlechte Erfahrungen mit der Kirche gemacht. Sie seien in der Vergangenheit ausgegrenzt und diskriminiert worden. Und drittens gebe es unter der älteren Generation von Schwulen und Lesben auch eine Ablehnung „heteronormativer Ideale“ wie der Ehe.

Ich freue mich ja über jedes Paar, das Partner*innenschaft und Liebe unter den Segen Gottes stellt. Auch wenn das seltener wird. Was hilft, ist sicher, dass die Kirche liebeswütigen Paaren mit einem menschlichem Antlitz begegnet. So hat es Gott gemacht. Die seelsorglichen Gräben lassen sich sicher nicht durch ein entschlacktes und service-orientiertes Kasualmanagement überbrücken. Wärme entsteht auch durch Reibung mit Formen und einer Institution.

Predigt

Richtig, die Passionszeit hat begonnen: Die Welt ist voller Fastenbriefe und Fastenaktionen und #7Wochenohne-Plänen. Thema der evangelischen Aktion ist dieses Jahr „Zuversicht. Sieben Wochen ohne Pessimismus“. So sind sie, meine Evangelen! Selbst den Verzicht kriegen wir nicht hin, ohne noch etwas hinzu zu geben. Nun denn: Lassen wir uns beschenken! Auch mit der Gewissheit, auf manches verzichten zu können!

Ein guter Satz

„Gnade ist besser als Bonuspunkte!“

– Fastenmotto, bei @liedhaft aufgeschnappt