Kirche

Warum wir auf Gottesdienste nicht verzichten können

Der „Osterlockdown“ ist vom Tisch, die Corona-Pandemie aber ist weiterhin akut. Sollen in den Kirchen zu Ostern analoge Gottesdienste gefeiert werden? Zwei Stimmen aus der Praxis:

Auch wenn der „Osterlockdown“ vom Tisch ist, sind die Kirchen gebeten, zum Osterfest auf analoge Gottesdienste zu verzichten. VertreterInnen beider Kirchen sprechen sich hingegen dafür aus, auch zu Ostern die bewährten Gottesdienste unter Hygienebedingungen durchzuführen. Zwei hauptamtliche KirchenpraktikerInnen erklären hier, warum sie das richtig finden:


Was muss, das muss!

von Georg Bloch-Jessen, Vikar in Offenbach


„Es nützt ja nichts!“ so hat Philipp Greifenstein seinen Kommentar zur Bitte der Bundes- und Landesregierungen zur Absage der analogen Gottesdienste an Ostern überschrieben. Er argumentiert wortreich mit der Symbolwirkung, die sich entfalte, wenn Kirchen an analogen Gottesdiensten festhielten. Doch in welchem Kontext befinden sich die Kirchengemeinden vor Ort? Wie sieht die Realität gemeindlichen Lebens aus? Und vor wie weit reicht die Symbolwirkung von Aktionen der Ortsgemeinde tatsächlich?

Seit März 2020 finden in meiner Gemeinde Telefongottesdienste regelmäßig statt. Hinzu kommen Familiengottesdienste per Zoom und jetzt neu ein Livestream aus dem sonntäglichen Gottesdienst in der Kirche. Parallel zu diesem vielfältigen digitalen Gottesdienstangebot halten wir an den analogen Gottesdiensten fest. In diesen treffen sich jeden Sonntag ca. 10-15 Personen. Jeden Sonntag die gleichen. Und ihr Alter ist eher im oberen Drittel der Lebenserwartung anzusetzen.

„Es nützt ja nichts!“ – es ist der harte Kern derjenigen, die das körperliche Erleben des Gottesdienstes in der Kirche benötigen. Mit Maske, mit Abstand zueinander und ohne Gesang. Es sind auch (nicht nur) die Einsamen, die sich sonntäglich in der Schicksalsgemeinschaft der Alleingelassenen treffen. Alleingelassen deshalb, weil die sonstigen Alltagsroutinen fehlen: Verwandtschaftsbesuche, Mittagessen bei Karstadt, Senioren- oder Frauenkreise.

Jeden Sonntag trifft sich diese Gemeinschaft der Coronamaßnahmenverlierer unter dem Kreuz. Es sind nicht alle Verlierer, die Corona-Krise und -Maßnahmen hervorgebracht hat. Aber es sind diejenigen aus der gemeindlichen Mitte. Diejenigen, für die digitale Ersatzangebote nicht ausreichend Halt bieten im Umgang mit der Pandemie. Die digitalen Angebote unserer Gemeinde werden fleißig genutzt. Der Telefongottesdienst wird von mehr Menschen gefeiert, als bei den Vor-Corona-Gottesdiensten durchschnittlich dabei waren. Deshalb sind vielfältige und vermehrte digitale Angebote wichtig und richtig – nicht nur in Corona-Zeiten.

Die Bitte der Bundes- und Landesregierungen nun die analogen Gottesdienste zu Ostern ganz auszusetzen, trifft in unserer Gemeinde nicht die kirchengemeindliche Ingroup der Hochverbundenen, sondern die Menschen mit wenig Sozialkontakten, deren Suche nach Gemeinschaft sie in die Kirche führt. Welches Zeichen senden wir also aus, wenn wir die Ostergottesdienste nur digital durchführen?

