Wir brauchen keine „Tradwives“, sondern gute Rollenvorbilder!
Wie können wir mit der „Tradwife“-Bewegung umgehen? Der Trend zum traditionellen Familienmodell ist eine Reaktion auf wachsende Unsicherheit. Was es jetzt braucht:
Die taz hat die Tradwives für sich entdeckt. Oder sollte ich eher sagen: Die Tradwives haben TikTok für sich entdeckt und so konnte die taz sie entdecken? Wie auch immer, vor Kurzem erschien in der taz ein Artikel von Ann Toma-Toader (s. #LaTdH vom 10. März), der sich mit einem zugegeben an manchen Stellen verstörenden Lebensentwurf befasst.
Doch worum geht es eigentlich? Als Tradwives bezeichnen sich Frauen, die ein aus ihrer Sicht traditionelles Ehekonzept leben. Sie bleiben zu Hause, verzichten auf Erwerbsarbeit, unterstützen stattdessen ihre Männer bei deren Karriere. Sie sehen ihre Lebensaufgabe in der Kindererziehung und im Haushalt. Viele Tradwives legen einen besonderen Fokus auf DIY („Do it yourself!“) und einige von ihnen kleiden sich gern im Stil der 1950er Jahre.
Von anderen Frauen, die der Familienarbeit eine Zeit lang oder dauerhaft den Vorzug vor Erwerbsarbeit und Karriere geben, unterscheiden sie sich aber vor allen Dingen durch ihre Einstellung zur Hierarchie innerhalb der Familie. Tradwives geben an, sich freiwillig und gern ihren Männern unterzuordnen. Die Männer sind in ihren Lebenskonzepten das Oberhaupt der Familie, die Frauen haben zu gehorchen, zu unterstützen und ihnen und den Kindern ein schönes Heim zu bereiten. Manche Tradwives gehen sogar so weit, ihren Familienoberhäuptern das Recht auf körperliche Bestrafung einzuräumen.
Nun könnte man fragen, warum die taz und ich und viele Menschen auf Social-Media-Plattformen sich mit dieser Mischung aus Lifestyle und Fetisch (denn ja, die Videos und Bilder der Tradwives sind sexualisiert aufgeladen) überhaupt auseinandersetzen und die Tradwives nicht einfach unter der Kategorie „Alle, wie sie es mögen“ verbuchen.
Das hat natürlich damit zu tun, dass die Tradwife-Bewegung auf den Social-Media-Plattformen zu mehr geworden ist als nur einem öffentlich präsentierten Lebensentwurf neben anderen. Die Tradwives machen nicht nur Werbung für ihren eigenen Weg, sondern werten auch andere Wege ab. Ihre Posts wirken auf den ersten Blick unpolitisch, sind es aber bei genauerem Hinsehen nicht. Denn es geht dabei immer auch darum, eine traditionelle Familie als heilen Gegenentwurf zur angeblichen Beliebigkeit von modernen Beziehungen und zur Gleichberechtigung zu propagieren. Mit im Gepäck haben viele Tradwives neben Kochrezepten und dem neusten Putztrend auch Hetze gegen LGBTQI*, Feminismus und natürlich die „Genderbewegung“.
Zielgruppe: Verunsicherte Jugendliche
Auf Plattformen wie TikTok sprechen Tradwives vor allem das angeknackste Sicherheitsgefühl junger Menschen an. In einer Welt, in der vieles scheinbar weniger verbindlich geworden ist, weltpolitisch Sicherheiten ins Wanken geraten sind und das soziale Miteinander komplizierter und diverser, versprechen sie Halt, Geborgenheit und Verlässlichkeit. Sie stellen einer komplexen Welt einfache Wahrheiten, klare Rollenverteilungen und verlässliche Strukturen entgegen.
Man muss sich nur ein bisschen mit der aktuellen jungen Generation befassen, um zu wissen, dass die Tradwives damit einen Nerv treffen. Denn in vielerlei Hinsicht sehnt sich die Jugend genau danach: Sicherheit, Verlässlichkeit, ein warmes Nest. Eine eigene Familie gründen – das ist in vielen Umfragen unter Jugendlichen ein großer Wunsch für ihre Zukunft, genau wie ein sicherer Arbeitsplatz. Vorbei die Zeiten, an denen „Weltreise“ ganz oben stand und feste Bindungen etwas waren, das sich die Jugend erst jenseits der 30 vorstellen konnten. In einer unsicher gewordenen Welt sehnt man sich nach den alten Sicherheiten.
