In Liebe – Die #LaTdH vom 7. Januar
Gerechtigkeit als Antlitz der Liebe – willkommen im Jahr 2024: Entpuppt sich „Fiducia supplicans“ endgültig als Schuss in den Ofen? Außerdem: Kirchenasyl in Gefahr, Fehrs im Interview und Bubblecrasher:innen.
Herzlich willkommen, …
… frohe Weihnachten und ein erfolgreiches Jahr 2024! Hier in den #LaTdH ist es noch nicht zu spät für gute Wünsche zum neuen Jahr: Herzlich willkommen zurück! „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe“ aus dem 1. Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Korinth (Kapitel 16, Vers 14) ist die Jahreslosung für das Jahr 2024. Mit Liebe wird jedenfalls dieser Newsletter gemacht, auch im neuen Jahr.
Leider halten es in unserer Zeit nicht alle mit der großen Liebe. Einer Liebe, die Geborgenheit und Schutz bietet, die „Ja“ sagt, wo andere den Kopf schütteln, die sich selbst zurücknimmt, um Platz für die Geliebten zu schaffen. Unserer Welt in Liebe zu begegnen bedeutet darum auch, zornig zu werden und gerade nicht, die Verhältnisse mit Zuckerwatte auszudekorieren. „Justice is what love looks like in public, just like tenderness is what love feels like in private.“
Dieses Zitat des US-Bürger:innenrechtlers und Theologen Cornel West erscheint mir nach wie vor eine treffende Auslegung der Jahreslosung zu sein: „Gerechtigkeit ist das Antlitz der Liebe in der Öffentlichkeit, so wie sich die Liebe im Privaten wie Zärtlichkeit anfühlt.“ Liebesreden in der Öffentlichkeit ohne Gerechtigkeit sind Vertröstung. Woher aber kommt Gerechtigkeit? In der Bibel wird sie von Gott gefordert und erbeten. Gott selbst wird Recht schaffen, und die an ihn glauben, sollen sich in Geduld üben.
„Tu deinen Mund auf für die Stummen, für die Sache aller, die verlassen sind!“ (Sprüche 31, 8) erscheint mir eine notwendige Ergänzung zur Losung zu sein und dem öffentlichen Reden und Handeln der Kirchen eine gute Richtung zu geben. Nicht für das Eigene, sondern für die Sache aller, die verlassen sind, lohnt es sich, die Stimme zu erheben. Mit dem eigenen Wohlergehen können die Kirchen durchaus leichtsinnig umgehen, um ihren Auftrag umso ernster zu nehmen.
Ein gutes neues Jahr wünscht
Philipp Greifenstein
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Debatte
Können wir uns darauf einigen, dass die vatikanische Erklärung „Fiducia supplicans“ zu Segensmöglichkeiten für „irreguläre“ und gleichgeschlechtliche Partner:innenschaften ein Schuss in den Ofen war? Nach der Veröffentlichung am 18. Dezember (im Bulletin des Vatikans) entspann sich eine weltweite Diskussion über die Auslegung des Schreibens von Kardinal Víctor Manuel Fernández, dem neuen Präfekten des Glaubensdikasteriums der römischen Kurie, das mit ausdrücklicher Bestätigung durch Papst Franziskus veröffentlicht wurde. Manch anfängliche Begeisterung wich schnell der Ernüchterung – mit fortschreitendem Lesestand, möchte man meinen. In der Eule hatte ich „Fiducia supplicans“ bereits am Erscheinungstag kritisch eingeordnet.
Aufklärung
Zur Aufklärung über „Fiducia supplicans“ sei an dieser Stelle die kritische Auseinandersetzung mit dem Schreiben und den deutschen Reaktionen aus dem (Laien-)Katholizismus von Norbert Lüdecke hier in der Eule empfohlen. Außerdem dieses „Streitkultur“-Gespräch mit #OutInChurch-Initiator Jens Ehebrecht-Zumsande (Erzbistum Hamburg) und Jochen Sautermeister, Moraltheologe von der Universität Bonn, bei Christiane Florin im Deutschlandfunk. Und zum Schluss noch diese evangelische Einordnung von Horst Gorski, dem ehem. theologischen Vizepräsidenten des EKD-Kirchenamts, in den zeitzeichen. In der aktuellen Episode unseres „WTF?! RE:“-Podcasts haben Michael Greder und ich ebenfalls über „Fiducia supplicans“ diskutiert.
