Wenn Brücken einstürzen, besteige ein Boot
Vom Zwischen-den-Stühlen-Sitzen und Brückenbauen zwischen Christ:innen, schreibt Daniela Albert. Ein Abschied nach fünf Jahren der Kolumne „Gotteskind und Satansbraten“.
Fünf Jahre sind wir einander treu geblieben, liebe Leser:innen. In einer Zeit, in der wenig verbindlich ist, finde ich das lang. Nun weiß ich nicht genau, wie viele von Euch ich in den letzten Jahren verloren oder dazugewonnen habe, aber ich bin mir sicher, eine kleine, aber feine „Stammbubble“ zu haben, die immer mit dabei war – Monat für Monat.
Manchmal habt ihr mir Sachen zurückgemeldet wie: „Das spricht mir aus der Seele.“ „Danke, dass du Worte findest für das, was hier gerade los ist.“ Insbesondere in den Pandemiejahren habe ich solche Sätze öfter gehört, weil ich Themen auf den Tisch gebracht habe, die vielerorts – gerade auch in der Kirche – sonst übersehen worden wären.
Kinder und Jugendliche, Schattenfamilien, das Schulsystem und seine Überforderung in dieser Gemengelage, die Ignoranz der Politik – und auch absurde Vorstellungen von Familienleben und kindlicher Entwicklung, die sich in den Köpfen viel zu vieler Verantwortlicher in Kirchen noch immer halten.
Und dann habe ich euch ab und zu ganz schön herausgefordert. Besonders mein Text darüber, dass wir uns in landeskirchlichen Gemeinden ruhig mehr von unseren evangelikalen Geschwistern abgucken können, gerade was Jugendarbeit und Begeisterung für Glauben angeht, hat einige ordentlich aufgeregt. Wobei das nicht nur der Beitrag war, für den ich mit Abstand am meisten Kritik abbekommen habe, sondern auch der, für den ich fast genauso viel Zustimmung erhielt.
Vielleicht ist das einer der Punkte, der meine Kolumne hier – neben den Familienthemen – besonders gemacht hat: Ich saß all die Jahre auf meinem gemütlichen Sitzsack zwischen den Stühlen. Zu liberal für die Konservativen. Zu konservativ für die Progressiven. Zu jesusfromm für die Landeskirche. Zu offen, queerfreundlich und laissez-fair für evangelikale Kreise. Manchmal konnte ich es damit niemandem recht machen.
Viel öfter war es aber so, dass ich Brücken bauen konnte und Menschen miteinander ins Gespräch gebracht habe, die sonst vorurteilsbehaftet aneinander vorbei gegangen wären. Die Liste der Medien, für die ich in den letzten Jahren publiziert habe, ist genauso bunt und breit gestreut, wie die Menschen, die mir folgen und gern etwas von mir lesen.
Zwischen den Stühlen
Doch ich muss zugeben, in letzter Zeit ist er ungemütlich geworden, mein Sitzsack zwischen den Stühlen. Es ist, als sei die Füllung langsam weich geworden, ich sacke ein, verliere den Überblick darüber, worüber in den Sitzreihen links und rechts von mir gerade wieder erbittert gestritten wird. Ich spüre schon den harten Boden der Realität unter mir. Und die unbequeme Haltung, die ich neuerdings einnehmen muss, verursacht mir Rückenschmerzen.
Aber das Schlimmste ist: Es ist leer geworden, hier zwischen den Stühlen. Früher blickte ich in viele Gesichter von Menschen, die es sich ebenfalls im Dazwischen gemütlich eingerichtet hatten, die mal hier und mal da andocken konnten, die zuhörten, mitdiskutierten, andere Meinungen aushielten. Doch die meisten davon sind mittlerweile gegangen. Sie haben Platz genommen, auf der einen oder der anderen Seite.
Und tief in mir weiß ich schon lange, dass ich das auch tun muss. Ich kann niemandem mehr die Hand ausstrecken, der gleichzeitig laut und polterig meine Grundüberzeugungen verrät. Ich werde mich nicht zu Leuten gesellen, die ihren Glauben als Ausrede benutzen, menschenfeindlich zu sein. Das tollste Lobpreislied kann nicht ausgleichen, dass die, die es singen, scheinbar alles über Gott verstanden haben – außer das mit der Liebe.
