Volle Dröhnung Adventskalender

Adventskalender für alle und an jedem Ort, digital und analog, witzig oder gruselig: Während des Corona-Advents überschlägt sich die Kirche vor Kreativität. Ein Überblick.

Endlich bekommen die dunklen Corona-Tage Struktur. Vier Sonntag bis zum Christfest, 24 Türchen, die sich bis zur Heiligen Nacht öffnen werden. Kirchenjahr und Adventskalender bieten Orientierung in einer Zeit, die so komisch vergeht. Wann haben wir uns das letzte Mal gesehen? War es erst im Februar oder doch schon im vor-vergangenen Sommer? Kinder zählen die Tage bis zur Bescherung herunter und lassen sich jeden Morgen neu beschenken. Welche Süßigkeit ist hinter dem nächsten Türchen versteckt? Aber auch Erwachsene genießen den Rhythmus und das gespannte Warten des Advents.

Das zeigt nicht zuletzt der große Erfolg des „Anderen Advents“. Seit über 20 Jahren begleitet der gedruckte Adventskalender des Andere Zeiten e.V. die Advents- und Weihnachtszeit von Jugendlichen und Erwachsenen. Der „Andere Advent“ ist die Benchmark, der handwerklich beste Adventskalender in deutscher Sprache.

Mit seinen nachdenklichen Texten, hervorragenden Illustrationen und Fotografien und nicht zuletzt den kleinen Gimmicks – die „aussterbenden Wörter“ von Schlüpfer bis Kleinod zieren noch heute viele Kühlschränke – zeigt der „Andere Advent“ immer wieder, welche Chance für die seelsorgliche Begleitung und das geistliche Wachstum während des Advents in einem Adventskalender stecken kann. In diesem Jahr wurde er in einer Gesamtauflage von 710 000 Exemplaren ausgeliefert.

Digital total

Während der Corona-Pandemie boomen die digitalen Angebote von Gemeinden und Kirchen, das gilt auch für digitale Adventskalender. So viele unterschiedliche Angebote gab es noch nie. Ein Grund dafür ist, dass analoge Formate, die aufgrund der Pandemie nicht durchgeführt werden können, durch digitale Angebote ersetzt werden.

Die Evangelische Kirchengemeinde Uellendahl-Ostersbaum (Wuppertal, Evangelische Kirche im Rheinland) ersetzt in diesem Jahr die Spaziergänge zu Adventsfenstern, die sonst von Menschen und Institutionen aus den Stadtteilen der Gemeinde gestaltet werden, durch eine Adventskalendergeschichte von Pfarrer Holger Pyka, der auch als Poetry-Slammer unterwegs ist. Jeden Abend um 18 Uhr erscheint ein neues Kapitel auf YouTube, das jeweils von einem anderen Gemeinde-Mitglied vorgelesen wird.

Gleich mehrere Gemeinden aus den evangelischen Landeskirchen Bremen, Hannover und Bayern haben sich für einen „WhatsApp-Adventskalender“ zusammengetan. Sie tauschen Inhalte miteinander aus, die dann für je eigene Verteiler-Gruppen vor Ort ausgespielt werden. So hält sich der Aufwand für die Organisator:innen in Grenzen. Die Gemeindemitglieder tragen sich durch eine kurze Nachricht an eine Handynummer in den Verteiler ein und werden dann jeden Tag direkt aufs Smartphone beliefert. Natürlich kann man daran auch aus der Ferne teilnehmen.

Ähnliche Angebote, die Nutzer:innen dort „abholen“, wo sie eh schon digital unterwegs sind, gibt es in diesem Jahr vermehrt. Einige Social-Media-Abteilungen der Kirchen und Initiativen spielen ihre Adventskalender auch direkt (und manchmal ausschließlich) in Sozialen Netzwerken aus. Diese Angebote richten sich vor allem an ein breiteres Publikum jenseits der Zuordnung zu einer Ortsgemeinde, bergen in sich aber die Gefahr, unter den vielen Adventsaktionen auf Twitter, Facebook, Instagram & Co. unterzugehen. Wie in der Gemeinde vor Ort ist auch in den Sozialen Netzwerken die Bindung zur Sender:in entscheidend, dann werden solche Angebote auch gefunden.

