Powerfest – Die #LaTdH vom 19. Mai
Das Kirchenasyl gerät unter Druck, weil sich staatliche Stellen nicht an die Absprachen mit der Kirche halten. Außerdem: Nachwuchsmangel, Bedeutungsverlust und ein Metaphern-Feuerwerk.
Herzlich Willkommen …
… zurück zu den #LaTdH, unserem wöchentlichen Rück- und Ausblick auf die wichtigen und aktuellen Debatten in Kirche und Religionspolitik. In der vergangenen Woche hat Anja Katharina Peters an dieser Stelle als #LaTdH-Gastautorin über den International Nurses Day, den „Tag der Pflege“ und einige Krisen im Pflegewesen geschrieben. In den #LaTdH ging es deshalb weniger um die aktuellen Kirchennachrichten, sondern um ein Thema, das leicht aus dem Fokus der Aufmerksamkeit rutscht, obwohl es zweifelsohne sehr wichtig ist. Schauen Sie gerne noch einmal in die #LaTdH von vergangener Woche hinein – und vielen Dank an dieser Stelle an Anja Katharina Peters für ihren Input!
Pfingsten sei „pfiffig, pfundig, geistbeseelt“ erklärt der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR), Thorsten Latzel, in seiner diesjährigen Pfingstbotschaft, die obendrein ganz ohne Verweis auf eine vermeintliche Geburtstagsfete seiner Kirche auskommt. Pfingsten sei „ein bisschen wie ein ESC der ersten Christenheit“, ein „Powerfest“. In der „Dauer-Polykrise“ unserer Tage gewinne das Fest eine neue Bedeutung, ist sich Latzel sicher:
„Dabei geht es um die Verarbeitung von Trauer, Verlust, Traumata. Um dunkle, schwere Erfahrungen. Wenn eben kein Geist mehr da ist, kein Leben, keine Kraft.“
Latzel mag damit zu allen Menschen in unserer Gesellschaft sprechen, die während der Klimakrise, nach/mit Corona, angesichts der Kriege in der Ukraine und in Gaza und in konkreten Notlagen und bedrückenden Situationen rat- und mutlos sind. Aber natürlich trifft dies alles auch auf seine Kirche zu, die mit Mitgliederschwund, Nachwuchsmangel und Bedeutungsverlust leben lernen, kontroverse Rückbauprozesse moderieren und die eigene Missbrauchskrise bearbeiten muss. Bereits im vergangenen Jahr wünschte sich Latzel „eine Kirche, die sich erfüllt von Gottes Geist auf die Socken macht“. Der Geist, der zu Pfingsten ausgeteilt wird, treibe Christ:innen „aus der eigenen Komfortzone rein in die Öffentlichkeit und vor allem hin zu anderen, die sich wie wir nach Hoffnung sehnen, nach etwas, das ihrem Leben Sinn und Orientierung gibt“.
Wo rauscht die Ruach und weht nicht allein das laue Lüftchen der Selbstbeschäftigung? Wo ist der Geist Gottes heute anzutreffen? Bei den Fluthelfer:innen im Saarland gewiss, die sich in diesen Tagen und Stunden der nächsten „Jahrhundertflut“ entgegenstellen. Aber auch bei den Klimaaktivist:innen der „Letzten Generation“, die sich gestern auf dem Münchener Flughafen festbetoniert haben? Ganz sicher bei den Flüchtlingshelfer:innen, die in den europäischen Internierungslagern einen Rest Menschenwürde für die zusammengepferchten geflüchteten Menschen erhalten wollen. Und auch mit den Seenotretter:innen und den Gemeinden, in denen – unter zunehmend widrigen Umständen (s. „Debatte“) – Kirchenasyl gewährt wird.
Im pfingstlichen Metaphern-Feuerwerk von Thorsten Latzel steckt – vielleicht unbeabsichtigt – doch eine Menge Wahrheit: Neben „Bühnenshow und Völkerverständigung“ gab es beim Eurovision Song Contest (ESC) in diesem Jahr außergewöhnlich viele Kontroversen. Die Poly-Krisen unserer Zeit suppen auch in Festtage hinein. Wo der Geist Gottes waltet, ist es eher ungemütlich und eben nicht unbedingt unstrittig und behaglich.