Sicher ist, dass sich Ostern auch ohne analogen Gottesdienst in der Kirche ereignet. Aber für die Menschen, die mir Sonntags begegnen, ereignet sich eine Form von Gemeinschaft, die für sie gerade nur in der Kirche zu finden ist. Ihnen diesen Ort der Wahrnehmung als Schicksalsgemeinschaft zu nehmen, die Zuspruch und Hoffnung erhält, fällt mir aus seelsorgerlicher Perspektive schwer. Denn ich kämpfe nicht um das Eigene der Kirche in Form von Gottesdiensten. Im Gegenteil.

Die Möglichkeit der seelsorgerlichen Arbeit – wozu der Gottesdienst für meine Besucher:innen gehört – aufzugeben, ist das Loslassen des „Anderen“, also der kirchlichen Arbeit, die nicht für die Kirche oder Pfarrpersonen selbst geschieht, sondern für diejenigen, die in der Coronazeit am Rand stehen. Den Dienstauftrag zur Seelsorge sollte sich die Kirche nicht nehmen lassen. Vor allem nicht, wenn er in einer Coronapolitik verortet ist, die von vielen Seiten als ungenügend wahrgenommen wird. Der Ostergottesdienst als religiöser Ort für Hochverbundene kann ausgesetzt werden oder digital stattfinden, der Ostergottesdienst als Ort der Seelsorge für diejenigen, die mühselig und beladen sind, nicht. Denn es muss, was muss!

Georg Bloch-Jessen (@georgbloch) ist Vikar der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) an der Friedenskirche in Offenbach. Zuvor studierte er Ev. Theologie in Münster und Marburg und war von 2015 – 2020 Referent für Theologie der Diakonie Deutschland.

Warum man Ostern nicht simulieren kann

Von Gerlinde Feine, Pfarrerin in Böblingen


Seit meiner Kindheit war die Karwoche die stillste Zeit des Jahres. Obwohl ich nicht in einem Pfarrhaus aufgewachsen bin, sondern in einem Geschäftshaushalt, bei dem die Feiertage immer auch mit zusätzlichen Anstrengungen verbunden waren, galt doch: Ab Gründonnerstag wird es still. Keine laute Musik im Haus. Keine Besuche bei Freund_innen. Keine Unternehmungen in der Öffentlichkeit, kein sportlicher Wettkampf. Erst am Ostersonntag größere und gut vorbereitete Aktivitäten in der Küche und am Ostermontag einen ausgedehnten Spaziergang.

Und der Gottesdienst. Kreuzesandacht am Karfreitag (ohne Abendmahl!) und Auferstehungsfeier am Ostermorgen im Freien auf dem Friedhof. Zwar feierte man mit der ganzen Familie, die war aber schon aufgrund der Wohn- und Arbeitssituation das, was man heute eine „Corona-Kohorte“ nennen würde. Dazu kam der gesetzliche Schutz des Karfreitags als „stiller Feiertag“: Nicht nur bei uns zuhause ging es deutlich ruhiger zu, auch das gesellschaftliche Leben war heruntergefahren. Keine Möglichkeiten, etwas zu unternehmen, kein Kino, kein Theater, keine Clubs.

Als am späten Montagabend die neuen Beschlüsse für das Osterfest 2021 bekannt wurden, dachte ich daher: Was soll daran anders sein als in den früheren Jahren? Wir machen zu, was sowieso schon geschlossen ist, und nennen das dann „harten Lockdown“? Auf den zweiten Blick offenbarte sich mir die Hilflosigkeit dieser Maßnahmen: „Die Gunst des Kalenders“ nutzen, wie es der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil nannte, heißt nämlich: Den Weg des geringsten Widerstands gehen nach dem Motto: „Wasch mich, aber mach mich nicht nass!“ Das alles verkauft als Höchststeigerung der Krisenmaßnahmen, aber ohne die Wirtschaft zu belasten oder die Schulöffnungen infrage zu stellen.

