Reform des Theologiestudiums

Vier Thesen aus dem Mittelbau

Vor welchen Herausforderungen stehen junge Wissenschaftler:innen angesichts der Debatten zum Theologiestudium? Vier Thesen zu einer Reform der universitären Theologie aus Perspektive des wissenschaftlichen Nachwuchses.

Junge Wissenschaftler:innen an deutschen Hochschulen sehen sich heute vielen Herausforderungen gegenüber gestellt. Dazu zählen insbesondere die durch die Vorgaben des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) klar begrenzte Zeitspanne der Qualifizierung, die Druck und Unsicherheit erzeugt, sowie die hierarchischen, für Machtmissbrauch anfälligen Strukturen des deutschen Wissenschaftssystems. Angesichts der politischen Verhältnisse ist derzeit unklar, in welche Richtung Novellierungen des WissZeitVG sich entwickeln könnten.

Junge Theolog:innen an Universitäten und Hochschulen im deutschsprachigen Raum stehen außerdem vor Problemen, die der Krise der Theologie geschuldet sind. Immer weniger junge Menschen entscheiden sich für ein theologisches Studienfach. Fakultäten, Institute und Hochschulen sind bereits heute aufgrund des Mangels von Studierenden in ihrer Existenz bedroht.

Unter dem Eindruck der Krisen von Universität und Theologie wird gegenwärtig an einer Reform des Theologiestudiums gearbeitet. In die Reformdebatte möchten wir vier Thesen aus der Perspektive von jungen Theolog:innen und von wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen (dem so genannten Mittelbau) einbringen.

These 1 – Unsichere Zukunftsperspektive

Die aktuellen Umbrüche in Kirche und Gesellschaft, inklusive der unklaren Perspektive des Theologiestudiums in Deutschland, machen die akademische Karriere aktuell (noch) unsicherer, so dass insbesondere Menschen mit Care-Arbeit, fehlender finanzieller Absicherung und internationalem Hintergrund aus der Wissenschaft ausscheiden.

Durch die allgemeine Umbruchslage in Kirche und Gesellschaft und insbesondere die unklare Perspektive des Theologiestudiums und der theologischen Fakultäten und Institute entstehen für die, die am Anfang einer akademischen Karriere in der Theologie stehen, aktuell durchaus Existenzängste. Manch eine:r sieht das Ende des bisherigen staatlichen Ausbildungssystems von Pfarrer:innen nahe, andere setzen auf behördliche Beharrlichkeit.

Klar ist, dass die sinkenden Theologiestudierendenzahlen in universitären Kürzungsrunden die Mittelbau-Ausstattung bereits kurzfristig betreffen können, weil wissenschaftliche Mitarbeiter:innen im Regelfall befristete Stellen haben.

Nach unserem Eindruck wählten vor einigen Jahren noch viele Studierende den Weg zur Promotion, um zumindest übergangsweise dem Pfarrberuf mit seinen subjektiv empfundenen Belastungen zu entkommen. Heute entscheiden sich hingegen wieder viele Studierende auch mit einer Promotionsperspektive für das Vikariat statt für ein Promotionsstudium, da sie die Möglichkeit einer akademischen Karriere als gänzlich aussichtslos einschätzen. („Wird es überhaupt noch Theologische Fakultäten geben, wenn ich einmal soweit bin…“).

Die fehlende Zukunftsperspektive verstärkt die bereits seit Jahren bekannte Dynamik, dass insbesondere Menschen mit Care-Arbeit, fehlender finanzieller Absicherung und internationalem Hintergrund aus der Wissenschaft ausscheiden. Gerade von unseren internationalen Kolleg:innen erfahren wir zudem immer wieder, dass es schwer für sie ist, in die Strukturen deutscher Theologie einzusteigen. Dies liegt nicht zuletzt am klar hierarchisch aufgebauten deutschen Hochschulsystem, das Dauerstellen in der Forschung unterhalb der Professur eigentlich nicht kennt. In der Theologie wird diese Schwierigkeit noch durch Konfessionsklauseln verschärft.

These 2 – Verhältnis von akademischer Theologie und Praxis

Grundsätzliche Fragen zur Zukunftsperspektive der akademischen Theologie sowie des Verhältnisses von theologischer Wissenschaft und kirchlicher bzw. religionspädagogischer Praxis stellen sich (auch) Mittelbauler:innen konkret als biografische Anfragen.

