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Verschärftes Unrecht – Die #LaTdH vom 21. Mai

Der Flüchtlingsschutz in Europa wird weiter ausgehöhlt, die Bundesregierung wirkt daran kräftig mit. Wie positionieren sich die Kirchen? Außerdem: Meineid-Skandal um Woelki und weitere Wimmelbilder.

Herzlich Willkommen!

Zum Retten und nicht zum Wegwerfen von Ritualen und Traditionen hat Daniela Albert (@dalbert79) in ihrer Eule-Kolumne „Gotteskind und Satansbraten“ zu Beginn der Woche aufgerufen:

Der Wegfall von alten Traditionen kann Menschen unfassbar erleichtern, gerade dann, wenn diese Traditionen für sie nur noch aus dem sprichwörtlichen Bewahren der Asche bestanden haben, während das Feuer längst erloschen ist. […] Rituale und Traditionen müssen bunter und inklusiver werden. Sie sollten ein Geländer zum Langhangeln sein, auf einem Gelände, das wir oft nicht gut überblicken können, und keine Fußfessel.

Angeknüpft hat Daniela natürlich an der Diskussion um den Muttertag, aber in ihrem Artikel mit dem Sterben und Trauern ein Feld identifiziert, auf dem ein Vakuum nach dem Wegfall von traditionellen Traditionen noch schmerzlicher ist. Am Donnerstag stand nun also Christi Himmelfahrt auf dem Programm. Ein gesetzlicher Feiertag, den nur noch wenige Menschen sinngemäß begehen. Benjamin Lassiwe (@lassiwe) mahnt daher im Weser-Kurier eine Neuentdeckung an:

[…] selbst in der volkstümlichen Bedeutung des Vatertags gäbe es genügend Möglichkeiten, den freien Tag mit einigen Denkanstößen zu versehen: zum Beispiel, indem grundsätzlich über das Thema „Heute Vater sein“ nachgedacht wird. Wie ist das eigentlich mit Erziehungszeiten und der Rollenverteilung zwischen Mann und Frau oder auch Mann und Mann? Welche Bedeutung haben Väter heute, wo muss gesellschaftlich auch etwas nachgeschärft werden? […] Es ist höchste Zeit, den Himmelfahrtstag inhaltlich neu zu profilieren.

Doch es geht bei gesetzlichen Feiertagen nicht allein um missionarische Chancen und Stilfragen, sondern auch um Gerechtigkeit in einer pluralen Gesellschaft. Warum gibt es nicht einen einzigen gesetzlichen Feiertag aus jüdischer oder muslimischer Tradition? Das muslimische Fest des Fastenbrechens, auch Eid al-Fitr oder Zuckerfest genannt, böte sich an. Zumindest für Bundesländer mit einer großen muslimischen Minderheit wäre das doch was, oder?

Nehmen wir einmal an, dass – analog zum Weihnachtschristentum – alle Menschen mit muslimischen Wurzeln – gläubig oder nicht – mitmachen würden, dann feierten wohl ungefähr 4 Millionen Menschen. Da traditionell in Familie gefeiert wird, wäre es schön und ein Zeichen hervorragender Integration, wenn jede muslimische Familie noch eine Familie der Mehrheitsgesellschaft dazu bittet: Dann wären wir bei vielleicht 7 Millionen Menschen. Das sind nicht mal 10 % der Bevölkerung, was auch bedeutet: 90 % könnten weiter so frei machen, wie sie das auch an Christi Himmelfahrt, Pfingstmontag oder dem Reformationstag halten.

Eine gute Woche wünscht
Philipp Greifenstein

Debatte

Die New York Times berichtet (€) mit Videoaufnahmen des österreichischen Flüchtlingshelfers Fayad Mulla wie Asylsuchende von griechischen Inseln auf Life-Boats in die Türkei zurückgetrieben werden. Dabei handelt es sich um Rechtsverstöße, vermutlich durch griechische Polizeikräfte. Die Videoaufnahmen beweisen eine in manchen Fällen tödliche „Rückführungs“-Praxis, die von Flüchtlingsorganisationen seit Jahren kritisiert wird.

Derweil arbeitet auch die Bundesregierung an einer Verschärfung der europäischen Flüchtlings- und Migrationspolitik.

Wie Flüchtlinge auf Lesbos entführt und im Meer ausgesetzt werden – Irene Brickner (Der Standard)

Für den österreichischen Standard fasst Irene Brickner (@IreneBrickner) die Fakten aus Video und NY-Times-Bericht zusammen und hat auch Kontakt mit Fayad Mulla aufgenommen. Die Vorgänge lassen sich so recht eindrücklich nachvollziehen.