Seitdem wider besseres Wissens Lockerungen beschlossen wurden, steigen die Zahlen – aber anstatt das zurückzunehmen, was dazu führte oder wenigstens das, was beschlossen wurde, auch konsequent umzusetzen, erklärte man die stillste Zeit des Jahres zum „Wellenbrecher“. Dabei war von vornherein klar, dass der „Erfolg“ genauso mäßig sein würde wie über Weihnachten.

Die im Januar langsam sinkenden Zahlen verdanken wir nach meinen Eindruck zum allergrößten Teil den Schulferien und dem Fernunterricht. So hat der Anstieg jetzt eben auch damit zu tun, dass viele Schüler_innen wieder in die Schulen gehen. Genauso eine Rolle spielen die Arbeitsplätze und das Feierabendbier in der selbstorganisierten „Außengastronomie“ von Parks und öffentlichen Anlagen. Kontrolle? Findet nicht statt. Auch nicht bei den Demos der inzwischen gut organisierten Anti-Corona-Szene, die auch für das Osterwochenende zu erwarten sind und das eigentliche Problem eines auf Selbstverantwortung und Solidarität setzenden Konzepts der Pandemiebekämpfung darstellen.

In dieser Situation braucht es einfache und klare Worte der Ermutigung und des Trosts. Das müssen keine frommen Worte sein; das wäre einer multireligiösen Gesellschaft auch nicht angemessen. Diese dürfen aber auch nicht fehlen, schon gar nicht, wo sich doch „die Gunst des Kalenders“ der christlichen Botschaft verdankt und die Nöte und Hoffnungen der Menschen gerade jetzt trifft: Der solidarisch leidende Gott, der selbst in den Tod geht und ihn besiegt – die Einsamkeit der Jüngerinnen und Jünger, die sich versteckt halten müssen – die leise Offenbarung der Auferstehung am frühen Morgen ohne Menschenansammlungen und dabei auch noch kontaktfrei …

Im vergangenen Jahr haben die Kirchen es wunderbar geschafft, diese Botschaft auch ohne große analoge Gottesdienste weiterzusagen. Das hat die Politik offenbar ermutigt, dies erneut zu erbitten, und wie an Weihnachten gibt es gute Gründe, aus Solidarität vorbildlich darauf einzugehen. Doch die Situation ist jetzt deutlich anders: Nicht nur, weil die Hygienekonzepte erprobt sind und mit Schnelltests, ersten Impfungen etc. mehr Tools zum Absichern der Gottesdienste zur Verfügung stünden. Nicht nur, weil die steigenden Temperaturen Gottesdienste im Freien leichter möglich machen. Und erst recht nicht allein deswegen, weil die Inzidenzzahlen zumindest hier bei uns sehr viel niedriger liegen als im Dezember.

Sondern vor allem, weil sich das Teilnehmer_innen-Verhalten der Gemeinden grundlegend geändert hat. Gottesdienste sind nicht mehr die Orte, an denen man sich in großer Zahl und mit geringem Abstand versammelt. Sie sind – wieder – zeichenhaftes Geschehen geworden. Wichtig ist nicht, dass man dabei ist, sondern dass sie überhaupt stattfinden, und zwar in der Funktion, die sie vom ersten Ostern an hatten: Dass die Botschaft der Auferstehung verkündigt wird. Jeder Sonntag ein kleines Ostern … jeder Morgen eine Erinnerung an das Leben, das Gott schenkt.

Deshalb haben wir uns, wie viele andere Gemeinden auch, Konzepte überlegt, bei denen das Feiern in analoger Präsenz und die Beteiligung online sich wechselseitig ergänzen. Eine reine Verlagerung in den digitalen Raum soll es nicht geben müssen, denn auch da geht es um „die Gunst des Kalenders“, wie ein kurzer Blick auf das Osterfest im vergangenen Jahr zeigt: Damals haben wir den Osternacht-Gottesdienst eine Woche vorher aufgezeichnet. Das Licht sollte stimmen, wenn die Osterkerze in die Kirche getragen wurde. Also stand ich am Palmsonntag oben auf dem Schlossberg allein beim Osterfeuer, sprach die Gebete, vollzog all die Handlungen, die zur Osternacht gehörten und spürte die Kraft der Botschaft. Für mich war Ostern geworden – aber eben eine Woche zu früh.