Kraftvolle Pfingsten wünscht
Philipp Greifenstein
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Debatte
Sechs Kirchenasyle wurden (nach aktuellem Stand) in den vergangenen Monaten von Ausländerbehörden mit polizeilicher Unterstützung unterbrochen oder aufgelöst. Das ist im vollumfänglichen Sinne des Wortes unerhört. Zunächst einmal, weil sich die Behörden angesichts der bestehenden Absprachen mit den Kirchen eigentlich Zurückhaltung auferlegt haben. Das Kirchenasyl steht zwar seit jeher „unter Druck“, aber damit waren bisher eher Gängelungen auf dem Wege immer schwieriger Rahmensetzungen durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gemeint. Trotzdem ist die Zahl der Kirchenasyle in den vergangenen Jahren – mit einer kurzen Corona-Unterbrechung – kontinuierlich gestiegen. Das deutet auf einen echten Bedarf an dieser eigentümlichen Form des anwaltschaftlichen Handelns der Kirchen für geflüchtete Menschen hin.
Das Kirchenasyl selbst ist nicht gesetzlich geregelt. Der Schutz, den die Kirche gewährt, ist weitgehend symbolisch. Laut einer Vereinbarung zwischen dem BAMF und den beiden großen Kirchen von 2022 sollen Kirchenasyle „als Ausdruck einer christlich-humanitären Tradition respektiert“ werden. Die Vereinbarung war bereits im Jahr 2015 als ein Ergebnis des andauernden Dialogs zwischen den kirchlichen Lobbyisten und dem BAMF bzw. dem Bundesministerium des Innern geschlossen worden. Vor zwei Jahren wurde das „Merkblatt Kirchenasyl im Kontext von Dublin-Verfahren“ (PDF) in gegenseitigem Einvernehmen aktualisiert.
Über diese Absprachen zwischen Staat und Kirchen haben sich nun binnen weniger Monate Ausländerbehörden und Polizei in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Hessen hinweggesetzt. Beteiligt sind Landesregierungen und Kommunalverwaltungen unterschiedlicher parteipolitischer Couleur – an vielen Stellen sitzen auch durchaus kirchennahe Akteur:innen.
Der Beauftragte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für Flüchtlingsfragen, Bischof Christian Stäblein aus der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO), ist aufgrund der neuesten Entwicklungen besorgt: „Wir sind in großer Sorge, dass diese Übereinkunft, die wir über viele Jahrzehnte gehabt haben, jetzt aufgebrochen wird“, erklärte er gegenüber netzpolitik.org.
Behörden und Polizei brechen immer häufiger Kirchenasyl – Ingo Dachwitz (netzpolitik.org)
Das „Medium für digitale Freiheitsrechte“ hat sich in dieser Woche ausführlich mit dem Kirchenasyl als einem Anwendungsbeispiel bürgerschaftlichen Engagements beschäftigt, das ins Visier übergriffiger Rechtsanwendungen bzw. Rechtsmissbräuche seitens staatlicher Akteur:innen gerät. Mit solchen Fällen der „Systemeinstellungen“ befasst sich ein neuer Doku-Podcast, in dessen zweiter Episode es um das Kirchenasyl und ganz konkret um zwei Pfarrer:innen geht, die sich durch Strafanzeigen und darauf folgende Hausdurchsuchungen unter Druck gesetzt sehen.
In einem ausführlichen Begleitartikel erläutert Ingo Dachwitz, ehemaliger EKD-Jugendsynodaler und heute netzpolitik.org-Mitarbeiter, die Hintergründe. Er hat auch bei Stäblein und weiteren SpitzenvertreterInnen der evangelischen Kirche nachgefragt, wie sie zu den aktuellen Entwicklungen stehen.
In Deutschland stößt Kirchenasyl zunehmend auf staatlichen Widerstand. Behörden wollen Menschen abschieben, obwohl sie unter dem Schutz der Kirche stehen. Dass die Polizei zu diesem Zweck Gebäude der Kirche stürmt, galt lange Zeit als kaum denkbar. Nun gab es allein seit dem Sommer 2023 sechs versuchte oder vollzogene Räumungen von Kirchenasyl […] innerhalb von zehn Monaten mehr Räumungen als in den gesamten zehn Jahren zuvor.
