Cut the Bullshit! – Die #LaTdH vom 25. Februar
Die katholischen Bischöfe sprechen mit einer Stimme gegen die AfD und duckmäusern vor dem Vatikan. Außerdem: Pädosexuelle Netzwerke in Kirche und Staat und eine „konfliktfähige“ Friedensethik.
Herzlich Willkommen!
„Cut the Bullshit!“, auf Deutsch etwa „Lass den Blödsinn!“, sagt man, wenn jemand Mist erzählt, statt zum eigentlichen Punkt zu kommen. In der vergangenen Woche ist mir diese englische Phrase häufig durch den Kopf geflitzt. Immer dann, wenn ich mich mit dem finalen vatikanischen „Nein“ zum Synodalen Rat der römisch-katholischen Kirche in Deutschland befassen musste. Die eigentlichen Sachfragen werden in diesen Tagen nämlich sowohl von einer konservativen Kampagne gegen das Reformer:innenlager und den selbstbezüglichen Neupositionierungen innerhalb desselben überlagert.
Während hier in der Eule am vergangenen Sonntag die #LaTdH „über den Sender liefen“, u.a. mit einer Mahnung von katholischen Lai:innen an ihre Bischöfe, auf ihrer Frühjahrsvollversammlung in Augsburg wichtige Reformthemen nicht auszusparen, erreichte die Öffentlichkeit die Kunde aus dem Vatikan, die Bischöfe sollten die Abstimmung über die Zustimmung zur Satzung des Synodalen Ausschusses von der Tagesordnung ihres Treffens nehmen. Der Synodale Ausschuss wurde vom Plenum des Synodalen Weges einberufen, um u.a. den Synodalen Rat für die katholische Kirche in Deutschland vorzubereiten. Zu diesem Anliegen hatte der Vatikan bereits mehrfach „Nein“ gesagt. Nun also soll die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) die Ergebnisse weiterer Beratungen mit der Kurie in Rom. Das war es also nun wirklich, sind sich die allermeisten Beobachter:innen und Akteur:innen einig.
Diejenigen, die vornehmlich in der Online-Ausgabe der Zeitschrift COMMUNIO dieses letzte „Nein“ aus Rom publizistisch, nun ja, begleiteten, befleissigten sich, mit dem Synodalen Rat auch alle anderen Ergebnisse des Synodalen Weges in den Orkus der Geschichte zu verbannen. Ist der Synodale Weg ohne einen zukünftigen Synodalen Rat wirklich gescheitert? Braucht es – sicher nur gut gemeinte – „10 konstruktive Vorschläge“, wie er „doch noch ein Erfolg wird“?
Was es jetzt sicher nicht braucht: Die xte Wiederholung konservativer Talking Points von „Neuevangelisierung“ und römischer Weisheit. Wer, wie Benjamin Leven in der Communio, „mehr Transparenz“ einfordert, der muss sie selbst auch leisten. Hinter der emphatischen Kurientreue und dem Konzept der „Neuevangelisierung“ stehen je eigene (kirchen-)politische Interessen. Beide haben darüber hinaus für die überbordende Mehrheit des katholischen Kirchenvolks in Deutschland keine Bedeutung. Auch das gehört dazu, „die Realität zu akzeptieren“. Cut the Bullshit!
Eine gute Woche wünscht
Philipp Greifenstein
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Debatte
Die römisch-katholischen (Erz-)Bischöfe stellen sich geschlossen gegen die AfD. Wenn man mit dem „Cut the Bullshit!“ in der Kirche wirklich ernst machen würde, dann wäre das und nicht das Theater um den Synodalen Ausschuss die katholische Kirchennachricht der Woche. Denn darin, dass die Wirksamkeit der Kirche nicht in ihrer Selbstbefassung besteht, sind sich hoffentlich ja alle einig. Die AfD-Schlagzeile kann man auch anders formulieren: Westdeutsche Bischöfe schließen sich ihren ostdeutschen Amtsbrüdern an (s. #LaTdH vom 21. Januar). Jedenfalls wird das deutliche „Nein“ der Bischöfe zu AfD und Rechtsradikalismus für weitere intensive Debatten innerhalb von katholischen Gemeinden und Werken führen.