„Was hier dokumentiert wurde, sind Verbrechen“, sagt Mulla. Die Aufdeckungen müssten Folgen haben. In Griechenland stelle sich die Frage, wer den Auftrag zu den Entführungen gegeben habe und sie finanziere. Die EU müsse ihre Unterstützung der griechischen Asylpolitik überdenken.

Über illegale „Pushbacks“ klagen Seenotrettungs- und Flüchtlingshilfeorganisationen seit Jahren. Offenbar hat es seit der Corona-Pandemie eine Verschärfung gegeben. Wegen der Vertuschung von „Pushbacks“ musste im vergangenen Jahr der Chef der EU-Grenzschutzagentur Frontex, Fabrice Leggeri, zurücktreten. An den Rechtsbeugungen und Verbrechen an den europäischen Außengrenzen in Griechenland, aber auch auf dem Mittelmeer und an der polnisch-belarussischen Grenze hat das wenig geändert.

Schwenk nach rechts – Frederik Eikmanns (taz)

Bereits in der Vorwoche hatte sich die Bundesregierung mit den Ländern auf einem „Flüchtlingsgipfel“ nicht nur auf zusätzliche Bundesmittel für die Unterbringung von Geflüchteten geeinigt, sondern auch auf schnellere Abschiebungen. In seinem Kommentar für die taz kritisiert Frederik Eikmanns (@eikmanns) vor allem die Grünen, die an diesem faulen Kompromiss mitwirken, aber so schnell wie er sollte man die SPD und FDP nicht vom Haken lassen. Was ist aus Solidarität und Rechtsstaatlichkeit als sozial-liberalen Prinzipien wieder einmal geworden?

Wird umgesetzt, worauf sich Bund und Länder beim Flüchtlingsgipfel am Mittwoch geeinigt haben, dann vollzieht die Ampelkoalition einen drastischen Schwenk nach rechts. […] Menschenrechtsorganisationen fürchten deshalb eine dramatische Verschlechterung der Lage der Geflüchteten. Länder wie Griechenland könnten sich außerdem weiter zu illegalen Pushbacks ermutigt fühlen. Die Grünen hatten sich deswegen in der Vergangenheit vehement gegen solche Pläne gewehrt. Jetzt haben die grünen Mi­nis­te­r*in­nen aber wohl ihre Zustimmung Innenministerin Nancy Faeser signalisiert, die die Pläne der EU-Kommission im Grundsatz unterstützt.

Neben einigen wenigen Verbesserungen bei der Einwanderungsgesetzgebung, die von FDP-Politiker:innen wie dem Bundesminister der Justiz Marco Buschmann sogleich mittels rechter Rhetorik vereindeutigend ausgelegt werden, steht eine massive Verschlechterung der Situation von Migrant:innen und Flüchtlingen an den EU-Außengrenzen zu befürchten, an der die „Zukunftskoalition“ kräftig mitarbeiten will. Das alles vollzieht sich in einer deutschen Debattenlage, die klebrige Aktivist:innen und Staatssekretäraffären offenbar spannender findet.

Keine Kompromisse auf Kosten des Flüchtlingsschutzes (Diakonie et al.)

In diese heiße Phase der europäischen Meinungsbildung hinein formulieren über 50 Organisationen – Hilfswerke, Wohlfahrtsverbände, NGOs und Kirchen – Forderungen an die Bundesregierung, um den Flüchtlingsschutz zu gewährleisten und zu verbessern. Unter den unterzeichnenden Verbänden des Appells befinden u.a. sich Brot für die Welt, misereor, Pax Christi, die Diakonie Deutschland, die Caritas, einige wenige evangelische Landeskirchen, #United4Rescue. Sie schreiben u.a.:

Durch die beabsichtigte Zustimmung der Regierung zu verpflichtenden Grenzverfahren ist zu erwarten, dass Standards bei der Prüfung von Schutzgesuchen in der EU so stark abgesenkt werden, dass keine fairen Verfahren mehr zu erwarten sind – zumal diese in Kombination mit der Anwendung des Konzepts der “Fiktion der Nicht-Einreise“ absehbar unter Haft oder haftähnlichen Bedingungen erfolgen werden. Unterstützt die Ampel-Koalition die Absenkung der Anforderungen an sogenannte „sichere Drittstaaten”, bricht sie ihr Versprechen, jedes Asylgesuch inhaltlich zu prüfen. Asylanträge könnten so pauschal als unzulässig abgelehnt und Schutzsuchende ohne inhaltliche Prüfung ihres Schutzbegehrens in einen Drittstaat abgeschoben werden.