Auf allen möglichen Kanälen und einer eigenen Website sendet die Evangelische Gesellschaft für Deutschland ihren professionell produzierten Advents-Krimi „Weihnachtsfestnahme“. Das Magazin für explorative Theologie Cursor_ bringt im Advent theologisches „Schwarzbrot“ auf Twitter und Instagram an die Leser:innenschaft (und sammelt alle Türchen etwas später hier). Selbst die Evangelische Seelsorge in der Bundeswehr ist mit einem eigenen Kalender am Start.

Advent auf Augen und Ohren

Musikalisch soll es bei der Kirchengemeinde Wanheimerort zugehen, immerhin ist in der Gemeinde der erste „Pop-Kantor“ der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR) beschäftigt. Die EKiR bietet außerdem eine eigene Zusammenstellung der digitalen Adventskalender aus ihren Gemeinden und Werken auf ihrer Website an. Ganz klassisch auf der eigenen Website (am besten am Desktop) präsentiert sich die Evangelische Kirche A.B. in Rumänien, punktet aber natürlich durch die ganz andere Perspektive einer evangelischen Diasporakirche.

Die Berliner Religionslehrerin Mirjam Blumenschein hat mit der Corona-Pandemie einen Podcast für Schüler:innen der Klassen 1-3 und 4-6 gestartet. Während des Advents gibt es bei „Reli auf der Couch – der Quarantäne Podcast“ jetzt auch einen Adventskalender mit je einem täglichen Rätsel für beide Altersgruppen zum hybriden Mitmachen. Ebenfalls in beiderlei Welten ist der „Mitläufer?!“ der Evangelischen Jugend Dresden unterwegs. Und die Vielfalt nimmt kein Ende: Im Adventskalender „24 Geschichten statt Schokolade“ der Nordkirche berichten Geflüchtete von ihrem Ankommen in Norddeutschland.

Eine Neuauflage erfährt in diesem Jahr der „Singende Adventskalender“ der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) mit Landesbischof Friedrich Kramer (hier im Eule-Interview) und Gästen. Im letzten Jahr begeisterte der klingende Kalender weit über die Grenzen der EKM hinaus mit Kleinodien wie „Mit dir Maria singen wir“ inkl. einem geigenden EKD-Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm.

Der analoge „Kyffikus“

Ebenfalls aus der EKM, aus dem Kirchenkreis Bad Frankenhausen-Sondershausen im Kyffhäuserland, stammt der „Kyffikus“ *. Der gedruckte Adventskalender erscheint in einer Auflage von 2 500 Stück, von denen 1 500 über die Pfarrämter und 1 000 Exemplare über Familien- und Kindereinrichtungen des Landkreises verteilt wurden, die während der Corona-Pandemie nur eingeschränkt arbeiten können.

Der „Kyffikus“-Adventskalender, Foto: Philipp Greifenstein

Der Druck des „Kyffikus“ wurde deshalb vom Thüringer Familienministerium unterstützt, die Inhalte stammen von Pfarrer:innen der Region, das Layout hat eine professionelle Designerin übernommen. „Unseren Kalender können die Familien nutzen, um gemeinsam Zeit zu verbringen,“ hofft Viktoria Bärwinkel, die ordinierte Gemeindepädagogin hat das Projekt koordiniert.