Bischof Stefan Oster (Passau), bekanntlich ein Vertreter des konservativen „Neuevangelisierung statt Reformen“-Flügels innerhalb der DBK, berichtete sogleich von „kritischen Reaktionen“ auf die DBK-Stellungnahme, verteidigte aber die einstimmige Erklärung – und stellte gar seine weitere Teilnahme beim „Marsch für das Leben“ in Frage. Sollte hier eine lange angemahnte Klärung innerhalb des katholischen Konservatismus endlich beginnen?
Quadratur des Kreises: Vatikanische und deutsche Synodalität – Benedikt Heider (katholisch.de)
Mit einem „Brandbrief“ (Wortlaut hier) hat der Vatikan bei der DBK interveniert und „die deutschen Synodalitäts-Bestrebungen“ gestoppt. Benedikt Heider erklärt bei katholisch.de noch einmal die unterschiedlichen Synodalitäts-Verständnisse die dem deutschen Synodalen Weg und dem synodalen Prozess von Papst Franziskus zugrundeliegen. Eule-Leser:innen kommt das natürlich bekannt vor (s. hier von Benedikt Heider, und hier & hier im Eule-Podcast, grundsätzliche Erklärung hier).
Die Reaktionen auf das neuerliche „Nein“ aus Rom unterscheiden sich diesmal von denen auf die zahlreichen Vorgänger-Invektiven. Zum ersten Mal in der jüngeren Vergangenheit wird das „Nein“ von reformwilligen Bischöfen und Laien-Vertreter:innen nicht zu einem „Ja“ umgedeutet. Bischof Georg Bätzing (Limburg), der Vorsitzende der DBK, zeigte sich in seinem Abschlusstatement bei der Frühjahrsvollversammlung (PDF) ernüchtert. Am Dialog mit Rom ist nun alles gelegen. Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, erklärte sich ausführlich in einem katholisch.de-Interview:
Stetter-Karp: Ich bin sehr nachdenklich bei der Frage, ob es uns gelingen wird, die bisherige gemeinsame konstruktive Arbeit zwischen den Laien und den Bischöfen in Deutschland weiterzuführen. Das ist unser gemeinsames Interesse. Der Brief aus Rom hat diese Arbeit aber konterkariert. Rom hat wiederholt Zerrbilder des Synodalen Weges aufgebaut. […]
Frage: Es gab nun schon einige „Neins“ aus dem Vatikan. Einige Beobachter analysieren: Da gibt es kein Vermittlungsproblem, in Rom ist man schlicht gegen dieses Projekt.
Stetter-Karp: Leider hat es den Anschein, dass Synodalität in Rom nur auf abstrakter Ebene bejaht wird, wie etwa bei der Weltsynode. Wenn es aber konkret und handfest wird, dann kommt ohne Dialog auf den letzten Metern mit Macht die Bremse. Dadurch bleibt es konfliktbeladen – und dann gibt es für uns als ZdK auch Grenzen. Es ist bedrückend, dass wir nicht weiterkommen.
Publizistik als Kirchenpolitik: COMMUNIO
Eine besondere Rolle in dieser neuesten Volte der Reformdebatte in der katholischen Kirche spielt die Internationale Zeitschrift COMMUNIO. Dereinst wurde sie u.a. von Joseph Ratzinger als konservatives Gegengewicht gegenüber der konzilsbegeisterten Zeitschrift Concilium von Hans Küng gegründet. Mit dem Wiener Dogmatikprofessor Jan-Heiner Tück als Schriftleiter und neuerdings dem Journalisten Benjamin Leven als Redaktionsleiter Online sind zwei profilierte konservative Akteure dabei, COMMUNIO als eine Art Tagespost für feinsinnige Geister zu positionieren.