Ohne mit der Wimper zu zucken?
Lange Zeit dachte ich, dass das, was uns eint, mehr wiegt als das Trennende. Doch ein Blick in die Welt zeigt mir, dass dem nicht mehr so ist. Nein, ein gemeinsamer Glaube ist nicht stark genug, um auszuhalten, dass Millionen angeblich genau deswegen einen vorbestraften Tyrannen zum US-Präsidenten gewählt haben, der die Welt, wie wir sie kennen, gerade mit Vollspeed auf einen Abgrund zusteuert und dabei die Rechte von Minderheiten beschneidet, vor die wir uns als Christ:innen schützend stellen müssten.
Doch wir müssen nicht in die USA schauen, um darüber zu erschrecken, mit wem sich Menschen – scheinbar aus Glaubensüberzeugungen – gemeinsam machen. Das Abdriften von christlichen Influencer:innen in die rechte Ecke ist in vollem Gange. Auch wenn selbst liberale Vertreter:innen aus Landeskirchen bei dem einen oder anderen noch immer nicht richtig hinschauen, lässt es sich nicht mehr ignorieren. Zu viele Beispiele fielen mir da auf Anhieb ein: Reichweitenstarke Podcaster:innen, die rechte Positionen teilen und verteidigen. Influencer, die gar dazu aufrufen, die AfD zu wählen. Ein erfolgreicher, bekannter Autor und Referent, der sich einen seriös-konservativen Anstrich gegeben hat, aber immer wieder ganz dicht am rechten Abgrund balanciert.
Dazu konservative Gemeinden, die das, was in den USA passiert, regelrecht feiern und die, ohne mit der Wimper zu zucken, auch hier die Rechte von queeren Menschen beschneiden würden oder sich einen ähnlich restriktiven Umgang beim Thema Schwangerschaftsabbruch wünschen – ungeachtet der Tatsache, in welche medizinischen Gefahren betroffene Frauen dadurch geraten.
Nein, an dieser Stelle kann das Brückenbauen gerade nicht mehr funktionieren. Meinen Platz zwischen den Stühlen muss ich schweren Herzens räumen.
Was jetzt gut tut
Aber ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht so genau, wo ich jetzt hingehen soll. Die „andere Seite“ läge nahe. Mit meinen links-progressiven Geschwistern verbindet mich viel mehr. Ich muss mit ihnen nicht über Gottes Liebe oder die Rechte von queeren Menschen streiten. Wir sind uns einig, dass unser Glaube und die Werte der MAGA-Leute und ihrer libertären Freund:innen hierzulande nicht miteinander im Einklang stehen.
Aber auf dem Weg dahin würde ich viele Menschen zurücklassen, die mir nach wie vor wichtig sind. Brüche und Abschiede würden mir das Herz bleischwer machen. Ich brächte es kaum über mich, auch die verloren zu geben, die es meiner Überzeugung nach noch immer nicht sind.
Und dann würde mir mein neues Lager auch ziemlich schnell auf den Geist gehen. Denn einige von ihnen schreien mir zu laut und zu schrill, sind mir zu undifferenziert in ihren Ansichten und Positionen. Schüren ihrerseits Abneigung und Spaltung, wo dies gar nicht in dieser Form nötig wäre. Sie haben zum Teil andere blinde Flecken, die ich persönlich als sehr unangenehm empfinde. Auch sie glauben, einzig und allein zu wissen, wie das mit der Welt, der Kirche und dem Glauben funktionieren muss.
Brückenbauen scheint derzeit keine Option, zumindest nicht mehr so, wie vor fünf Jahren. Doch ich glaube: Ich bin nicht die Einzige, die irgendwo im Niemandsland steht und nicht problemlos irgendwo andocken kann. Ich weiß, dass andere Brückenbauer:innen (vergangener Tage) mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben. Der Autor und Podcaster Thorsten Dietz, der es sich auch lange zwischen den Stühlen bequem gemacht hat, erzählte vor einer Weile im Podcast bei Priska Lachmann, dass er seinen Platz räumen musste. Schweren Herzens auch er, aus all den Gründen, die ich vorher aufgezählt habe.