Die oben genannten Dynamiken wirken essentiell auf die Frage der biografischen Entscheidungen von heutigen Mittelbauler:innen ein. Es erscheint dazu zunehmend unklar, ob die Qualifikation in einer Kirchengemeinde oder an einer Schule auch im akademischen Kontext wertgeschätzt wird oder sich als Nachteil erweist. Wir beobachten , dass in der Generation unserer akademischen Lehrer:innen ein Vikariat oder (seltener) ein Referendariat fester Bestandteil der Biografien ist und sich dies aktuell ändert. Könnte sich im Wettbewerb um die wenigen verbleibenden Stellen die dafür aufgewandte (Lebens-)Zeit später als quasi vergeblich erweisen? Und besteht nach einer praktischen Ausbildungsphase überhaupt die Möglichkeit, praxiserfahrener an die Universität zurückzukehren?

In der Interessenvertretung des Wissenschaftlichen Mittelbaus an ev.-theol. Fakultäten und Instituten für ev. Theologie (IVWM) beschäftigt uns schon lange die Frage nach dem Zusammenspiel verschiedener Ausbildungspfade und nach Übergängen zwischen verschiedenen Wirkungsbereichen. Gerade im Mittelbau werden die Fragen des Verhältnisses von Theologie und Kirche bzw. Schule akut, weil sie direkt Lebensvollzüge und -pläne betreffen.

These 3 – Mittelbau als Feuerwehr

Studierende starten heute mit heterogeneren religiösen Sozialisationen und anderen fachlichen und außerfachlichen Kompetenzen ins Studium als noch vor zehn Jahren. Dies erschwert es zunehmend, die Lernziele insbesondere in den Eingangsmodulen des Theologiestudiums zu erreichen, die maßgeblich von Mittelbauler:innen unterrichtet werden.

Blicken wir auf die aktuelle Situation an Universitäten in der Lehre, so ist für viele Angehörige des Mittelbaus prägend, dass sie die Studierenden oft in den ersten Semestern unterrichten und quasi den Erstkontakt zwischen Studierenden und der Universität begleiten. Dabei wird von vielen unserer Kolleg:innen der Eindruck geteilt, dass sich hier im Vergleich zur Situation vor der Corona-Pandemie noch einmal ein deutlicher Wandel vollzogen hat:

Die Studierenden starten heute mit heterogeneren religiösen Sozialisationen und anderen fachlichen und außerfachlichen Kompetenzen ins Studium als noch vor zehn Jahren. Das Christ:innentum verlor in der Welt, in der sie aufgewachsen sind, weiter an Bedeutung. Zunehmend hat man es mit jungen Menschen zu tun, die entweder gar nicht religiös sozialisiert sind, oder auch einem größeren Anteil an Studierenden, die aus einem freikirchlichen Kontext stammen.

Selbstverständlich gehört zu diesem Befund auch die einfache Beobachtung, dass heute kaum noch Studierende Lateinkenntnisse aus der Schulzeit mitbringen. Auch wichtige außerfachliche Kompetenzen, wie die Kompetenz zur Erarbeitung von Texten, sind heute weniger ausgeprägt. Dadurch, dass insbesondere der Mittelbau in der Lehre im Grundstudium tätig ist, sehen sich vor allem wissenschaftliche Mitarbeiter:innen vor die Herausforderung gestellt, die immer größer werdenden Lücken zu schließen, die zwischen den Anforderungen an Studierende im Hauptstudium oder Examen und den Kompetenzen von Erstsemesterstudierenden bestehen.

Diese Eindrücke haben an vielen Standorten bereits zu Plänen für eine neue Studieneingangsphase geführt, in der diesem „Mangel“ auf Seiten der Studienanfänger:innen durch zusätzliche Lernangebote begegnet werden soll. Dies ist nur ein Beispiel dafür, dass der Pfarramtsstudiengang inhaltlich reformbedürftig ist. Viele andere können unsere ehemaligen Kommiliton:innen nennen, die heute als Pfarrer:innen arbeiten.

Dass solche Reformen auch schon auf lokaler Ebene bereits langwierig sind und zudem eine gewisse Wartehaltung gegenüber den gegenwärtigen Diskussionen rund um die Gemischte Kommission I, in der über die Reform des Theologiestudiums in Deutschland verhandelt wird, und den Fakultätentag besteht, bremst aktuell Reaktionen auf die bereits erkannten Bedürfnisse.

These 4 – Strukturelle Alleingänge beenden

Der strukturelle Sonderweg des Magister im Theologiestudium wirft didaktische Fragen auf und verhindert innovative Lehr- und Lernkonzepte. In der Diskussion scheint oft eine unbegründete Abwertung von modularisierten BA/MA-Studiengängen gegenüber einem Magister durch.