Tück und Leven machen in der Debatte um den Synodalen Weg ihre weitreichenden Kontakte fruchtbar, wie in diesen Tagen zum Wiener Erzbischof Christoph Schönborn oder zu Kurienkardinal Walter Kasper (hier & hier). Die restliche katholische Publizistik springt gerne auf.
So wird der Synodale Weg doch noch ein Erfolg – Benjamin Leven (COMMUNIO)
Nachdem Kasper, Schönborn und der vatikanische Brief an die Bischöfe medienwirksam zum Sturm auf die synodale Wagenburg aus reformwilligen Bischöfen und ZdK geblasen hatten, empfiehlt Leven nun – ganz im Stil der Online-Publizistik – „10 konstruktive Vorschläge, wie der Synodale Weg doch noch ein Erfolg wird“. Ich muss sagen, ich feiere diesen Text doch schon sehr. Offene Kommunikation einfordern, aber selbst eine Nebelkerze nach der andern zünden, das macht mindestens Schmunzeln. Leven empfiehlt:
Für die Zukunft muss klar sein: Veränderungen in der katholischen Kirche funktionieren nicht als abrupte Paradigmenwechsel im luftleeren Raum, sondern müssen im Einklang mit der Weltkirche, im Rahmen des geltenden Kirchenrechts und mit Rückbindung an Schrift und Tradition passieren.
Wie nicht allein, aber vor allem der emeritierte Bonner Kirchenrechtler Norbert Lüdecke immer wieder darstellt, sind Reformen in diesem Nexus eben gerade nicht möglich, u.a. weil sich die römische Kirche mit dem Ersten Vaticanum selbst eingemauert hat (s. Eule-Interview von 2021). Das weiß Leven vermutlich auch.
Die wenigen konservativen Stimmen, die sich im Rahmen des Synodalen Weges zu reden getraut haben als legitime Stellvertreter der „Weltkirche“ oder eines bisher verborgenen Glaubenssinns einer schweigenden Mehrheit der Katholik:innen zu positionieren, geht an den Befunden aus den weltkirchlichen Synodaldokumenten und den Erkenntnissen der jüngsten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung vorbei: Auch in anderen Ländern wünscht man sich Reformen und die Katholik:innen in Deutschland verzweifeln geradezu an der Reformunwilligkeit ihrer Kirche.
Trotzdem: Ein paar sinnvolle Vorschläge haben es trotz der ironischen Süffisanz Levens in den Text geschafft. Zum Beispiel die Frage, inwieweit die bestehenden Gremien in den (Erz-)Bistümern und bei DBK und ZdK („Gemeinsame Konferenz“) für eine stärke Beratung mit Lai:innen genutzt werden und wie sie transparenter gestaltet werden können – und welche Reformnot es innerhalb des Verbandskatholizismus und beim ZdK gibt.
Was spricht dagegen, in diesem Forum weiterzuarbeiten und auch konkrete und realistische Vorschläge zu erarbeiten? Und vielleicht könnte es man ja auch noch einmal versuchen, über die Blase der Theologen, Funktionäre und Inhaber hoher Ehrenämter hinaus breitere Kreise des Katholizismus in die Diskussion einzubeziehen.
„Das ZdK ist der große Verlierer“ – Interview mit Thomas Schüller von Michael Schrom (Publik Forum, €)
Hinter der Bezahlschranke der Publik Forum und im kommenden März-Heft erklärt der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller das ZdK zum „großen Verlierer“ der jüngsten Entwicklungen. Noch im Frühjahr hatte er sich selbst in den Synodalen Ausschuss wählen lassen.