So weit so verständlich. Allerdings sollte auch klar sein, dass ein Lebensentwurf wie ihn die Tradwives und ihre HoH (Abkürzung für den englischen Begriff „Head of Household“, also das Familienoberhaupt) propagieren, nicht die Lösung ist. Zunächst einmal schließt er viele junge Menschen von vornherein aus, nämlich all diejenigen, die sich keine heterosexuelle Beziehung vorstellen können oder auf andere Art nicht den propagierten Normen entsprechen.
Dann ist dieses Leben nur lebbar für diejenigen Paare, die genügend Geld haben, um sich einen Alltag mit nur einem Einkommen leisten zu können. Dass diese Sicherheit heute niemand mehr dauerhaft gewährleisten kann, ist ein weiterer Punkt, den sich junge Menschen vor Augen führen müssen. Wie steht es eigentlich um das Einkommen und die Altersvorsorge von Frauen, die sich aus solchen Ehen irgendwann verabschieden – oder: befreien? Der Faktor der ökonomischen Abhängigkeit vom männlichen Familienoberhaupt wird natürlich in den Tradwife-Videos und -Stories nicht problematisiert.
Es hilft auch hier sicher nicht weiter, einfach nur über diesen neuen Trend zu schimpfen, ihn abzuwerten. Sich über die „neue“, in Teilen überraschend konservativ tickende Generation junger Menschen lustig zu machen, schon gleich gar nicht. Wir müssen im Hinterkopf behalten, dass ihre Werte, ihre Suche nach Sicherheit und Geborgenheit und ihr Wunsch nach verlässlichen Beziehungen in unserer Zeit sehr verständlich und nachvollziehbar sind. Sie sind nicht zuletzt Reaktionen auf eine Erwachsenenwelt, die wir mitgestalten. Der Soziologie-Professor Martin Schröder stellt auf seinem Blog übrigens gut dar, warum es überhaupt keine Generationen gibt, über die man so verallgemeinernd reden sollte.
Was wir jetzt wirklich brauchen
Was unsere jungen Menschen brauchen, sind Lebensentwürfe, die ihnen zeigen, dass es Sicherheit und Geborgenheit in allen möglichen Konstellationen geben kann. Wir brauchen mehr LGBTQI*-Paare, die dies zeigen und vermitteln können. Wir brauchen gelebte Gleichberechtigung in heteronormativen Beziehungen. Wir brauchen positive Rollenmodelle von Freund:innen, die füreinander Verantwortung übernehmen und miteinander durchs Leben gehen. Wir brauchen getrennte Paare, die zeigen, dass man verlässlich ein Elternteam bleiben kann, und Patchworkfamilien, die sich in ihrer neuen Konstellation gut einfinden.
Wir brauchen aber auch kein Bashing derer, die gern in traditionellen Rollen leben. Viele Menschen machen das außerhalb der Tradwife-Bewegung aus ganz anderen Motivationen und Gründen und auf eine Art, der ich durchaus zustimmen kann. Wir brauchen auch diese Männer und Frauen im Boot, weil sie zeigen können, dass auch eine klassische Rollenaufteilung nicht mit Unterordnung oder gar einem Recht auf Gewaltausübung von Seiten irgendwelcher selbsternannten Oberhäupter einhergehen muss. Auch in diesem Entwurf kann man ja emanzipiert und gleichberechtigt leben.
Wir brauchen vor allen Dingen Menschen mit vielen verschiedenen Lebensentwürfen, die nicht aus Angst davor, die eigene Relevanz zu verlieren, andere abwerten müssen. Unsere Lebensentwürfe können wir gut nebeneinander stehen lassen. Was wir nicht brauchen, sind Menschen, die glauben, im Besitz der einzigen Wahrheit zu sein und die uns vor angeblichen Gefahren warnen, die „da draußen“ gar nicht existieren – und die andere Menschen aufgrund ihrer politischen oder sexuellen Orientierung zum Sündenbock erklären. Hatten wir schon mal. War schlecht!
Mehr:
- Die trans-generationale Weitergabe von Gewalt in der Erziehung war Thema der „Gotteskind und Satansbraten“-Kolumnen vom Januar 2021 und vom März 2022.
- In der Eule-Podcast Episode Nr. 21 gibt Daniela Albert Auskunft über bedürfnisorientierte Erziehung und die Rolle, die der Glaube beim Aufwachsen von Kindern spielen kann.
- Alle Ausgaben der Familienkolumne „Gotteskind und Satansbraten“ von Daniela Albert in der Eule.
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