Knappe Moral – Die #LaTdH vom 20. Februar
Der UKA-Bericht für 2021 klärt über die „Anerkennung des Leids“ in der katholischen Kirche auf. Außerdem: Kaum jemand will Woelki zurück und Chancen der Religionen bei der Bewältigung von Zukunftsfragen.
Herzlich Willkommen!
Die Diskussionen um Missbrauch in kirchlichen Einrichtungen hat diese Woche eine neue Ebene bekommen: Die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) hat ihren Bericht für das Jahr 2021 vorgelegt. Und auch die Nachwehen des Münchener Missbrauchsgutachtens sind Thema in diesen „Links am Tag des Herrn“.
Wir stellen außerdem Lisa Müller vor. Sie hat sich im Zuge der Initiative #OutInChurch geoutet. Warum und was das für sie bedeutet, lesen Sie weiter unten.
Eine gute Woche wünscht
Jacqueline Depta
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Debatte
Der Missbrauch in kirchlichen Einrichtungen war diese Woche auf verschiedenen Ebenen Thema. Am Freitag hat die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) ihren erste Jahresbericht (PDF) veröffentlicht. Im ersten Jahr ihres Bestehens wurden in 606 Fällen Anerkennungsleistungen für Betroffene sexuellen Missbrauchs in kirchlichen Einrichtungen gezahlt.
Bisher 13 Millionen Euro Anerkennungsleistungen für Missbrauchsopfer – Felix Neumann (katholisch.de)
Bei katholisch.de fasst Felix Neumann (@fxneumann) die Fakten zusammen. Insgesamt gingen bis Dezember 2021 1 565 Anträge bei der Kommission ein, aus allen deutschen Bistümern. 47 Fälle wurden als besondere Härtefälle gewertet, diesen Betroffenen jeweils wurden mehr als 50 000 Euro zugesprochen. Das ist die Höhe der Summe, die von der Verfahrensordnung eigentlich vorgesehen ist.
Etwa 80 % der Anträge haben Männer gestellt, die Geschlechterverteilung entspricht damit ungefähr derjenigen, wie sie aus den kirchlichen Missbrauchsstudien bekannt ist. Anträge wurden wegen des hohen Alters oder schwerer Erkrankung der Betroffenen priorisiert. Weil 949 Anträge im vergangenen Jahr nicht bearbeitet werden konnten, hat die Kommission für eine schnellere Bearbeitung die Verfahrensordnung geändert.
„Die Zahl der nicht bearbeiteten Anträge ist zu hoch, als dass wir nach unserem eigenen Anspruch zufrieden sein könnten“, so die ehemalige Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Köln [Margarete Reske, Vorsitzende der UKA]. Dem Bearbeitungsstau, der aufgrund des vor allem zu Beginn der Arbeit hohen Antragseingangs entstand, werde aber durch die ergriffenen Maßnahmen gut begegnet. Reske betonte, dass der Bericht angesichts der Anlaufphase nur eine Momentaufnahme darstellen könne und man noch keine endgültigen Schlüsse auf das laufende Jahr ziehen könne. Die Entwicklung sei sehr stark im Fluss.
Trotz dieser hohen Zahlen will die UKA jedes individuelle Leid der Betroffenen würdigen, so der stellvertretende Vorsitzende der UKA, Ernst Hauck.
Die unbekümmerte Justiz – Daniel Deckers (Frankfurter Allgemeine Zeitung)
Mit der Strafverfolgung in Missbrauchsfällen in kirchlichen Einrichtungen hat sich diese Woche auch Daniel Deckers beschäftigt. In seinem Kommentar in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (@faznet) schreibt er von „katholischen“ Richtern, die Strafen verhängten, „deren Milde in keinem Verhältnis zu den pädokriminellen Umtrieben der Angeklagten standen.“
Überspitzt formuliert muss daher die Frage erlaubt sein, ob sich Päderasten und ihre Mitwisser bis in den Kardinalsrang hinauf (Meisner: „Nichts geahnt“) in ihrem Tun und Lassen auch deswegen recht sicher fühlen konnten, weil die staatliche Justiz gegenüber Bistumsverwaltungen und Landeskirchenämtern eine Nonchalance an den Tag legte (legen?), die jeder Rechtsstaatlichkeit Hohn spricht.
So wirft Deckers der Kölner Staatsanwaltschaft vor, sich mit verharmlosenden Bemerkung von ranghohen Bistumsmitarbeitern zufrieden gegeben zu haben, anstatt wichtige Akten aus dem Bistum sicherzustellen und weiter zu ermitteln. Als positives Vorbild aber nennt der Autor Richter Christoph Kaufmann, der das Umfeld des Beschuldigten in Augenschein nahm und dabei die Bistumsverantwortlichen als Kollaborateure enttarnt hat. Von der Bundesregierung fordert Deckers, sie solle Gerechtigkeit auch bei den verjährten Verbrechen herstellen.