Christoph Strack von der Deutschen Welle erinnert in seinem „Standpunkt“ auf katholisch.de daran, dass es neben der deutschen auch weltkirchliche, insbesondere afrikanische Rezeptionsperspektiven auf „Fiducia supplicans“ gibt:
Die Erklärung aus dem Vatikan braucht in deutscher Fassung gut 4.900 Worte, um das „Ja, aber“ auszumalen, um deutlich zu machen, was alles nicht geht: Keine vorgegebenen Formulierungen, keinen Gottesdienst, nichts, was „Verwechslungsgefahr“ beinhalten könnte (und wieder denkt man, dass das gläubige Volk auch da weiter ist als die römische Blase). Da braucht der Vatikan den langen Text, weil er sich nach einem strikten „Nein“ zu jedem Segen 2021 letztlich selbst korrigiert.
Aber vielleicht braucht es die 4.900 Worte für Länder wie Malawi, Sambia und Kenia und ihre Bischöfe. Denn trotz aller Einschränkungen steht doch in dem Text: Es gibt Homosexuelle. Und eigentlich auch: Kümmert Euch, respektiert sie! Wäre das nicht ein Auftrag, der zu „Fiducia supplicans“ gehört?
Reaktion auf die Reaktionen
Außer Frage steht, dass „Fiducia supplicans“ der Verfolgung von gleichgeschlechtlich liebenden Menschen kritisch gegenübersteht. Die ablehnenden Reaktionen aus betroffenen Ländern ließen darum nicht lange auf sich warten und waren wohl auch ursächlich für die vatikanische Klärung der Klärung der Klärung, veröffentlicht am 4. Januar 2024 (Wortlaut & Bericht bei Vatican News von Gudrun Sailer).
In Afrika beispielsweise, wo mehr als die Hälfte der Länder Homosexualität bestrafen, hatten einzelne Bischofskonferenzen unter Protest erklärt, sie würden „Fiducia Supplicans” nicht anwenden. Die Glaubenskongregation ruft jedoch Bischöfe in solcher Lage dazu auf, die Menschenwürde (auch homosexueller Menschen) zu verteidigen, Studien und „weitere Unterscheidungen” in den Blick zu nehmen und auf langfristig pastorale Entscheidungen hinzuwirken.
Zudem stellte der Heilige Stuhl klar, dass Bischöfe ihren Priestern nicht pauschal verbieten können, homosexuelle oder andere irreguläre Paare informell zu segnen. Zwar habe jeder Ortsbischof immer die Entscheidungsbefugnis vor Ort, und Rücksicht auf die örtliche Kultur könnten „verschiedene Wege der Anwendung erlauben, aber nicht eine totale oder endgültige Verweigerung dieses Weges, der den Priestern vorgelegt wird.“
Die Richtigstellung des Glaubensdikasteriums aber lässt sich natürlich auch als Reaktion auf die Debatte in Westeuropa und Deutschland lesen, besonders da sie mit einem Interview des Präfekten in der rechtskatholischen Tagespost (€) und einigem Wirbel bei rechtskatholischen Medien wie EWTN bzw. CNADeutsch verbunden war. Die Einlassungen Fernández‘ spotten jedenfalls allen ernstzunehmenden und ernsthaften Debattenbeiträgen Hohn.
Ein informeller Segen dauert wenige Sekunden, „ohne Ritual und ohne Benediktionale“, heißt es in der Pressemitteilung. „Wenn zwei Personen gemeinsam herantreten, um einen Segen zu erbitten, bittet man einfach den Herrn um Frieden, Gesundheit und andere Güter für diese beiden Personen, die ihn erbitten. Gleichzeitig bittet man darum, dass sie das Evangelium Christi in voller Treue leben mögen und dass der Heilige Geist diese beiden Personen von allem befreien möge, was nicht seinem göttlichen Willen entspricht und alles, was der Reinigung bedarf.“
Der Priester stelle keine Bedingungen und keine Fragen über das Intimleben der Betreffenden. Um Verwirrung zu vermeiden, darf dieser Akt von „zehn oder 15 Sekunden“ nicht vor dem Altar und auch sonst an keiner wichtigen Stelle in der Kirche stattfinden. Aus demselben Grund darf kein Bischof Segnungen vorschlagen oder erteilen, „die einer liturgischen Feier ähneln könnten“.