Er will keine Brücken mehr bauen, aber er hat ein neues Bild im Gepäck: Von Inseln und Booten. Mir gefällt es, weil es zwar bedeutet, sich für eine Weile in seinen eigenen, kleinen Bereich zurückzuziehen – aber doch immer mal wieder rauszufahren und die anderen zu besuchen, mit dem Wissen, dass man dort, wo sie sind, derzeit nicht bleiben kann. Aber man muss sich auch nicht komplett abschotten. Man kann Kontakt halten, wann immer es ins eigene Leben passt und in einem Maß, das gut tut.
Denn vor dem Abschotten und Meiden derer, die gerade ganz andere Wege gehen, möchte ich nach wie vor warnen. Da liegt ganz sicher kein Segen drin. Mag sein, dass wir uns alle in diesen Zeiten stärker trennen und klarer abgrenzen müssen. Doch ich bin überzeugt, das wird nicht für immer so bleiben. Das Christentum ist dynamisch, wie unsere Welt insgesamt. Ich glaube fest daran, dass unsere Zeit wiederkommt, eine Zeit der Brückenbauer:innen und auf Sitzsäcken-Runhänger:innen. Dann sollten wir bereitstehen, offen, interessiert und empathisch – und nicht komplett von einer Seite und ihrer gepachteten Wahrheit eingenommen, bitter und unerbittlich.
Wenn Brücken einstürzen, besteige das Boot
Mir hat das Brückenbauen hier und anderswo jedenfalls immer Spaß gemacht. Für eine Weile ziehe ich jetzt auf meine Insel. Eine, auf der es insgesamt mehr ums Tun als ums Nachdenken oder Positionieren gehen soll. Eine mit diakonischer Arbeit und ehrenamtlichem Engagement. Eine, auf der ich Gärten bepflanze und für Kinderrechte kämpfe. Eine, auf der ich Menschen treffe, die lieber ihre Hände da einsetzen, wo sie gebraucht werden, statt sie nur gen Himmel zu heben. Ich habe für mich in den letzten Jahren mehr und mehr die Spiritualität des Handelns entdeckt und bin gespannt, wohin sie mich noch führt.
Hier und jetzt verabschiede ich mich von Euch, liebe Leser:innen! Aber ich hoffe, wir begegnen uns, auf irgendeiner schönen Insel, in einem Boot – oder irgendwann wieder auf einer Brücke!
Alle Ausgaben der Familienkolumne „Gotteskind und Satansbraten“ von Daniela Albert in der Eule.
Zum Abschied von „Gotteskind und Satansbraten“
Im April 2020, mitten in der ersten Phase der Corona-Pandemie, haben wir in der Eule mit der Familienkolumne „Gotteskind und Satansbraten“ von Daniela Albert begonnen. Immer wieder hat Daniela in ihren Texten auf die Themen und Perspektiven von Kindern, Jugendlichen und Familien aufmerksam gemacht. Das war nicht nur – aber besonders – in Pandemiezeiten eine dringend gebotene Ergänzung und wertvolle Vertiefung der anderen Beiträge in unserem Magazin.
In 56 Kolumnen-Texten, inzwischen vier Büchern und sechs Episoden des „Eule-Podcast“ hat Daniela mit viel Wärme, Humor und Sachverstand darüber geschrieben, wie Kinder und Jugendliche ihren Weg in Kirche und Gesellschaft gehen – und wir Erwachsenen sie dabei unterstützend begleiten können. Alle Eule-Beiträge von und mit Daniela bleiben online und sind eine Entdeckungsreise wert!
Vielen Dank, Daniela, für fünf Jahre „Gotteskind und Satansbraten“! Adieu!
Die Eule-Redaktion
Unterstütze uns!
Die Eule bietet Nachrichten und Meinungen zu Kirche, Politik und Kultur, immer mit einem kritischen Blick aufgeschrieben für eine neue Generation. Der unabhängige Journalismus und die Stimmenvielfalt der Eule werden von unseren Abonnent:innen ermöglicht. Mit einem Eule-Abo unterstützst Du die Arbeit der Redaktion, die faire Entlohnung unserer Autor:innen und die Weiterentwicklung der Eule.