Auch der scheidende Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, fordert in einem am Mittwoch veröffentlichten Positionspapier den Staat dazu auf, bei Missbrauchsfällen im kirchlichen Kontext mehr Verantwortung zu übernehmen. Der Staat müsse Sexualstraftaten in der katholischen Kirche verfolgen.
Sorry seems to be the hardest word? – Christoph Koller (y-nachten.de)
Warum bitten Bischöfe, kirchliche Amtsträger und auch der ehemalige Papst Benedikt XVI. nicht um Entschuldigung? Denn genau darauf warten doch viele Betroffene und Beobachter:innen. Mit dieser Frage beschäftigt sich der Wissenschaftliche Mitarbeiter am Arbeitsbereich Kirchenrecht der Universität Freiburg, Christoph Koller, auf dem Theologie-Blog y-nachten (@ynachten).
Dazu schaut er sich den Brief zum Münchener Missbrauchsgutachten des emeritierten Papstes noch einmal genau an und findet statt einem „ich“ nur ein „wir“, wenn es um die Schuldfrage geht. Koller resümiert, dass es den kirchlichen Amtsträgern scheinbar schwer falle „die Position auf der anderen Seite des Büßerbänkchens einzunehmen“. Sie konzentrierten sich meist auf die juristische Dimension von Schuld und würden die moralische und emotionale Ebene ausblenden.
Nicht nur Betroffene sexueller Gewalt in der Kirche, auch Gläubige und die Öffentlichkeit erwarten, dass sich Verantwortliche zu ihrer ganz persönlichen Verantwortung bekennen, dass sie bereit sind, ihren Christenmensch zu stehen und endlich ein Schuldbekenntnis ablegen, das diesen Namen auch verdient. Aufrichtig, ungeschönt, persönlich und deshalb schmerzhaft über die Schmerzgrenze hinaus. Damit würden sie nicht nur einen unendlich wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung der Missbrauchsfälle leisten, sondern auch ein wirklich christliches Vorbild abgeben.
nachgefasst
#OutInChurch: Wie eine Initiative die katholische Kirche in Aufruhr versetzt – Hannah Scheiwe (Redaktions Netzwerk Deutschland)
Gut drei Wochen nach dem Schritt in die Öffentlichkeit der Initiative #OutInChurch zieht Hannah Scheiwe (@HannahScheiwe) eine Zwischenbilanz, was sich seitdem getan hat. Ihr Eindruck: Die Initiative hat für Aufsehen gesorgt und Veränderungen angestoßen. So hat zum Beispiel die Synodalversammlung des Synodalen Weges Anfang Februar mit großer Mehrheit für eine Änderung im kirchlichen Arbeitsrecht der katholischen Kirche gestimmt.
Die von Beschäftigten zu erwartende Loyalität werde „auf ein Mindestmaß“ begrenzt, sagte der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing. „Die persönliche Lebensführung bleibt außen vor.“
Rainer Teuber ist einer der Gründungsmitglieder von #OutInChurch, er fordert nun, dass die Bischofskonferenz Anfang März entsprechende Paragraphen im kirchlichen Arbeitsrecht aussetzt. Eine ähnliche Forderung wurde Anfang der Woche von 11 Generalvikaren erhoben (Die Eule berichtete). Die Bistümer Würzburg, Paderborn, Hildesheim, Essen und Osnabrück hatten bereits angekündigt, niemanden wegen seiner sexuellen Orientierung zu entlassen.
Trotzdem sei der Weg noch lang, so Teuber. Die Initiative fordert weiterhin Segnungsfeiern für gleichgeschlechtliche Paare und die Verbesserung der Situation von Transmenschen und nicht-binären Personen. Auch sie sollen in einer „Kirche ohne Angst“ leben können, so der #OutInChurch-Initiator Jens Ehebrecht-Zumsande (@ZumsandeJens).
„Gott hat mich mit meiner Sexualität geschaffen“ – Katharina Zöpfl (Münchener Kirchenzeitung)
Lisa Müller ist Krankenhausseelsorgerin und lesbisch. Das hat sie im Zuge der ARD-Dokumentation „Wie Gott uns schuf“ (Bericht in der Eule) öffentlich gemacht. Katharina Zöpfl (@kazoep) schreibt in ihrem Portrait nun ausführlich über die Gründe für dieses ungewöhnliche Outing und was es für Müller bedeutet. Mit 28 Jahren hat sich Lisa Müller in eine Frau verliebt und dann gemerkt, das sie lesbisch ist.
In ihrer beruflichen Laufbahn hat sie Fälle erlebt, in denen Eltern an der Homosexualität ihrer Kinder verzweifelten. Auch privat musste sie die verletzende Erfahrung machen, dass die Mutter einer Partnerin ihr sagte: „Ihr werdet schon sehen, ihr werdet in der Hölle landen.“
Trotzdem will Müller ihren Glauben weiter vermitteln und auch weiterhin für die Kirche arbeiten. Das Outing jetzt im Zuge der Initiative #OutInChurch war für sie wichtig, denn sie wünscht sich eine gleichberechtigte Kirche ohne Angst. Ob und wenn ja wie ihre Vorgesetzten Konsequenzen aus ihrem Mitwirken an der ARD-Dokumentation ziehen, wird sich noch zeigen.