Man hat politisch nicht klug agiert. Vor allem, was die Konstruktion der Selbstbindung angeht. Das war ja so etwas wie eine Zauberformel, auf die viele gehofft haben: Der Bischof bindet sich freiwillig an die Beschlüsse eines gemeinsamen Gremiums. Aber jeder, der katholische Theologie studiert hat und nur etwas Ahnung vom Kirchenrecht hat, weiß, dass Synodalität im Sinne einer wirklichen Bindung an Entscheidungen der Gläubigen nicht mit dem monarchisch konstruierten Amt des Bischofs zusammenpasst.
Aber man war geradezu besoffen von der scheinbar auf Augenhöhe beratenden Atmosphäre bei den Synodalversammlungen und hat tatsächlich geglaubt, diese theologische, dogmatische, lehramtliche Wirklichkeit könnte man einfach so ignorieren.
Auf die Kritik von Norbert Lüdecke, der die gegenwärtigen Entwicklungen bereits vorweggenommen hatte, erklärt Schüller, auch er habe …
… ja sehr früh vom Synodalen Weg als einem kirchenrechtlichen Nullum gesprochen. Ich habe ganz früh gesagt: Das, was ihr da beratschlagt, ist vom rechtlichen Format nicht mehr als eine Beschäftigungstherapie. Aber, und das ist mir wichtig: Es war und ist notwendig, über die Frage nach den systemischen Ursachen von sexualisierter Gewalt und über Macht in der Kirche zu sprechen.
Hat Schüller den 4. Ratschlag Levens, „Schluss mit der Instrumentalisierung des Missbrauchs“, überhört? Tatsächlich muss man kein konservativ gesinnter Gegner des Synodalen Weges sein, um bereits seit geraumer Zeit zu erkennen, dass viele Themen nur unter dem großen Schirm der katholischen Machtkultur mit dem Skandal des sexuellen Missbrauchs in der Kirche in Zusammenhang stehen (aber sie stehen es). Daraus muss sich nicht ergeben, an diesen Themen nicht weiterzuarbeiten, aber es könnte daraus eine Priorisierung werden, was jetzt mit den Bischöfen noch angestellt werden könnte.
Schüller selbst sieht hier in den Beschlüssen des Synodalen Weges und ihrer hohen Qualität genug Material vorliegen. Was das Handeln gegen Diskriminierung und die konkrete Präventionsarbeit sowie Entschädigung von Betroffenen angeht, hat er damit Recht. Überhaupt liegen die Erfolge des Synodalen Weges seit jeher im Prozessualen: In der Zeit des Synodalen Weges hat sich #OutInChurch gegründet und wurden erste Erfolge beim kirchlichen Arbeitsrecht erstritten. LGBTQI+ und ihre Verbündeten nehmen inzwischen in den (Erz-)Bistümern breiteren Raum ein. Nicht zuletzt findet eine permanente „Abstimmung mit den Füßen“ statt: Von den Skandalen ihrer Kirche enttäuschte Katholik:innen kehren sich zu Tausenden ab. Auch das ist ja ein Klärungsprozess im Sinne einer aufgeklärten Religiosität.
Was tun?
Sind jene Akteur:innen, die sich wie Schüller, Stetter-Karp und viele junge Menschen auf das „kirchenrechtliche Nullum“ Synodaler Weg (und ZdK?) mit Lebenszeit und -Kraft eingelassen haben und einlassen tatsächlich „große Verlierer“? Ihre Erwartungen wurden enttäuscht. Den jetzt folgenden Rationalisierungen darf man trotzdem aufmerksam zu hören. Und auch so manches Schweigen registrieren: Das des ZdK-Vize und Theologieprofessors Thomas Söding zum Beispiel, der es bisher noch immer fertiggebracht hat, jedes vatikanische „Nein“ in ein „Ja“ umzudeuten.