Das bedeutet einen Rückzug aus dem Flüchtlingsschutz in der Europäischen Union, vergleichbar mit dem deutschen Asylkompromiss vor dreißig Jahren.

Gemeinsam fordern die Organisationen eine Absage an verpflichtende Grenzverfahren an den EU-Außengrenzen und einen Verzicht auf Absenkung der Anforderungen an “sichere Drittstaaten” sowie die Aufgabe des Dublin-Systems. Forderungen, die seit vielen Jahren Konsens in der europäischen Ökumene sind.

Auch deshalb darf man gespannt sein, wie auf dem kommenden Deutschen Evangelischen Kirchentag (DEKT, @kirchentag_de) vom 7. bis 11. Juni in Nürnberg diskutiert wird. Kann vom Kirchentag erneut ein Zeichen für eine Flüchtlings- und Migrationspolitik mit menschlichem Antlitz ausgehen? Am 8. Juni findet ein entscheidendes Treffen der EU-Innenminister:innen statt.

EHRENSACHE (7): Gemeinsam retten: Punkt! – Sandra Bils bei Host Lisa Menzel (EHRENSACHE, Die Eule)

Die große Politik verlangt das Engagement vieler Menschen, damit sie nicht in die Irre geht. Von diesem demokratischen Geist ist die Kirchentagsbewegung getragen. Das wohl bekannteste Beispiel eines christlich-demokratischen Engagements aus der jüngeren Vergangenheit, das vom Kirchentag ausgehend einen Unterschied gemacht hat, ist #United4Rescue. Der Verein hat sich im Nachgang einer auf dem Kirchentag in Dortmund 2019 verabschiedeten Resolution gegründet und unterstützt Seenotretter:innen auf dem Mittelmeer. In Erinnerung ist auch der Satz „Man lässt keine Menschen ertrinken! Punkt!“ von Pastorin Sandra Bils während der Abschlusspredigt des Dortmunder Kirchentages.

Im Eule-Podcast „EHRENSACHE“ erzählt Sandra Bils (@PastorSandy) von ihrem Engagement, von Widerständen und Freuden ihres Ehrenamts bei #United4Rescue. Und sie beschreibt eine Kirche, die sich nicht selbst genug ist, sondern deren Glauben in der Hilfe für Andere konkret wird. Hörenswert!

nachgefasst

Woelki

In einem gepfefferten Kommentar nimmt sich Jochen Hilgers (@JochenHilgers) vom WDR Kardinal Woelki zur Brust. Er fasst in knapp 3 Minuten zusammen, was in Sachen Meineid-Skandal der Sachstand ist – und entzieht Woelki jede Würdigung, die sonst mit dem Amt eines Kölner Erzbischofs einher geht. Auch der Kölner Medien- und Wirtschaftsrechtler Elmar Schuhmacher kritisiert im Kölner Stadtanzeiger (Zusammenfassung bei katholisch.de) Woelkis Aussagen. Und auch die FDP-Spitzenkandidatin für die Europa-Wahl, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (@MAStrackZi), schließt sich dem Reigen der Kritiker:innen Woelkis an. Sie fordert vor allem von der Bischofskonferenz und Woelkis Amtsbrüdern klare Distanzierungen.

Sachstand ist aber eben auch: Woelkis Laissez-faire beim Aktenstudium ist seit jeher bekannt. Darum wussten auch jene, die ihn zunächst ins Erzbistum Berlin und dann zurück an den Rhein holten. Es geht also nicht nur um das Versagen eines Einzelnen, wie es im Vatikan so gerne beklagt wird, sondern um systemische Missstände bei der Kirchenregierung. Und die Bischofskonferenz in Gestalt ihres Vorsitzenden Georg Bätzing (Limburg) hat sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten bereits deutlich geäußert (s. „Mein Bruder, der Feind“ von Georg Löwisch (@georgloewisch) vom 15. November und die #LaTdH vom 20. November 2022).

Der Ball liegt in Rom bei Franziskus, der Woelki bisher nicht entlassen wollte. In dieser Hinsicht hat Jochen Hilgers in seinem Kommentar also doppelt Recht: Woelkis Verbleib im Amt ist nicht allein eine Prüfung für die Katholik:innen in seinem Erzbistum, sondern auch für Papst Franziskus.