Björn Odendahl, Redaktionsleiter bei katholisch.de, kommentiert zutreffend:
Ein Ziel dürfte das Glaubensdikasterium mit den jüngsten Ausführungen jedenfalls erreicht haben: Alle Bischöfe, die sich der Umsetzung von „Fiducia supplicans“ bisher widersetzt haben, weil sie die kirchliche Lehre in Gefahr sahen, können beruhigt aufatmen. Denn viel Interpretationsspielraum, wer da nun wie gesegnet wird, gibt es erst einmal nicht mehr.
An Gottes Segen ist alles gelegen – Daniel Kosch (feinschwarz.net)
Noch schärfer kritisiert Daniel Kosch, Präsident des Schweizerischen Katholischen Bibelwerks, die vatikanische Erklärung der Erklärung „Fiducia supplicans“ im theologischen Feuilleton feinschwarz.net. Er hätte Norbert Lüdecke so gern widersprochen, erklärt er zum Eingang, das schaffe er aber nun nicht mehr, …
… [d]enn die Erklärung ließ Menschen aufatmen, die darunter leiden und die es verletzt, dass die Kirche ihre Lebensform als «irregulär» bezeichnet. Nun müssen sie zur Kenntnis nehmen, dass die Kirche sie höchstens in dunklen Nebenräumen segnen will und damit erst noch den Wunsch verbindet, dass sie von ihrer Sexualität «befreit» und «gereinigt» werden mögen.
Kosch wünscht sich eine Kirche, die tatsächlich die von Papst Franziskus proklamierte Synodalität lebt und daher zum Beispiel Ergebnisse des Synodalen Weges in Deutschland „ernster nimmt“. Zum gleichen Thema hatte bereits am 29. Dezember Michael Berentzen, Hochschulpfarrer an der KSHG Münster und Helfer bei der „Weltsynode“ im Herbst 2023, an gleicher Stelle geschrieben. Ja, wenn doch Papst und Vatikan nur auf den deutschen Katholizismus hörten!
Hier wurde am (vorläufigen) Ende des Synodalen Weges verkündet, Segensfeiern für gleichgeschlechtliche Paare kämen jetzt (im Indikativ). Kritisch könnte man darum auch zurückfragen, ob mit derlei Optimismus nicht auch übertriebene Erwartungen geweckt wurden. Liest man die Deutung von „Fiducia supplicans“ durch Thomas Söding vom 19. Dezember, wird man wahlweise an dessen hermeneutischem Geschick oder kirchenpolitischem Gespür zweifeln müssen, wenn man nicht gleich böse Absicht unterstellen will. Söding ist immerhin Professor für Neutestamentliche Exegese an der Ruhr-Universität Bochum, Vizepräsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) und Vizepräsident des Synodalen Wegs.
Das (mindestens) Missverständnis reicht allerdings tiefer: Alle fühlen sich missverstanden. Erst am Donnerstag waren katholische Journalist:innen aus Deutschland beim Papst zu Gast und er schärfte ihnen ein, wie sie zukünftig zu berichten hätten. Im Vatikan steht man offenbar auf dem Standpunkt, die Katholik:innen in Deutschland müssten nur „besser“ von den vatikanischen Entscheidungen und Überzeugungen informiert werden, dann würden sie ihnen schon zustimmen.
Ein Schuss in den Ofen?
Ausweislich der frischen 6. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung, an der erstmals auch die katholische Kirche beteiligt war, „befürworten [katholische Kirchenmitglieder] genauso stark die Segnung homosexueller Partnerschaften“ wie Evangelische. Verhandelt wird dies im Kapitel „Das Ende konfessioneller Stereotype“ im Band mit den ersten Ergebnissen der Studie (S. 71 f.). Und natürlich sind damit „hochzeitsähnliche“ Segensfeiern gemeint und nicht verhuschte Segensgesten ohne inneres Einverstännis zwischen Tür und Tor.