Benjamin Leven empfiehlt der Katholischen Kirche in Deutschland unverhohlen einen Führungswechsel. Um mit Rom besser klar zu kommen, bräuchte es jetzt einen Italienisch sprechenden Netzwerker wie den Augsburger Bischof Bertram Meier. Das zwitschern die konservativen Spatzen aber auch schon seit 2020 von den Dächern, als er zum Bischof in Augsburg bestellt wurde. Es würde ihm wohl auch gefallen.
Für die junge Generation des katholischen Reformflügels stellt sich nun die Frage, ob man mit den Eltern und Großeltern gemeinsam weiterhin auf Bischöfe und Vatikan zuwartet – oder ob es an der Zeit ist, sich nicht nur verbal zu radikalisieren. Den offenen Dissens mit dem hohen Klerus zu wagen, könnte in der Tat zu einer neuen Kirchenvolksbewegung führen, wenn man denn bereit ist, die eigenen – auch finanziellen – Abhängigkeiten kritisch zu hinterfragen. Dann wäre in den Gemeinden und Kreisen vor Ort und digital allerdings ein vielfältiges katholisches Leben jenseits der Amtskirche durchaus möglich. „Katholische Kirche gibt es nur mit Papst und Bischöfen. Alles andere ist Meuterei oder Revolution“, erklärte mit Volker Resing noch ein konservativer Publizist dieser Tage im Cicero. Nun denn, wer macht ernst damit?
nachgefasst I: Krieg und Friedensethik
Neues Friedenswort der DBK: „Friede diesem Haus“ (DBK)
Auf der Frühjahrsvollversammlung der DBK wurde auch ein neues Friedenswort vorgestellt. Der 175-seitige Text kann als PDF hier heruntergeladen werden. Auf der Website der DBK finden sich auch eine kürzere Zusammenfassung (PDF). In „Friede diesem Haus“ werden – wie in einer EKD-Denkschrift – grundsätzliche Gedanken zu Krieg und Frieden entfaltet. Das Dokument verdankt sich dem Veränderungsdruck auf die christliche Friedensethik angesichts des russischen Angriffskrieges in der Ukraine: Es beginnt mit den Schlagworten „Zeitenwende“ und „Schöpfungsverantwortung“ und auch die neue „multipolare“ Weltordnung fehlt nicht.
Sozialethiker Vogt: Christliche Friedensethik muss konfliktfähig sein – Interview mit Markus Vogt von Matthias Altmann (katholisch.de)
Im katholisch.de-Interview ruft der Münchener Sozialethiker Markus Vogt „zu einer Revision von Teilen der christlichen Friedensethik“ auf und kritisiert auch die vatikanischen Friedensbemühungen im Ukraine-Krieg:
„Das Friedenswort trägt der veränderten Weltlage mit der akuten Gefahr einer weltweiten Eskalation der Kriege in nüchterner Weise Rechnung. Prägend ist die integrale Sichtweise des Friedens, also der Zusammengehörigkeit von Frieden, Gerechtigkeit, Menschenrechten, Energie- und Cybersicherheit sowie Migrationspolitik und Nachhaltigkeit. Damit wird das Paradigma des gerechten Friedens weiterentwickelt. Die Bischöfe sehen gegenwärtige Rüstungsanstrengungen als unverzichtbares Element einer verantwortlichen Politik, formulieren aber auch Grenzen legitimer Gegengewalt.“
Et in terra pax? Die christliche Friedensbewegung am Scheideweg – Johannes Ludwig (katholisch.de)
Der junge Theologe und Politikwissenschaftler Johannes Ludwig hat Anfang des Jahres ein Buch über den „Abschied vom Pazifismus?“ veröffentlicht. Bei katholisch.de kritisiert er die (katholische) Friedensbewegung, insbesondere im Kontext des Israel-Gaza-Krieges.