Zuletzt erfolgte vergangene Woche eine Räumung im Kreis Uelzen in Niedersachsen. In dem Bundesland war es die erste Räumung eines Kirchenasyls seit 1998, erklärte der niedersächsische Landesflüchtlingsrat. Über das Eindringen eines Spezialkommandos in ein Kirchenasyl und evangelisches Gemeindehaus inkl. Pfarrwohnung kurz vor Weihnachten 2023 berichtete die taz (s. #LaTdH vom 7. Januar). Über die gewaltsame Beendigung eines Kirchenasyls im Kreis Viersen berichtete die Eule im vergangenen Sommer.
Die Präses der EKD-Synode, Anna-Nicole Heinrich, der Präses der EKiR, Thorsten Latzel, und der evangelische Flüchtlingsbeauftragte Stäblein fanden einigermaßen deutliche Worte, um das Kirchenasyl als „ultima ratio“ des Flüchtlingsschutzes zu verteidigen:
Heinrich fordert: Kirchen und Behörden müssten eng im Gespräch bleiben, damit sie gemeinsam zu einem humanitären Umgang mit Menschen in akuten Notsituationen kommen. Das Kirchenasyl sei ein Schutzraum für besonders schutzbedürftige, oft traumatisierte Menschen. Für die Asylsuchenden sei es häufig die letzte Möglichkeit, um sich vor Menschenrechtsverletzungen zu schützen, die ihnen bei Abschiebung drohen. „Kirchengemeinden leisten damit eine dringend erforderliche Nothilfe.“ […]
Das Kirchenasyl sei keine Aushebelung des Rechtsstaates, betont auch der leitende Geistliche der Evangelischen Kirche im Rheinland, Thorsten Latzel. „Nur in solchen besonderen Fällen, wo es starke Gründe dafür gibt, dass eine humanitäre Not droht und eine rechtliche Überprüfung geboten ist, werden Kirchenasyle gewährt“, sagt Latzel. Die Fälle würden umgehend den zuständigen Behörden gemeldet; der Aufenthalt der Personen sei ihnen laufend bekannt. „Das alles wird von unseren Gemeinden und Kirchenkreisen sehr verantwortlich gehandhabt.“
Kirchenasyl: Geht’s noch? – Philipp Greifenstein (Die Eule)
Die Stellungnahmen von KirchenvertreterInnen sind eine Abweichung von einem erstaunlichen Schweigen, das sich inbesondere die evangelische Kirche beim Thema Kirchenasyl in den vergangenen Monaten auferlegt hat. Angesichts dessen, dass neben dem Kirchenasyl auch Rechtsgüter wie das Seelsorgegeheimnis und der Schutz der Wohnung von Mitarbeitenden berührt sind, wird es dafür auch Zeit. In meiner Analyse für die Eule bin ich auf die politischen Herausforderungen, die sich den Kirchen im Bezug auf das Kirchasyl im Kontext der verschärften Migrationspolitik und Flüchtlingsdebatten stellen, ausführlich eingegangen.
Der Stimmungswechsel ist bei den Kirchen nicht unbemerkt geblieben. Obwohl ihr Engagement für Geflüchtete den Kirchen selbst gut zu Gesicht steht, sind sie in den vergangenen Monaten daher deutlich zurückhaltender bei der öffentlichen Verteidigung derjenigen Instrumente der Flüchtlingsschutzes vorgegangen, die auch innerkirchlich kontrovers diskutiert werden. Dazu gehört neben dem Kirchenasyl auch die Seenotrettung auf dem Mittelmeer (Bündnis #United4Rescue). Unter anderem durch kirchlichen Einspruch konnte zum Jahreswechsel 2023/2024 vorerst verhindert werden, dass die Seenotrettung in Deutschland kriminialisiert wird. Auch bei der Reform des Aufenthaltsrechts haben die Kirchen ihren Einfluss geltend gemacht.