Mit der KMU gesprochen ist die menschenfreundliche Einstellung der Katholik:innen hierzulande nicht Folge des seit mind. 2018 laufenden Reformdiskurses, sondern eine seiner Triebfedern. Nicht die Kommunikation der päpstlichen Verdikte ist – trotz aller (un-)absichtlichen Missverständnisse seiner Intentionen – defizitär, sondern die offiziöse katholische Sexualmoral. „Es muss zum Schwur kommen“, erklärt darum Oliver Wintzek, Professor für Dogmatik und Fundamentaltheologie an der Katholischen Hochschule in Mainz. Nicht die Akzeptanz queerer Lebensformen sei ein Skandal, der Skandal bestehe vielmehr darin, „dass solche Positionen unter dem Label ‚katholisch‘ firmieren“. Gleichwohl wendet sich Witzek gegen Verschwörungsideologen wie Erzbischof Carlo Maria Viganò und nicht den Papst.
Segensfeiern für wiederverheiratete und gleichgeschlechtliche Paare aber kann es auch in Deutschland in der römisch-katholischen Kirche nur im klaren Widerspruch zum Papst geben. Erste Reaktionen aus dem deutschen Episkopat deuten darauf hin, dass man sich darüber zwar grämt, aber natürlich nicht zum Widerstand bläst. Alles sehr bedauerlich, aber man kann ja nicht anders. Oder doch?
nachgefasst I: Kirchenasyl & Fehrs
Mit dem Rammbock ins Kirchenasyl – Eiken Bruhn (taz)
Zum zweiten Mal innerhalb des Jahres 2023 wurde ein Kirchenasyl gewaltsam unterbrochen. In Schwerin stürmten Polizeibeamte kurz vor Weihnachten ein ordnungsgemäß angemeldetes Kirchenasyl und versuchten Menschen aus Afghanistan nach Spanien abzuschieben. Darüber berichtete u.a. die taz und die FAZ.
Am frühen Morgen war die Polizei in das Haus eingedrungen, in dem eine sechsköpfige, aus Afghanistan stammende Familie seit einer knappen Woche lebte – im Kirchenasyl. Nur sehr selten haben in den vergangenen Jahren Polizist:innen das ungeschriebene Gesetz gebrochen, nach dem Menschen nicht aus Räumen geholt werden, die ihnen von Kirchengemeinden zum Schutz vor Abschiebung zur Verfügung gestellt werden.
Doch die Kieler Ausländerbehörde, die die Schweriner Polizei um Amtshilfe gebeten hatte, wollte die vom Bundesamt für Migration angeordnete Abschiebung der beiden volljährigen Brüder des Kleinen nach Spanien vollziehen. Gescheitert ist sie daran, dass die 47-jährige Mutter, eine afghanische Frauenrechtlerin und TV-Journalistin, drohte, sich, den Zehnjährigen und seine 13-jährige Schwester mit einem Messer zu töten.
Die re-traumatisierenden Geschehnisse von Schwerin sorgten für erhebliche Unruhe in der Kirchgemeinde und ein Echo bei Unterstützer:innen von geflüchteten Menschen. Noch am 23. Dezember fand in Schwerin eine Demonstration von Unterstützer:innen statt, berichtet u.a. die dpa:
Bisher hätten sich Asylsuchende in Mecklenburg-Vorpommern in besonderen Notsituationen darauf verlassen können, dass sie unter dem Dach der Kirche in Sicherheit sind. Seit Mittwoch stehe dies aber in Frage. „Es ist beschämend, dass dieses Versprechen nicht mehr in vollem Umfang eingehalten werden kann“, beklagte Pastor Lars Schulz, der im Namen der Nordkirche das Worte ergriff.