Es ist schmerzlich, dass viele Stimmen innerhalb der Friedensbewegung aktuell dadurch Schlagzeilen machen, dass sie – bewusst oder unbewusst – die Leidtragenden in Misskredit bringen. Zwar werden etwa die Angriffe der Hamas mehr oder minder stark verurteilt, doch dieses „Ja“ stellt sich angesichts des unmittelbar darauffolgenden „Aber“ oft als halbherzig und zynisch heraus. […]
Gerade weil der Antijudaismus auch in der Geschichte des Christentums immer wieder befeuert wurde, steht die christliche Friedensbewegung in der besonderen Verantwortung, klare Kante zu zeigen. Dass hier noch viel Arbeit aussteht, hat jüngst eine Studie des Leipziger Kirchensoziologen Gert Pickel drastisch vor Augen geführt: Demnach stimmen 30 Prozent der Katholikinnen und Katholiken der Aussage zu, dass Israels Palästina-Politik genauso schlimm sei wie die Politik der Nazis im Zweiten Weltkrieg. 69 Prozent halten die Aussage zumindest für nicht falsch.
nachgefasst II: Missbrauch evangelisch
Aufarbeitung geleistet – Johann Hinrich Claussen (Zeitzeichen)
Der Kulturbeauftragte der EKD, Johann Hinrich Claussen, formuliert in den Zeitzeichen fünf Erkenntnisse aus der historischen Aufarbeitung von Pädosexualität in der Ökumenischen Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche (HuK), die in seinen Augen auch für andere (evangelische) Aufarbeitungsprozesse relevant sind.
Klar werden die Leistungen der HuK benannt, ebenso klar die hochproblematische Nähe zu pädosexuellen Positionen. Beides widerspricht sich und gehört doch zusammen. Deshalb ist es ihm wichtig, dass wir in der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt eine Balance finden. Einerseits muss Unrecht klar benannt und entschlossen bearbeitet werden. Andererseits sollten wir uns das Recht bewahren, zu differenzieren und Widersprüche auszuhalten.
Die Ökumenische Arbeitsgruppe HuK hatte von Klaus Große Kracht, apl. Professor in Münster und Mitarbeiter an der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (die auch an der „ForuM-Studie“ beteiligt war), eine Studie zur Aufarbeitung der Haltung der HuK zu Pädosexualität seit 1977 anfertigen lassen (Studie, Stellungnahmen und kürzere Zusammenfassung hier). Mit Große Kracht sprach Claussen in seinem RefLab-Podcast „Draussen mit Claussen“ ausführlich. Ein kürzeres Interview findet sich in der Chrismon:
Bei vielen Mitgliedern der HuK – wie überhaupt in der Schwulenbewegung – fehlte schlicht das Verständnis dafür, dass es zwischen Kindern und Erwachsenen keinen einvernehmlichen Sex geben kann, weil das Verhältnis zueinander immer extrem asymmetrisch ist. Das haben viele Progressive damals nicht wahrhaben wollen. Eine Art „Pädosexualität light“ hat für die HuK bis Mitte der 1990er Jahre daher im Bereich des Möglichen gelegen.
Es gab bei ihr also wie in der ganzen westdeutschen Schwulenbewegung eine Gemengelage aus Solidaritätsempfinden mit den Pädosexuellen als strafrechtlich verfolgter Minderheit einerseits und einem Missbehagen gegenüber pädosexuellen Praktiken, die einem fernlagen, andererseits. Ähnliches gilt aber auch für heterosexuelle Aktivisten der „sexuellen Revolution“, die meinten, sie würden die gesellschaftliche Emanzipation dadurch vorantreiben, indem sie alle Formen von sexuellen Grenzen bekämpften.
Das Wirken von Helmut Kentler und weiteren Pädagogen in der Evangelischen Kirche und auch beim Kirchentag ist Gegenstand weiterer wissenschaftlicher Untersuchungen, die derzeit noch laufen. Die „ForuM-Studie“ hatte ein – für viele Beobachter:innen überraschend- niedriges Alter von Betroffenen sexualisierter Gewalt bei der Ersttat festgestellt. Aus dem Tatkomplex Ahrensburg (heute Nordkirche) und weiteren Fällen ist der „pädagogische Eros“ als legitimierendes „Motiv“ von Tätern bekannt.