Wie Gott uns schuf – Nach dem Coming Out (rbb, ARD-Mediathek)

Wie ist es den gut einhundert Menschen ergangen, die sich im vergangenen Jahr im Rahmen der Aktion #OutInChurch und in der Doku „Wie Gott uns schuf“ (Eule-Rezension hier) outeten? Hat sich ihre Situation verbessert oder sind sie weiter Diskriminierungen und Benachteiligungen ausgesetzt? Diesen Fragen geht die Filmcrew um Hajo Seppelt (@hajoseppelt) in einem weiteren Film nach. „Wie Gott uns schuf – Coming Out in der katholischen Kirche“ wurde im April als „Geschichte des Jahres“ mit dem „Stern-Preis“ ausgezeichnet (s. #LaTdH vom 30. April).

Buntes

Brandenburger Dom will „Judensau“-Plastik verhüllen (epd, evangelisch.de)

Die antijüdische Schmähplastik im Kreuzgang des evangelischen Doms zu Brandenburg an der Havel bleibt an ihrem historischen Ort. Das Relief werde jedoch künftig verhüllt, gaben das Domstift und die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (@ekbo_de) bekannt. Mit seiner Entscheidung sei das Domstift der einstimmigen Empfehlung einer Expertengruppe gefolgt. In rund zwei Metern Höhe an einer Säule im Kirchenschiff befindet sich eine sog. „Judensau“.

Sind Frauen mitgemeint? Gender-Diskussion um katholische Verbände – Steffen Zimmermann (katholisch.de)

Steffen Zimmermann geht auf katholisch.de der Frage nach, ob und wie katholische Verbände ihre Namen in eine geschlechtergerechte Fassung ändern wollen. Es geht um den Katholikentag, das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) und auch um die Gesellschaft Katholischer Publizisten (GKP, @GKPde), die pünktlich zum 75. Jubiläum ihrer Gründung auch im Namen Publizistinnen umfassen will. Andere Verbände haben auf die Nachfrage des Nachrichtenportals der katholischen Kirche in Deutschland noch nicht einmal reagiert.

Petition: Gleiches Recht (ver.di)

Die Gewerkschaft ver.di hat eine Petition an Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD, evangelisch, Präsidium des Evangelischen Kirchentages) gestartet, um auf die Sonderrechte der Kirchen und ihrer Wohlfahrtsverbände beim Arbeitsrecht hinzuweisen, die abgeschafft gehörten.

Kritisiert wird unter anderem, dass eine Kündigung nach Kirchenaustritt zulässig ist und in kirchlichen Einrichtungen nicht dieselbe betriebliche Mitbestimmung gilt. Es sei höchste Zeit, „diese veralteten Kirchenprivilegien abzuschaffen“, …

… berichtet Felix Neumann (@fxneumann) auf katholisch.de. Die Ampelkoalition hatte sich vorgenommen, „gemeinsam mit den Kirchen eine Angleichung des kirchlichen an das staatliche Arbeitsrecht zu überprüfen“. Das Arbeitsministerium wollte dazu bereits längst tätig werden. Doch: „Konkrete Schritte dazu sind noch nicht bekannt.“

Wimmelbild macht Thema Trauer für Kinder greifbar (Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg, Nordkirche)

Ein wirklich schönes Wimmelbild für die Schaukästen an Friedhöfen, aber auch die Arbeit in Kindergruppen gibt es in der Nordkirche (@nordkirche_de) zu bestaunen. Die Illustration stammt von der Künstlerin Anna Karina Birkenstock, lizensiert und produziert wurde das Poster vom Verein zur Förderung des Friedhofswesens in der Nordkirche. Auf dessen Website allerdings findet sich kein Hinweis darauf, wo man das Plakat bestellen kann – die letzte „aktuelle“ Nachricht stammt von 2018. Interessent:innen versuchen es vielleicht besser gleich über die Website der Künstlerin.

Ein guter Satz

„Tatsächlich verlangt Jesus ein äußerst waches Bewusstsein und eine äußerste Wahrnehmungsfähigkeit für andere Menschen, ein neues Sehen des anderen, das seine Ängst und seine Hoffnungen erkennt […].“

– Dorothee Sölle, „Phantasie und Gehorsam. Überlegungen zu einer zukünftigen christlichen Ethik“