Nach Angaben der Nordkirche wurde zum ersten Mal ein Kirchenasyl in ihrem Wirkungsbereich gebrochen. Das „Großaufgebot“ der Polizei war nach Informationen der Eule auch durch die Privaträume der im gleichen Gebäude ansässigen Pfarrperson gegangen. Zuständige Vertreter:innen der Nordkirche und auch der römisch-katholische Erzbischof von Hamburg, Stefan Heße, der Flüchtlingsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) ist, protestierten laut NDR. Der Bruch des Kirchenasyls sei „besorgniserregend“. Die Polizei agierte offenbar in bundeslandübergreifender Amtshilfe für die Ausländerbehörde in Kiel.
Eine Sprecherin von Schleswig-Holsteins Sozialministerium Aminata Touré (Grüne) schrieb der taz auf Anfrage: „Wir haben uns der Sache angenommen und prüfen sie“. Das Innenministerium von Mecklenburg-Vorpommern wollte sich zu dem Vorgehen der Polizei nicht äußern.
Um ähnlichen Vorfällen im neuen Jahr 2024 vorzubeugen, bedarf es wohl einer öffentlichen Einschärfung dessen, was das Kirchenasyl bezwecken will und wozu es zwar keinen rechtlichen, aber eben symbolischen Schutz genießt. Das klingt für mich ganz nach einem Stück Arbeit, wie gemacht für die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern Manuela Schwesig (SPD), gerne so gefühlig wie auf dem Kirchentag in Nürnberg.
EKD-Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs im Interview
Seit November 2023 ist Bischöfin Kirsten Fehrs (Sprengel Hamburg und Lübeck, Nordkirche) kommissarische EKD-Ratsvorsitzende. Seit dem Rücktritt von Annette Kurschus (wir berichteten) sortiert sich die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) in Erwartung der Ergebnisse der ForuM-Studie zur sexualisierten Gewalt und anderen Missbrauchsformen später im Januar 2024. Im epd-Interview bei Corinna Buschow und epd-Chefredakteur Karsten Frerichs (hier auf der EKD-Website) und in Interviews mit dem freien Journalisten Benjamin Lassiwe (hier im Berliner Tagesspiegel (€) und beim Weser-Kurier (€)) gab Fehrs ausführlich Einblick in ihre Erwartungen:
Im Januar wird sich die sogenannte Forum-Studie mit dem Missbrauch in der evangelischen Kirche beschäftigen. Was erwarten Sie?
Kirsten Fehrs: Es wird sicher schmerzhaft. Es wird schmerzhafte Erkenntnisse geben im Blick darauf, wie wir in der Vergangenheit mit Fällen von sexualisierter Gewalt umgegangen sind, sowohl in der Diakonie als auch in der Kirche. Aber wir erstarren nicht in Angst wie das Kaninchen vor der Schlange: Wir wollen diese Studie, wir haben sie initiiert und geben 3,6 Millionen Euro dafür aus. Ich hoffe, dass die Studie die ganze Bandbreite der Risikofaktoren für sexualisierte Gewalt in allen Bereichen des kirchlichen Lebens zeigt, von der Diakonie über die Gemeindearbeit, von der Kirchenmusik bis zum Leben im Pfarrhaus und der Verknüpfung von familiärer sexualisierter Gewalt mit der Gemeindearbeit.
Über die neue EKD-Ratsvorsitzende sprach Benjamin Lassiwe auch im Domradio-Interview bei Renardo Schlegelmilch:
„Kirchenpolitisch hat sich Kirsten Fehrs in der EKD sehr lange mit dem Thema Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs beschäftigt. Dafür gibt es einen Grund. In der Nordkirche gab es den Missbrauchsfall von Ahrensburg. Die Nordkirche war damit eine der ersten evangelischen Landeskirchen, die in die Missbrauchsaufarbeitung im Grunde genommen hineingestolpert oder hineingestoßen worden ist.
