Foto: Jacek Dylag (Unsplash)

Die Hölle auf Rädern

„Freie Fahrt für freie Bürger“ ist das Erlösungsversprechen unserer Zeit: Denn im Stau zu stehen ist eine Form von Tod. Peter Aschoff sieht in seinem Gastkommentar dennoch Hoffnungsschimmer:

In der Woche vor Ostern bin ich einer großen Sache auf die Spur gekommen. Alles fing an im Facebook-Feed von Pater Jörg Alt (@JoergAltSJ), der sich im Zuge von Klimaprotesten an Straßenblockaden beteiligt (Die Eule berichtete). In den Kommentaren wurde dann deutlich gemacht, dass Staus niemals Gottes Wille sein können, weil dort Menschen schwerst traumatisiert werden: Nervenzusammenbrüche, Herzinfarkte, man kommt nicht ins Krankenhaus oder in Veranstaltungen von Leuten, die man gut findet. Kurz: Es gibt keine schlimmere Folter, als im Verkehr zu stecken.

Bei Lesen wurde mir klar: Im Auto zu hocken und nicht vorwärts zu kommen, ist eine Form von Tod. Lebendig begraben in der Blechlawine. Müssten also Straßenblockaden wie Totschlag geahndet werden? Viele Landsleute würden hier zweifellos zustimmen.

Mir ging aber ein anderer Aspekt nach: Wenn es stimmt, dass Staus sich so traumatisch auf die Psyche schlagen, dann sind wir Deutsche ein schwer leidendes Volk. Der durchschnittliche Münchner PKW-Pendler leidet sagenhafte 79 Stunden im Jahr Qualen, in Berlin sind es 65 und bei uns in Nürnberg noch rund 45 – und das ist nur das Leid auf dem Weg zur Arbeit! Da kommen noch viele Stunden Stau im Urlaub hinzu, das trifft dann die ganze Familie, also auch Kinder müssen die nervenzerfetzende Tortur schon durchmachen. Da bleiben schlimme Narben zurück.

Radikale Klimaschützer wie der ADAC behaupten zwar, Staus gebe es wegen der vielen, vielen Autos auf den Straßen und wegen Baustellen zu deren Bau und Erhalt. Aber das ist natürlich plumpeste Täter-Opfer-Umkehr, die uns die Freude am Fahren vermiesen will, indem sie uns die Schuld am Stau gibt.

Die Blockaden auf den Straßen beseitigen!

Damit ist auch klar, dass es eine völlig unrealistische Erwartung wäre, dass wir uns hier ernsthaft mit den Folgen unserer fossilen Lebensweise befassen. Man kann einem todtraurigen Herzen nicht damit kommen, dass irgendwo anders auf der Welt jemand hustet wegen der schlechten Luft. Oder sein Haus verliert. Diese Menschen in den armen Ländern haben meist keinen Porsche oder BMW und wissen gar nicht, was wir alles Schreckliches erleben! Und was sind schon gelegentliche Dürren und Flutkatastrophen gegen das Drama, das sich täglich auf dem Asphalt um uns herum abspielt? Was sind Ernteausfälle gegen den Zeitverlust – was kümmert mich das Artensterben wenn ich ganz dringend aufs Klo muss und dafür die Rettungsgasse nicht benutzen darf?

Wenn wir den also Stillstand in Sachen Klima überwinden wollen, müssen erst einmal diese Blockaden auf den Straßen beseitigt werden. Also teeren und pflastern wir doch bitte jetzt sofort, was irgendwie geht, damit die menschengemachte Bewegungsarmut ein Ende und die Freiheit wieder eine Überholspur hat.

Wer wird uns aus dem Elend erlösen?

Von Abraham Maslow wissen wir: Leute, denen so elementare Rechte wie das Lichthupen auf der Autobahn und das Parken auf dem schmalen Bordstein vor der eigenen Haustüre vorenthalten werden, sind einfach nicht in der Lage, sich für solch abstrakte Dinge wie Demokratie, das schwer gestutzte Demonstrationsrecht oder das Recht auf saubere Luft und sauberes Wasser zu erwärmen. Das kann man von ihnen auch nicht verlangen. Ebenso wie man nicht erwarten kann, dass sie an die Zukunft ihrer Enkel (geschweige denn der Enkel anderer) denken, wenn ein Stau sie davon abhält, dem verdienten Feierabend entgegenzubrausen.

Aber zum Glück gibt es noch Männer wie Christian Lindner, Volker Wissing, Hubert Aiwanger, Andi Scheuer und all die anderen Volkshelden der ungebremsten Raserei. Die den Duft von Diesel und Freiheit noch schätzen. Irgendwann kommt der Tag, wo sie mit einem weißen Mustang in der Rettungsgasse vorfahren und uns aus dem Elend und der Hölle des ständigen Staus erlösen.

Oder wenigstens eine Rolle Klopapier verteilen.


Alle Eule-Artikel zum Themenschwerpunkt Klimakrise.


Neue Kolumne „Tipping Point“

In unserer neuen Kolumne „Tipping Point“ schreibt Tobias Foß über die sozio-ökologische Transformation. Welchen Beitrag können Christ:innen und Kirchen leisten? Welche Probleme müssen bewältigt werden? Welche Kipppunkte gilt es in Theologie und Glaubensleben wahrzunehmen?

Mit „Tipping Point“ wollen wir in der Eule an Fragestellungen im Licht der Klimakrise dran bleiben. Dabei stehen nicht allein Klima- und Umweltschutz im Zentrum, sondern auch die Auswirkungen von Klimawandel und Umweltzerstörung auf das unser Zusammenleben. Die Klimakrise verändert schon jetzt unsere Gesellschaft(en). In „Tipping Point“ geht Tobias Foß diesen Veränderungen auf den Grund und beschreibt Ressourcen und neue Wege.


Dieser Kommentar ist am Karsamstag zunächst auf dem Blog des Autors erschienen.