Ich ging dann durch die kommenden Tage, als hätte ich eine Reise zurück in die Vergangenheit gemacht. Den fertigen Film am Ostersonntag zu betrachten, war dann mehr Erinnerung als Erleben. Es spielte also doch eine Rolle, ob etwas gleichzeitig oder zeitversetzt stattfindet. „Die Gunst des Kalenders“ konnte ihre Kraft nicht so entfalten, wie ich es mir erhofft hatte – jedenfalls nicht für mich. Dass wir aber alle gemeinsam durch diese Zeit gehen und in dieser Zeit zusammenstehen, ist essentiell, um daraus auch Kraft zu schöpfen.

Deshalb wünsche ich mir in diesem Jahr Ostern live. Selbst wenn ich wieder allein oben bei der Kirche stehen sollte. Es ist auch zu verantworten, würden um diese Zeit ein paar Wenige in großem Abstand den Gottesdienst miterleben (natürlich mit Maske und womöglich einem negativen Schnelltestergebnis). Wir alle wüssten, dass in diesen Minuten anderswo ganz Ähnliches passiert. Und die, die lieber zuhause bleiben, mit den Kerzen, die wir verteilt haben und den Liturgien zum Mitbeten, die wüssten das auch, selbst wenn wir den geplanten Livestream nicht zum Laufen bekommen. Sie wüssten, dass wir in all der Vereinzelung zusammengehören. Dass überall Feuer brennen und Kerzen gesegnet und die Worte gesprochen werden, die für mich Leben sind:

„Christus ist auferstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden. Halleluja!“

Gerlinde Feine (@fraufeine, Blog) ist Geschäftsführende Pfarrerin an der Stadtkirche Böblingen, Predigtcoach und Gottesdienstberaterin.


Corona-Hotspot Gottesdienst?


Die Religionsgemeinschaften in Deutschland beharren darauf, dass Gottesdienste unter scharfen Hygienebedingungen kein vergrößertes Ansteckungsrisiko bedeuten. Tatsächlich stehen bis heute kaum Corona-Ausbrüche direkt mit Gottesdiensten in den Kirchen und z.B. den Jüdischen Gemeinden in Verbindung, wo Anfang April jeweils bedeutende Feste begangen werden.

Das liegt vor allem daran, dass sich Kirchen und Religionsgemeinschaften flächendeckend an strenge Hygienevorgaben halten, die z.B. den Gemeindegesang verbieten, Teilnehmer:innen-Zahlen begrenzen und analoge Gottesdienste ab einer bestimmten Inzidenzzahl (zumeist 200 oder 300) ganz verbieten. Diese Vorschriften haben die beiden großen Kirchen, häufig stellvertretend für alle Religionsgemeinschaften, mit den Landesregierungen verabredet. Und sie gelten weiterhin. Das heißt auch: Steigen die Inzidenzen bis Ostern weiter, wie es Wissenschaftler:innen voraussagen, werden in vielen Regionen unter Berücksichtigung der geltenden Regeln keine analogen Gottesdienste stattfinden.

In den Gemeinden der beiden großen Kirchen läuft in diesen Tagen die Abstimmung darüber, wie man das Osterfest gestalten wird. In vielen von ihnen wurde gut vorgesorgt: Digitale und analoge Ausweichangebote wurden von den ehren- und hauptamtlichen Mitarbeiter:innen vorbereitet. Die Krisenstäbe der Landeskirchen tagen zumeist heute oder morgen, weil sie zunächst die Verordnungen der jeweiligen Bundesländer abwarten müssen. Mit definitiven Festlegungen und konkreten Informationen vor Ort ist also nicht vor Beginn der nächsten Woche zu rechnen. (pg)

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