Kolumne #abgehört

Ein spirituelles Come Together

Im Podcast „Sound & Vision“ moderiert Mechthild Klein den interreligiösen Dialog über spirituelle Musik. Und ich komme raus aus meiner Kirchenmusik-Bubble.

Es ist wieder so weit: Bei Glühwein und Punsch wird zu stimmungsvoller Musik geschunkelt. Aus den durch Frost und Schnee in Mitleidenschaft gezogenen Lautsprechern neben der Bratwurstbude ertönen neben „Last Christmas“ und „All I Want For Christmas“ auch immer mal wieder Lieder, in denen die Geburt Jesu Christi in frömmsten Versen besungen wird. Manches Kirchenlied scheppert als Instrumental über den Weihnachtsmarkt – oder zumindest nur mit den harmlosen Strophen.

„Ihr Kinderlein kommet“ schön und gut, aber „So nimm unsre Herzen zum Opfer denn hin“? Geistliche Musik hat sowohl textlich als auch musikalisch eine für viele Menschen hohe Einstiegshürde. Man bleibt sowieso lieber beim Gewohnten, oder? Um diese Hürden zu überspringen, ist „Sound & Vision“ ein gutes Hilfsmittel. „Sound & Vision“ ist eine Audio-Sendung der Journalistin Mechthild Klein, die im Netz und beim Hamburger Bürgerradio Tide Radio zu hören ist. Und worum geht es?

Die Moderatorin schildert in der ersten Sendung ein in den Kirchen bekanntes Problem: Wenn nicht grade Xaver Varnus alle Register der heimischen Orgel zieht oder der Gemeindechor das Weihnachtsoratorium mit externem Orchester auf die Bühne bringt, kann die geringe Aufmerksamkeit für Konzerte mit geistlicher Musik sehr frustrierend sein. Man bleibt in der eigenen Filterblase, wie die auch beim Deutschlandfunk aktive Religionswissenschaftlerin und Journalistin treffend beobachtet.

Die eigene Filterblase meint dabei zunächst die Filterblase der eigenen religiösen Gemeinschaft. Sehr erfrischend ist es also, dass bei „Sound & Vision“ stets Musiker:innen aus zwei verschiedenen Religionen in eine Folge eingeladen werden. Abwechselnd stellen beide ihre mitgebrachten Stücke vor, die dann vom Band und manchmal auch live in der Sendung erklingen. Nebenher erfahren die Hörenden einiges über die Traditionen und theologischen Ideen hinter den Klängen, aber auch über den Alltag der zumeist hauptberuflichen Musiker:innen.

Interreligiöser Dialog über spirituelle Musik

Nach einigen klassischen Interviewfragen kommt es schnell zum direkten Austausch zwischen den Religionen. Etwa, wenn ein jüdischer Kantor und eine evangelische Kirchenmusikerin sich über Psalmvertonungen austauschen. Häufig brennen die Kolleg:innen an praktischen Fragen: Wie macht Ihr das? Steht ihr dabei in einem Kreis?

Oder wenn das „Benedicat vos omnipotens deus“ als Beispiel für meditative katholische Musik angespielt wird, nachdem eine vormals katholische Dharma-Lehrerin die Bedeutung von Gesangsmediation für die Auflösung des Ichs erläutert hat. Die Quintessenz aus dem Gespräch: Menschen suchen Wiederholung und Ritual, in der religiösen Praxis wie in der moderner Popmusik.

Die gemeinsame Liebe für die Musik und die unterschiedlichen Backgrounds finden in der angenehmen Gesprächsführung von Mechthild Klein gut zusammen. Es entsteht ein aufregender und ungewohnter Mix aus Psalmvertonungen, Trommeln oder Orgelmusik. Gerade wer Sikhismus oder Sufismus nur aus dem religionswissenschaftlichen Proseminar oder aus den Medien kennt, bekommt hier Eindrücke gelebter Frömmigkeit vermittelt. Dabei trifft bisher stets ein:e christliche:r auf eine:n nicht-christliche:n Musiker:in.

„Come together … right now … over me.“

Eine Folge „Sound & Vision“ dauert etwas weniger als eine Stunde. Was mir fehlt, sind weitere Hörtipps über die in der Sendung erklingenden und besprochenen Musikstücke hinaus in Form von Playlists oder empfehlenswerten Alben, Konzertterminen oder Ahnlichem. Denn nicht selten mochte ich nach dem Anhören ein kleines binge listening starten. Aus meiner eigenen Kirchenmusik rauszukommen, dazu hat mich „Sound & Vision“ immer wieder angeregt.

Unterstützt wird das dialogische Duett der Religionen durch die Gustav-Prietsch-Stiftung zur Förderung der aktiven interreligiösen Toleranz.  „Come together … right now… over me“, trällert John Lennon zu Beginn einer Folge. Eine schöne Zusammenfassung der Idee hinter „Sound & Vision“, die leider noch zu wenig Aufmerksamkeit bekommen hat.

„Sound & Vision“ ist aktuell im Netz nur über Mixcloud abrufbar, was angesichts der sehr lohnenswerten Sendung aber verkraftbar ist. Weniger verkraftbar: Nach fünf Sendungen und einem Best-of pausiert „Sound & Vision“ derzeit. Ich hoffe ganz fest auf eine Fortsetzung und ermuntere mich bis dahin mit Psalmen, Löbgesängen, Sutren und allen neuen Liedern, die Mechthild Klein und ihre Gäst:innen mir ins Ohr gesetzt haben.


„Sound & Vision“ auf Mixcloud. Mechthild Klein ist u.a. auf Twitter zu finden.


#abgehört: Podcast-Kritiken bei der Eule

In unserer Serie „#abgehört“ stellen wir seit 2017 Podcasts vor: Podcasts zu klassischen Kirchenthemen und solche, die Neuland betreten. Podcasts, die von Theolog:innen gemacht werden und sich um Bibel und Predigt drehen, und Podcasts zu (Rand-)Themen, die mehr Aufmerksamkeit verdienen. Seit 2022 schreibt Frederik Ohlenbusch für uns frische Podcast-Kritiken.

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