Mit Sorge und Skepsis (Domradio.de)
Verschiedene Gremien im Bistum Köln haben sich gegen die Rückkehr des Kardinals Rainer Maria Woelki ausgesprochen. Der Erzbischof will an Aschermittwoch nach einer fünfmonatigen Auszeit wieder zurück in sein Bistum kehren.
Der Kölner Stadtanzeiger hat außerdem eine repräsentative Umfrage in Auftrag gegeben. Demnach gaben 82 % der Befragten an, Papst Franziskus sollte Kardinal Woelki absetzen. 92 % erklärten sogar, dass Woelki selbst zurücktreten sollte.
Buntes
„Moral ist eine knappe Ressource“ – Stephan Kosch und Kathrin Jütte (zeitzeichen)
Nicht nur die Politik habe Nachholbedarf in Sachen Klimaschutz, auch die Kirchen müssten aufholen, meint Ottmar Edenhofer im Interview mit Stephan Kosch und Kathrin Jütte von @zeitzeichenNET. Den Grund für das langsame Handeln der Kirchen sieht der Klimaökonom auch bei theologischen Schwierigkeiten. Manche gläubige Menschen würden die Klimabewegung als eine säkulare Religion sehen. Er sei froh, dass man beim Klimaschutz nicht mehr über das „Ob“, sondern über das „Wie“ diskutiere.
Das Interesse ist jetzt auch bei den Bischöfen da. Die fragen sich natürlich, was sie da tun können, auch beim Umgang mit dem Geld der Kirchen. Kirche ist ja nicht nur Konsument, sondern ein großer Investor, ein großer Landbesitzer. Die christlichen Hilfswerke haben schon früh angefangen, über Klimawandel nicht nur nachzudenken, sondern auch entsprechende Projekte im globalen Süden zu fördern. Aber es ist natürlich noch nicht genug.
Einen wichtigen Hebel sieht Edenhofer im CO2-Preis. In Experimenten habe sich gezeigt, dass ein steigender CO2-Preis dazu führe, dass Menschen mehr freiwillige Beiträge zum Klimaschutz leisten.
Glaube in Aktion – Berlin Institut (Konrad Adenauer Stiftung)
Wie können religiöse Organisationen dabei helfen, das Bevölkerungswachstum in Westafrika zu verlangsamen? Das zeigt die Studie „Glaube in Aktion – Wie religiöse Organisationen den demografischen Wandel voranbringen“. Warum das wichtig ist, zeigen diese Berechnungen:
Bis 2050 soll sich die Einwohnerzahl dort von 402 Millionen auf 797 Millionen Menschen nahezu verdoppeln. Nicht nur der Zugang zu Jobs, guter Bildung und Gesundheitsvorsorge stehen auf dem Spiel, sondern auch das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben.
Und weil in den westafrikanischen Ländern Imame und Priester:innen einen großen Einfluss auf die Menschen haben, wird die Zusammenarbeit mit diesen Akteuren in Bezug auf die Familienplanung positiv bewertet. Die Studie im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung (@KASonline) beschreibt bereits funktionierende Methoden und gibt Denkanstöße für die Zukunft.
Maï & Philipp erklären die Welt: „Mütend“ durch den Sturm? – Maïmouna Obot & Philipp Greifenstein (Die Eule)
In der neuen Ausgabe des Eule-Podcasts „Maï & Philipp erklären die Welt“ widmen sich Maïmouna Obot (@mai_mit_trema) und Eule-Redakteur Philipp Greifenstein (@rockToamna) der Erschöpfung nach zwei Jahren Corona-Pandemie und den Problemen, vor die jene vor allem Familien stellt. Außerdem geht es bei den Beiden wieder gewohnt unterhaltsam zu, z.B. wenn sie darüber streiten, ob Fischstäbchen auf Pizza gehören – oder nicht.
Theologie
Sicherheit – mehr als eine Illusion? Ein Ideal auf dem Prüfstand – Corinna Mühlstedt (BR)
Die Weltkonferenz der Religionen für den Frieden hat in Lindau getagt. Corinna Mühlstedt berichtet in der neusten Folge des Podcasts „Religion – Die Dokumentation“ über die Tagung. Hochrangige Religionsvertreter haben über die Frage diskutiert, welche Art von Sicherheit jede:r Einzelne, aber auch die Gesellschaft braucht.
Ein guter Satz
Wenn Gott von oben auf mich runterschaut, sagt er sich „Ach guck, da steht sie wieder die Krone meiner Schöpfung und winkt vergebens dem Handtuchspender zu.”
— Horst Hutzel (@Horst_Hutzel_) January 27, 2022