In der Lehre sind wir im gesamtuniversitären Kontext immer wieder damit konfrontiert, dass die Theologie gerade durch den Magisterstudiengang eine gewisse Sonderstellung innehat, die sich im Dialog mit anderen Geisteswissenschaften (und natürlich auch den Naturwissenschaften) schwer verargumentieren lässt. Besonders problematisch wird die theologische Binnenlogik immer wieder in hochschuldidaktischen Fortbildungen, in denen es schwerfällt, den didaktischen Zusammenhang einer Zwischenprüfung oder eines Examens zum Rest des Studiums zu erläutern.

Auch die Abiturergänzungsprüfungen für die Sprachen Griechisch und Latein – über deren Notwendigkeit ja noch diskutiert wird – und die für den Spracherwerb notwendigen „Sprachsemester“ bilden in gewisser Weise ein starres Korsett, das einen am Fach orientierten Spracherwerb verhindert, wie er in anderen Fächern längst üblich ist. Konkret arbeiten viele Sprachdozent:innen, zumeist auch Mitglieder des Mittelbaus, seit langem an tollen Konzepten, wie man Latein- und Griechischsprachkurse gezielt an christlichen Texten ausrichten und mit der Fachlehre verzahnen könnte. Solange sie ihre Studierenden jedoch weiterhin auf das Graecum und Latinum vorbereiten müssen, können sie diese Pläne nicht in die Tat umsetzen.

In der aktuellen Reformdiskussion um das Theologiestudium, in der von manchen Akteur:innen der „Untergang des Abendlandes“ mit der Bologna-Reform in eins gesetzt wird, wird übersehen, dass große Teile des aktuellen Mittelbaus bereits in modularisierten Magisterstudiengängen kirchliche oder Fakultätsexamina abgelegt haben. Wir könnten eigentlich als Beispiele dafür herangezogen werden, dass keineswegs „die ganze Evangelische Theologie als universitäres Fach zugrunde geht“, wenn sie modularisiert studiert wird.

Zudem besteht der Mittelbau heute schon selbstverständlich auch aus Kolleg:innen, die Bachelor- und/oder Masterstudiengänge abgeschlossen haben, weil sie entweder international oder – wortwörtlich naheliegender – an Instituten für Theologie ihre theologische Expertise erworben und in entsprechender Form nachgewiesen haben. Zugleich bemerken wir auch, dass der fachliche Respekt vor denjenigen, die „auf Lehramt“ studiert haben, meist auch noch nach der Promotion geringer ausfällt als vor denjenigen, die „auf Pfarramt“ studiert haben, und das, obwohl heute viel mehr unserer Studierenden in Lehramtsstudiengängen als in Pfarramtsstudiengängen eingeschrieben sind.

Form und Inhalt gehören zusammen – nur eine strukturelle Reform des Pfarramtsstudiengangs würde auch den Weg frei machen für die notwendigen inhaltlichen Veränderungen.

Fazit: Veränderungen sind dringend geboten

Insgesamt stehen junge Wissenschaftler:innen in der Theologie heute vor der Herausforderung, aus einer bereits prekären Situation heraus Verantwortung dafür übernehmen zu müssen, dass sie auch in 10, 20 oder 30 Jahren noch Theologie treiben können. In einem vollkommen unangebrachten, aber keineswegs schiefen Vergleich könnte man sagen, dass es sich ähnlich verhält wie beim Klimawandel.

Dass sich die Theologie in Deutschland massiv verändern wird und zwar eher im Sinne eines Niedergangs als eines Aufblühens, ist absehbar – auch wenn niemand genau sagen kann, wie sich dieser Prozess vollziehen wird. Aktuell dominiert der Eindruck, dass in der akademischen Theologie nicht genug Ressourcen vorhanden sind, um sich den – teilweise hausgemachten – Problemen produktiv zu stellen. Bei vielen Nachwuchswissenschaftler:innen setzt sich der Eindruck fest, dass diejenigen, deren Verbleib an der Universität durch das Privileg der Entfristung gesichert ist, vor allem an Bestandswahrung interessiert sind.

Weil durch die Verschleppung notwendiger Veränderungen die langfristige Perspektive der Theologie unklar bleibt und nicht sicher ist, was all das für die nächste Generation von Wissenschaftler:innen bedeutet, ist aktuell für immer mehr unserer Kolleg:innen ein langfristiger Verbleib an der Hochschule keine Option mehr.

Eule-Podcast (41): Theologiestudium heute

Immer weniger junge Menschen studieren Theologie. In Wuppertal muss die Kirchliche Hochschule (KiHo) schließen. Wie sieht ein zeitgemäßes Theologiestudium aus? Müssen bald schon Theologische Fakultäten an den Unis schließen – und welche Reformen sind möglich? In dieser „Eule-Podcast“-Folge berichtet Fabian Reinbott vom Studierendenrat Evangelische Theologie (SETh) über die Reformen am Theologiestudium.

Direkt zur „Eule-Podcast“-Episode

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