Der politischen Flurpflege wegen verzichten Kirchenvertreter:innen für gewöhnlich darauf, ihre staatlichen Partner öffentlich anzugehen. Man hat ja mit den Akteur:innen in den Bundesländern, im Bund und nicht zuletzt bei den Institutionen der Europäischen Union noch anderes Business zu erledigen: Vom kirchlichen Arbeitsrecht angefangen über Fragen des Religionsverfassungsrechts bis hin zur Mitgestaltung in Fragen der Sozialpolitik und des Wohlfahrtswesens. Politisches Kapital auf die Verteidigung umstrittener Instrumente der Flüchtlingshilfe wie Seenotrettung und Kirchenasyl zu verwenden, mit denen man auch innerkirchlich keinesfalls nur Lorbeeren erntet, fällt daher zunehmend schwer:
Bei der Humanisierung der Flüchtlingspolitik ist man sich mit Akteur:innen von SPD, Grünen und LINKEN einig, liegt aber bei anderen Themen über Kreuz, insbesondere beim Schutz kirchlicher Privilegien und Rechte wie beim Arbeitsrecht. Die Christdemokratie ist beim Bestandsschutz ein verlässlicher Partner der Kirchen, aber bei sozial- und migrationspolitischen Anliegen zunehmend Kontrahent. Politiker:innen von CDU und CSU ist auch das Kirchenasyl ein Dorn im Auge. Mit polizeilichen Maßnahmen gegen „Willkür“ und das Kirchenasyl lassen sich Stärke und „Law-and-Order“-Haltung demonstrieren.
Ganz oder gar nicht?
Der Kampf für eine humanitäre Migrations- und Flüchtlingspolitik in Europa gleicht seit Jahren einer Abwehrschlacht. Die Anwälte der Geflüchteten müssen dabei auf zahlreichen Frontabschnitten zugleich und mit unterschiedlicher Ausrüstung zu Werke gehen. Dazu gehört sicher, dass man in einer ohnehin aufgeputschten Debatte manches lieber hinter verschlossenen Türen erledigt, damit die Partner:innen aus der Politik ihrerseits kapitalschonend dabei wegkommen.
Dass die Kirchen hinter Seenotrettung und Kirchenasyl stehen – gelegentlich zwar mit Bauchschmerzen der beteiligten Jurist:innen – steht bisher außer Frage. Aber die zunehmenden staatlichen Repressionen gegen Geflüchtete überall in Europa und auch die Missachtung des Kirchenasyl-Agreements durch staatliche Stellen in Deutschland zeigen: Ohne öffentlichen Widerspruch geht es nicht.
Wenn sich die EKD-Synode im November also schwerpunktmäßig mit dem Themenfeld Flucht und Migration befasst, dann sicherlich auch mit den kontroversen Hilfsinstrumenten Seenotrettung und Kirchenasyl. Die weitgehende Übereinkunft beim Familiennachzug und beim Schutz von Konvertiten quer über alle Konfessionen und Frömmigkeiten hinweg kann für die anstehende innerkirchliche Verständigung ja als gutes Beispiel dienen. Was den Schutz der Geflüchteten angeht, sind sich die beiden großen Kirchen so sehr einig wie bei keinem anderen ethisch-moralischen Thema. Und der Flüchtlingsschutz ist eine Erwartung, die Kirchenmitglieder und Nicht-Kirchenmitglieder gleichermaßen an die Kirchen herantragen. Es besteht also überhaupt kein Anlass, über das Gute, das man tut, nicht auch zu sprechen. Damit schützt man nicht zuletzt jene Menschen, die sich als Kirchenasyl-Geber:innen engagieren.
nachgefasst
Modell ohne Zukunft – Benjamin Lassiwe (Glückstädter Fortuna)
Wegen rückgängiger Einnahmen aus der Kirchensteuer wird in der Nordkirche über Alternativen nachgedacht. Die Nordkirche widmete ihren sehr hübsch betitelten „Theologischen Tag“ dem Thema: „Wenn der Topf aber nun ein Loch hat: Was kommt nach der Kirchensteuer?“ Benjamin Lassiwe berichtet:
Das Bild der Kirchensteuer in der Öffentlichkeit hat sich gewandelt, sagt die Landesbischöfin [Kristina Kühnbaum-Schmidt]: „Die Kirchensteuer wird immer weniger verstanden: Ihr automatischer und unpersönlicher Einzug scheint für immer mehr Menschen nur noch wenig mit einer lebendigen Kirche zu tun zu haben.“
Auf dem Studientag erklärte der Praktische Theologe Christian Grethlein offenbar erneut, wie denn eine Netzwerk-Kirche ausschauen könnte und dass das Kleinerwerden auch prima sein kann. Das hören Kirchenmitarbeiter:innen immer gerne von Universitätsprofessoren. Die Tipps von Erik Flügge, falls sie irgendwem noch unbekannt sind, kann man auch in einem Insta-Beitrag von Emilia Handke nachlesen. Handke ist Direktorin des Prediger- und Studienseminars der Nordkirche in Ratzeburg (hier zuletzt in der Eule in anderem Zusammenhang erwähnt) und man kann nur hoffen, dass sich die Rede von einer marktförmigen Kirche nicht in der Ausbildung des Pfarrnachwuchses breitmacht.