Damals lief nicht alles perfekt. Das kann man heute in der Rückschau so sagen, bis hin zu einem eigentlich überflüssigen Rücktritt der Hamburger Bischöfin Maria Jepsen. Aber dadurch hat man auch gelernt. Kirsten Fehrs hat in den letzten Jahren eine Lernkurve vom Betroffenenbeirat der EKD, der spektakulär gescheitert ist, bis zum Beteiligungsforum, das es heute gibt, durchgemacht. Sie steht im Thema.“
nachgefasst II: Catholica
Hubert Wolf: „Der Papst ist nicht irgendein Dorfpfarrer in den Schweizer Alpen“ – Interview von Annalena Müller (kath.ch)
Kurz vor dem Jahreswechsel beschäftigte sich die Sendereihe „STATIONEN“ des Bayerischen Rundfunks in einer Fernsehdokumentation mit dem diplomatischen Handeln von Papst Franziskus im Ukraine- und im Gaza-Krieg (in der ARD-Mediathek). In der Doku tritt auch der Münstersche Kirchenhistoriker Hubert Wolf auf, der Papst Franziskus scharf kritisiert – wie auch in diesem Interview mit der Online-Nachrichtenplattform der römisch-katholischen Kirche in der Schweiz, kath.ch.
Mit seiner Kritik steht Wolf nicht allein: Auch die Osteuropa- und Ostkirchenexpertin Regina Elsner kommt in ihrer Analyse der Lage zu ähnlichen Schlüssen (s. „WTF?!“-Podcast vom Dezember 2023). Gleichwohl äußert sie sich nicht in einem so bratzigen Ton wie Wolf. Von der Kritik unberührt hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zwischenzeitlich den Sondergesandten des Papstes, Kardinal Matteo Zuppi, und den vatikanischen Kardinalstaatssekretär, Pietro Parolin, mit Verdienstorden geehrt. Wir haben diese neueste Entwicklung bereits in unserem Jahres-Monats-Rückblick auf den Dezember 2023 im „WTF?! RE:“-Podcast aufgenommen.
Streit um Entschädigungszahlung für Missbrauch wirft Fragen auf – Joachim Frank (katholisch.de)
In einem „Standpunkt“ auf katholisch.de greift Joachim Frank, Chefkorrespondent der DuMont-Verlagsgruppe und Vorsitzender der Gesellschaft Katholischer Publizisten Deutschlands (GKP), den „Tiefpunkt“ auf, den der Augsburger Bischof Bertram Meier kurz vor dem Weihnachtsfest gesetzt hat. Das Bistum weigert sich, eine von der Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) zugesprochene Leistung an einen Missbrauchsbetroffenen auszuzahlen.
Mit seinem Ausscheren macht das Bistum Augsburg nun eine Stimmung manifest, die auch andernorts wabern soll. Setzte sich das in der Breite durch, wäre es der Todesstoß für das UKA-System, in dem Transparenz und die „Unabhängige“ Arbeit der Kommission (mit großem U) ohnehin in Frage standen. Es wäre auch das Armutszeugnis einer steinreichen Kirche. Sollten all die vollmundigen Beteuerungen nichts mehr wert sein, wenn es spürbar ans Geld geht?
Über den Vorgang selbst hatte Christina Zühlke im WDR ausführlich berichtet. Bei ihr kommt auch der Betroffene selbst zu Wort:
Hans-Joachim Ihrenberger hätte vor einem staatlichen Gericht vermutlich wenig Chancen, die dort nötigen Beweise zu erbringen. Er sagt, die Mitarbeitenden der UKA hätten ihm sehr geholfen. „Mir geht es ja gar nicht um das Geld.“ Es gehe auch um seine Glaubwürdigkeit. „Damals bekam ich Dresche, als ich vom Missbrauch erzählte. Und meine Mutter hat mir bis jetzt nicht geglaubt, was damals passiert ist.“
Voraussichtlich im Februar wird die UKA über ihre Tätigkeit im Jahr 2023 informieren. Jedenfalls wurde dies bisher immer im Februar des Folgejahres getan. Dann liegen erneut aktuelle Zahlen vor. Im vergangenen Jahr deutete sich bereits an, dass die Verfahren bei der UKA in nicht allzu ferner Zeit erfolgreich abgeschlossen werden könnten. Wie stellt sich das im Lichte der jüngsten Ereignisse dar? Reißt Bischof Meier ein, was trotz beharrlicher Kritik von Betroffenen als eine Erfolgsgeschichte bei der Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs in der römisch-katholischen Kirche gilt?
