Was wäre, wenn …

In den letzten Nächten schläft unsere Kolumnistin nur schlecht: Was wäre, wenn sie ihren Kindern die Sicherheit und Geborgenheit eines Zuhauses auf einmal nicht mehr geben könnte?

Sie werden mich gleich für unemanzipiert halten, für altbacken und irgendwie wahrscheinlich falsch geprägt, für ein typisches Opfer aller Genderfallen. Aber was soll’s, die Wahrheit ist die: Alles was ich je wollte, war eine Familie. Nicht nur irgendwie einen Mann und Kinder, nein, ich wollte so ein richtiges Zuhause.

Ein Zuhause, das nach Nestwärme riecht, wenn man die Tür aufmacht, auf dessen Esstisch Kerzen brennen, in dem gekuschelt wird und niemals jemand ängstlich und allein einschlafen muss. Ich wollte einen Ort schaffen, der über Jahrzehnte die finale Antwort auf alle Fragen ist: Ein richtiges Zuhause eben.

Bin ich nicht ein unsagbar gesegneter Mensch, weil ich genau das bereits mit Mitte 30 geschaffen hatte und es noch immer haben darf? Ich jedenfalls schätze mich glücklich. Doch dieser Tage schlafe ich manchmal schlecht. Denn ich denke darüber nach was wäre, wenn ich es nicht mehr hätte. Was, wenn ich meinen Kindern die Sicherheit und Geborgenheit eines Zuhauses auf einmal nicht mehr geben könnte?

Was, wenn auf einmal die Sirenen heulen würden, nicht so dilettantisch auf Probe, wie letzte Woche, nein richtig! Was, wenn es dann schnell gehen müsste? Vielleicht, weil wir das Falsche glauben, falsch aussehen, bei der letzten Wahl die falsche Partei gewählt haben. Oder einfach nur, weil hier nichts mehr ist, an dem wir festhalten könnten? Ich würde das Allernötigste packen, nur was in meine große Umhängetasche passt. Dann an jede Hand ein Kind und das dritte hätte mein Mann auf dem Arm – nichts wie weg.

„Nein“, würde ich meiner Tochter sagen, „du kannst nicht all deine Kuscheltiere mitnehmen, nur eins und halt es gut fest“. „Die Kater werden ohne uns zurechtkommen und wenn wir zurückkommen,“ – so würde ich ihnen aus Verzweiflung vorlügen – „dann warten sie hier auf uns. Und jetzt schnell, beeilt euch!“

Die Nestwärme, das wäre fortan eine feste Umarmung. Mein Körper, der die Kinder schützt, während ein viel zu kleines Boot über viel zu hohe Wellen schaukelt. „Es wird alles gut“, würde ich den Kindern vorlügen, „gleich sind wir da, schlafe ein bisschen“. Und dann hätten wir es geschafft. Doch unsere Sicherheit wäre brüchig. Zusammen mit Tausenden anderen auf viel zu engem Raum. Unser Nest – ein paar Pritschen, die wir eng aneinanderstellen, sodass wir uns in der Nacht umarmen können. „Ja, Schatz, den Katzen geht es gut, Oma schaut nach ihnen“, würde ich meinem weinenden Kind erzählen. „Und ja, wir sehen die Oma wieder“.

Und dann käme ein Feuer und wieder wäre unser Nest weg. „Lass den Teddy“, würde ich rufen. „Wir müssen rennen! Du bekommst alles neu, irgendwie, wenn wir da sind.“ Doch wo wäre „da“? Fortan wäre es auf einer Straße, mitten in einem fremden Land. Unser warmes Nest? Die eine Decke, die uns jemand gebracht hat. Und wir würden warten. Warten, dass Menschen sich darüber einig werden, was mit uns passieren soll. Wie viel Kraft hätte ich wohl noch? Wie lange reicht eine Decke, um Nestwärme zu schaffen? Wie viel wäre bis dahin kaputt gegangen, in den kleinen Kinderseelen, denen ich doch einfach nur ein Zuhause schenken wollte?

„Christen finden ihr warmes Nest im Himmel“ – rufen mir manche Glaubensgeschwister zu – „und vorher müssen wir alle ans Kreuz“. Ihr Unterton ist vom gleichen kalten Zynismus geprägt wie vor ein paar Monaten, als sie mir erzählten, das Leben sei nun einmal lebensgefährlich und man müsse keine Angst vor Corona haben.

Nun, die Vorstellung von einem warmen Nest im Himmel mag uns Erwachsene ein kleines Stück tragen. Doch wie sollen Kinder diese Vorstellung überhaupt entwickeln, wenn sie es kaum kennenlernen durften? Für Kinder gilt mehr noch als für Erwachsene, dass sie Gott durch die Menschen erleben, die ihren Lebensweg prägen.

Würde jemand kommen und uns ein Stück Himmel schenken? Ein Stück Himmel in Form einer schnellen Lösung, einer sicheren Unterkunft in einem Land, dass es sich leisten kann uns aufzunehmen? Vielleicht sogar irgendwann in Form eines kleinen Zimmers, das nur uns gehört und in dem ich eine Kerze auf den Tisch stellen könnte? Mit einem richtigen Bett, in dem wir kuscheln und uns gegenseitig trösten könnten? Eine kleine Küchenzeile, auf der ich kochen und den Geruch von Nestwärme den Raum durchströmen lassen könnte? Ein kleines Zuhause auf Zeit, in dem wir warten könnten oder in dem wir ein neues Leben in der Fremde beginnen dürften?

Manchmal ist der Himmel auf Erden ein kleines Zuhause, das für unsere Kinder die finale Antwort auf alle Fragen sein kann, und Gott ist in den Menschen unterwegs, die es uns schenken.