Bericht zu „Kentler-Experiment“ „Institutionalisierter Missbrauch“ – Kerstin Breinig (tagesschau.de)
Am Freitag wurde in Berlin der Abschlussbericht einer Forschungsgruppe der Uni Hildesheim vorgestellt, der sich mit dem Wirken Helmut Kentlers im Zusammenhang mit der Jugendhilfe befasst, im Fokus stehen vor allem Berliner Jugendämter und Heime. Alle Berichte finden sich auf der Website der Uni Hildesheim.
Kentler war nicht allein. Von den 1960er-Jahren bis in die 2000er-Jahre existierte ein bundesweites Netzwerk angesehener Reformpädagogen, Jugendamtsmitarbeiter, Sozialarbeiter. „Das Netzwerk ermöglichte deutschlandweit sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen, institutionalisierte den Missbrauch und schützte die Täter.“ Der Abschlussbericht nennt Namen: „gegenwärtig als belegt festgehalten werden kann, dass Gerold Becker, Herbert E. Colla-Müller und Helmut Kentler sexualisierte Gewalt ausgeübt haben.“
Für evangelische Akteur:innen ergibt sich daraus zunächst: Die Zusammenarbeit mit Kentler & Co. muss endlich lückenlos und transparent dargestellt werden. Da das Täternetzwerk noch bis in die 2000er Jahre hinein aktiv war, verbietet sich eine vorschnelle Historisierung. Auch in anderen Tatkontexten muss daher kritisch gefragt werden, ob ähnliche Netzwerke aktiv waren.
„Die Aufarbeitung kann nicht zu Ende sein. Es gibt keinen Schlussstrich“, sagt Wissenschaftlerin Schröder. Was die Forscher auch sagen, ist, dass die Schutzmechanismen um Kentler und die anderen zum Teil bis heute greifen. Die sexualisierte Gewalt werde bagatellisiert, die Erfahrungen der Betroffenen klein geredet, zu Einzelfällen gemacht oder aber als Teil des damaligen Zeitgeistes beschrieben.
Buntes
The Things That Are God’s and the Things That Are Caesar’s – John Chryssavgis (Public Orthodoxy, englisch)
In den #LaTdH von vergangenem Sonntag haben wir vermeldet, dass Griechenland als erstes orthodox geprägtes Land der Welt die Ehe für gleichgeschlechtliche Partner:innenschaften eingeführt hat. Die orthodoxe Kirche im Land hat sich mit Händen und Füßen gegen das neue Gesetz gewehrt, das auch von vielen konservativen Abgeordneten unterstützt wurde. John Chryssavgis, ein griechisch-orthodoxer Theologe, der in den USA lehrt, erklärt nun auf Public Orthodoxy, dem führenden orthodoxen Theologieblog, dass die Kirche unbarmherzig sei:
Same-sex marriage does not concern the Church or its existence, but a limited and specific segment of society, for which the State is responsible and obliged to care, while the Church too—mind you!—should at the very least least demonstrate the same pastoral and spiritual care as for every other segment of society. […]
How ironic and striking it is that some representatives of the Greek State and scholarly disciplines—secular individuals […] display greater discernment and compassion than many of their “holier” equivalents in the ecclesiastical hierarchy and monastic community, when they remind us that the recent legislation voted by the Greek Parliament concerns adults and children who otherwise would not be recognized in public life and who face grievous discrimination. […] Surely the church is supposed to stand with our fellow citizens who are neglected and ostracized. The Church is by its very nature obliged and called to support those who are discriminated against and ostracized.
Ein guter Satz
„Dieser kleine Mensch ist nicht nur geschaffen, sondern auch geschafft.“