Buntes
Die Goldenen Blogger 2024: Jetzt bis 9. Januar deine Favoriten nominieren! (Goldene Blogger)
Die „Goldenen Blogger“ sind der älteste noch existierende Social-Media-Preis in Deutschland. Zu gewinnen gibt es kein Geld und keine Firmenpartnerschaft, aber ein Stück der Aufmerksamkeit der digitalen Gesellschaft. Wie in jedem Jahr sind alle Netz-Nutzer:innen eingeladen, eigene Vorschläge einzureichen, aus deren Kreis dann eine Shortlist von Nominierten ausgewählt wird. Im Jahr 2020 gelang das Kunststück, bei den „Goldenen Bloggern“ ausgezeichnet zu werden, der evangelischen Sinnfluencerin Theresa Brückner (@theresaliebt, Eule-Interview hier).
Welches christliche Social-Media-Angebot und welche:r Akteur:in aus dem Raum der Kirche hat es in diesem Jahr verdient, für ihr* Engagement ausgezeichnet zu werden? Noch bis Dienstag können Vorschläge u.a. in den Kategorien Diversity, Nische, Grüne Blogger*in und Berufsbotschafter*in eingereicht werden. Das schreit ja geradezu Kirche! Außerdem können Akteur:innen je nach Social-Media-Plattform und digitalem Format (u.a. Newsletter und Podcast) vorgeschlagen werden. Jede:r Christ:in ein:e Bubblecrasher:in! Das Ausfüllen des Fragebogens dauert nur 5 Minuten und ist – bis auf die Angabe einer Email-Adresse – anonym.
Polen und die Zukunft des Katholizismus – Anja Hennig (bpb)
Die römisch-katholische Kirche hat in Polen einen hohen Stellenwert. In Städten und jüngeren Generationen vollzieht sich aber zunehmend ein Wandel. Der Regierungswechsel weg von der rechtspopulistischen PiS stärkt die liberalen und europafreundlichen Kräfte im Land. In diesem Dossier für die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) gibt Anja Hennig Auskunft über die Lage:
Die Katholische Kirche in Polen vereint unterschiedliche ideologische Strömungen und Akteure, die sich zwischen einer offen-liberalen, einer mehrheitlich konservativen und einer geschlossen-nationalistischen Auslegung des Katholizismus verorten lassen. Der Krakauer Erzbischof Marek Jędraszewski oder das Medienimperium um den auch innerkirchlich umstrittenen Pater Tadeusz Rydzyk mit dem Sender Radio Maryja sind bekannte Beispiele für den fremden- und minderheitenfeindlichen Katholizismus. Während das Radioprogramm vorwiegend die ältere Landbevölkerung adressiert, sprechen radikale Anti-Abtreibungs-NGOs oder nationalistische Gruppierungen gerade auch Jüngere an.
Tröööt: 16.000 Musiker kommen zum weltgrößten Bläsertreff – Benjamin Lassiwe (Glückstädter Fortuna)
16.000 Musiker:innen, die in Bläserchören evangelischer Kirchengemeinden in ganz Deutschland spielen, wollen vom 3. bis 5. Mai 2024 nach Hamburg kommen, zum „größten Bläsertreffen der Welt“, dem alle acht Jahre durchgeführten Evangelischen Posaunentag. Benjamin Lassiwe berichtet über das kommende Treffen und die Vorbereitungen:
Aber warum melden sich 16 000 Menschen für so etwas an und kommen auf eigene Kosten für drei Tage nach Hamburg? „Posaunenchöre sind ein Aktivposten in jeder Gemeinde“, sagt der Schleswig-Holsteinische Landesposaunenwart Daniel Rau. […] Die ehrenamtlichen Musiker gestalteten Gottesdienste mit, spielen auf den Weihnachtsmärkten im Advent oder beim Sommerfest. „Aber oft sind sie eine überschaubare Gruppe, da gibt es schon eine große Sehnsucht danach, auch mal mit anderen zusammen in einem großen Chor zu musizieren“, […].
Ein guter Satz
„Aus Staub sind wir geboren und zu Staub kehren wir zurück. Das ist der Grund, weshalb ich nicht staubwische. Es könnte ja jemand sein, den ich kenne.“
– Bluesky-Post der* Nutzer:in @hagelschaden.bsky.social, noch mehr lustige Mikrobloggereien sind auf dem Blog der Pressepfarrerin zu finden