Inwieweit neoliberale und der Praxis recht abständig gegenüberstehende Überlegungen zur Lösung von Kirchenproblemen (Welches?) beitragen, darüber gibt es immer wieder lebendige Debatten. Zuletzt ja auch über die Frage der Sonntagsgottesdienste. Gut, dass wir mal wieder in einem allgemeinen Sinne und unbelastet von Konsequenzen drüber geschnackt haben. Den Mangel an Führung in der Kirche beklagt Flügge so:
„So entscheiden die Leute selbst, was für sie eine relevante Form des Christentums ist.“
Ich würde das als evangelischen Normalfall und noch emphatischer als Zielvorstellung begreifen wollen. Klar ist natürlich, dass nicht für jedes Hobby von Hauptamtlichen mehr Geld da ist. Doch was früher das Engagement für den lokalen Historikerverein oder den friedensbewegten Freundeskreis war, sind heute häufig andere Formen von (digitalem) Aktivismus und künstlerisch-kreative Ausdrucksmöglichkeiten. Was Nachhaltigkeit und „Kundennähe“ angeht allerdings, landet man wohl häufiger bei den so häufig geschmähten traditionellen Formen von Kirchlichkeit, als sich das Bürotheolog:innen gelegentlich wünschen. Wer beherzt von Marktorientierung spricht, der*die muss zuerst mal auf den „Bullshit“ (Flügge) gucken, den man selbst verzapft.
Buntes
Die jetzige Form der Erstkommunionkatechese ist missionarisch impotent – Dominik Blum (katholisch.de)
Gar nicht so weit entfernt von den nordkirchlichen Standortbestimmungen, wie man annehmen könnte, wird innerhalb der katholischen Kirche über die Hinführung zur Erstkommunion diskutiert. In die Debatte hat sich nun Dominik Blum, Pfarrbeauftragter in der Katholischen Pfarreiengemeinschaft Artland im Bistum Osnabrück und also ein Mann der Praxis, mit einem Gastbeitrag bei katholisch.de eingeschaltet. Was er schreibt, finde ich trotz der bekloppten Überschrift interessant und zustimmungsfähig, besonders im Blick auf die tatsächlich an den gemeindlichen Angeboten interessierten Menschen (Spoiler: Das sind eher keine Gen Z-Bürgi-Kids.).
Viele der Eltern in den Kommunionfamilien haben einen Migrationshintergrund. Sie sprechen nur wenig Deutsch, sind weit davon entfernt, gemeinsam singen zu können oder komplexe FamilienBeziehungsBücher mit ihren Kindern durchzuarbeiten. Zudem arbeiten in den meisten Familien beide Eltern, nicht selten in prekären Beschäftigungsverhältnissen, im Schichtbetrieb, am Wochenende. Ich habe Väter erlebt, die bei den verpflichtenden Eltern-Treffen einschlafen. Manche Eltern schicken stattdessen ältere Geschwister. Hier von der Meditation zu einem Nolde-Bild eine familienorientierte religiöse Bildung aller Beteiligten zu erwarten, ist meines Erachtens eine religionssoziologische Fehleinschätzung auf dem Hintergrund bildungsbürgerlicher Milieuverengung.
Nur zur Ergänzung: Aus bayerischen Bistümern habe ich vernommen, dass der Kommunionsunterricht teilweise auf einen einzigen Samstag zusammengestrichen wird. Gerade bei so frommen Sprengeln wie unter den Hirten Voderholzer und Oster schon sehr bedenklich! Die Konzentration macht natürlich weniger Arbeit. Wie Blum richtig erwähnt, könnten so im besten Fall Ressourcen für Angebote freiwerden, die sich an diejenigen richten, die bisher nicht erreicht werden. Natürlich besteht hier auch wieder die Gefahr für „Bullshit“ (Flügge) und/oder Hipster-Hobbys. Ich frage mich, ob durch ein solches Sich-Kleinmachen wirklich etwas gewonnen wird.