Der Adventskalender enthält neben Geschichten und Rezepten an jedem Tag auch eine Krippenfigur zum Ausschneiden. So basteln sich die Kinder über den Advent hinweg eine eigene vollausgestattete Krippenszene. Ein Angebot, das besonders in Haushalten ohne Krippenfiguren gut ankommen wird. „Der Advent ist eine Zeit, in der man gut analog tätig werden kann mit Basteln und Backen“, erklärt Bärwinkel, „deshalb haben wir uns für einen gedruckten Adventskalender entschieden.“

Wegen der Corona-Pandemie sind in diesem Jahr viele Angebote für Kinder und Familien ausgefallen. Die Kalender erreichen ihre ausgewählten Empfänger:innen mit persönlichen Briefsendungen der Kirchgemeinden, in denen sie sonst an Kreisen und Veranstaltungen teilnehmen, und über ihre Ansprechpartner:innen in den Kinder- und Familieneinrichtungen. Durch die Kooperation mit Familienberatungsstellen, den Thüringer Eltern-Kind-Zentren und anderen Kindertagesstätten werden in der Region, in der ca. 20 % der Menschen einer Kirche angehören, auch Familien und Kinder erreicht, die mit der Kirche sonst nichts am Hut haben.


Adventskalender: Lehren für die #digitaleKirche

Der Boom der kirchlichen Internet-Angebote während der Corona-Pandemie beschert uns in diesem Jahr auch eine noch größere Welle von digitalen Adventskalendern als sonst. Zu den bekannten Akteur:innen aus Gemeinden und Jugendverbänden sind viele weitere kirchliche Arbeitsstellen hinzugekommen – auch die Ausspielwege haben sich diversifiziert. Den „klassische“ Internet-Adventskalender gibt es zwar noch, aber an den Angeboten kann man zwei Trends ablesen, die für die #digitaleKirche der Zukunft wichtig sind:

Sehr gute Adventskalender sind multimedial und bieten ihren Leser:innen Texte, Bilder, Audio und Video im Wechsel oder verlegen sich auf ein hippes Medienformat wie Podcast oder Video. Hier sieht man, dass die Digitalkompetenz in den Gemeinden und Kirchen während der Corona-Pandemie zugenommen hat. Weil gerade junge Menschen im Netz vor allem Videos schauen und weniger Texte lesen, ist das für die #digitaleKirche ein guter Befund.

Allerdings erfordert die Herstellung eines multimedialen Adventskalenders auch mehr Kraft und Geschick. Einen digitalen Adventskalender kann man nicht mehr schnell nebenher machen. Die Vielfalt und zum Teil sehr hohe Qualität der Angebote bedeuten auch, dass man sich in Zukunft genau überlegen sollte, ob man wirklich mit einem eigenen digitalen Adventskalender an den Start gehen sollte. Eine Chance könnte im „Recycling“ der Beiträge aus anderen Adventskalendern bestehen, die man z.B. in die Messenger-Gruppe(n) der eigenen Gemeinde weiterreicht.

Wichtiger als die Differenz von digital und analog ist in Zukunft die Präferenz von aufsuchenden Formaten gegenüber Angeboten, die Nutzer:innen erst suchen und finden müssen. Das gilt im Analogen wie im Digitalen. Den Link zum Web-Adventskalender kann ich natürlich auch in Messenger-Gruppen oder Sozialen Netzwerken posten, zielführender ist allerdings, wenn ich meine Leser:innen mit meinen Inhalten gleich dort erreiche, wo sie sowieso schon sind.

Manches digitale Angebot der Kirchen wirkt leider so wie ein gewöhnliches Kirchenplakat, das zum Besuch einer Andacht an einem festgelegten Ort zu einer bestimmten Zeit einlädt. Die Chancen der Digitalisierung werden demgegenüber dann genutzt, wenn Angebote den Nutzer:innen dann und dort zur Verfügung stehen, wann und wo sie möchten. Es geht um den Wechsel von „Komm doch!“-Strukturen hin zu einer „Geh hin!“-Kultur. Wenn die Kirchen und Gemeinden das aus der #digitaleKirche-Hochphase der Corona-Pandemie mitnehmen, wäre viel gewonnen.


* Offenlegung: Zum „Kyffikus“-Adventskalender hat auch meine Frau, die Pfarrerin im Pfarrbereich Bad Frankenhausen ist, zwei „Türchen“ beigesteuert.