Foto: Quino Al (Unsplash)

Von der Schönheit eines analogen Hobbys

Im Netz begegnen Philipp Greifenstein die analogen Hobbys der Menschen, mit denen er digital sein Leben verbringt. Von ihnen will er sich diesen Herbst inspirieren lassen.

Urlaubszeit ist Hobbyzeit. Wofür neben den alltäglichen Pflichten zu wenig Zeit bleibt, soll in den Ferien nachgeholt werden. Ausgiebige Fahrradtouren, Segeltörns und Wanderungen werden unternommen, so manche:r nimmt sich einen hohen Bücherstapel mit auf die Reise. Wie viele der Bücher werden ungelesen die Rückreise antreten? Wer wie ich in der Digitalität mitlebt, dem begegnen in den Sozialen Netzwerken Menschen – sogar sogennante Kirchenleute! -, die nicht pausenlos von Gott, ihrer Arbeit und den wichtigen und unwichtigen Zukunftsfragen von Kirche und Gesellschaft reden, sondern Einblicke geben in ihre Hobbys. Das sind glückliche Momente.

Der eine, der beruflich über die Digitalisierung der Kirchen grübelt, bastelt an Zinnfiguren. Der andere, tätig als Software-Entwickler, übt sich in der Kunst der Malerei. Die nächste, im Job mit der Medialisierung von Bildung befasst, tanzt. Eine andere hat das Stricken wieder angefangen. Wieder ein anderer greift häufiger zur Gitarre. Die sommerlichen Gärten haben gleich mehrere zum Jäten und Pflanzen inspiriert. An langen Sommerabenden wird unten vor den Wohnblocks gebebbelt, statt TikTok geklotzt. Gelegentlich vermittelt sich der Eindruck: Ohne unsere Hobbys würden wir vollends durchdrehen.

Dem Doom-Scrolling entgehen

Ein Hobby zu haben, ist für alle Menschen wichtig. Gerade für diejenigen, die von Berufs wegen und wegen Familien- und Pflegearbeit so sehr eingebunden sind, dass ihnen Mußestunden so häufig fehlen. Die Erhebung von Geist und Seele kann man nicht auf ewig rausschieben. Digital-Arbeiter:innen allerdings brauchen ein analoges Hobby.

Wir alle kennen das Doom-Scrolling (engl. doom, dt. Untergang) aus eigener Praxis und Anschauung: Die exzessive Suche und Berieselung mit schlechten Nachrichten, die sich bei der Nutzung Sozialer Medien wie Twitter oder Facebook fast automatisch einstellt. Der News-Feed wird nie leer. Und wenn gerade keine Weltuntergangsmeldung anliegt, was dieser Tage ohnehin selten genug ist, kann man sich darauf verlassen, dass andere Leute auch marginale Nachrichten zu apokalyptischer Größe aufblasen. Mit nur einem Like ist man dabei und wird selbst Teil der immer weiter laufenden Weltuntergangsmaschine: Ein:e Passagier:in in der Kutsche, die von den Reitern der Apokalypse angezogen wird.

Aus diesem Zyklus ganz oder zumindest zeitweise auszusteigen, meint nicht, dass man sich dem Leben „in der Welt“ entzieht, keine Weltflucht, keine Flucht aus der Verantwortung. Es geht beim Pause machen auch darum, Kraft zu finden für die Bewältigung dessen, was wir als Pflichten und Notwendigkeiten (des Alltags) erkennen. Unser politischer Diskurs krankt auch daran, dass das als richtig Erkannte trotzdem nicht zur Umsetzung kommt. Anstatt gemeinsam Lösungen für die großen Probleme zu suchen, verlieren wir uns im Streit um marginale Problemchen, deren Bewältigung uns allerdings einfacher erscheint. Auch wer keine bewussten Pausen macht, bedient sich Vermeidungsstrategien. Wer aber Pausen macht, der vermag es, bei der Sache zu bleiben. Ein feines analoges Hobby schult Aufmerksamkeit, Geschicklichkeit und Urteilsvermögen.

Ich habe keine Zeit für ein Hobby!

„Für ein Hobby fehlt mir die Zeit!“ und „Ich kann mir diesen Boomer-Luxus nicht leisten!“ höre ich von Freunden, Bekannten und auch von Eule-Leser:innen, die in zahlreichen Kontexten engagiert sind. Wer Beruf und Familie miteinander vereinbaren will, Freunde und Weltgeschehen nicht aus den Augen verlieren möchte, dem bleibt wenig Zeit und Kraft. Darum ein Vorschlag:

Am Beginn der nächsten Runde Doom-Scrolling, die sich trotz Zeitnot wegen FOMO (engl. fear of missing out, dt. Angst, etwas zu verpassen) unweigerlich einstellen wird, kurz zusammenzucken, Smartphone beiseitelegen und zum analogen Hobby greifen. Kochen, Backen, Stricken, Malen geht zumeist auch bei der simultanen Kinderbetreuung, selbst die müden Abendstunden lassen sich gelegentlich anders verbringen als mit Netflix und YouTube. Stichwort: Selbstwirksamkeit.

Ich will mir jedenfalls vornehmen, es zumindest gelegentlich so zu halten. Vielleicht nehme ich in diesem Herbst mal wieder die Pinsel zur Hand oder arbeite ein altes Möbelstück auf. Ich werde trotzdem mehr als genug Zeit auf Twitter „verbringen“, mit den aktuellen Nachrichten aus Politik, Gesellschaft und Kirchen, aber ich will diese gesundheitsschädliche digitale Praxis durch eine analoge ergänzen, die mir gut tut.

Up to date ohne Doom-Scrolling

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Mehr:

In sommerlicher Frische haben wir uns in der Eule in den Ferien mit digitalen Spielen befasst. Den Auftakt dazu bildete die Rezension des neuen Digitalisierungsbuches von Wolfgang Huber von Michael Greder. Huber warnt eindringlich vor den Gefahren der Digitalisierung, u.a. davor, Kinder zu viel Zeit im Netz verbringen zu lassen.

Über digitale Spiele in Unterricht und Gemeinde schrieb Jens Palkowitsch-Kühl und über das gemeinsame „Wordle“-Spielen Jörg Wilkesmann. Er fragt:

„Gibt es eine Theologie des Spielens, etwa analog zu „Homo ludens“ von Johan Huizinga? Ob bei Wordle, Sudoku, Patiencen oder Brettspielen – guten Spielen gelingt es, mich kurzzeitig aus meiner Gegenwart herauszuholen. Das ist gut für die geistige Rekreation und nutzt dem inneren Menschen, den Alltag zu bewältigen. Ist diese Bedeutung des Spiels schon ausgeschöpft für den eigenen Glauben, das Gemeindeleben oder die Theologie?“