Studie: Junge Priester bei Themen des Synodalen Wegs eher skeptisch – Matthias Altmann (katholisch.de)
Klein machen muss die römisch-katholische Kirche den Nachwuchs für den Priesterstand nicht: Noch weniger geht kaum noch. In ganz Nordrhein-Westfalen werden sieben neue Priester geweiht, in den Franken-Bistümern gibt es erstmals seit 80 Jahren überhaupt keine Priesterweihen, und in Ostdeutschland sind es derer nur zwei. In vielen Regionen ist die priesterliche Versorgungsdecke bereits so ausgefranst, dass es richtig kühl wird. (Kein Grund für ökumenische Neiddebatten übrigens: Die Landeskirchen leiden auf nur etwas höherem Niveau ebenfalls unter Nachwuchssorgen.)
In dieser Gemengelage hat sich das Zentrum für Pastoralforschung (zap) in Bochum im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) mit Herkunft und Motivation von jüngeren Priestern befasst (zentrale Ergebnisse auf der DBK-Website als PDF):
Für die Studie wurden 847 Männer angefragt, die zwischen 2010 und 2021 zum Priester geweiht wurden, sowie 1.668 Männer, die während der Ausbildung aus dem Priesterseminar ausgetreten sind. Antworten erhielten die Studienautoren von 153 Priestern und 18 ehemaligen Kandidaten. […]
Das Durchschnittsalter der Befragten lag bei 37 Jahren; über 97 Prozent von ihnen sind in Deutschland aufgewachsen. Sieben Prozent haben einen Migrationshintergrund. Meistens stammen sie aus eher kinderreichen Familien und sind klassisch kirchlich sozialisiert. Bei der Herkunft jüngerer Priester sei insgesamt eine erhebliche Milieuverengung zu beobachten. So kommen neue Priester vorwiegend aus konventionell orientierten oder konservativen Milieus.
Angesichts dieser Befunde noch mit Prozentangaben zu operieren, wenn es um Einstellungen und Haltungen von Priestern geht, ist ein mutiges Unterfangen. Wie klein können Bezugsgrößen noch werden, bevor eine sinnfällige Interpretation ausgeschlossen werden kann? Aber es zeigt sich immerhin: Die katholische Kirche in Deutschland ist zwar eine in erheblichem Umfang (post-)migrantische Kirche, wenn es um die Kirchenmitgliedschaft geht, aber nicht beim hausgemachten Priesternachwuchs. Allein am Zölibat liegt der Priestermangel übrigens wohl kaum, denn beim wissenschaftlichen Nachwuchs ohne Entsagung sieht es kaum besser aus. Und der Priesternachwuchs ist an Synodalen Wegen und ihren Reformversprechen nicht so sehr interessiert wie ältere Alterskohorten. Ob das nun an den Themen liegt oder schlicht an der Abständigkeit dieser Reformprozesse von der pastoralen Arbeit?
Die Priester strebten ein Kompetenzprofil an, das auf Person und Spiritualität setze; die meisten Aspekte rund um das Thema Organisation und die Rolle des Priesters würden jedoch ausgeblendet. „Viele wollen Seelsorger sein, aber nicht Chef und schon gar nicht Manager. Auf Dauer werden sie aber als Führungskräfte von immer größeren und ressourcenreicheren Komplexen eingesetzt werden.“ Dadurch sei ihre Überforderung vorprogrammiert.
Das entspricht auch den Rückmeldungen, die sonst aus der evangelischen Pfarrer:innenschaft kommen. Abgesehen davon, dass Management und Geschäftsführung auch Macht bedeuten, die man dann im konkreten Fall eben doch nicht abgeben oder zumindest teilen will, werden überall in den Landeskirchen und Bistümern ähnliche Wege versucht, um den Pfarrberuf geistlich und seelsorglich zu profilieren (z.B. die sog. „multiprofessionellen Teams“). Mir dünkt, man springt zu kurz, wenn man die in den vergangenen Jahrzehnten angewachsene Komplexität von Kirchenleitung und -Verwaltung einfach auf mehr Schultern verteilen will (und auf Berufe, bei denen die Leute nun auch nicht Schlange stehen).
Studienleiter und zap-Chef Matthias Sellmann betonte angesichts der Ergebnisse seiner Studie jedenfalls, „dass die Studie eine große Notwendigkeit zu einem Umsteuern in der Berufungspastoral und der Priesterausbildung zeige“. So kann nur jemand sprechen, der Hoffnung hat, dass das Bewusstsein das Sein bestimmt und nicht umgekehrt, wie es Erik Flügge, der dem zap anderweitig verbunden ist, gerade eben der Nordkirche erklärt hat (s.o.). Um ein Kind aufzuziehen, braucht es ein ganzes Dorf, sagt das Sprichwort. In der katholischen Kirche sind mit der „Berufungspastoral“ und der Priesterausbildung, die jenseits der Pfarreien Personal binden, jedenfalls so viele Menschen befasst, dass die Betreuungsquote von Anwärtern sich zu der in deutschen Kindergärten umgekehrt reziprok verhält. Vielleicht braucht es hier einfach ein bisschen mehr Marktorientierung?
Theologie
Steht die KiHo auf der Kippe? – Katrin von Bechtolsheim (evangelisch.de)
Mitgliederschwund, Kirchensteuerrückgang, Nachwuchsmangel – das sind die drei apokalyptischen Reiter, vor denen sich alle fürchten, denen am Erhalt kirchlicher Strukturen gelegen ist – und sei es auch aus Selbsterhaltungstrieb. Welche Rolle spielen in dieser Gemengelage die kirchlichen Ausbildungsstätten? Kirchliche Hochschulen haben ihr Angebot in den vergangenen Jahren diversifiziert und bilden für zahlreiche Berufe aus, für die in unserer Gesellschaft erheblicher Bedarf besteht (s. #LaTdH von vergangener Woche).
Aber wie steht es um die beiden landeskirchlichen Hochschulen, an denen Theologie studiert wird und der Pfarrnachwuchs (neben den theologischen Fakultäten an staatlichen Universitäten) gedeihen soll? Davon gibt es in Deutschland zwei Stück: Die Augustana-Hochschule Neuendettelsau (ELKB) und eben die „KiHo“ auf dem „Heiligen Berg“ in Wuppertal. Deren Zukunft steht mal wieder infrage. Finanziert wird sie vor allem von der Evangelischen Kirche in Rheinland (EKIR) und im geringeren Umfang von der Evangelischen Kirche in Westfalen (EKvW). Doch das muss nicht so bleiben.
Derzeit trägt die Evangelische Kirche im Rheinland im Jahr 2,77 Millionen Euro der Kosten, die Evangelische Kirche von Westfalen ist mit 750.000 Euro beteiligt. Der Zuschuss der Evangelischen Kirche in Deutschland zum KiHo-Betrieb von 720.000 Euro wird bis 2030 auf 560.000 Euro abgesenkt.
Nach einigem hin und her zwischen Kirchenleitung, Synode und Mitarbeitenden- und Studierendenschaft (nachzulesen im verlinkten evangelisch.de-Artikel), wird sich die Landessynode der EKiR in einer außerordentlichen – und digitalen – Sitzung vom 6. bis 11. Juni mit der Zukunft der KiHo befassen. Zur Diskussion stehen – wir sind schließlich im Rheinland, wo gerne Konzepte geschrieben werden – gleich vier unterschiedliche Zukunftsmodelle.
Angesichts der im Vergleich zum Haushalt der EKiR für 2024 (586.219.215 Euro) doch überschaubaren Kosten fragt man sich, ob nicht wieder einmal die Bekämpfung von Schwund zu einer einkömmlichen Selbstbeschäftigung von Kirchenämtern und Synoden geworden ist. Aber es geht natürlich nicht nur ums Geld, das der Kirche ja auch nicht „gehört“, sondern ihr von den Kirchensteuerzahler:innen zur sinnigen treuhänderischen Verwendung anvertraut ist, sondern um mehr, wie Präses Thorsten Latzel den Landessynodalen mitteilt:
„Die Frage nach der Zukunft der Hochschule steht inhaltlich im weiteren Horizont der gesamtkirchlichen Entwicklung, der Situation an den theologischen Fakultäten und künftiger Bedarfe hinsichtlich akademischer Theologie und Nachwuchsausbildung“.
Jup. Die Theologiestudierendenzahlen sind in den letzten Jahren in den Keller gerauscht. Manche theologische Fakultät verdankt ihre Existenz vor allem der Lehramtsausbildung. Der Bedeutungsschwund der Kirchen wird sicher dazu führen, dass man in den Bundesländern die Finanzierung der Fakultäten durch Landesmittel kritischer noch als bisher beäugt. Braucht es nicht gerade deshalb wenigstens zwei kleine kirchliche Standbeine wie die „KiHo“ und die Augustana? Was man einmal kostspielig abgewickelt hat, bekommt man nicht mehr wieder.
Ein guter Satz
veni creator spiritus